Beiträge von MarcCologne

    Dass gerade im 18. und frühen 19. Jahrhundert geistliche und weltliche Musik kaum voneinander zu unterscheiden sind und man oftmals erst genau auf den gerade gesungenen Text hören muss, um feststellen zu können, ob da jetzt gerade eine Messe, ein Oratorium oder eben doch eine Opera erklingt, ist ja weitgehend bekannt.
    Ich habe oft den Eindruck, dass das damals so beim Publikum nicht nur geduldet war, dass in der Kirche Musik zu hören war, die wie im Opernhaus klang, sondern dass dies geradezu verlangt und erwartet wurde... :yes:


    Und dies hat sich erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts grundlegend geändert, wie mir scheint.


    Ein aktuelles Beispiel hierzu ist in diesem Monat beim Label OEHMS frisch erschienen:


    Eine (von unbekannter Hand wohl um 1800[?] zusammengestellte) Messe, die sich musikalisch - anscheinend zumindest in großen Teilen - aus Così-Gesangsnummern zusammensetzt... :wacky:



    Cosi Fan Tutte-Messe C-Dur KV Anh. 235 E
    (Arrangement eines unbekannten Komponisten nach Themen aus
    "Cosi Fan Tutte")
    +Symphonie Nr. 41
    Siri Thornhill, Ursula Eittinger, Hubert Nettinger,
    Stefan Geyer, Deutsches Mozart-Orchester, Franz Raml


    Mir stellt sich hier vor allem die Frage:
    Muss das eigentlich sein, dass man alles auf CD veröffentlicht, was jemals von irgendeinem Anonymus irgendwie aus irgendwelchen Mozart-Motiven zusammengeschustert wurde??? :no:


    Allerdings empfinde ich nun wiederum die Tatsache, dass die von ihrer Handlung her so oft als besonders frivol und moralisch anstößig geltende Oper Così fan tutte nun plötzlich im Gewand einer fromm-andächtigen Messvertonung daherkommt, als außerordentlich komisch und pikant :D


    Wie kommt es eigentlich, dass diese Musik sogar eine KV-Nummer (wenn auch "nur" im Anhang desselben) erhalten hat?
    Es scheint ja eindeutig festzustehen, dass Mozart diese Bearbeitung nicht selber vorgenommen hat (was er wohl dazu gesagt hätte? :] ) - warum dann trotzdem diese "Adelung" durch die Aufnahme ins KV?


    Sollten in den Anhang des Köchelverzeichnisses hingegen generell Bearbeitungen Mozart'scher Musik aufgenommen worden sein, dann frage ich mich, warum dann nicht auch z. B. Regers Mozart-Variationen eine KV-Nummer bekommen haben...? :wacky:


    Kennt ein Mit-Tamino diese Messvertonung bereits? Da wäre ich echt gespannt, Näheres drüber zu erfahren! :hello:

    Die neue CD mit Countertenor Philippe Jaroussky ist wirklich spitze (höre ich zur Zeit rauf und runter), inkl. des umfangreichen Booklets über den Kastraten Carestini in der "Deluxe"-Ausgabe - aber beim ersten Blick auf das Cover der neuen CD dachte ich spontan an den Soundtrack eines neuen "Batman & Robin"-Films :D


    Naja - die Macher haben ihr Ziel erreicht: Das Cover ist ein "Hingucker" und verfehlt die beabsichtigte Wirkung sicher nicht... ;)



    Moinmoin,


    ich wollte heute mal wieder die herrlichen Komponisten-Karikaturen vom Lullisten Matthias genießen (vor allem mein Lieblingsbild von Herrn Buxtehude), die es in diesem Thread hier gibt, oder besser gab.... ?(


    Leider, leider sehe ich nur noch leere Kästchen mit dem hässlichen roten Kreuz drin - geht das jetzt nur mir so, oder sind diese Taminoforum-Preziosen tatsächlich im virtuellen Nirvana verschwunden?


    Das wäre aber sehr, sehr schade - ein echtes Highlight unseres Forums wäre damit nicht mehr ein- bzw. ansehbar... ;(;(

    Hier wieder mal ein drastisches Beispiel dafür, wie direkt und gruselig Kirchenkunst so sein kann:



    Ob dieses Motiv wirklich verkaufsfördernd ist? :wacky:


    Wäre auch ein hübsches Motiv für die nächste Salomé-Einspielung - da versteht man auch den genervten Herodes direkt viel besser, wenn er abschließend feststellt: "Man töte diese Weib!" :D

    Hallo Rideamus,
    hatte insgeheim ja gehofft, gerade von Dir hier einen Kommentar zu dieser Musicalverfilmung vorzufinden - und wurde nicht enttäuscht! :hello:


    Im Rahmen der alldonnerstäglichen Besprechung neuer Kinofilme habe ich gestern im Radio (WDR 2) eine gute Kritik zu dem Film gehört, allerdings wurde interessanterweise fast gar nicht auf den musikalischen Aspekt eingegangen (wahrscheinlich weil der so dünn ist oder der Redakteur keine allzu große Ahnung davon hatte...?) - die Story und deren visuelle Umsetzung stand eindeutig im Vordergrund.
    Und das Tim Burton zumindest hierfür ein Händchen hat, schreibst Du ja auch schon.
    Dass es dann musikalisch eher dürftig ausfällt, finde ich schade - schließlich ging es ja wohl bei dem Film eindeutig nicht nur um die Story von Sweeney Todd, sondern explizit auch um das Musical von Stephen Sondheim.
    Im Radio hieß es zur Musik, sie sei etwas gewöhnungsbedürftig und würde nicht ganz so leicht ins Ohr gehen ("... wie Peter Alexander" - das wurde aber nicht erwähnt :wacky: ) und gerade Johnny Depp sei ja auch kein richtiger Sänger, würde sich aber ganz wacker schlagen...


    Ich habe gestern mal in den neu erschienen Soundtrack zum Film reingehört, fand aber gerade Depps Stimme ziemlich dünn und nicht besonders überzeugend und habe - zum Glück! - vom Kauf dieses Soundtracks abgesehen, obwohl ich eigentlich mal ein Musical von Stephen Sondheim in Gänze besitzen wollte (bekommt man hierzulande ja leider eher gar nicht mal auf einer Bühne geboten, so dass man auf Konserve zurückgreifen muss :no: )


    Ich werde mich da jetzt wohl lieber auf eine Deiner weiter oben stehenden Empfehlungen stürzen - denn dass die Musik von Sweeney Todd in dem Film auch noch gekürzt wurde, hat einem auch keiner gesagt: Weder gestern im Radio noch auf dem Soundtrack habe ich einen solchen Hinweis finden können X(

    Zitat

    Paul schrieb:
    Ich habe drei Ausführungen von BuB auf CD. Zwei davon werden gesungen durch Erwachsene. Das Werk sagte mir nichts. Und dann kam meine Philips-Aufnahme mit Wiener Sängerknaben. Bastien, Bastienne und sogar Colas werden gesungen durch Knaben. Dadurch hat das Werk plötzlich eine Dimension bekommen, die es davor nicht hatte. Ich fand es plötzlich schön. Erwachsene Menschen können m. E. nicht überzeugend eine Kinderrolle darstellen.


    Ich habe auch die von Paul erwähnte CD (im Rahmen der 1991er PHILIPS Mozart-Gesamtausgabe erschienen), wo alle drei Rollen des Singspiels mit Wiener Sängerknaben besetzt sind.
    Im Gegensatz zu ihm sagt mir diese Aufnahme allerdings überhaupt nicht zu! :no:


    Es mag eine nette Idee sein, die Partien mit Kindern zu besetzen, die ungefähr in dem Alter sind, wie es Mozart war, als er Bastien und Bastienne komponierte (also um die 12-13 Jahre).
    Aber der Gedanke führt meiner Meinung nach nur in die Richtung eines verkitschten Wunderkind-Bildes, das "ach wie süüüüß!" ja schon sooo frühreif war... :wacky:
    Indem man schon durch die Besetzung den "Kindercharakter" des Werks betont, nimmt man ihm irgendwie die ernstzunehmende Komponente als vollgültiges Kunstwerk und stellt es als ein harmloses Stück "vom Kind für Kinder" dar - obwohl die Thematik mit Liebeskummer, Erweckung von Eifersucht etc. ja nun alles andere als kindlich ist.
    Würde man diesen Gedanken weiterspinnen, sollten auch andere Frühwerke Mozarts (wie z. B. die ersten Sinfonien) auch besser ausschließlich von Jugendorchestern aufgeführt werden und die Opern "Mitridate", "Lucio Silla" oder "La finta semplice" bestenfalls von Teenagern... :rolleyes:


    Nix gegen musizierende Kinder und Jugendliche - aber es geht mir um den Ansatz, wie hier die Besetzung der Rollen erfolgt ist. Ich kann mich erinnern, dass das Cover der besagten CD-Aufnahme mit einem furchtbar kitschig-zuckersüßen Foto der drei lächelnden Wiener Sängerknaben in Rokoko-Kostümen "verschönt" worden war, was genau in die Richtung des erwähnten süßen "Herzens-Wolferl" zielte...


    Und Formulierungen im Libretto wie



    Zitat

    Auf den Rat, den ich gegeben,
    Sei, mein Kind, mit Fleiß bedacht.


    halte ich eher für zeittypische Anredeformen, wie junge Frauen zu der Zeit des öfteren betitelt wurden (der Hinweis auf eine ähnliche Stelle im Fidelio ist ja auch schon hier gebracht worden), man denke nur an das sprichwörtliche und oft zitierte "mein schönes Kind"! Damit sind ja in aller Regel nun mit Sicherheit keine solchen gemeint... :]



    Eine interessante Aufnahme von Bastien und Bastienne möchte ich noch erwähnen (erwachsene Solisten):



    Edith Mathis, Claes H. Ahnsjö, Walter Berry, Mozarteum Orchester Salzburg, Leopold Hager


    Die aus den späten 1970er (?) Jahren stammende Aufnahme finde ich deshalb so interessant, weil sie meines Wissens die einzige ist, in der die von Mozart für die ersten beiden Auftritte (?) nachträglich komponierten Secco-Rezitative gesungen werden, die die Dialog-Szenen ersetzen.
    Um die Aufnahme in diesem Stil zu komplettieren, hat sich Leopold Hager sehr geschickt daran gemacht, die restlichen Szenen im selben Stile mit Secco-Rezitativen zu versehen (man merkt wirklich keinen Unterschied und fragt sich ständig, wann Mozart aufhört und Hager beginnt).
    Das Singspiel bekommt damit musikalisch einen viel geschlosseneren Eindruck, die oft peinlich gestellt wirkenden Dialoge entfallen und es ist eine selten zu hörende Alternative, die so noch nicht einmal in der doch eigentlich den ultimativen "Vollständigkeits-Faktor" für sich beanspruchenden PHILIPS-Edition enthalten ist!


    P.S.: Keine Ahnung, warum jpc den astronomischen Preis in Höhe von 23,00 EUR (!!!) für diese in der Reihe eloquence erschienene Einzel-CD verlangt - sie müsste wie alle CDs in dieser Reihe eigentlich um die 6 EUR kosten, es kann sich hier eigentlich nur um ein Versehen von jpc handeln... :no:

    Hallo zusammen,


    immer wieder ist mir beim Blättern in diversen Opernführern aufgefallen, dass ich das Uraufführungsdatum 26.12. überproportional oft hinter dem ein oder anderen Operntitel lesen konnte.


    Vor allem italienische Opern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts scheinen ziemlich häufig an diesem Datum aus der musiktheatralischen Taufe gehoben worden zu sein.


    Was hat es mit diesem Datum eigentlich auf sich?


    Mehrfach fand ich den Hinweis auf den traditionellen Beginn der Karnevals-Opernsaison einen Tag nach Weihnachten (den 26. Dezember als 2. Weihnachtsfeiertag wie bei uns feiert man in Italien meines Wissens auch heute noch nicht) - eine absolut wichtige Jahreszeit für alle Opernunternehmer zur damaligen Zeit:
    In den Wochen zwischen dem 26. Dezember und Aschermittwoch fanden in den großen Städten (und sicher auch in den kleinen...) zahlreiche Vergnügungen und (Masken-) Bälle statt. Dazu gehörten unbedingt auch Opernvorstellungen, die für die meisten Besucher zur damaligen Zeit ja oft mehr gesellschaftlichen als musikalischen Charakter hatten... zeitgenössische Berichte vom Ablauf solcher Veranstaltungen sind heute ja allgemein bekannt und sorgen immer wieder für ungläubiges Kopfschütteln und Erheiterung.
    Das Opernpublikum der damaligen Zeit würde sich in einer heutigen Vorstellung mit Sicherheit tödlich langweilen (sofern es nicht schon vor der Pause vom Sicherheitspersonal aus dem Theater entfernt worden wäre :D )


    Jedenfalls ist das Ganze am ehesten noch irgendwie mit dem ganzen Trubel um die zahlreichen Karnevalssitzungen und -bälle zu vergleichen, die heutzutage in diesem Zeitraum in den rheinischen Hochburgen quasi allabendlich in zahllosen Sälen und Etablissements stattfinden... :]


    Ich bin sicher: Jeder Opern-Impresario, der damals etwas auf sich hielt, startete in die neue Session mit einer glanzvollen Premiere, was damals bedeutete: Eine frisch komponierte Uraufführung - darunter machte man es nicht! Während der laufenden Karnevals-Saison gab es natürlich weitere Premieren (Mozarts Idomeneo von 1781 ist ein Beispiel hierfür), aber ein Spektakulum zum Auftakt musste halt - wenn irgendwie möglich- schon sein...


    Keine Ahnung, wieviele dieser Werke heute keiner mehr kennt und die nicht überliefert sind - aber es dürften tausende (von wahrscheinlich grausiger Qualität und voll von "zusammengeklauten" Nummern aus anderen Opern von andernorts) sein... :D


    Hier ist jedenfalls eine kleine Liste von Opern mit besagtem Premierendatum, die dem Zahn der Zeit getrotzt und ihren Weg bis in unsere Zeit gefunden haben - da ich vorgestern am 26.12. (!!!) wirklich nur einmal durch den Opernführer geblättert habe, erhebt diese Liste natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit ;)


    Händel: Aggripina (26.12.1709, Venedig)


    Gluck: Alceste (26.12.1767, Wien)


    Mozart: Mitridate, re di Ponto (26.12.1770, Mailand)


    Mozart: Lucio Silla (26.12.1772, Mailand)


    Rossini: Aureliano in Palmira (26.12.1813, Mailand)


    Rossini: Sigismondo (26.12.1814, Venedig)


    Rossini: Torvaldo e Dorliska (26.12.1815, Rom)


    Rossini: Bianca e Falliero (26.12.1819, Mailand)


    Rossini: Maometto secondo [zweite Fassung] (26.12.1822, Venedig)


    Donizetti: Anna Bolena (26.12.1830, Mailand)


    Bellini: Norma (26.12.1831, Mailand)


    Donizetti: Lucrezia Borgia (26.12.1833, Mailand)


    Donizetti: Gemma di Vergy (26.12.1834, Mailand)


    Donizetti: Maria Padilla (26.12.1841, Mailand)



    Vielleicht kann der eine oder die andere von Euch diese schon recht beeindruckende Liste um weitere Opern ergänzen? :hello:

    Zitat

    Rideamus schrieb:
    Noch mehr Jubiläen großer Musicalereignisse für 2007 gefällig?


    Gestern erinnerte mich mein Tages-Musikkalender an ein nun wirklich absolut bedeutendes Musical, das ebenfalls in 2007 einen runden Geburtstag feiert:


    am 27.12.1927 - also vor genau 80 Jahren - fand im New Yorker Ziegfeld-Theatre die Premiere von


    SHOW BOAT


    von Jerome Kern und seinem Librettisten Oscar Hammerstein II statt.


    Ein Musical, das vielleicht als erstes seiner Art diese Gattungsbezeichnung verdient - waren doch alle zuvor gezeigten Werke eher belanglose Revuen, deren Handlung (soweit überhaupt vorhanden) eigentlich nur darin bestand, einen Rahmen für die Abfolge mehrerer Tanz- und Gesangsnummern zu liefern.


    Mit Show Boat änderte sich alles: Trotz der nach wie vor vorhandenen bewährten Mischung aus den typischen Musical- (Revue-) Elementen lieferte es den Beweis, dass auch in diesem Rahmen eine durchgehende, spannende (auch mit kritischen Untertönen angereicherte) Story erzählt werden kann - und das öffnete dem Musical ja eigentlich erst den Weg zum "richtigen" Musiktheater!


    Eine echte Pionierleistung also, die die Gattung Musical in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu wahren Höhenflügen führen sollte und zeigte, was alles in dieser amerikanischen Musiktheater-Form steckte! :jubel:


    Passend dazu das Zitat von "Musical-Forscher" Miles Kruger:


    Zitat

    Die Geschichte des amerikanischen Musiktheaters kann man ganz einfach in zwei Zeitalter einteilen: Alles vor und alles nach "Show Boat".


    ... der Mann hat Recht! :] :yes:

    Hallo,


    eigentlich wollte ich folgendes Zitat in einen der irgendwo hier im Forum existierenden Threads à la "Hat die CD noch eine Zukunft?" reinschreiben - aber da ist anscheinend schon seit Monaten nix mehr hinzugekommen, jedenfalls finde ich ad hoc nix passendes und der Thread hier ist immerhin aktuell und passt thematisch auch irgendwie ganz gut:


    Aus einem Interview mit Roland Weise, dem Vorsitzenden der Media-Saturn-Holding, erschienen im Dezember-Heft von mobil - Das Magazin der Deutschen Bahn AG (wofür Bahnfahren alles gut sein kann :D ):


    Zitat

    [...]


    Frage: Als der erste Saturn-Markt 1961 eröffnet wurde, gehörten Schallplatten neben Fernsehern zum größten Segment - welche Bedeutung hat die Musik heute?
    Weise: Der erste Saturn-Markt hatte die größte deutsche Musikauswahl. Und auch heute ist es der Laden mit den meisten Titeln [Anm. von mir: gemeint ist die Filiale Köln Hansaring]
    Frage: Sie eröffnen auch in neuen Filialen große Musikabteilungen, dabei schrumpfen die Verkaufszahlen der Tonträger seit Jahren - weshalb halten Sie daran fest?
    Weise: Musik schafft Stimmung, das ist gut für's Gesamtgeschäft. Darüber hinaus sehen wir, dass einzelne Repertoires wie das der Klassik eine Renaissance erlebt. Und diese Musik will und kann man sich aus Qualitätsgründen nicht per Download im Internet kaufen, die möchte man als CD mit Cover und Booklet haben.


    [...]


    Was soll man sagen:
    Der Mann muss ja wissen, wovon er redet - immerhin repräsentiert er nicht irgendeinen Konzern, sondern eine echte Marktmacht..


    Und das bringt einen weiteren Faktor in die Diskussion - den nicht zu vernachlässigenden wirtschaftlichen Aspekt der Phonoindustrie - sollten die tatenlos zusehen, wie ihr Absatz an CD-Playern und anderen hochwertigen HiFi-Geräten immer mehr einbricht?
    Wenn die das irgendwie verhindern oder zumindest aufhalten können, werden die da doch sicher irgendwelche Gegenmaßnahmen ergreifen (und sei es durch Interview-Statements wie dieses hier) - denn bei wirtschaftlichen Fragen hört der Spaß (und der Fortschrittsglaube) immer wieder ganz schnell auf, denkt mal an Dinge wie 3-Liter-Autos, Ersatzprodukte für die gute alte Glühbirne usw. ;)

    Hallo zusammen,


    hatten wir hier im Forum tatsächlich noch keinen eigenen Hummel-Thread? 8o


    Na, dann wurde es aber wirklich höchste Zeit!!


    Johann Nepomuk Hummel gehört neben Ferdinand Ries zu den großen persönlichen Neuentdeckungen der letzten beiden Jahre für mich - seine Kompositionen ließen mich immer wieder aufhorchen (sein bekanntes Trompetenkonzert war das erste Werk von ihm, was ich bereits vor einigen Jahren kennengelernt habe), so dass ich irgendwann gezielt angefangen habe, mir einige seiner Werke zuzulegen (dank NAXOS wieder einmal kein allzugroßes finanzielles Wagnis :] ).


    Und ich war regelmäßig sehr angetan von der Musik, die sich stilistisch irgendwo zwischen den späten Werken von Haydn und Mozart einerseits und dann natürlich Beethoven bewegt, hie und da durchaus auch frühromantische Töne anklingen lässt und dabei doch einen eigenen Tonfall erkennen lässt!


    Gefällt mir insgesamt seeehr gut und ich werde in den nächsten Jahren bestimmt noch mehr von Hummel hören wollen! :yes:


    Gerade die Werke für Klavier und Orchester (von denen einige auch bei NAXOS erschienen sind), habe ich beonders ins Herz geschlossen - bin gespannt auf den angekündigten eigenen Thread hierzu und halte mich daher zu diesen Werken hier noch zurück.


    Stattdessen möchte ich als Chormusik-Fan noch folgende Einspielung vorstellen:



    Missa solemnis C-Dur und Te Deum, eine wirklich hörenswerte, festliche und klangüppige Einspielung aus Neuseeland :jubel:


    Wer Haydns späte Messen (oder auch Mozarts Krönungs- oder c-moll-Messe) mag, wird dies hier lieben!!
    Sicher nicht so kühn (und die Zeitgenossen verstörend) wie die beiden Messkompositionen Beethovens, aber das muss ja auch nicht immer sein... ;)

    Hallo Matthias,


    na, da können die ja froh sein, dass Du jetzt da bist und Dich für diese alten Schätzchen ernsthaft interessierst!


    Stell ich mir ja zu spannend vor, in derart alten Handschriften/ Drucken etc. zu blättern und Dinge anzuschauen, die womöglich seit Jahrhunderten niemand mehr gelesen, geschweige denn musiziert haben könnte - wow!


    Jedenfalls wünsche ich Dir weiter interessante Entdeckungstouren - halte uns auf dem Laufenden :hello:

    Ok - der Threadtitel heißt Weihnachtskantaten und -oratorien mal nicht von Bach, aber das bezieht sich ja eigentlich auf das allbekannte "WO" von Johann Sebastian und nicht auf andere Weihnachtsmusik von ihm (hoffe ich :untertauch: )


    Jedenfalls wollte ich dieses Posting hier nicht an unseren "regulären" Weihnachtsoratoriums-Thread anhängen, da mir das Thema da irgendwie fehlplatziert erscheint.


    Es geht hier um eine interessante Konzertidee, von der ich vor einiger Zeit schon erfahren habe und die ich jetzt endlich hier im Forum mal vorstellen sollte. Leider war ich bei besagtem Kozert nicht dabei, so dass ich weder ein Programmheft ergattern konnte, noch weiß, welche Ausführenden daran beteiligt waren :(


    Seinerzeit hatte man die pfiffige Idee der Aufführung eines "alternativen Weihnachtsoratoriums" von J. S. Bach (meines Wissens trug das Konzert sogar diesen etwas irreführenden Titel). Man wollte wohl etwas Abwechslung zum alljährlich allerorten aufgeführten "normalen" Weihnachtsoratorium bieten.
    Die Idee für dieses Konzert war, genau wie beim "richtigen" WO, das ja eigentlich auch "nur" eine Sammlung (allerdings thematisch zusammenhängender) Kantaten ist, die erstmals an den einzelnen Feiertagen der Weihnachtszeit 1734/35 aufgeführt wurden, quasi nach diesem Prinzip ein zweites Weihnachtsoratorium zusammenzustellen.

    Dabei verfiel man nun auf die für Bach besondere Weihnachts-Saison 1723/24. Das Weihnachtsfest des Jahres 1723 war das erste, das Bach als Leipziger Thomaskantor musikalisch zu gestalten hatte und dies tat er (wohl aus diesem Grund?) ganz besonders aufwendig, prachtvoll und abwechslungsreich (natürlich größtenteils mit frisch komponiertem Material)! :angel:
    Gerade aus dieser Zeit sind uns jedenfalls ganz besonders zahlreiche Kompositionen überliefert (mehr als aus jeder anderen Weihnachtszeit, die Bach kompositiorisch begleitete - vom klassischen Weihnachtsoratorium jetzt mal abgesehen): Neben den Kantaten für die einzelnen Festtage sind dies auch noch das Sanctus BWV 238 und die "Ur-Form" des Magnificat Es-Dur BWV 243 a - beide Werke erklangen wohl erstmals in weihnachtlichen Vespergottesdiensten 1723.


    Das "alternative Weihnachtsoratorium" setzte sich in jenem Konzert nun aus folgenden Kantaten zusammen:


    BWV 63
    Kantate zum ersten Weihnachtstag


    BWV 40
    Kantate zum zweiten Weihnachtstag


    BWV 64
    Kantate zum dritten Weihnachtstag


    BWV 190
    Kantate zum Neujahrstag / Fest der Beschneidung Christi


    BWV 153
    Kantate zum Sonntag nach Neujahr


    BWV 65
    Kantate zu Epiphanias (Dreikönigstag)



    Diese 6 Kantaten entsprechen mit ihren Entstehungsanlässen also genau denen der 6 Kantaten des "richtigen" Weihnachtsoratoriums und sind - genau wie diese - für eine Weihnachts-"Saison" entstanden, nur eben 11 Jahre früher.
    Da ja gerade auch beim eigentlichen WO (auch hier im Forum) immer wieder diskutiert wird, ob eine zyklische oder eine "Aufführung am Stück" der sechs Einzelkantaten vorzuziehen sei, ist die Idee, sich quasi ein 2. bachsches WO aus ähnlichen Komponenten "zu basteln", gar nicht mal unclever - und eine Aufführung an einem Konzertabend sicherlich auch nicht. ;)


    Der Vorteil dieses Zyklus' ist, dass Hörer, die zu Beginn das festliche "Jauchzet, frohlocket" vermissen könnten, mit dem nicht minder prächtigen "Christen, ätzet diesen Tag"-Eingangschor mehr als entschädigt werden :jubel:

    Und am Ende steht die wunderbar als Ausklang geeignete Kantate "Sie werden aus Saba alle kommen" - zwar ohne Pauken und Trompeten, aber trotzdem nicht minder prachtvoll! :yes:


    Dazwischen bietet Bach musikalisch jede Menge Abwechslung, gerade auch in den Kantaten, die er - wohl um seine an den Weihnachtstagen arg beanspruchten Thomaner etwas zu entlasten - eher kammermusikalisch gehalten hat.


    Zwar fehlt diesen sechs Kantaten der eindeutig zyklisch Charakter der sechs WO-Kantaten (die durchgehende biblische Handlung vor allem!), aber interessant finde ich die Idee trotzdem!


    Wer sich das Ganze auf CD anhören möchte, muss (leider) auf diverse CD-Zusammenstellungen zurückgreifen, da mir eine gezielte Kompilation dieser sechs Kantaten, die unter dem Aspekt "entstanden zu Weihnachten 1723/24" gekoppelt wurde, nicht bekannt ist - erstaunlich eigentlich ?(;)


    Von Ton Koopman kenne ich eine CD-Box (wohl mit Einspielungen aus seiner Bachkantaten-Gesamtaufnahme), die meines Wissens unter anderem aber alle oben erwähnte Einzelkantaten enthalten müsste (plus einiger anderer Bach-Weihnachtskantaten aus anderen Entstehungsjahren)




    In diesem Sinne: Euch allen schöne Weihnachtstage mit viel (selbst gemachter wie "nur" gehörter) Musik! :hello::angel::hello:

    Gestern in der Buchhandlung entdeckt - ich konnte nicht widerstehen, da meine Neugierde SOFORT geweckt wurde... :D


    Robert Schneider: Die Offenbarung



    Ich bin sehr gespannt, ob die Ankündigungen auf dem Klappentext halten, was sie versprechen.


    Robert Schneiders sensationelles Debüt "Schlafes Bruder" Anfang der 1990er Jahre hatte mir seinerzeit schon gut gefallen, schließlich ging es da auch viel um Musik und Orgelspiel im Besonderen.


    Musik scheint also durchaus ein Thema zu sein, mit dem sich der Autor auskennt und das ihn inspiriert.
    Habe allerdings seit "Schlafes Bruder" nichts mehr von Herrn Schneider gelesen - woran das wohl gelegen haben mag....?


    Umso neugieriger bin ich jetzt auf sein neustes Werk!

    Hallo Achim,


    da Du den Pianisten Bugge Wesseltoft empfohlen hattest, würde mich vor allem interessieren, ob Du das von mir erwähnte ebenfalls reine Pianoprogramm von George Winston kennst?


    Als echter Jazzpurist dürfte man eine solche Aufnahme dann wohl noch am ehesten gelten lassen, während viele sicher die weiteren CDs, die ich empfohlen hatte, als seichtes Swing-Geplänkel abtun könnten, die mit Jazz wenig bis nichts zu tun haben... :] ;)


    Ich mag sie trotzdem - die passen für mich einfach zur Jahreszeit.

    Ich habe daheim nochmal nachgeschlagen und wollte der Korrektheit und Vollständigkeit halber hier nochmal die Abfolge der einzelnen Kantaten unter dem Kriterium der Grundtonarten auflisten (das oben von mir aus dem Gedächtnis Geschriebene stimmte nämlich leider nur fast...):


    1. Kantate: D-Dur
    2. Kantate: G-Dur
    3. Kantate: D-Dur
    4. Kantate: F-Dur
    5. Kantate: A-Dur
    6. Kantate: D-Dur


    :angel::hello::angel:

    Auch ich höre gern zur Weihnachtszeit mal ein paar swingend-jazzige Beiträge zum allgemeinen Jauchzen und Frohlocken (ein bissel Abwechslung darf ja ruhig auch mal sein) :]


    Zunächst ein Klassiker aus dem Jahr 1982 - für mich seit Jahren eine wunderschöne Einstimmung auf Weihnachten, den Winter und die dunkle Jahreszeit überhaupt:


    George Winston "December"



    Winston vermag mit seinem Piano wirklich zu zaubern - ob nun Schneeflocken durch die Luft tanzen oder im "Carol of the bells" Glöckchen klingen - alles kommt sehr stimmungsvoll und plastisch rüber!
    Außerdem enthält die CD auch die für mich gelungenste moderne Version von Pachelbels Kanon - und es gibt wahrlich viele moderne Adaptionen dieses Barock-Klassikers! :jubel:


    Dann drei Damen, die sich in den letzten Jahren in Begleitung von Bigband & Co. auf unterschiedliche aber sehr ansprechende Art und Weise verschiedenen Weihnachtsklassikern angenommen haben:


    Jane Monheit mit "The Season" (aus dem Jahr 2005)



    aus demselben Jahr stammt auch Diana Krall "Christmas Songs"



    und Jenny Evans ebenfalls mit "Christmas Songs"



    Wer statt der Damen das Ganze lieber von einem Herren dargeboten bekommen möchte, dem kann ich Harry Connick Jr. empfehlen - aus dem Jahr 1993 "When my heart finds Christmas":



    Hat schon eine unverwechselbare Note, die Mr. Connick da mehreren Weihnachts-Klassikern verleiht - und auch die obligatorische Portion Kitsch und Pathos darf nicht fehlen (zu Weihnachten darf das ruhig mal sein!)... :D


    Und das bringt mich schnurstracks zur aktuellen Neuerscheinung dieser Weihnachts-Saison: Till Brönner "The Christmas Album"



    Zusammen mit einigen Gästen (die vor allem gesanglich in Erscheinung treten) zelebriert Jazz-Trompeter Brönner ein ebenfalls klanglich opulentes und sehr geschmackvolles jazziges, bzw. verswingtes Weihnachten - wer Trompetenklänge zur Weihnachtszeit nicht nur bei Bach & Co. mag, kommt hier durchaus auf seine Kosten und sollte auch mal bei anderen Jazz-Trompetern wie z. B. Chet Baker oder Chris Botti recherchieren, von denen es auch Weihnachtsalben gibt... :hello:

    Hallo Carola,


    der Hinweis auf die von Bach geplante Einheit der sechs Kantaten als zusammengehöriger Zyklus, eben als Oratorium, ist ein Aspekt, der interessante Rückschlüsse erlaubt, wie Bach die einzelne Aufführung der sechs Kantaten geplant haben könnte.


    Gerade dieser "Oratorien-Faktor" ist aber auch immer kontrovers diskutiert worden - es gibt Leute, die diesen Faktor nicht überwertet wissen wollen und die Eigenständigkeit und Einbindung der Kantaten in die jeweiligen Gottesdienste an den Bestimmungsttagen betonen.


    Allerdings sind da eben die Elemente, die wiederum den zyklischen Aspekt, den Gedanken, dass Bach bei der Komposition der sechs Kantaten eben in größeren Zusammenhängen gedacht und geplant hat, als er es bei der Komposition von anderen Kantaten tat, die z. B. während der Weihnachtsfesttage des Jahres 1723/24 erklangen - auch hier könnte man ja einen thematischen Zusammenhang vermuten oder konstruieren.


    Wie Du schon erwähnst, gibt es da zunächst den fortlaufenden biblischen Bericht aus den Evangelien des Lukas (Kantaten I-IV) und des Matthäus (Kantaten V + VI).


    Zitat

    Carola schreibt:
    Als weiteres Argument nennt Jena die "tonartlichen Beziehungen" der Teile untereinander, führt dies aber nicht weiter aus.


    Damit ist die Abfolge der einzelnen Grundtonarten der sechs Kantaten gemeint - ich habe sie jetzt gerade nicht auswendig im Kopf, aber es müsste ungefähr so aussehen:


    D-Dur/ A-Dur/ D-Dur/ F-Dur/ G-Dur/ D-Dur


    Jedenfalls kreist das Ganze um die "festliche" Tonart D-Dur (bevorzugt immer dann gewählt, wenn Trompeten erklingen) - verglichen mit der Wahl der Tonarten einzelner Konzert- oder Symphoniesätze (die ja meist auch um eine Grundtonart kreisen) bei anderen Komponisten lässt sich daraus schon ein weiterer Hinweis auf eine Anlage als Zyklus erkennen.


    Auch die Wahl der Instrumentation der einzelnen Kantaten ist nach einem übergeordneten Plan erfolgt:
    Jeweils zwei prunkvoller orchestrierte Kantaten (I + III und IV + VI) umrahmen eine "intimere" Kantate, die einen verinnerlichteren Charakter hat: In den erwähnten Kantaten setzt Bach Pauken und Trompeten ein, bzw. Hörner (als einzige Kantate im ganzen WO in der Kantate IV!).


    Problematisch ist für die separate Aufführung auch die Aufteilung der biblischen Handlung auf die einzelnen Bestimmungstage:


    Die fünfte Kantate erklingt am Sonntag nach Neujahr und beinhaltet den ersten Teil der Geschichte von den Heiligen drei Königen, die in der Kantate VI - die für den eigentlichen Dreikönigstag bestimmt ist - dann zu Ende erzählt wird.


    Das ergab liturgisch gesehen allerdings ein Problem, denn das Evangelium für den erwähnten Sonntag nach Neujahr war eigentlich schon die sich an den Besuch der Könige anschließende Episode der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten (um Herodes' Häschern zu entkommen).
    Aber diese Epsiode konnte innerhalb der WOs ja nun schlecht vor der Dreikönigs-Geschichte erzählt werden...
    Und so wird sie ignoriert, was ich aus Bachs Sicht schon recht gewagt finde - der Gottesdienst (und vor allem natürlich die Predigt) an jenem Sonntag nach Neujahr des Jahres 1735 drehte sich um die Flucht nach Ägypten, dann erklang die Kantate (das war dann die 5. Kantate des Weihnachtsoratoriums) und da ging es plötzlich schon um die Weisen aus dem Morgenlande, die ja eigentlich erst ein paar Tage später am 6. Januar geehrt werden sollten... :wacky:
    Es erstaunt schon, dass die Geistlichkeit bereit war, das mitzumachen und den Kantor nicht gemaßregelt hat, doch bitte gefälligst eine thematisch passende Musica aufzuführen...
    Aber man scheint das mitgemacht (zumindest der ein oder andere Zuhörer dürfte sich damals wohl schon gewundert haben) und der zyklischen Überordnung des Oratoriums zuliebe diese thematisch so ganz anders geartete Kantate geduldet zu haben.


    Daher habe ich absolut nichts gegen eine Aufführung des WO "in einem Rutsch" (oder zumindest in zwei Teilen à drei Kantaten) einzuwenden, denn da scheint schon auch eine gewisse Berechtigung zu haben. :yes:


    Da es damals im Leipzig (anders als in Händels London) keine Oratorien-Tradition gab, musste Bach sich wohl oder übel auf den "Umweg" über die kirchlich-liturgische Aufführung verlegen.
    Er hätte die Idee einer oratorischen Aufführung aber womöglich nicht ganz uninteressant gefunden, könnte ich mir vorstellen ;)

    Ich danke Euch allen für die freundlichen Worte *ganzrotwerd* :O


    Es freut mich wirklich, wenn mit diesem unserem Projekt Neugier auf die große Bachkantatenwelt geweckt wurde - es lohnt sich immer, den Fokus auf diesen Teil des kompositorischen Schaffens Bachs zu richten!



    Und wenn dann z. B. Carola schreibt:


    Zitat

    Unter anderem hat Dein Engagement schon bewirkt, dass ich wieder angefangen habe, regelmäßig jeden Sonntag eine Bachkantate zu hören (so ich sie denn habe). Das werde ich auch für das kommende Jahr beibehalten und zudem, soweit als möglich, auch etwas dazu schreiben hier im Forum.


    ... dann freue ich mich wirklich, dass unser Forum hier so etwas bewirken konnte und sich die Arbeit gelohnt hat! :yes:


    Ich weiß gar nicht, von wem das Zitat stammt, dass man Bach gar nicht richtig kennt, wenn man sich nicht auch mit seinem Kantatenschaffen beschäftigt hat - da ist was Wahres dran... es gibt wirklich viel zu entdecken, wie viel, das war mir vor einem Jahr eigentlich selber nicht bewusst, so dass das ganze Projekt für mich selber eine einzige Entdeckungsreise war und somit der Ansporn, Woche für Woche weiterzumachen.


    Zitat

    Andrew schrieb:
    Ich fürchte, es hat Dir sogar Freude gemacht ...


    Daher trifft Andrews Aussage des Pudels Kern :D


    Im übrigen lebt unser Kantatenprojekt ja auch vom steten Erweitern der einzelnen Threads - erst das macht die einzelnen Kantatenbeiträge ja erst wirklich interessant, wenn mehrere Meinungen und Ansichten/ Erlebnisse und Interpretationsvergleiche möglichst vieler Mit-Taminos hier zusammengetragen werden.


    So gesehen stehen wir nach wie vor ganz am Anfang... :hello:

    Hallo Carola,


    die von Dir erwähnte Aufnahme habe ich auch und finde sie auch sehr gelungen!


    Interessant ist die Tatsache, dass Bach ja neben seinen beiden "Nun komm, der Heiden Heiland"-Kantaten auch in dieser weiteren Adventskantate auf diesen Choral nicht verzichten konnte oder wollte - das von Dir erwähnte Choralduett für Sopran und Alt auf diese Choralweise ermöglicht somit einen weiteren Vergleich mit den anderen Bach-Sätzen, die er in den beiden anderen Adventskantaten unter Einbeziehung dieser Melodie erklingen lässt.


    Er muss diesen Choral wirklich sehr gemocht haben (evtl. war er aber auch in Leipzig besonders beliebt?) - schließlich hätte er noch eine Menge anderer Adventslieder zur Verfügung gehabt...
    Das ist eigentlich schade, denn heute gibt es für uns ja einige Adventschoräle, die uns eher geläufig sind als ausgerechnet "Nun komm, der Heiden Heiland" - ich denke da z. B. an "Es kommt ein Schiff, geladen" oder "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit".
    Es wäre doch toll, wenn es auch eine Bach-Adventskantate gäbe, die einen dieser Choräle musikalisch beinhaltet.


    P. S.: Ich neige manchmal zu Wiederholungen - das hatte ich in dieser Art so schon vor einem Jahr von mir gegeben, wie ich gerade merke. Man möge es mir verzeihen :rolleyes:
    Daran sieht man, dass ich meine Meinung nicht geändert habe (und das nach sooo vielen anderen Bachkantaten, die mir in 2007 über den Weg klangen...) :D

    Zitat

    Miguel54 schrieb:
    Dieses Gerede vom "ihnen zukommenden Platz" der Stücke halte ich für reine Ideologie, die sakrale Musik über säkulare stellt - bei allem Respekt vor dem Religiösen, den auch ich habe, halte ich das für übertrieben oder zumindest einseitig.


    Zumindest muss man das Ganze aus der Perspektive des Komponisten sehen, der aus seiner Sicht wert- und gehaltvolle Musik komponierte und diese nicht nur zu einem einzigen Anlass erklingen hören wollte.


    Ob Bach nun regelmäßig beim Komponieren weltlicher Kantaten direkt den konkreten "Wiederverwendungsanlass" im Hinterkopf hatte, kann man sicher bezweifeln.
    Aber dass er gerade in späterer Zeit, nachdem er ja bereits mehrfach sehr erfolgreich überaus gelungenes "Recycling" weltlicher Kantatenmusik betrieben hatte, schon beim Komponieren daran dachte, dass er die gerade erdachte Musik nochmals in geistlichem Zusammenhang verwenden würde, das erscheint mir ziemlich wahrscheinlich - er dachte nun einmal überaus wirtschaftlich :]


    Und im vorliegenden Fall handelt es sich ja sowohl bei der weltlichen wie der späteren geistlichen Musik um Musik der Reifezeit Bachs, oder um bachsches "Spätwerk", das man wohl so ab 1730 beginnen lässt.


    Derartige Hintergedanken kamen natürlich der weltlichen wie auch der geistlichen Musik, die dann daraus werden sollte, sehr zugute: Schließlich gab Bach sich damit ja dann auch beim Komponieren von "Gelegenheitswerken" wie Huldigungs- und Glückwunschkantaten besondere Mühe, da er sicher nur gelungenes Material wiederverwerten wollte - somit haben also auch nicht zuletzt aus diesem Grund die heute arg vernachlässigten weltlichen Kantaten (wie eben z. B. BWV 213 und 214) eine beachtliche kompositiorische Qualität, die häufiger zum Erklingen zu bringen sich wahrlich lohnen würde... ;)

    So Ihr Lieben – jetzt ist er also vollendet, der Rundgang durch das Kirchenjahr: Alle uns heute überlieferten Kantaten Bachs, die für einen Sonn- oder Feiertag bestimmt waren, sind jetzt hier im Tamino-Bachkantatenforum zu finden!


    Ich bin tatsächlich ein bisschen stolz darauf, dass es wirklich geklappt hat, sämtliche dieser quasi „termingebundenen“ Kantaten Bachs pünktlich zum dafür bestimmten Zeitpunkt den geschätzten Mit-Taminos (und allen Mitlesern) zur Verfügung zu stellen. Dass dies terminlich hinhauen würde, hätte ich selbst nicht zu hoffen gewagt – aber wie heißt es so schön: Es geht nichts über eine gute Vorbereitung... ;)


    Als wir vor einem Jahr dieses Projekt gestartet haben, war ich zunächst als interessierter Mitleser dabei. Aber schon am 4. Advent (der in 2006 am 24.12. lag) hatte ich spontan die Erstellung des Threads übernommen und spätestens seit Weihnachten dann war ich – passenderweise wie die Jungfrau zum Kinde – tiefer in dieses Projekt hineingerutscht, als ich es ursprünglich geplant hatte (wozu einen die vielen Mußestunden an den Feiertagen doch verleiten können :D ).


    Und was soll ich sagen:
    Einmal in dieses Projekt involviert, konnte ich irgendwie nicht mehr davon lassen! Hätte ich damals geahnt, dass ich diese Nummer tatsächlich für den Rest des Jahres konsequent durchziehen würde – ich hätte es wahrscheinlich nicht geglaubt.
    Aber irgendwie kam alles wie von selbst: Der Spaß an der ganzen Sache (der bis heute nicht nachgelassen hat), die Woche für Woche neue Motivation, sich mit den gerade zur Jahreszeit passenden Kantaten zu beschäftigen – die viele wunderbare Musik, mit der man sich beschäftigen konnte – ich habe es keinen Moment bereut (sonst hätte ich wahrscheinlich auch nicht durchgehalten)!


    Und zu lernen und erfahren gab es ja nun wirklich eine ganze Menge: Da waren Feiertage, die heute in der Form nicht mehr existieren (oder zumindest nicht mehr von der Bedeutung sind, wie zu Bachs Zeiten): Wer rechnet schon damit, dass es z. B. für den 27. Dezember (= 3. Weihnachtsfeiertag), den Pfingstdienstag, oder eigentlich „unscheinbare“ Tage wie den 24. Juni oder den 2. Juli eine ganze Reihe Kantaten gibt, die natürlich Teil des Projektes waren?
    Über diese Feiertage und deren (heute meist „verschüttete“) Bedeutung etwas in Erfahrung zu bringen, war mindestens genauso interessant, wie einige Ereignisse in Bachs Leben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen Kantatenkompositionen stehen, näher zu beleuchten: Besonders spannend fand ich hier die sogenannte „Kantoratsprobe“ in Leipzig am 7. Februar 1723 und später dann (nach erfolgter Einstellung als Thomaskantor) Bachs „Dienstantritts-Kantate“ am 30. Mai 1723.


    Außerdem gab es neben der ganzen Musik, die zu hören war, auch jede Menge typischer Barockdichtung zu lesen. Da ich wirklich den Text jeder Kantate eigenhändig abgetippt habe (ich brauche dieses „haptische“ Erfassen der Sätze – da bleibt bei mir viel mehr hängen, als wenn ich nur auf „Copy & Paste“ drücke), konnte ich mich wirklich intensiv mit jeder einzelnen Formulierung befassen und habe oft schmunzeln müssen über die ein oder andere so treffend direkte Formulierung, wie es sie halt nur zu dieser Zeit gegeben haben konnte! :]


    Des Weiteren konnte man noch einiges über die verschiedenen Dichter erfahren, die Bach Texte für seine Kantatenkompositionen geschrieben haben – auch wenn diese in den meisten Fällen leider unbekannt geblieben sind, sind doch einige Namen bekannt und es lohnt sich, sich näher mit Biographien von Leuten wie Salomon Franck, Georg Christian Lehms oder Christiane Mariane von Ziegler zu beschäftigen. Und ich bin persönlich mehr denn je der Auffassung, dass Bach mehr eigene Beiträge zu den von ihm vertonten Kantatentexten beigesteuert hat, als man meinen sollte... :yes:


    Wie geht es nun weiter?


    Das Bachkantatenprojekt hier im Forum ist natürlich noch nicht zu Ende – schließlich warten noch eine ganze Reihe geistlicher wie weltlicher Kantaten (ohne konkrete Bezüge auf bestimmte Sonn- oder Feiertage) darauf, hier vorgestellt zu werden. Aber das kann jetzt ohne „Termindruck“ in regelmäßig unregelmäßiger Folge geschehen. (Ich bin schon in der Planung für die Kantaten, die anlässlich der Kirch- und Orgelweihe komponiert wurden... :] )


    Außerdem kann jetzt innerhalb des chronologischen Neustarts wiederum am 1. Advent ein weiterer Rundgang durch das Kirchenjahr mit Bach erfolgen (jetzt sind die Grundlagen hierfür ja vorhanden) – und da möchte ich alle Taminos ermuntern, sich weiterhin zu beteiligen und keine Scheu zu zeigen, auch hier an entsprechender Stelle zu posten:


    Jeder Beitrag, jede Frage egal wie vermeintlich unwichtig oder banal sie auch sein mögen, sind hier (wie natürlich auch anderswo im Forum) herzlich willkommen! Warum sollte sich auch jemand abgeschreckt fühlen, hier einen Beitrag zu posten? Schließlich sind wir doch alle hier, um uns über Musik und unsere damit verbundenen Eindrücke und Erlebnisse auszutauschen. :yes::hello:
    Daher freue ich mich natürlich über Beiträge aller Art im Kantatenforum, seien es Konzerterlebnisse (ob als MitsängerIn oder –musizierender oder „nur“ als Zuhörer) zu bestimmten Werken, seien es besondere Lieblingsstücke, gern gehörte Aufnahmen, Kritik an misslungenen Einspielungen – oder einfach nur Fragen zu verschiedenen Kantaten oder einzelnen Sätzen daraus. Ich glaube, da gibt es für uns Alle noch eine Menge zu schreiben! :yes: :]


    Bevor wir im November 2006 mit dem Kantatenprojekt begonnen hatten, gab es eine Diskussion über die etwas unlogische Nummerierung der einzelnen Kantaten innerhalb des BWV (“Bachwerkeverzeichnisses“) – mittlerweile haben wir hier im Forum nun eine eigene liturgisch-chronologische Zählung, die sich durchaus sehen lassen kann, wie ich finde: Das „Tamino-Bachkantaten-Verzeichnis“, kurz TaBaKV (sprich: „TaBaKaVau“) ;)


    Abschließend danke ich allen Mit-Taminos, die während des Jahres das ganze Projekt unermüdlich mitverfolgt haben und mir z. B. durch regelmäßige Postings das Gefühl gegeben haben „Du bist nicht allein!“ :hello::jubel::hello:


    Und natürlich danke ich dem unvergleichlichen Alfred Dürr, ohne dessen Standardwerk „Die Kantaten von J. S. Bach“ die ganze Arbeit hier fast unmöglich gewesen wäre.
    Eine große Hilfe (neben zahlreichen, mal mehr mal weniger informativen CD-Booklets) war außerdem Arnold Werner-Jensens zweibändiges, seinerzeit bei Reclam in der Reihe „Reclams Musikführer“ erschienenes Werk über das Vokal- und Instrumentalwerk Bachs.

    BWV 70: Wachet! betet! betet! wachet!
    Kantate zum 26. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 21. November 1723)




    Lesungen:
    Epistel: 2. Petr. 3,3-13 (Der Tag des Gerichts wird kommen - Gewissheit über das Kommen des Herrn)
    Evangelium: Matth. 25,31-46 (Das Weltgericht)



    Elf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 26 Minuten


    Textdichter: Salomon Franck (1659-1725); Rezitative von unbekanntem Autor
    Choräle: Nr. 7 aus Freiberg (1620) – Nr. 11 Christian Keymann ( 1658 )



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe, Trompete, Solo-Violoncello, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Chor SATB, Oboe, Trompete, Streicher, Continuo
    Wachet! betet! betet! wachet!
    Seid bereit
    Allezeit,
    Bis der Herr der Herrlichkeit
    Dieser Welt ein Ende machet.


    2. Recitativo Bass, Oboe, Trompete, Streicher, Continuo
    Erschrecket, ihr verstockten Sünder!
    Ein Tag bricht an,
    Vor dem sich niemand bergen kann:
    Er eilt mit dir zum strengen Rechte,
    O! sündliches Geschlechte,
    Zum ew’gen Herzeleide.
    Doch euch, erwählte Gotteskinder,
    Ist er ein Anfang wahrer Freude.
    Der Heiland holet euch, wenn alles fällt und bricht,
    Vor sein erhöhtes Angesicht;
    Drum zaget nicht!


    3. Aria Alt, Solo-Violoncello, Continuo
    Wenn kömmt der Tag, an dem wir ziehen
    Aus dem Ägypten dieser Welt?
    Ach! lasst uns bald aus Sodom fliehen,
    Eh’ uns das Feuer überfällt!
    Wacht, Seelen, auf von Sicherheit,
    Und glaubt, es ist die letzte Zeit!


    4. Recitativo Tenor, Continuo
    Auch bei dem himmlischen Verlangen
    Hält unser Leib den Geist gefangen;
    Es legt die Welt durch ihre Tücke
    Den Frommen Netz und Stricke.
    Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach;
    Dies presst uns aus ein jammervolles Ach!


    5. Aria Sopran, Streicher, Continuo
    Lasst der Spötter Zungen schmähen,
    Es wird doch und muss geschehen,
    Dass wir Jesum werden sehen
    Auf den Wolken, in den Höhen.
    Welt und Himmel mag vergehen,
    Christi Wort muss fest bestehen.


    6. Recitativo Tenor, Continuo
    Jedoch bei dem unartigen Geschlechte
    Denkt Gott an seine Knechte,
    Dass diese böse Art
    Sie ferner nicht verletzet,
    Indem er sie in seiner Hand bewahrt
    Und in ein himmlisch’ Eden setzet.


    7. Choral SATB, Oboe, Trompete, Streicher, Continuo
    Freu’ dich sehr, o meine Seele,
    Und vergiss all’ Not und Qual,
    Weil dich nun Christus, dein Herre,
    Ruft aus diesem Jammertal!
    Seine Freud’ und Herrlichkeit
    Sollt du seh’n in Ewigkeit,
    Mit den Engeln jubilieren,
    In Ewigkeit triumphieren.


    Pars 2


    8. Aria Tenor, Oboe, Streicher, Continuo
    Hebt euer Haupt empor
    Und seid getrost, ihr Frommen,
    Zu eurer Seelen Flor!
    Ihr sollt in Eden grünen,
    Gott ewiglich zu dienen.
    Hebt euer Haupt empor
    Und seid getrost, ihr Frommen!


    9. Recitativo Bass, Trompete, Streicher, Continuo
    Ach, soll nicht dieser große Tag,
    Der Welt Verfall
    Und der Posaunen Schall,
    Der unerhörte letzte Schlag,
    Des Richters ausgesproch’ne Worte,
    Des Höllenrachens off’ne Pforte
    In meinem Sinn
    Viel Zweifel, Furcht und Schrecken,
    Der ich ein Kind der Sünden bin,
    Erwecken?
    Jedoch, es gehet meiner Seelen
    Ein Freudenschein, ein Licht des Trostes auf.
    Der Heiland kann sein Herze nicht verhehlen,
    So vor Erbarmen bricht,
    Sein Gnadenarm verlässt mich nicht.
    Wohlan, so ende ich mit Freuden meinen Lauf.


    10. Aria Bass, Trompete, Streicher, Continuo
    Seligster Erquickungstag,
    Führe mich zu deinen Zimmern!
    Schalle, knalle, letzter Schlag,
    Welt und Himmel, geht zu Trümmern!
    Jesus führet mich zur Stille,
    An den Ort, da Lust die Fülle.


    11. Choral SATB, Oboe, Trompete, Streicher, Continuo
    Nicht nach Welt, nach Himmel nicht
    Meine Seele wünscht und sehnet,
    Jesum wünsch’ ich und sein Licht,
    Der mich hat mit Gott versöhnet,
    Der mich freiet vom Gericht,
    Meinen Jesum lass’ ich nicht.






    In vielen Kirchenjahren gibt es keinen 26. Sonntag nach Trinitatis (das ist immer davon abhängig, wie früh Ostern in einem Jahr liegt und wie viele Sonntage es daraufhin zwischen Pfingsten und dem 1. Advent gibt) – auch 2007 macht da keine Ausnahme.
    Das ist wirklich sehr schade, denn so gibt es nicht immer Gelegenheit, die hier besprochene, äußerst prächtige Kantate am liturgisch hierfür eigentlich vorgesehenen Sonntag aufzuführen.


    Vielleicht ist das auch der Grund, warum uns nur eine Kantatenkomposition Bachs für diesen Sonntag überliefert ist – genau wie für den noch seltener vorkommenden 27. Sonntag nach Trinitatis (in aller Regel sind uns heute noch mindestens 2 Bach-Kantaten für jeden Sonn- und Feiertag des Jahres erhalten geblieben!): Es bestand damals einfach nicht viel Musik-Bedarf für derart seltene Aufführungstermine.


    Nichtsdestotrotz hat Bach auch die Kantate für den 26. Sonntag nach Trinitatis, der praktischerweise direkt in seinem ersten Leipziger Amtsjahr 1723 vorkam, mit einer verschwenderischen musikalischen Fülle ausgestattet!


    Dazu konnte er sich – wirtschaftlich denkend, wie er nun einmal war – einer 1716 während seiner Weimarer Dienstjahre entstandenen Kantate für den 2. Advent bedienen: Im Gegensatz zu Weimar wurde in Leipzig außer am 1. Advent (anlässlich des Beginns des neuen Kirchenjahres) an den übrigen Adventssonntagen keine Kantate aufgeführt:
    Der Advent galt als stille Zeit der Einkehr und Vorbereitung auf Weihnachten.
    So nutzte Bach die sich bietende günstige Gelegenheit, seine gleichnamige Weimarer Adventskantate BWV 70 a (von der uns nur noch der Text erhalten ist), die er in Leipzig zu diesem Termin ja nie würde aufführen können, zu einer Kantate anlässlich des 26. Sonntags nach Trinitatis umzuarbeiten – thematisch passten beide Sonntage nahezu ideal zusammen:
    Wie schon im Thread zur Adventsmusik ja auch schon erwähnt, handelt das Evangelium für den 2. Advent von der Erwartung der Wiederkunft Christi – das Sonntagsevangelium für den 26. Sonntag nach Trinitatis handelt (wie schon der Sonntag der Vorwoche) vom Ende der Welt, das damit verbundene Jüngste Gericht und die eben damit verbundene Wiederkunft Christi.
    Eine ideale Gelegenheit also für Bach, die wundervolle Musik seiner Weimarer Adventskantate auch in Leipzig in angemessenem Rahmen (ohne allzu große Umarbeitungen) aufführen zu können!
    Lediglich die Rezitative mussten neu verfasst werden, um den Aspekt von der adventlichen Hoffnung auf das Kommen des Herrn jetzt mehr auf den kirchenjahresendzeitlichen Aspekt des Weltgerichts zu verlagern. Die Texte der Arien und des Eingangschores, die vom Weimarer Hofpoeten Salomon Franck stammten, konnten hingegen in ihrer ursprünglichen Form bestehen bleiben.


    Während Bach beispielsweise in seiner ebenfalls um den Themenkreis „Ende der Welt – Jüngstes Gericht“ kreisenden Kantate BWV 90 einen recht düsteren Tonfall anschlägt, kann man beim Anhören der hier besprochenen Kantate einen in großen Teilen eher freudig-zuversichtlichen, ja fast festlich zu nennenden Tonfall nicht verleugnen – ob es daran liegt, dass die Kantate in großen Teilen einst eine Adventskantate war und sie so noch ein wenig vorweihnachtlicher Glanz durchzieht? :angel:


    Der Einsatz einer Trompete im Instrumentarium dieser Kantate trägt sicherlich dazu bei, wie ich finde:
    Gleich der wunderbare Eingangschor in C-Dur wird durch ihren Einsatz festlich überstrahlt (allein schon die instrumentale Einleitung!). Die ”Wachet!”-Rufe erhalten hierdurch einen signalartigen, aufrüttelnden Charakter, während Bach die ”Betet!”-Rufe davon eher absetzt, indem er sie weniger rufartig, sondern deutlich ruhiger und gedehnter gestaltet – ein wirkungsvoller Gegensatz, der beide Tätigkeiten mit einfachen und doch so wirkungsvollen Mitteln illustriert. :yes:


    Die Trompete spielt im Folgenden weiterhin eine wichtige Rolle – sie wird immer eingesetzt, wenn der Text erneut auf die Schrecken zu sprechen kommt, die mit dem Ruf zum Jüngsten Gericht und dem Ende der Welt verbunden sind. In zahlreichen Requiem-Vertonungen haben sich viele Komponisten von diesen “Gerichtsfanfaren” zu gewaltigen musikalischen Umsetzungen inspirieren lassen – die Kantate ist quasi Bachs Beitrag zum ”Tuba mirum spargens sonum”, wie es im Text des lateinischen Requiem heißt.


    In der Kantate BWV 90 aber auch den Kantaten zum Michaelistag (wie z. B. BWV 130) setzt Bach die Trompete(n) ja auch immer dann gezielt ein, wenn es um die Thematik „Apokalypse“, bzw. „Weltgericht“ geht. So gehäuft wie in der hier besprochenen Kantate kommt diese Kombination jedoch nirgends zum Tragen.
    Und wie fast immer, wenn Bach auf die Trompete in Gesangsnummern für Solostimmen zurückgreift, kommt auch diesmal ausschließlich der Bass-Solist zum Einsatz: Die tiefste Gesangsstimme wirkt einfach am gewichtigsten, um dem strahlenden Glanz der Trompete etwas Bedeutungsschweres entgegenzusetzen!


    So setzt Bach im Rezitativ Nr. 2 denn auch gleich das gesamte Orchester, das zuvor im Eingangschor schon gespielt hatte – eine für ihn absolut ungewöhnliche Maßnahme, die sich durch die Wichtigkeit der nun folgenden Schilderung des „Judgement Days“ erklärt. Eine solche Schilderung konnte Bach nicht einfach mit bloßer Continuo-Begleitung instrumentieren…
    So überrascht es nicht, dass dieses Rezitativ denn auch einige ausgeprägte Arioso-Stellen aufweist – vielleicht ist diese sehr auffällige Rezitativ-Aufwertung auch als eine Geste des Komponisten zu verstehen, der sich bewusst ist, dass große Teile dieser Kantate ja eigentlich „nur“ recycelt“ wurden...?


    Die Arie Nr. 3 wirkt wie ruhiges, sehnsüchtiges Innehalten zwischen den eher dramatischen Schilderungen des Weltgerichts. Ursprünglich wohl von der Orgel – möglicherweise gemeinsam mit dem Violoncello – als Soloinstrument begleitet, ist diese Arie im Rahmen der Wiederaufführung im Jahre 1731 (das ist das Jahr, in dem Bach auch die Kantate BWV 140 für den darauf folgenden 27. Sonntag nach Trinitatis komponierte) offenbar nur noch von einem Solo-Cello begleitet worden (in beiden Varianten natürlich plus die übliche Generalbass-Stimme). Hier können die Interpreten also wieder einmal entscheiden, wie sie die Begleitung der Altstimme gestalten möchten.


    Die Arie Nr. 5 enthält ein originelles Wechselspiel der 2. Violinen und der Viola-Stimmen – da diese Arie aus der Weimarer Adventskantate stammt, kann man vermuten, dass Bach dort offenbar mit verschiedenen Klangwirkungen innerhalb des Streichensembles experimentiert hat – möglicherweise inspirierten ihn die beengten räumlichen Verhältnisse vor Ort zu diesen Versuchen...?


    Im zweiten Teil dieser Kantate – genau gesagt ab dem Rezitativ Nr. 9, das erneut Trompeteneinsatz und Streicherbegleitung erfordert und wie der zweite Satz der Kantate mehrfach Arioso-Charakter hat – kommt Bach dann nach einigen vorangegangenen ruhigeren bzw. weniger düsteren Sätzen erneut auf die Apokalypsen-Thematik zurück.
    Wiederum ist jetzt der Bass gefragt, der mit seiner Stimmgewalt eindrucksvoll einen wirklich dramatischen Satz gestaltet, der schon deshalb so ungeheuer wirkungsvoll ist, weil man den Themenkreis vom Weltgericht eigentlich bereits für abgehandelt hielt und Bach zwischenzeitlich ja schon einige versöhnlichere Töne angeschlagen hatte!
    In diesem Rezitativ macht Bach von einem weiteren Stilmittel Gebrauch, das er ab und an gezielt einsetzt, um dem gesungenen Text noch eine weitere, nonverbale Aussageebene zu verleihen: Die Trompete intoniert während des Satzes die Melodie des Chorals "Es ist gewisslich an der Zeit” und während wir heutigen Zuhörer darauf erst hingewiesen werden müssen, was da eigentlich gerade gespielt wird, wussten Bachs „choralerprobte“ Zeitgenossen sicher direkt, welche Melodie (und damit eben auch welcher Text und welche Aussage) hier parallel zu den Ausführungen des Basses erklingt – eine tolle Möglichkeit für einen Komponisten, auf diese Weise quasi einen eigenen Kommentar beizusteuern! :yes:


    Am Ende dieses bemerkenswerten Satzes hat sich die Stimmung wieder etwas beruhigt und in dieser Stimmung schließt sich nun unmittelbar die Arie Nr. 10 in derselben Besetzung an (was in Bachs Kantatenwerk auch nicht unbedingt üblich ist!). Doch der zu Beginn der Arie besungene ”Seligste Erquickungstag” hält nicht allzu lange an, denn erneut überrascht Bach seine Zuhörer mit einer weiteren drastischen Schilderung der Apokalypse im Presto-Mittelteil (dieser experimentierfreudige Satz stammt – im Gegensatz zu den beschriebenen Rezitativen aus der Weimarer Urfassung dieser Kantate!). Dem Text entsprechend wird die Arie dann jedoch erneut einem (diesmal andauernden) friedlichen Ende entgegengeführt, bevor der hymnische Schlusschoral trompetenüberstrahlt dieser wirklich meisterhaften Kantate einen prachtvollen Schlusspunkt setzt! :jubel::jubel:


    Im Kirchenjahr folgt nun noch (sofern vorhanden) der 27. Sonntag nach Trinitatis – in diesem Jahr 2007 ist allerdings am nächsten Sonntag bereits wieder der 1. Advent, womit wir mit unserer Kantatenreise durch das Kirchenjahr wieder am Ausgangspunkt angekommen wären! :hello::angel::hello:

    BWV 116: Du Friedefürst, Herr Jesu Christ
    Kantate zum 25. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 26. November 1724)




    Lesungen:
    Epistel: 1. Thess. 4,13-18 (Von der Auferstehung der Toten und der Wiederkunft Christi)
    Evangelium: Matth. 24,15-28 (Versuchungen am Ende der Welt – die letzte Schreckenszeit)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 21 Minuten


    Textdichter: unbekannt, inspiriert aber vom titelgebenden Choral
    Choral (Nr. 1 und 6): Jakob Ebert (1601)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe d’amore I + II, Horn, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Horn, Streicher, Continuo
    Du Friedefürst, Herr Jesu Christ,
    Wahr’ Mensch und wahrer Gott,
    Ein starker Nothelfer du bist
    Im Leben und im Tod.
    Drum wir allein
    Im Namen dein
    Zu deinem Vater schreien.


    2. Aria Alt, Oboe d’amore I, Continuo
    Ach, unaussprechlich ist die Not
    Und des erzürnten Richters Dräuen!
    Kaum, dass wir noch in dieser Angst,
    Wie du, o Jesu, selbst verlangst,
    Zu Gott in deinem Namen schreien.


    3. Recitativo Tenor, Continuo
    Gedenke doch,
    O Jesu, dass du noch
    Ein Fürst des Friedens heißest!
    Aus Liebe wolltest du dein Wort uns senden.
    Will sich dein Herz auf einmal von uns wenden,
    Der du so große Hülfe sonst beweisest?


    4. Terzetto Sopran, Tenor, Bass, Continuo
    Ach, wir bekennen uns’re Schuld
    Und bitten nichts als um Geduld
    Und um dein unermesslich Lieben.
    Es brach ja dein erbarmend’ Herz,
    Als der Gefall’nen Schmerz
    Dich zu uns in die Welt getrieben.


    5. Recitativo Alt, Streicher, Continuo
    Ach, lass uns durch die scharfen Ruten
    Nicht allzu heftig bluten!
    O Gott, der du ein Gott der Ordnung bist,
    Du weißt, was bei der Feinde Grimm
    Vor Grausamkeit und Unrecht ist.
    Wohlan, so strecke deine Hand
    Auf ein erschreckt geplagtes Land,
    Die kann der Feinde Macht bezwingen
    Und uns beständig Friede bringen!


    6. Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Horn, Streicher, Continuo
    Erleucht’ auch unser Sinn und Herz
    Durch den Geist deiner Gnad’,
    Dass wir nicht treiben d’raus ein Scherz,
    Der uns’rer Seelen schad’.
    O Jesu Christ,
    Allein du bist,
    Der solch’s wohl kann ausrichten.






    Wie schon in der ein Jahr zuvor entstandenen Kantate BWV 90, handelt auch die Choralkantate aus dem dieser Kantatenform gewidmeten Jahr 1724 von den drohenden Strafen für die Sünder am Tag des Jüngsten Gerichts.
    Diesmal liegt der Schwerpunkt der Dichtung jedoch eindeutig auf der Anrufung um den Beistand Christi als barmherzigen „Friedefürsten“ – dieser tröstliche und Hoffnung spendende Aspekt fehlt der viel düsterer wirkenden Kantate BWV 90 (fast) völlig.


    Diese thematisch so ganz andere Ausrichtung mag auch daran liegen, dass der dieser Kantate zugrundeliegende Choral von Jakob Ebert (1549-1614) ursprünglich eine Bitte um Frieden ist. Dennoch war dieser Choral zu Bachs Zeit liturgisch auch dem 25. Sonntag nach Trinitatis zugeordnet. Der leider unbekannt gebliebene Textdichter, der die 1. und 7 Strophe dieses Chorals unverändert beibehalten und die übrigen Strophen zu Rezitativ- und Arientexten umgewandelt hat, macht aus der Bitte um Frieden in kriegerischen Zeiten geschickterweise die Bitte um Frieden und Gnade angesichts der drohenden Schrecken des Jüngsten Gerichts und der Apokalypse – und damit ist der thematische Bezug zum Evangelium dieses Sonntags wiederhergestellt!


    Die diese Kantate einleitende Choralbearbeitung beginnt zunächst mit einer längeren instrumentalen Einleitung, die von einer auch im späteren Verlauf ständig wiederkehrenden, charakteristisch emporsteigenden Figur in den Streichern und Oboen dominiert wird.
    Zwar übernimmt auch in diesem Satz wie meistens der Sopran den zeilenweisen Vortrag der Choralmelodie in langen Notenwerten (wie üblich durch eine Hornstimme verstärkt) – im Gegensatz zu einigen anderen vergleichbaren Choralbearbeitungen Bachs, in denen alle Choralzeilen in derselben Vortragsweise erklingen, wartet Bach hier mit abwechselnd verschiedenen Vortragsarten auf:
    Die ersten beiden Zeilen werden in schlichtem, vierstimmigem Satz unisono vorgetragen (dabei immer vom Orchester mit dem markanten Motiv aus der Einleitung umspielt), ab den Worten “Ein starker Nothelfer du bist“ beginnen die den Sopran begleitenden Stimmen in der Reihenfolge Tenor-Bass-Alt eine fugenartige und überaus kunstvolle Vorwegnahme der erst später erklingenden Choralzeile – und bleiben dabei musikalisch völlig unabhängig von der eigentlichen Melodie des Chorals. Diese Einsatzreihenfolge wechselt in der nächsten Zeile zu Alt-Tenor-Bass.
    Ab den Worten “Drum wir allein“ beginnt der Sopran mit der Choralmelodie, während die übrigen Stimmen um diese Melodielinie herum die kurzen Textzeilen mehrfach ausrufen, was wie eine Intensivierung und Bekräftigung des vorgetragenen Textes wirkt.
    In der letzten Zeile der Strophe kehrt Bach dann wieder (wie zu Beginn) zum geschlossenen, vierstimmigen Unisono-Vortrag zurück. Und während der ganzen Zeit steuert das Orchester das eingangs erwähnte Motiv in immer neuen Varianten bei – ein toller Satz, der Bachs souveräne Kunst, einen schlichten Choral zu einem ausgedehnten und abwechslungsreichen Chorsatz auszubauen, sehr eindruckvoll beweist. :jubel:


    Nach diesem Chorsatz in A-Dur folgt unmittelbar eine Arie in der parallelen Moll-Tonart fis-moll, die durch den Einsatz der Solo-Oboe einen wehmütigen und flehentlichen Charakter bekommt – ganz dem vertonten Text entsprechend.


    Einen Monat vor der Komposition dieser Kantate (in der Kantate BWV 38) hatte Bach bereits auf die von ihm sehr selten verwandte Form eines Vokal-Terzetts zurückgegriffen – in dieser Kantate komponiert er erneut eines: Sopran, Tenor und Bass erhalten die Gelegenheit, diesen Satz miteinander zu singen – wie in der Kantate BWV 38 wird auch dieses Terzett nur vom Continuo begleitet.
    Das in Dacapo-Form gestaltete Terzett Nr. 4 beginnt mit einem kanonartigen Einsetzen der drei Solostimmmen. Im B-Teil (ab den Worten “Es brach ja dein erbarmend’ Herz“) führt Bach die Stimmen meist parallel – bricht mal eine der drei Gesangslinien aus diesem Miteinander aus, so werden die beiden verbleibenden Stimmen als Kontrast hierzu weiterhin zusammen geführt.


    Der Solo-Alt, der sich in dieser Kantate mit zwei Rezitativ-Sätzen begnügen muss, bekommt im Rezitativ Nr. 5 immerhin eine Streicherbegleitung und ein Arioso am Ende des Satzes zugestanden: So wird die abschließende Hoffnung auf den „beständigen Frieden“ besonders ausdrucksvoll betont!

    BWV 90: Es reißet euch ein schrecklich Ende
    Kantate zum 25. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 14. November 1723)




    Lesungen:
    Epistel: 1. Thess. 4,13-18 (Von der Auferstehung der Toten und der Wiederkunft Christi)
    Evangelium: Matth. 24,15-28 (Versuchungen am Ende der Welt – die letzte Schreckenszeit)



    Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 14 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choral: Martin Moller (1584)



    Besetzung:
    Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Trompete, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Aria Tenor, Streicher, Continuo
    Es reißet euch ein schrecklich’ Ende,
    Ihr sündlichen Verächter, hin.
    Der Sünden Maß ist voll gemessen,
    Doch euer ganz verstockter Sinn
    Hat seines Richters ganz vergessen.


    2. Recitativo Alt, Continuo
    Des Höchsten Güte wird von Tag zu Tage neu,
    Der Undank aber sündigt stets auf Gnade.
    O, ein verzweifelt böser Schade,
    So dich in dein Verderben führt.
    Ach! wird dein Herze nicht gerührt?
    Dass Gottes Güte dich
    Zur wahren Buße leitet?
    Sein treues Herze lässet sich
    Zu ungezählter Wohltat schauen:
    Bald lässt er Tempel auferbauen,
    Bald wird die Aue zubereitet,
    Auf die des Wortes Manna fällt,
    So dich erhält.
    Jedoch, o! Bosheit dieses Lebens,
    Die Wohltat ist an dir vergebens.


    3. Aria Bass, Trompete, Streicher, Continuo
    So löschet im Eifer der rächende Richter
    Den Leuchter des Wortes zur Strafe doch aus.
    Ihr müsset, o Sünder, durch euer Verschulden
    Den Greuel an heiliger Stätte erdulden,
    Ihr machet aus Tempeln ein mörderisch’ Haus.


    4. Recitativo Tenor, Continuo
    Doch Gottes Auge sieht auf uns als Auserwählte:
    Und wenn kein Mensch der Feinde Menge zählte,
    So schützt uns doch der Held in Israel,
    Es hemmt sein Arm der Feinde Lauf
    Und hilft uns auf;
    Des Wortes Kraft wird in Gefahr
    Um so viel mehr erkannt und offenbar.


    5. Choral SATB, Trompete, Streicher, Continuo
    Leit’ uns mit deiner rechten Hand
    Und segne unser’ Stadt und Land;
    Gib uns allzeit dein heil’ges Wort,
    Behüt’ für’s Teufels List und Mord;
    Verleih’ ein sel’ges Stündelein,
    Auf dass wir ewig bei dir sein!






    Das Ende des Kirchenjahres variiert je nachdem, zu welchem Termin im Frühling der Ostersonntag liegt. 40 Tage nach Ostersonntag ist Christi Himmelfahrt, 50 Tage nach Ostern Pfingsten. Der Sonntag danach ist Trinitatis und ab da werden die folgenden Sonntage bis zum Ende des Kirchenjahres einfach durchgezählt. Am 1. Advent beginnt dann das neue Kirchenjahr.


    In diesem Jahr 2007 endet nun das Kirchenjahr mit dem 25. Sonntag nach Trinitatis. Der letzte Sonntag im Kirchenjahr wird auch Totensonntag oder Ewigkeitssonntag genannt.


    Die maximale Anzahl von Sonntagen nach Trinitatis beträgt 27 – Bach hat für sämtliche dieser Sonntage mindestens eine Kantate komponiert. 27 Sonntage nach Trinitatis sind sehr selten – es gibt sie nur dann, wenn Ostersonntag auf einen Termin vor dem 27. März fällt. Früher als auf den 22. März kann der Ostersonntag nicht fallen, da er immer nach Frühlingsanfang (21. März) liegen muss.


    Im kommenden Jahr ( also 2008 ) ist dies der Fall – so dass hier dann die Gelegenheit besteht, sich wirklich alle „Nach-Trinitatis-Kantaten“ von Bach an den hierfür vorgesehenen Sonntag anzuhören (dafür fallen jedoch direkt zu Jahresbeginn einige „Sonntage nach Epiphanias“ weg – alles auf einmal kann man eben nicht haben ;) ).


    Das Evangelium für den 25. Sonntag nach Trinitatis handelt (passend zum nahenden Ende des Kirchenjahres und überhaupt zum dunklen November) von düsteren Prophezeiungen über das Ende der Welt, das Jüngste Gericht und die Wiederkunft Christi.
    Es gehört traditionell zum Ende des Kirchenjahres, über die Endlichkeit allen Lebens, die bereits Verstorbenen und die Ewigkeit/ das Jüngste Gericht nachzudenken (man denke nur an die Namen der ganzen ziemlich deprimierend wirkenden Sonn- und Feiertage, die der November auch heute noch so mit sich bringt!) – diese durchaus von düsteren Ahnungen und Zweifeln durchzogene Zeit wird dann umso wirkungsvoller von der sich unmittelbar anschließenden Adventszeit abgelöst, wo die Ankunft des Heilands als das Hoffnung und Frieden bringende „Licht der Welt“ freudig erwartet und vorbereitet wird. :angel:


    Bach hat die hier besprochene Kantate (der düsteren Thematik entsprechend) überwiegend in Moll-Tonarten (d- und g-moll) gehalten.
    Die Kantate wird nicht wie meist üblich von einem Chorsatz, sondern von einer Tenor-Arie eingeleitet, die einen sehr bewegten und dramatischen Charakter an den Tag legt. Bach illustriert das im Text erwähnte „schrecklich’ Ende“, das die „sündlichen Verächter“ hinreißt sehr bildhaft mit markanten Streicherfiguren, die diese Zerrissenheit eindrücklich wiedergeben.


    Der Solo-Alt muss sich in dieser Kantate lediglich mit dem kurzen Rezitativ Nr. 2 begnügen.


    In der Arie Nr. 3 kann Bach dann wieder einmal der von ihm offenbar so gern mit dem Solo-Bass kombinierten Trompete frönen: Die Arie ist ein ausgesprochen virtuoses Stück für den Trompeter, der mehrfach zwischen fanfarenartigen Motiven und schnellen Läufen hin- und herwechseln muss. Die Arie fungiert quasi als eine Art „Ruf zum Weltgericht“ – in ihrem Text wird entsprechend von der anstehenden Bestrafung der Sünder gesprochen.


    Die „dramaturgische Wende“ dieser Kantate erfolgt im – allerdings recht kurzen - Rezitativ Nr. 5, wo auf die geschilderten Taten des „rächenden Richters“ für die „Auserwählten“ nun so etwas wie Zuversicht auf den Schutz des „Helds in Israel“ verkündet wird.


    Wie schon in der Kantate BWV 60, die Bach eine Woche zuvor komponiert hatte, hält er auch diesmal wieder für seine Zuhörer eine äußerst kühne (und für die Barockzeit eher untypische) „harmonische Überraschung“ im Schlusschoral bereit (offenbar war Bach zu der Zeit in einer experimentierfreudigen Stimmung, was den Choralsatz anbetraf):
    Auch heute noch horcht man unwillkürlich auf, weil die sehr auffällige harmonische Wendung an der Stelle beim Wort „Stündelein“ einen stutzen lässt – man fragt sich unwillkürlich, ob der Chor (der leider außer diesem kurzen Choral keinen weiteren Einsatz innerhalb der Kantate bekommt) sich da nicht „versungen“ hat. Um wieviel stärker muss diese Stelle zur damaligen Zeit gewirkt haben? Bach setzt damit quasi seinen eigenen kommentierenden Akzent in dieser Choralstrophe! Der Choral beginnt in d-moll und endet in hoffnungsvollem D-Dur – an der Stelle, wo das „sel’ge Stündelein“ erwähnt wird, erreicht Bach jedoch Des-Dur! Da soll noch einer sagen, Barockmusik wäre in puncto Harmonie „altbacken“... :]


    Die hier besprochene Kantate ist zwar als Partiturautograph erhalten, darin fehlen jedoch sämtliche Angaben zur Orchesterbesetzung. So ist es durchaus möglich, dass statt der Trompete in der Arie Nr. 3 auch ein Horn zum Einsatz kommen könnte, wie Alfred Dürr feststellt. Ich halte das allerdings für eher unwahrscheinlich – angesichts der Tatsache, dass Bach bevorzugt den Solo-Bass mit einer Trompete koppelt und die Thematik der Arie („Der Ruf zum Jüngsten Gericht“) einen Trompeteneinsatz ebenfalls als naheliegend erscheinen lässt.
    Aus der Partitur geht ebenfalls nicht hervor, ob die Sätze mit Streicherbegleitung nicht auch noch durch ein Oboenpaar zu ergänzen wären (die Oboen würden dann parallel mit den beiden Violinstimmen geführt) – eine bei Bach ja häufig anzutreffende „Orchester-Standardbesetzung“.

    BWV 26: Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
    Kantate zum 24. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 19. November 1724)




    Lesungen:
    Epistel: Kol. 1,9-14 (Paulus betet für die Kolosser)
    Evangelium: Matth. 9,18-26 (Auferweckung der Tochter des Jairus)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 19 Minuten


    Textdichter: unbekannt, inspiriert aber vom titelgebenden Choral
    Choral (Nr. 1 und 6): Michael Frank (1652)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Traversflöte, Oboe I-III, Horn, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Choral SATB, Traversflöte, Oboe I-III, Horn, Streicher, Continuo
    Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
    Ist der Menschen Leben!
    Wie ein Nebel bald entstehet
    Und auch wieder bald vergehet,
    So ist unser Leben, sehet!


    2. Aria Tenor, Traversflöte, Solo-Violine, Continuo
    So schnell ein rauschend’ Wasser schießt,
    So eilen unser’ Lebenstage.
    Die Zeit vergeht, die Stunden eilen,
    Wie sich die Tropfen plötzlich teilen,
    Wenn alles in den Abgrund schießt.


    3. Recitativo Alt, Continuo
    Die Freude wird zur Traurigkeit,
    Die Schönheit fällt als eine Blume,
    Die größte Stärke wird geschwächt,
    Es ändert sich das Glücke mit der Zeit,
    Bald ist es aus mit Ehr’ und Ruhme,
    Die Wissenschaft und was ein Mensche dichtet,
    Wird endlich durch das Grab vernichtet.


    4. Aria Bass, Oboe I-III, Continuo
    An irdische Schätze das Herze zu hängen,
    Ist eine Verführung der törichten Welt.
    Wie leichtlich entstehen verzehrende Gluten,
    Wie rauschen und reißen die wallenden Fluten,
    Bis alles zerschmettert in Trümmern zerfällt.


    5. Recitativo Sopran, Continuo
    Die höchste Herrlichkeit und Pracht
    Umhüllt zuletzt des Todes Nacht.
    Wer gleichsam als ein Gott gesessen,
    Entgeht dem Staub und Asche nicht,
    Und wenn die letzte Stunde schläget,
    Dass man ihn zu der Erde träget,
    Und seiner Hoheit Grund zerbricht,
    Wird seiner ganz vergessen.


    6. Choral SATB, Traversflöte, Oboe I-III, Horn, Streicher, Continuo
    Ach wie flüchtig, ach wie nichtig
    Sind der Menschen Sachen!
    Alles, alles was wir sehen,
    Das muss fallen und vergehen.
    Wer Gott fürcht’, bleibt ewig stehen.






    Wie schon der Dichter der Kantate BWV 60 nimmt auch der unbekannt gebliebene Verfasser dieser Choralkantate in der Form Bezug auf das heutige Sonntagsevangelium, in dem er über die Vergänglichkeit des Lebens reflektiert und dabei unter anderem auf verschiedene (in der Barockzeit ja recht beliebte) Naturvergleiche zurückgreift. Besonders das Bild des dahineilenden, mitunter alles mitreißenden Wassers hat es ihm besonders angetan...


    Die Kantate beginnt mit einer Choralbearbeitung, in der der Sopran wie meistens die Choralmelodie vorträgt und dabei instrumentale Verstärkung durch eine Hornstimme erhält. Soweit ist in diesem Satz noch alles wie gewöhnlich – die übrigen Chorstimmen fasst Bach nun jedoch während des gesamten Satzes wie eine mächtige Gegenstimme zum Sopran zusammen und lässt diese in eindringlich, ja fast hektisch wirkender Form die Worte der Choralstrophe wiederholen. Mit diesem einfachen Stilmittel, das doch so beeindruckend auf den Hörer wirkt, erreicht Bach die sinnfällige Umsetzung der „Flüchtigkeit“ und „Nichtigkeit“ des irdischen Lebens, dass so schnell vorüberzieht wie ein Nebelstreif...
    Eine meiner liebsten Choralbearbeitungen Bachs! :yes::yes:


    Das Bild des flüchtig dahineilenden Erdenlebens wird in der in C-Dur stehenden Arie Nr. 2 erneut aufgegriffen: Begleitet von einer über weite Strecken zusammen mit der Solo-Violine parallel geführten Traversflöte singt der Tenor von bildhaft von rauschend dahinschießendem Wasser. Wie mehrfach im Herbst 1724 geschehen (z. B. in den Kantaten BWV 96 oder BWV 180), haben wir damit auch in dieser Kantate wiederum eine Arie, in der Bach die von ihm offenbar so geschätzte Kombination Tenor-Traversflöte einsetzt. Nicht nur die beiden Solo-Instrumente dieser Arie, auch die Tenorstimme wird ausgesprochen virtuos eingesetzt und reich mit Koloraturen bedacht (was auf sehr talentierte Solisten schließen lässt, die Bach damals offenbar für eine gewisse Zeit zur Verfügung standen).


    Die hohen Solostimmen Alt und Sopran werden in dieser Kantate etwas undankbar mit jeweils einem kurzen Rezitativ bedacht, während der Bass in der Arie Nr. 4 einen an einer Bourrée orientierten „Totentanz“ anstimmt. Als diesen bezeichnet ihn zumindest Alfred Dürr, wobei ich persönlich die Wirkung dieser Arie nicht ganz so unheimlich finde...
    Die Bass-Stimme wird zunehmend bewegter geführt, wenn die Rede auf die „reißenden, wallenden Fluten“ kommt.


    Die in den meisten Kantaten gegen Ende erfolgende „dramaturgische Wende“, wo über die vorgebrachten Zweifel und Ängste letztendlich doch noch die Zuversicht und Hoffnung siegt, erfolgt in dieser Kantate buchstäblich im letzten Moment – erst in der letzten Zeile des Schlusschorals wird so etwas wie ein Hoffnungsschimmer geäußert...


    Alles in allem passt diese Kantate meiner Meinung nach thematisch wunderbar in den November! :jubel: