Es ist interessant, dass du, Oliver, deine Vorliebe für einen bestimmten Komponisten gerade durch eine Umarmung (was folgt? Küsse?) zum Ausdruck zu bringen wünschst. Ich muss offen gestehen, dass mir eine derartige fixe Idee noch nie in den Sinn kam. Und obwohl ich mir, um deine "Argumentationsbasis" zu prüfen, einmal Bach angehört (in Gedanken umarmt) habe und - wiewohl mich die Musik, um es mit den Worten eines gewissen barocken Musikwissenschaftlers zu sagen, "afficieret" hat - nichts von solcherlei Empfindungen verspürt habe.
Nun, Spaß beiseite. Wie schon gesagt, spricht mich die Musik Bachs auch an, und zwar auf einer mit deinen Eindrücken vergleichbaren Ebene. Ich muss jedoch einräumen, dass es mir nicht bei allen seinen Werken so geht, sondern nur bei ganz bestimmten. Oftmals hängt es dann auch sehr vom Interpreten ab, wie stark mich ein bestimmtes Werk anspricht.
Dabei ist interessant, dass meine Vorliebe hier einen Wandel durchgemacht hat. Ich tendiere mittlerweile zu nicht allzu "mechanisch" (Anführungsstriche, weil dieses Wort in dieser Form nicht ganz passt) gehaltenen Deutungen. Ein Präludium in C-Dur WTK1 von Herrn Glenn Gould empfinde ich als mechanisch, die Non-Legato-Technik mittlerweile nicht mehr als nicht zwingend notwendig, manchmal gar als Störfaktor.
Das beste Beispiel für eine sehr gefühlsintensive Interpretation ist jene Sviatoslav Richters. Er stellt unter Beweis, dass in Bachs Musik Unmengen an "emotionalem Potential" vorhanden sind, die herauszukitzeln sich lohnt.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang, einmal folgende seiner Aufnahmen anzuhören:
WTK1 - Präludium und Fuge in c-Moll
WTK1 - Präludium und Fuge in E-Dur
Vor allem letzteres sei als Beleg für meine These genannt.
Auch Gould kann sehr emotional sein, im Grunde ist er es immer, doch finde ich, dass die Emotionalität an manchen Stellen durch seine "strenge" Wiedergabe flöten geht.
Zwei Stücke seien jedoch genannt, die Gould durchaus so spielt, wie ich es mir wünsche, zwei Stücke, bei denen ich mir keinen anderen Pianisten vorstellen kann:
WTK2 - Präludium und Fuge in d-Moll
Sinfonia Nr. 11 g-Moll
Ich bin, um abzuschließen, glücklich darüber, dass Bachs Musik wieder eine breitere Masse anspricht. Darüber hinaus gibt es nur wenige Komponisten bei denen die Interpretationsfrage so kontrovers diskutiert wurde, wenige, die so unterschiedlich interpretiert wurden. Wie Alfred schon sagte: Es bleibt spannend.