Beiträge von musikwanderer

    Paul Dessau (1894-1976):
    LANZELOT

    Oper in fünfzehn Szenen mit einem Epilog
    Libretto von Heiner Müller und Ginka Tscholakova nach Motiven von Hans Christian Andersen

    und der literarischen Vorlage „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz.


    Uraufführung am 19. Dezember 1969 in der Deutschen Staatsoper, Berlin (Ost).


    Personen der Handlung:
    Ritter Lanzelot (Bariton) - Drache (Bass) - Elsa (Sopran) - Charlemagne, ihr Vater (Bass)

    Bürgermeister (Tenor) - Heinrich, sein Sohn (Tenor) - 3 Freundinnen (1 Soprane und 2 Alte) - Kater (Sopran) - 3 Arbeiter (1 Tenor und 2 Bässe) - Medizinmann (Bass) - Interpret (Tenor) - Kunsthändler (Tenor) - Esel (Tenor) - Sekretär (Tenor) - Lakai (Tenor) - 3 Berater (1 Tenor und 2 Bässe) - 2 Polizisten (Tenor und Bass) - Bürgerin (Sopran) - 3 Bürger (1 Tenor und 2 Bässe) - Kind (Sopran) - Wagner-Siegfried (Tenor) - Herakles - Nemeischer Löwe - Lernäische Hydra - Meerwolf - Jolaos (5 Tänzer) - militärischer Berater (Sprechrolle)

    Chor, Kinderchor, Ballett.



    Erste Szene: Steinzeitliche Siedlung.

    Ein Chor klagt über die hohe Sterbeziffer in der Siedlung. Ein Medizinmann empfiehlt eine Eingeweideschau und erklärt danach, dass die Götter die Bewohner für ihre Verfehlungen mit einer Choleraepidemie bestrafen würden. Der Medizinmann hat aber einen Vorschlag, wie man einer Epidemie vorbeugen könnte: der Drache muss das Wasser des nahen Sees zum Kochen bringen, und damit alle Bakterien abtöten. Tatsächlich lässt sie der Riesenwurm zu der Aktion herab und wird hinterher von den Menschen der Siedlung gefeiert. Der Medizinmann mit der richtigen Idee geht leer aus.


    Zweite Szene: Die Handlung ist ab diesem Zeitpunkt in der Gegenwart angesiedelt.

    Die schöne Elsa ist gerade mit ihren Freundinnen im Blumengarten und pflückt mit ihnen bunte Blumen. Die Freundinnen haben nur ein Plauder-Thema: die geplante Heirat Elsas mit dem Drachen. Eine der Freundinnen sagt es zunächst und die anderen stimmen dem zu: Es ist eine große Ehre, den Drachen heiraten zu können und es geschieht damit auch zum Wohle der Stadt. Elsa ist anderer Meinung, denn sie verachtet das Untier. Noch mehr aber fürchtet sie wie seine bisherigen Gemahlinnen umgebracht zu werden.


    Dritte Szene.
    Der Blick des Publikums wird auf das Büro des Drachen gelenkt. Der sitzt dort und rühmt sich gerade seiner mystischen Herkunft, als die Bürgersprechstunde beginnen soll. Der Drache reagiert genervt, als Heinrich, der Sohn des Bürgermeisters und auch der Verlobte Elsas, vorstellig wird, um die Hochzeit mit dem Drachen zu verhindern. Das Gespräch mit Heinrich verläuft aber ganz anders, denn der Drache ernennt Heinrich schließlich zu seinem neuen Sekretär. Als der Herr Bürgermeister hinzukommt reagiert er über Anstellung seines Sohnes natürlich mit Freude.


    Vierte Szene.
    Nun tritt erstmals Lanzelot auf die Szene und erkundigt sich bei dem sprechenden Kater von Charlemagne über die Gegebenheiten in der Stadt. Dabei erfährt Lanzelot natürlich auch von der Herrschaft des Drachen und von der Pflicht der Einwohner, stets lächeln zu müssen. Beides ist für den Ritter unverständlich und er lässt sich von Charlemagne, der soeben hinzutritt, zum Essen einladen. Während und nach dem Essen wird auch über den Drachen gesprochen und Lanzelot kündigt schließlich an, ihn töten zu wollen. Das kommt aber bei Charlemagne überhaupt nicht gut an, denn er spricht sich vehement gegen den Mord aus. Zur Begründung verweist Charlemagne auf viele Vorzüge, die in der Herrschaft des Drachen über die Stadt liegt. Als überraschender Weise auch Elsa hinzukommt, wird klar, dass auch sie dagegen ist, und dass sie sich über ihr Schicksal nicht mehr beklagen will, sondern sich darein ergeben hat.


    Fünfte Szene.
    Der Drache hat sich in den Fernsehraum begeben und beobachtet von dort aus die Stadt und die Einwohner. Als Charlemagne hinzukommt, findet der Drache aufgrund von Charlemagnes Ergebenheit Gefallen an ihm und denkt darüber nach, ihm den Posten des Oberarchivars zu verleihen. Der rebellisch wirkende Lanzelot aber gefällt ihm nicht und in Erwartung einer eventuellen Konfrontation übt er schon mal ein lautes Gebrüll.


    Sechste Szene.
    Der Drache hat sich in die Gestalt eines Menschen verwandelt und besucht die Stadt. Er spricht sogar die Einwohner an und lässt sich bestätigen, dass alle glücklich sind. Lanzelot stellt sich ihm entgegen, woraufhin der Drache wieder seine Reptilienform annimmt und Lanzelot töten will. Der ängstliche Charlemagne weist auf die Verfassung hin, die der herausfordernden Partei das Recht zugesteht, sowohl den Kampftag zu bestimmen als auch der Stadt die Kosten seiner Bewaffnung aufzubürden. Daraufhin setzt der Drache die Verfassung außer Kraft und behauptet, dass es zu deren eigenem Wohl sei. Lanzelots und einer Bitte Elsas folgend stimmt er aber dem arrangierten Duell zu. Nach seinem Abgang macht der Bürgermeister dem Lanzelot Vorwürfe, versucht aber erfolglos, ihm den politischem Pluralismus der Stadt zu beweisen. Charlemagnes Sohn Heinrich schlägt seinem Vater vor, Lanzelot zu bewaffnen.


    Siebte Szene: Intermezzo

    Der Drache hat als Politiker natürlich auch Berater. Und die berichten ihm von den in aller Welt berühmten Taten eines Herkules oder auch eines Siegfried. Sie rechnen diese Taten aber dem Lanzelot zu und verdeutlichen damit, dass ihm von Lanzelot eine Gefahr droht. Hinter der Bühne ruft ein Chor derweil nach dem Helden.


    Achte Szene.
    Charlemagne möchte Lanzelot für den Kampf ausrüsten, wenn der keine eigenen Waffen besitzt. Da genau das die Polizei bei einer Hausdurchsuchung festgestellt hat, übergibt er Lanzelot eine schriftliche Bestätigung, dass alle Waffen der Stadt in der Reparatur seien. Das sieht für das Publikum so aus, als wolle der Herr Bürgermeister für die Stadt eine Konfrontation mit dem Drachen vermeiden. Man ersetzt den Kampf zwar durch eine Badekur, doch Lanzelot besteht auf dem Kampf. Der Drache wiederum schlägt vor, dass er und der Ritter sich Elsa teilen. Heinrich hat auch noch einen Vorschlag, und zwar solle Elsa Lanzelot töten, um damit eine Zwangsheirat zu vermeiden. Aber Elsa verweigert sich Heinrichs Vorschlag, versucht jedoch, wenn auch erfolglos, Heinrich zu töten. Der Drache ist derweil verärgert über ein unterirdisches Murren, das die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit seiner Herrschaft verdeutlicht. Sein Sekretär aber informiert ihn, dass deswegen bereits eine Polizeiaktion stattfindet.


    Neunte Szene.
    Mit Heinrichs Hilfe und mit der Hilfe einer Puppe trainiert der Drache für das Duell. Neben Nahkampftechniken bedient er sich auch eines modernen Waffenarsenals. Die Handlung wird von drei Musikern auf der Bühne begleitet, deren Spiel bei einem Fehlschlag des Drachen aussetzt, woraufhin er die Musiker auffrisst. Die Szene kommt ohne Dialoge aus. Als Alternative für dieses Geschehen hat der Komponist mit dem Librettisten ein kurzes Arioso geschrieben, in dem der Drache seine Regentschaft verherrlicht und gleichzeitig die Regierten verflucht.


    Zehnte Szene.
    Lanzelot zweifelt an seinem Befreiungsplan, weil die Bevölkerung die Hilfe zurückweist. Allerdings kommt ihm unerwartete Hilfe durch einen Antiquitätenhändler, einen Kater, drei Arbeiter und einen Esel: sie rüsten Lanzelot für den Kampf mit dem Drachen aus. Die Szene endet im Kampf mit dem Untier.


    Elfte Szene.
    Eine Lautsprecherdurchsage kündigt den bevorstehende Sieg des Drachen an, während die Stadtbewohner über den Bürgermeister, Charlemagne, und über Lanzelot diskutieren. Der Kater beispielsweise erzählt Elsas Vater, dass der Drache seinem Gegner schwer zusetzt. Die Arbeiter, ein Kind und der Esel erklären, auf der Seite des Helden zu stehen, dann gesellen sich auch Bürgermeister Charlemagne und mehrere Gefangene zu den Unterstützern – und rufen sogar den Namen des Helden aus.


    Zwölfte Szene.
    Diese Szene geht – fast – ohne Dialoge vor sich. Lediglich der Chor bringt sich mit dem Ruf „Lanzelot, Lanzelot“ in Stellung. Dafür sieht das Publikum den Drachen und den Ritter am Himmel kämpfen. Ein interessantes Kampfgetümmel übrigens, denn dem als Saurier auftretenden Drachen gelingt gegen den Kontrahenten immer wieder ein tödlicher Schlag, aber Lanzelot kommt immer wieder in einer anderen Gestalt zum Kampf, während es ihm gelingt, dem Drachen wieder und wieder den Kopf abzutrennen, der jedoch stets sofort nachwächst.


    Dreizehnte Szene.
    Schließlich aber kommt es doch zum Tode des Drachen. Danach versuchen Charlemagne und sein Sohn Heinrich mit Polizisten den öffentlichen Zorn über dessen Herrschaft auf andere zu lenken. Jetzt lässt Charlemagne Gefangene aus dem Gefängnis frei, doch als diese Freigelassenen dem Bürgermeister Vorwürfe machen, hetzt er die Bevölkerung auf sie und veranlasst die Polizei, sie erneut zu inhaftieren. Ihm kommt außerdem die Idee, bei den Bewohnern für ein Denkmal zu werben, und für die Werbekampagne benutzt er einen Drachenkopf als Megaphon.


    Vierzehnte Szene.
    Eine kurze Szene, in der Lanzelot seinen Kampf mit dem Drachen monologisierend Revue passieren lässt.


    Fünfzehnte Szene.
    Es gibt Veränderungen: Der Bürgermeister hat sich inzwischen zum Präsidenten aufgeschwungen, und wird außerdem noch als Bezwinger des Drachen gefeiert – was natürlich falsch ist, aber niemanden interessiert. Niemanden? Obwohl es durchaus Autoritäten in der Stadt gibt, die jegliche Erinnerung an den Ritter Lanzelot auszulöschen gewillt sind, zumindest den Helden jedoch verleumden wollen, gibt es Menschen, denen das nicht passt und die würdigen den Ritter durch Graffiti, obwohl so etwas bei Strafe verboten ist.


    Dass der Präsident partout Elsa heiraten möchte, ist allgemein bekannt und auch akzeptiert. Lanzelot kommt hinzu, ihm folgen Gefangene sowie Arbeiter. Elsa nimmt das Publikum als überglücklich wahr, während sich andere in Erwartung gewalttätiger Ausschreitungen verstecken. Das Gefolge von Lanzelot nimmt an der Hochzeitstafel Platz, während es den Präsidenten und Heinrich für abgesetzt erklärt und alle Drachenfragmente aus dem Saal fortschaffen lässt.


    Während plötzlich alle Akteure die Bühne verlassen, bleibt ein Kind zurück, das dann die durchaus freudigen Schlussworte in einem Epilog wiederholt. Es ist aber ein merkwürdig-fragwürdiger Unterton in den Wiederholungsworten des Kindes enthalten...

    Paul Dessau (1894-1979):

    PUNTILA
    Oper in dreizehn Bildern mit Prolog und Epilog
    Libretto von Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth nach Bertolt Brechts Theaterstück Herr Puntila und sein Knecht Matti

    Uraufführung am 15. November 1966 in der (Ost-)Berliner Staatsoper.


    Personen der Handlung:
    Johannes Puntila, Gutsbesitzer (Bass) - Matti Altonen, sein Chauffeur (Bariton) - Fredrick, Advokat (Tenor)

    Drei Bierleichen (stumme Rollen) - Müder Ober (Sprechrolle) - Ein Diener (Sprechrolle) - Die Schmuggler-Emma (Alt)

    Die Apothekerin(Mezzosopran) - Lisu, das Kuhmädchen (Sopran) - Telefonistin Sandra (Sopran) - Erster Gutsbesitzer (Bass)

    Erster. Arbeiter (Tenor) - Händler (Tenor) - Bibelius, Gutsbesitzer (Tenor) - Zweiter Arbeiter (Bass) - Fotograf (Tenor)

    Dritter Arbeiter (Bass) - Zweiter und Dritter Gutsbesitzer (Bass, Tenor) - Vierter Arbeiter (Bass) - Der Kümmerliche (Tenor)

    Buckliger (stumme Rolle) - Kellnerin (stumme Rolle) - Ein Arbeiter (Tenor) - Ein Fleischer (Sprechrolle)

    Fina, Stubenmädchen (Mezzosopran) - Laina, Köchin (Alt)

    Ein Arbeiter (Sprechrolle) - Eva, Puntilas Tochter (Sopran) - Ein anderer Arbeiter (Sprechrolle) - Eino, Attaché (Tenor)

    Probst (Tenor) - Pröbstin (Sopran)

    Chor: Waldarbeiter, Gesinde auf Puntila.


    Ort und Zeit: Tavasthus in Finnland zu Beginn des 20.Jahrhunderts.


    Prolog.
    Vor dem Vorhang.
    Vor Beginn der Oper wird ein Text gesprochen, in dem es u.a. heißt: „[…] die Zeit ist trist. Klug, wer besorgt, und dumm, wer sorglos ist! Doch ist nicht übern Berg, der nicht mehr lacht.“ Das Kuhmädchen Lisu beschimpft den Gutsbesitzer Puntila als ein „unnützes und verfressenes Tier“ und nennt ihn eine „Landplage“.


    Erstes Bild: Nebenstube im Parkhotel zu Tavasthus.

    Herr Puntila hat sich mit dem Advokaten Fredrick und weiteren Personen getroffen, hat dabei ordentlich dem Alkohol zugesprochen, wobei nur noch der Advokat und Herr Puntila einigermaßen nüchtern, die anderen Personen aber unter den Tisch gesunken sind. Enttäuscht, weil sie nichts vertragen können, schwingt er sich auf den Tischen und tanzt, durchaus gekonnt, zwischen Gläsern hin und her. Plötzlich wird er von einem Mann, der in die Gaststube tritt, angesprochen, und der sich ihm als sein Chauffeur vorstellt. Obwohl Puntila den Mann nicht wiedererkennt, nennt er ihn ganz menschlich und will dann von ihm eine Entscheidungshilfe zu einem wichtigen Fall haben: seine einzige Tochter Eva steht kurz vor ihrer Heirat und soll von ihm selbstverständlich eine gute Mitgift bekommen. Dazu muss er allerdings einen Wald verkaufen oder sich selbst; letzteres indem er auf die Avancen der reichen Frau Klinkmann eingeht. Puntila entscheidet sich für den Wald.


    Zweites Bild: Nutzwald mit aufgeschichtetem, geschlagenem Holz.

    Als Puntila das wertvolle, hoch gestapelte Holz sieht, kann er nicht anders, als seine Entscheidung wieder zu ändern – den Zuschlag bekommt nun Frau Klinkmann.


    Drittes Bild: Diele im Gutshaus der Frau Klinkmann mit vielen Türen.

    Die Zuschauer werden Zeugen, wie Puntila und Matti nächtens bei der reichen Frau Klinkmann in die Wohnung eindringen. Sie schlagen den Hausdiener in die Flucht, danach öffnet Puntila jede Tür, bis er schließlich im Schlafzimmer Frau Klinkmann antrifft. Weil die allerdings Geräusche gehört hat, war sie inzwischen wach geworden und stieß einen schrillen Schrei aus, als Puntila ins Schlafzimmer kam. Erschrocken über diesen Schrei ziehen sich Puntila und Matti zurück. Puntila aber nimmt sich vor, doch lieber den Wald zu verkaufen.


    Viertes Bild: Dorfplatz mit Apotheke und Post, am frühen Morgen.
    Puntila ist noch immer betrunken und gerade mit seinem Auto auf der Suche nach Alkohol. Dass er in seinem Zustand mit dem Wagen gegen einen Telegrafenmast fährt, wundert natürlich nicht. Ihm kommen vier Frauen entgegen, beispielsweise die Schmuggler-Emma, danach die Apothekerin, dann das Kuhmädchen Lisu und zuletzt die Telefonistin Sandra. Sie alle berichten ihm aus ihrem Leben, nur die Apothekerin schenkt ihm auch noch eine Flasche Schnaps, als er sie über seine scharlachkranken Kühe informiert. Kaum ist die Apothekerin weg, trinkt Puntila die Flasche selbst aus. Sandra, die Telefonistin, informiert ihn, dass seine Tochter schon die halbe Nacht gesucht habe, weil er Herrn Bibelius, einen Kaufinteressenten für den Wald, nun schon zum zweiten Mal versetzt habe. Als Nachwehe für die Flasche Schnaps, im Rausch also, verspricht Puntila den Frauen nacheinander die Ehe und lädt sie für den Sonntag auf sein Gut ein.


    Fünftes Bild: Dorfplatz zu Lammi.

    Puntila zankt mit Matti und wirft ihm vor, ihn auf den falschen Gedanken mit der Klinkmann gebracht zu haben, der Wald wäre ansonsten doch längst schon verkauft. Der (irgendwie harmlos wirkende) Streit mit Matti veranlasst Puntila, zunächst erst einmal zum Café zu gehen, wo er auch telefonieren will. Unterwegs beobachtet er auf dem Markt, wie Bibelius und andere Gutsbesitzer mit interessierten Arbeitern verhandeln. Er steht beiseite und sieht sich die Arbeiter genau an, wobei der, mit dem Bibelius gerade verhandelt, ihm gefällt. Und den wirbt er Bibelius ab, worauf der zornig davonzieht. Den Vertrag für den Waldkauf mit Bibelius kann Puntila jetzt bestimmt vergessen. Es sieht so aus, als denke er da nicht weiter drüber nach, denn er engagiert auch die übrigen Arbeiter, lässt sogar den untauglich wirkenden Kümmerlichen nicht stehen, und spendiert allen ein Runde im Café. In einem Punkt aber bleibt er hart: als die Arbeiter schriftliche Verträge ansprechen, gibt er zu verstehen, dazu nicht bereit zu sein. Allerdings hat der Zuschauer den Eindruck, dass den Arbeitern dieser Punkt auch nicht wichtig genug ist, denn sie nehmen alle Puntilas Einladung auf sein Gut Schlaraffia an und singen vom Neunstundentag.


    Sechstes Bild: Im Auto.
    Matti kennt Puntila, weshalb er auf der Heimfahrt die Arbeiter vor den seiner Meinung nach leeren Versprechungen Puntilas warnt: er wird sie fortjagen, sobald er wieder nüchtern sei.


    Siebtes Bild: Teil des Hofs von Puntila mit Badehütte.

    Es ist schon fast tiefe Nacht, als Puntila mit den neuen Arbeitern auf dem Hof eintrifft. Das Gesinde liegt bereits in tiefem Schlaf. Jetzt gibt es aber familiären Zoff, denn Eva schimpft mit ihrem Vater, weil sie immer noch auf die Mitgift warten müsse. Vater Puntila rät seiner Tochter, ihr Geschimpfe überhörend, anstelle des Attachés Eino, der „kein Mann“ sei, wie er meint, doch lieber seinen Chauffeur Matti zu heiraten. Warum sie nun wütend wird, bleibt ihr Geheimnis. Aber die Arbeiter müssen die Wut ausbaden, denn sie schickt die Truppe, gerade eben erst mit Vater Puntila angekommen, wieder weg. Eva sucht nun Rat bei Matti, den sie eigentlich Eino vorzieht. Die beiden überlegen, wie sie die Verlobung mit Eino wieder lösen können. Tatsächlich finden sie einen Weg: beispielsweise gehen sie vor Einos Augen gemeinsam in die Sauna. An einem anderen Tag sieht der Attaché die beiden Karten spielen und gemeinsam vertraulich kichern. Diese Varianten, Eino zum Rückzug zu bewegen, haben jedoch keinen Erfolg, verärgern aber Vater Puntila: er kündigt Matti die Stellung als Chauffeur. Eino aber bleibt zuversichtlich, denn er schenkt Eva einen dicken Strauß Rosen. Das kommentiert Matti mit seiner Meinung, Einos Schulden müssten wohl größer sein, als bisher angenommen.


    Achtes Bild: Gutsküche am Abend.

    Wir sehen, dass Matti in Gegenwart des Stubenmädchens Fina die Zeitung liest. Dann schlägt er ihr plötzlich vor, dass sie beide zum Fluss gehen sollten, was Fina aber ablehnt und die Szene verlässt. Dabei kommt ihr Eva entgegen, mit der es ein stummes Blickduell gibt. Eva lädt Matti ein, dass sie gemeinsam auf der Insel Krebse für das Verlobungsessen fangen. Doch es kommt anders: während sich Eva umzieht, teilt die Köchin Laina Matti mit, dass Fina mit der Futtermeisterin bereits am Fluss auf ihn warten. Matti würde sich auf der Insel lieber mit Eva unterhalten als nach Krebsen zu jagen. Da Eva jedoch zögert, entschließt er sich, im Haus zu bleiben.


    Neuntes Bild: Hof auf Puntila, am Sonntagmorgen.

    Puntila ist schon früh aktiv; er versucht, der Klinkmann telefonisch den Wald zu verkaufen. Danach macht er Eva klar, dass die Verlobung mit Eino nun stattfinden müsse. Plötzlich stehen die vier von ihm eingeladenen Frühaufsteherinnen, denen er die Ehe versprochen hat, am Tor. Matti, der sie im Empfang nimmt, warnt sie vor seinem heute nüchternen Herrn, und gibt an, dass er sie vielleicht nicht gut behandeln würde. Tatsächlich erkennt Puntila keine einzige von seinen vier Bräuten wieder. Matti versucht noch, ihm zu erklären, dass sie lediglich zur Heiterkeit bei der anstehenden Verlobungsfeier beitragen wollen – doch Puntila wirft sie grob hinaus.


    Zehntes Bild: Distriktstraße am Abend.

    Die vier „Bräute“ von Puntila sind auf dem Weg nach Hause und unterhalten sich dabei über das Erlebte. Sie ziehen dabei ihre Lehre aus Puntilas Verhalten, und die sieht so aus: weil es Leute gibt wie Puntila, die nicht gefährlich aussehen, sollte jede Frau vorsichtig im Umgang mit derlei Menschen sein.


    Elftes Bild: Esszimmer auf Puntila mit Büfett.
    Weil Puntila wieder betrunken ist, gibt es wieder einmal familiären Zoff. Puntila wirft Eino mit einem Fußtritt aus dem Haus und lallt, dass er Eva auf keinen Fall mit einer „Heuschrecke“ verloben will, sondern mit einem Menschen – und das könnte nur sein Freund und Chauffeur Matti sein. Die Verlobung soll sofort gefeiert werden, schließlich will er die ganzen Vorbereitungen nicht umsonst gemacht haben. Obwohl Eva einverstanden ist, hat jetzt Matti Vorbehalte: sie sei keine Frau für einen Chauffeur, glaubt er, und seine Mutter werde sie sicher schwer prüfen wollen. Das nimmt Eva zum Anlass, vorzuschlagen, diese Examinierung schon einmal durchzuspielen. Matti gibt ihr auf, einen Hering zu besorgen, worauf er ihr dann eine genaue Beschreibung über das Leben der ärmeren Bevölkerung gibt. In seiner Familie, sagt er, kommt in der Woche fünf, manchmal auch bis zu acht Mal Hering auf den Tisch. Dann spielt Matti der Eva vor, wie er mitten in der Nacht zur Arbeit gerufen wird – und sie reagiert mit einer Schimpfkanonade. Wie zur Beruhigung klopft er ihr scherzhaft auf den Hintern und Fredrick, der Advokat, erklärt ihr, dass sie durchs Examen gefallen ist. Eva verzichtet auf diese Ehe, was ihr Vater enttäuscht zur Kenntnis nimmt. Betrunken wie er ist, enterbt er sie und wirft sie schließlich sogar aus dem Haus.


    Zwölftes Bild: Zwischenspiel „Nocturno“ – Vor dem Vorhang.

    Während sich Puntila und Matti draußen erleichtern, singt eine Stimme von der Liebe zwischen Fuchs und Hahn, die letztlich nicht gut für den Hahn endete. Matti bestätigt Puntila, dass das auch für sie gilt.


    Dreizehntes Bild: Bibliothekszimmer auf Puntila.

    Laina, die Köchin, versorgt als gute Fee des Hauses den zwar momentan nüchternen, aber doch schwer verkaterten Puntila mit Eiskompressen. Fredrick der Anwalt und der Probst machen ihm Vorwürfe, weil sein Gesinde lautstark den Neunstundentag besungen hätte. Zornig unterschreibt daraufhin eine Erklärung, dass allen revolutionär eingestellten Arbeitern gekündigt werden soll. Außerdem schwört er, nie wieder trinken zu wollen und sämtlichen Alkohol im Haus zu vernichten. Laina und Fina müssen alle Flaschen holen. Und Puntila nimmt sich jede einzelne zum probieren vor und zerschmeißt sie dann. Wieder betrunken erhöht er Mattis Gehalt und will mit ihm „im Geist“ den Hatelmaberg besteigen. Den baut ihn Matti aus dem zerschlagenen Mobiliar der Bibliothek zusammen. Puntila steigt hinauf und beschreibt Matti schwärmerisch sein Reich im Tavastland. Matti stimmt vorsichtig zu.


    Epilog: Distriktstraße, am frühen Morgen.

    Matti verlässt Herr und Hof. Obwohl Puntila nicht „der schlimmste Chef“ war, konnte er, Matti, den „Freundschaftsbund“ mit Puntila nicht bestehen, denn „der Rausch verfliegt“.

    Pietro Francesco Cavalli (1602-1676):
    LA CALISTO

    Oper in drei Akten mit einem Prolog

    Libretto von Giovanni Faustini, deutsche Übersetzung von Karl Robert Marz

    Originalsprache: Italienisch.

    Uraufführung 1651 am Teatro San Apollinare in Venedig.


    Personen der Handlung:
    Die Natur (Mezzosopran oder Alt)

    Die Ewigkeit (Sopran oder Mezzosopran)

    Das Schicksal (Sopran)

    Mercurius / Merkur (Bariton)

    Calisto, Nymphe aus Dianas Gefolge (Sopran)

    Endimione / Endymion, Schäfer, in Diana verliebt (Contratenor oder Mezzosopran)

    Diana, Göttin der Jagd (Mezzosopran)

    Linfea, Nymphe im Gefolge der Diana (Tenor)

    Satirino (Sopran), ein kleiner Satyr, Begleiter des

    Pan, Gott der Schäfer (Bass)

    Sylvanus, Waldgott (Bassbariton)

    Juno, Gattin von Jupiter (Sopran)

    Echo, Bergnymphe (Sopran)

    Chor: Satyre, Himmlische Geister, Furien.

    Ort und Zeit: Eine Waldlichtung in Arkadien, griechische Mythologie.


    Prolog.
    Höhle in Arkadien.

    Die Natur, die Ewigkeit und das Schicksal, Symbolfiguren, die in vielen frühen Opern im Rahmen eines Prologs, der als fester Bestandteil der Handlung gilt, auftreten, sind auch hier dabei: sie feiern die Aufstieg der Nymphe Calisto zu den Sternen. Die Hintergründe werden in der folgenden Handlung dargelegt. Sie basiert übrigens auf der Leppard-Fassung.


    Erster Akt.
    An einem ausgetrockneten Flussbett; an den Ufern verdorrte Bäume.

    Gott Jupiter (eigtl. Zeus, da die Handlung ja in der griechischen Mythologie angesiedelt ist) hat Merkur (eigtl. Hermes, in der griechischen Mythologie sowohl für Händler als auch für Diebe zuständig, und der außerdem als Götterbote fungiert), auf die Erde mitgenommen, weil er prüfen will, welche Auswirkung das Feuer hat, das er den Menschen wegen ihrer Freveltaten geschickt hat.


    Den beiden Göttern begegnet auf der Erde die fast verdurstende Nymphe Calisto (eine Tochter des Kriegers Lykaon), die auf der Suche nach Wasser ist, in die sich Gott Jupiter (wieder einmal) unsterblich verliebt. Natürlich weiß er Abhilfe für Calisto: er lässt eine Quelle aus dem Felsen plätschern, den er als Werbung um die Schöne versteht, sie jedoch nicht und ihn folglich abweist. Merkur rät Jupiter heimlich, dass er sich in (seine Tochter) Diana (in der griech. Mythologie Artemis genannt) verwandeln soll, denn deren Küsse würde Calisto bestimmt nicht zurückweisen.


    Calisto wendet sich der Quelle zu, als plötzlich Diana vor ihr steht, deren Zärtlichkeiten sie vollkommen unbefangen geschehen lässt und sie später sogar erwidert. Dann ziehen die beiden sich in eine Grotte zurück, während Merkur allen Männern rät, Frauen zu betrügen, denn dann kämen sie viel schneller zum Ziel.


    Die neue Quelle hat nicht nur für Calisto, sondern auch für die Umgebung viel Gutes mit sich gebracht: das Gras und die Wiesenblumen schießen; nur einen muntert das nicht auf: Endimione, Schäfer und in Diana verliebt, geht über frühlingshaft sprießende Blumenwiese hinweg.


    Diana / Artemis hat sich, auf der Suche nach jagdbarem Wild, mit ihrer schon etwas ältlichen Gefährtin Linfea auf diese Waldlichtung begeben. Hier trifft sie Endimione, der ihr ohne Umschweife seine Liebe erklärt, die sie jedoch zurückweist, obwohl sie auch mehr als nur Interesse an ihm hat, denn sie hat einen Schwur auf Keuschheit geleistet. Linfea ist über diesen Schwur informiert und reagiert sofort, indem sie Endimione davonjagt.


    Calisto tritt, von den Küssen Dianas / Jupiters berauscht, aus der Grotte wieder auf die Szene. Als sie Diana mit Linfea gewahr wird und die Göttin ihr die Frage stellt, warum sie zwar wie abwesend, aber doch so glücklich aussehe, gerät Diana über Calistos Antwort aus dem Takt: die sagt nämlich, dass sie es doch selbst war, die mit ihr in der Grotte leidenschaftliche Küsse getauscht habe. Kann es sein, dass sie das schon vergessen hat? Diana versteht nicht und auch Linfea sieht ratlos aus. Diana fängt sich jedoch schnell wieder und weist Calisto verärgert aus ihrem Gefolge. Linfea aber fragt sich „beiseite“, was in die Nymphe gefahren ist, zumal sie mit der Liebe bisher keinerlei Berührung hatte. Aber Linfea gibt auch zu, gern einen Mann an ihrer Seite zu haben. Das hat ein kleiner Satyr mitbekommen und er macht Linfea gegenüber ein eindeutiges Angebot. Aber die will lieber sterben, als solch ein zotteliges Lebewesen in ihrem Bett zu haben.


    Zweiter Akt.
    Gipfel des Latmos.

    Endimione wirbt um die keusche Diana und bekommt in dem bocksfüßigen Hirtengott Pan einen Rivalen, der noch von einem kleinen Satyr, Satirino, und dem Waldgott Sylvanus unterstützt wird. Diana weist Endimione aber immer noch ab – für Pan ein Zeichen, seine Werbung zu intensivieren. Als Satirino und Sylvanus ihm jedoch „eintrichtern“, dass Diana einen anderen Liebhaber haben muss, reagiert er, trotz seiner Liebe zu Diana, enttäuscht und vielleicht sogar ein bisschen zornig. Aber seine beiden Unterstützer versprechen ihm, der „Sache“ nachzugehen, denn beide sind offenbar nicht davon überzeugt, dass Dianas Keuschheitsgelübde eine Tatsache ist.


    Auf einem Hügel hat Endimione einen Platz zum Schlafen ausgesucht und ist, kaum, dass er sich niedergelegt hat, eingeschlafen. Das hat Diana beobachtet, sich sofort an ihn herangeschlichen und ihn geküsst. Sie dachte, dass er diesen Kuss als ein Traumgebilde wahrnimmt, tatsächlich aber legt er seine Arme um sie. Als sie versucht, sich aus dieser Lage zu befreien, erwacht er und beide gestehen sich ihre Liebe – dann verlässt Diana ihn. Das Geschehen hat Satirino gesehen und in der Folge klagt er über den Wankelmut der Frauen, und gelobt Pan zu informieren.


    Ebene vor dem Erymanthos.
    Juno, Jupiters Gemahlin (in der griech. Mythologie Hera), hat es, von Eifersucht getrieben, auch auf die Erde verschlagen. Sie vermutet nämlich wieder ein neues Abenteuer ihres äußerst aktiven Gatten und will ihn möglichst „in flagranti“ erwischen. Just in dem Moment begegnet ihr die weinende Nymphe Calisto, bei der sich Juno teilnahmsvoll nach dem Grund für die Tränen erkundigt. Dabei erfährt sie, dass Diana sie aus ihrem Gefolge verstoßen hat, obwohl doch sie es war, die mit dem Küssen angefangen habe, und jetzt so tue, als wüsste sie nichts mehr davon. Sofort hat Juno eine Vermutung, kennt sie doch die Verwandlungstrick ihres Herrn Gemahls.


    Sie bekommt die Gelegenheit, ihre festgefügte Meinung aktuell zu überprüfen, denn sie sieht Jupiter und Merkur kommen und stellt fest, dass ihr Mann immer noch als Diana herumläuft. Sie versteckt sich und hört, wie er vor Merkur von Calisto schwärmt. Auch die ist ja noch auf der Szene und freut sich, weil jetzt wieder alles im Lot zu sein scheint. Jupiter als Diana geht auf sie zu, herzt sie und schickt sie voraus in die Grotte. Er kann ihr nicht folgen, denn Juno tritt aus dem Versteck hervor und macht ihrem Gatten Vorwürfe, kehrt aber dann in den Olymp zurück.


    Jupiter freut sich auf eine Wiederholung des Liebes-Tête-à-Tête mit Calisto, will ihr gerade folgen, da kommt Endimione und kurz nach ihm Pan, Satirino und Sylvanus. Dadurch wird Jupiter aufgehalten und es folgt eine interessante Szene: Endimione sieht Jupiter in der Verkleidung als Diana und er freut sich, sie so schnell wiederzusehen. Pan und seine Begleiter aber müssen glauben, dass die Göttin das Keuschheitsgelübde wohl nur gespielt hat und wollen Endimione, auf frischer Tat sozusagen, fesseln und danach töten. Das ist für Endimione natürlich keine Lösung, weshalb er Diana /Jupiter bittet, ihm zu helfen. Doch diese Hilfe wird verweigert – der Gott verschwindet einfach. Daraufhin verspottet Pan den Endimione mit der Aussage, dass man sich als Mensch nicht auf die Götter verlassen soll.


    Unterdessen irrt Linfea liebesverwirrt durch den Wald und Satirino glaubt seine Chance wahrnehmen zu können – er ruft seine Satyrn hinzu und alle schleppen Linfea davon.


    Dritter Akt.
    An der Quelle des Ladon, ein Nebenfluss Alpheios (heute Ladonas genannt).

    Calisto schwelgt in süßen Liebeserinnerungen, während sie an dieser Quelle auf Diana wartet. Doch nicht Jupiter, als Diana verkleidet, erscheint, sondern Juno mit Furien. Juno sorgt für eine Verwandlung der Calisto in eine Bärin, als Strafe für ihr Spiel mit Jupiter.


    Verwandlung in einen Wald.

    Pan versucht, den gefangenen Endimione zu einem Verzicht auf Diana zu bewegen – doch Pan hat keinen Erfolg, denn Endimione behauptet, dass die Göttin ihn verlassen hat. Es bleibt aber dabei, dass er Diana liebt, worauf Pan dem Schäfer den Tod ankündigt. Als die Satyrn ihn gerade an einem Baum aufhängen wollen, tritt Diana auf die Szene und verjagt Pan mit seinen Helfershelfern. Als sie Endimione von der Fesselung befreit hat, fallen sie sich glücklich in die Arme.


    Verwandlung: Empyreum.

    Von einem Himmelschor angekündigt und dann auch begleitet, erscheint Jupiter in seiner wahren Gestalt und befreit Calisto von ihrer Verwandlung in eine Bärin. Aber gleichzeitig sorgt er für Calistos Erhebung zu einem Stern – damit er sie am Himmelsgewölbe immer bei sich hat...

    Harrison Birtwistle (1934-2022):
    PUNCH AND JUDY
    Eine tragische Komödie oder eine komische Tragödie in einem Akt mit Prolog

    Libretto von Stephen Pruslin, ins Deutsche übertragen von Iris Brendel

    Originalsprache: Englisch.


    Uraufführung am 8. Juni 1968 in Aldeburgh, Jubilee Hall.


    Personen der Handlung:
    Pretty Polly, später: Hexe (Koloratursopran)

    Judy, später: Wahrsagerin (Lyrischer Mezzosopran)

    Rechtsanwalt (Hoher Tenor)

    Punch (Lyrischer Bariton)

    Choregos, später: Jack Ketch (Kavalierbariton)

    Arzt (Schwerer Bass)

    Zusatzinstrumente für die Solisten:

    Zwei Paar Fingerzimbeln (Polly)

    Blechtrommel (Judy)

    Spielzeugbecken (Rechtsanwalt)

    Handglocke (Choregos)

    Kindertrompete (Arzt)

    Chor: Gebildet aus dem Solistenensemble

    Fünf Tänzer-Mimen: Zwei Frauen, drei Männer.


    Schauplätze: Eine Simultanbühne. Vor dem Vorhang links Choregos Bude, rechts das Musikpodium. Hinter dem Vorhang im Vorderen Teil Pretty Pollys Piedestal. Weiter nach hinten führen Stufen zum Mordaltar, dahinter ein Bilderrahmen, in dem Punchs Reise auf Horsey, seinem Steckenpferd, zu sehen ist.


    Die Handlung.

    Im Prolog begrüßt der Choregos vor dem geschlossenen Vorhang von seiner Bude aus das ehrenwerte Publikum. Danach ruft er nach Punch, damit die Tragödie endlich beginnen kann.


    Melodrama I: Nachdem sich der Vorhang geöffnet hat, wird Punch sichtbar, der sein Kind singend in den Schlaf wiegt. Dabei wird in dem Lied ein klagender Unterton hörbar, der Punch erst stört, schließlich zur Raserei bringt, während das Baby unaufhörlich schreit. Punch ist es plötzlich leid und er wirft das Kind, mit einem Schrei, der wie ein Kriegsschrei wirkt, ins Feuer.


    Punchs Ehefrau Judy kommt mit einem Wiegenlied auf die Szene, merkt aber erst nach einiger Zeit, dass das Baby inzwischen tot ist – verkohlt. Es kommt zu einem Streit zwischen den Eheleuten, der heftig wird und den Choregos auf den Plan ruft. Er sieht den Tod Judys voraus. Wir sehen Judy von Punch zum Mordaltar hinauf geführt, während der Choregos über die Todesbereitschaft von Punchs Opfer nachdenkt.


    Der Rechtsanwalt und der Arzt begeben sich zum Chor-Galgen, von wo aus sie für Punch ein schlimmes Ende voraussagen. Tatsächlich ist Judy glücklich, wenn sie durch die Hand von Punch, ihrem Ehemann, sterben kann. Und der führt die Tat wirklich mit einem Messer aus, auch wieder unter dem schon erwähnten Kriegsgeschrei.


    Vom Choregos geführt, besteigt Judy den Chor-Galgen, wo sie sich einen Strick um den Hals legt. Punch begibt sich derweil auf der Suche nach Pretty Polly und die übrigen Protagonisten stellen im Passions-Choral I Betrachtungen über den Tod an. Dann sieht man Punch im Bilderrahmen hinter dem Mordaltar auf der Suche nach Pretty Polly auf Horsey, dem Steckenpferd, reiten und der Choregos beschreibt diesen Ritt als unter dem Sternzeichen des Krebses erfolgend, der gen Osten führt.


    Plötzlich wird ein Wetterbericht hörbar, in dem ein Sturmaufkommen für drei Uhr angekündigt wird. Die Protagonisten bitten trotzdem in einem Gebet um günstige Winde für Punch, der sich dem in ein grünes Licht getauchten Piedestal Pollys nähert. Der Choregos gibt sich als ein Postillon d’amour und übergibt Polly eine riesige Sonnenblume, während Punch mit einem Ständchen Polly umwirbt. Die aber weist diese Gaben wegen des Feuertodes von Punchs Baby zurück. Der Choregos muss Punch trösten.


    Melodrama II: Der Advokat und der Arzt klagen Punch wegen seiner Verbrechen an. Der aber kontert mit einem Nonsens-Ratespiel und will, bei einer unbefriedigenden Antwort, die beiden auf die Folterbank führen. Punch gibt ihnen drei Antworten frei, um das unlösbare Rätsel zu knacken, aber Advokat und Arzt scheitern jedes mal.


    Von seiner Bude aus beobachtet der Choregos das Treiben und er sieht das Ende von Punchs Gegnern voraus. Die werden, wie Judy, auf dem Mordaltar enden. Schon ist Punch da und ersticht sowohl den Rechtsanwalt als auch den Arzt. Mit dem gewohnten Kriegsgeschrei von Punch müssen der Arzt mittels einer riesigen Spritze und der Anwalt mit einem riesigen Federkiel dran glauben. Danach obliegt es dem Choregos, die soeben Ermordeten zum Chor-Galgen zu begleiten. Mit den Schlingen um den Hals singen sie, gemeinsam mit Judy, eine weitere Strophe des Passionschorals. Punch hat sich derweil zu einer neuerlichen Werbung um Pretty Polly entschlossen. Er besteigt wider Horsey, das Steckenpferd, und reitet unter dem Sternbild des Skorpions in die Abenddämmerung.


    Im Wetterbericht spricht man von einem Wind für neun Uhr und der Chor bittet um schönes Wetter für Punch. Pollys Podest wird mit rotem Licht angestrahlt und Punchs erneutes Werbesingen weist Polly wieder zurück. Hier springt der Choregos ein und bietet Pretty Polly im Namen von Punch einen Edelstein an, den die Störrische aber auch nicht annimmt. Und wieder einmal muss der Choregos Punch Trost spenden.


    Melodrama III: Der Choregos ist mittlerweile der einzige Gefährte, der Punch geblieben ist. Gerade verlässt er seine Bude, um ein Fest zum Lobpreis von Polly zu arrangieren. Das Spiel entpuppt sich aber zu einem Kampf aller gegen einen, nämlich den Choregos: so stiften die Mitglieder des Galgen-Chores Punch an, den Choregos mit einer Trompete, einem Becken und einer Trommel als Prügelinstrumente zusammenzuschlagen. Diese Prügelorgie mündet in einem Bacchanal der Tanzmimen auf dem Mordaltar. Daran schließt sich die Verspottung des Choregos an, an der sich allerdings Judy nicht beteiligt. Genau genommen protestiert sie sogar, als Punch das Opfer in einen Kontrabasskasten sperrt, um es bis zum Tode zu geigen. Auffällig ist, das Punchs Kriegsgeschrei sich jetzt etwas verhaltener anhört. Und ihm wird, als die Leiche aus dem Kontrabasskasten fällt, bewusst, dass er nun keinen mehr hat, den er quälen kann, denn alle Spielgefährten hat er um ihr Leben gebracht. Während die Tänzer-Mimen den toten Choregos forttragen, trauert der Chor um diesen Toten.


    Es wird langsam auf der Szene dunkel.


    Der Choregos meldet sich mit dem Chor aus dem Off und der Nachricht, dass Punch die Suche nach Polly in Richtung Norden fortgesetzt habe. An Punch wird festgestellt, dass er ein vom Alpdrücken heimgesuchter Schläfer ist. Ausgangspunkt dieser Feststellung ist die Beobachtung, dass sich Punch von einer Wahrsagerin Tarot-Karten legen ließ. Es ist übrigens an dem Choregos, dass er die Karten deutet und dass er Punch daraufhin ein furchtbares Ende vorhersagt. Punch schreit entsetzt auf, als er gewahr wird, wer die Kartenlegende Wahrsagerin ist, nämlich Judy. Damit nicht genug: in einer weiteren Horror-Vision schreitet er in der Begleitung von Judy, des Choregos und dreier Tänzer-Mimen zu dem als Traualtar ausgestatteten Piedestal von Polly, um dort mit einer Hexe vermählt zu werden. Und die ist in Wirklichkeit Polly.


    Danach treten der Rechtsanwalt und der Arzt, denen zwei Tänzer folgen, auf den Plan und fordern die Verurteilung ihres Peinigers. Während das Tanz-Ensemble den Mordaltar in seinen Beschlag nimmt, hat der Chor sich Punch vorgenommen, und konfrontiert ihn in einem Abzählreim mit seinen Schandtaten. Weil dabei auch die Drohung, es ihm gleichwertig heimzuzahlen, ausgesprochen wird, gibt sich Punch plötzlich nachdenklich, oder besser ausgedrückt: panisch. Er ruft Horsey herbei, wird aber dann ohnmächtig.


    Im Folgenden wird Punch wieder auf der Suche nach Polly gesehen; er wendet sich, während die Wettervorhersage für sechs Uhr am kommenden Morgen Regen ankündigt, nach Süden, um Pretty Polly im winterlichen Zeichen des Steinbocks für sich zu gewinnen.


    Pollys Piedestal ist diesmal blau ausgeleuchtet, sie selber ist verschwunden. Wieder muss Punch durch den Choregos getröstet werden. Das Galgen-Chor-Ensemble reflektiert in einem dritten Passions-Choral über den Zusammenhang zwischen Liebe und Leben.


    Melodrama IV: Punch wurde wegen seiner Schandtaten zum Tode verurteilt und sitzt, auf die Vollstreckung wartend, im Gefängnis. Der Choregos hat die Rolle des Henkers Jack Ketch übernommen, gerät jedoch mit dem Delinquenten zunächst in einen Rätselwettstreit über ihre Namen. So nennt sich Punch „Mr. Paunch“, was man mit „Wanst“ übersetzen kann, während Ketch sich als „Jachorageous“ (der mutige Jack) bezeichnet. Plötzlich bricht der Jubel des Galgen-Chores aus, denn der Choregos lässt die Maske als Jack Ketch fallen. Punch betritt also, vom Choregos geführt, den Mordaltar, währenddessen wird Pretty Polly sichtbar, die zunächst in grünes, dann auf rot, schließlich in blaues Licht getaucht auf ihrem Piedestal sichtbar wird. Punch stellt sich dumm, als der Choregos ihn auffordert, sich die Henkerschlinge um den Hals zu legen. Der Choregos demonstriert ihm folglich, wie man das macht und Punch stößt den schon bekannten Kriegsschrei aus, während er den Henker henkt, den er als Teufel apostrophiert.


    Man kann sagen, dass Punchs Triumph nun vollkommen ist, zumal sich Polly ihm im gleißenden Licht zuwendet und beide in ein Liebesduett einstimmen. Auf dem Mordaltar hat sich der Galgen in einen Maibaum verwandelt und auf der Szene versammeln sich alle Mitwirkenden zum Happy End, das an Mozarts „Mann und Weib und Weib und Mann“ aus der „Zauberflöte“ erinnert. Lediglich der Choregos beteiligt sich nicht an diesem Gesang, er konstatiert im Epilog, nachdem der Vorhang gefallen ist, von seiner Bude aus das Ende der als eine Tragödie angekündigten Komödie...

    George Gershwin (1898-1937):
    GIRL CRAZY (CRAZY FOR YOU)
    Musical Comedy in zwei Akten

    Gesangstexte von Ira Gershwin, Buch von Guy Bolton und John Mc Gowan

    Originalsprache: Englisch.


    Broadway-Premiere am 14. Oktober 1930 im Alvin Theatre, New York;

    Deutsche Erstaufführung am 19. Februar 1977 im Pfalztheater, Kaiserslautern.


    Personen der Handlung:
    Danny Hill (Original: Churchill), Nachtclub-Entertainer

    Gieber Goldfarb, Chauffeur

    Molly Gray, Postbotin

    Lank Sanders, ein gefährlicher Typ

    Pete, Hotelbesitzer

    Jake, sein Kumpel

    Sam Mason, ehemaliger Manager von Danny

    Kate Fothergill, Sängerin

    Slick, ihr Mann und Croupier

    Patsy, Tess, Flora und Susie, Girls aus Frisco

    Cowboy-Quartett

    Bahnbeamter

    Hotelmanager

    Reale, mexikanischer Polizist

    Sein Assistent

    Chor, Statisterie: Kellner, Leute, Cowboys von Custerville und San Luz.

    Ort und Zeit: Custerville, Arizona, und San Luz an der Grenze zu Mexiko, 1931.


    Erster Akt.
    Nach der Ouvertüre erfährt das Publikum durch Pete, Jake und Lank, dass es in ihrer Heimat, Custerville und Umgebung, ruhig ist und – langweilig. Möglicherweise liegt das daran, so behaupten sie, dass es hier keine schönen Frauen gibt – nur Alte und ein paar hässliche Weiber (Cowboy-Quartett: Bidin’ My Time).


    In diese Gegend verschlägt es Danny Hill, den Entertainer eines New Yorker Nachtclubs, der hier eine heruntergekommene Ranch geerbt hat, die er zu Geld machen will. Gleich die erste Begegnung mit einem westernmäßig gekleideten Postboten, ist in gewisser Weise folgenreich, denn der Postbote ist eine unter Männerkleidung steckende Sie: Molly Gray (Danny, Molly: Song und Step-Nummer Could Yu Use Me).


    Und es gibt den ersten Streit, denn der Chauffeur Gieber macht so fiese Bemerkungen über das Nest Greenville, dass Lank, Jake und noch weitere Cowboys den Yankee sofort am nächsten Baum aufhängen wollen. Das verhindert der gerade noch rechtzeitig auftretende Danny (Danny, Cowboys: Reprise Bidin’ My Time).


    Die Szene wechselt auf die abgewirtschaftete Buzzard-Ranch. Hier wartet Danny mit dem Chauffeur Gieber, beide übrigens im Westernlook, auf Kauf-Interessenten. Doch die einzige Person, die erscheint, ist Molly; sie bringt die Post und Danny macht ihr sofort den Hof, aber sie lässt ihn abblitzen mit der Bemerkung dass Custerville nicht Manhatten ist und die Buzzard-Ranch kein Vergnügungspark.


    Das ist das Stichwort für Danny, der jetzt nicht mehr verkaufen, sondern eine Dude-Ranch, eine Vergnügungsfarm, aufbauen will. Danny sorgt für einen Swimmingpool und Spielkasino, er heuert Cowboys an, die das Publikum mit Rodeo-Vorführungen erfreuen sollen. Außerdem plant er, ein Gebäude der Ranch zu einem Tanzsaal umzubauen.


    Monate später trudeln die ersten Gäste ein: Patsy, Tess, Flora und Susie sind gekommen, um den Stress, den sie in der Großstadt haben, hier, in ländlicher Umgebung, hinter sich lassen zu können. Das gefällt Danny (Girls, Boys: Broncho Busters). Aber es sind nicht nur die vier Grazien, die hier Erholung suchen, auch Dannys frühere Partnerin Kate kommt mit ihrem Mann Slick, die allerdings auf Job-Suche sind. Kate hofft, als Sängerin engagiert zu werden, ihr Mann könnte sich einen Job als Croupier vorstellen. Alle hier genannten Personen kennen sich übrigens aus einem Engagement in Los Angeles. (Kate, Slick, Girls: Barbary Coast).


    Molly überrascht alle, als sie in einem Kleid auftritt, wohl dem einzigen, das sie besitzt. Danny und sie kommen sich in einem romantisch klingenden Song und einem folgenden „Pas de deux“ näher (Danny: Embracreable You). Der nächste Gast ist Sam Mason, ein ehemaliger Manager von Danny. Sein übles Manko: er hat Danny erfolgreich gemanagt, aber er hat ihm auch die Mädchen ausgespannt. Insofern muss man sich nicht wundern, dass er wenig erfreut über Sams Besuch ist.


    Pete, der Hotelbesitzer und Lank, haben ein Problem mit Dannys Plänen, denn sie könnten durch dessen Aktivitäten brotlos werden. Sie denken daran, mit der Hilfe des Sheriffs, zu dem Lank in Kürze berufen werden möchte, zu ihren Gunsten eingreifen zu können. Die Machenschaften der beiden ist auch Danny zu Ohren gekommen und Danny hat daraufhin einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Sheriffs aufgestellt: es ist sein Chauffeur Gieber, den man auf Dannys Dude-Ranch jetzt schon mal hochleben lässt (Ensemble mit Danny, Kate, Slick und Gieber: Strike up the Band). Interessant und gut zu wissen ist, dass Gieber sogar gute Chancen hat, Lank als neuen Sheriff zu verhindern und selbst den Posten besetzen zu können.

    Derweil kann man Dannys Geschäfte nur mit „hervorragend“ bezeichnen. Das hat aber auch Folgen: er vernachlässigt Molly, weil er mit der erfolgreichen „Gold-Rush-Bar“, ganz im Westernstil der 1890er Jahre eingerichtet, beschäftigt ist (Tanz der Girls: When It’s Cactus Time in Arizona).


    Plötzlich hört man aus dem nebenan gelegenen Spielkasino lautes Lärmen und es stellt sich heraus, dass Sam Mason mit einem 6000 Dollar-Gewinn die Spielbank gesprengt hat. Nicht genug mit diesem Schlag gegen Danny, macht er sich nun an Molly ran, die, wie er behauptet, bei Danny nur die „zweite Geige“ spiele. Hier schaltet sich die Sängerin Kate Fothergill, die „erste Geige“ sozusagen, ein und erinnert Sam warnend an eine Frau, die es einem anderen Sam „heimgezahlt“ habe (Kate, Sam: Sam and Delilah).


    Die Spannungen zwischen Molly und Danny werden größer, weil sie eine Einladung zu einem Ausritt abgelehnt, eine Einladung von Sam Mason zu einer Fiesta in Mexiko aber angenommen hat. Kates Mann Slick hat die Girls Patsy und Tess aus Frisco ebenfalls zu dieser Fiesta eingeladen; er wird aber von Kate gewarnt, weil in Mexiko eine Frau einen Mann ungestraft erschießen darf.


    Im Spielkasino kündigt Danny den Auftritt von Kate an, die den Rhythmus im Blut hat (Kate, Cowboyquartett: I Got Rhytm). Danach wendet er sich an Molly, um sie doch noch umzustimmen. Dabei fasst er sie am Arm, was Molly falsch deutet, denn sie nimmt einem nahestehenden Cowboy den Colt, zielt und trifft erfolgreich auf eine leere Flasche Gin. Das ist eine Warnung für Danny, der das auch so auffasst. Die Begebenheit hat auch noch andere Gäste auf das Geschehen aufmerksam gemacht und der erste Akt endet mit einem Handgemenge, wie man es aus Western kennt: Tische kippen, Stühle gehen zu Bruch, Flaschen splittern und es gibt jede Menge KO-Schläge unter den Männern (Orchester: Finale Erster Akt.)


    Zweiter Akt.

    Im Hotel „Las Palmas“ von San Luz ist Hochbetrieb (Orchester mit Tanz: Opening; Land of the Gay Caballero). Molly ist schon leicht angetrunken und schäkert mit Sam, weist aber seine Annäherungsversuche zurück und sagt, sie sei nun einmal altmodisch und wolle die Flitterwochen nicht schon vor der Hochzeit haben (Reprise Molly, Sam: Sam and Delilah). Mittlerweile sind von der Dude-Ranch auch noch anderes Gäste angekommen, so Danny mit Kate, die den Eifersüchtigen vor einer Dummheit bewahren will, aber auch Kates Mann Slick, der mit Cut und gestreiften Hosen gerade von einer Schar Girls umgeben ist – und Gieber, der es inzwischen zum Sheriff gebracht hat. Hinter ihm sind Lank und Pete eingetreten, die es auf Giebers 6000-Dollar-Gewinn abgesehen haben.


    Molly ist mittlerweile vom Tanzen – und Alkohol – müde geworden und geht, doch ziemlich schwankend, auf ihr Zimmer. Im Flur begegnet ihr Danny, dem sie Worte des Bedauerns sagt, doch der empfindet das als einen Annäherungsversuch, den er jedoch harsch mit „Gute Nacht, Mrs. Mason“ abblockt. Hintergrund ist Kates Mitteilung, dass Molly und Sam im Hotelbuch als „Mr. Und Mrs. Mason“ eingetragen sind (Quartett: Molly, Gieber, Danny, Kate: But Not for Me). Molly ist umgehend nüchtern und beteuert, dass sie davon nichts gewusst hat. Diese Bemerkung macht Danny so wütend, dass er schwört, Sam „das Genick zu brechen“. Dann verlässt er das Hotel.


    Kurz darauf weiß der Hotelmanager von der Auffindung eines Mannes mit eingeschlagenem Schädel zu berichten, und nochmal kurz darauf ist klar, wer dieser Mann ist: Sam Mason. Und wieder kurz darauf ist der mexikanische Polizeibeamte Reale vor Ort und teilt mit, dass man ihn über Dannys Drohung gegen Sam unterrichtet habe. Molly und Gieber machen sich sofort auf den Weg, Danny zu suchen, aber auch zu warnen. Kate, die sich eigentlich von ihrem Mann scheiden lassen wollte, ist im Moment jedoch froh, dass der Erschlagene nicht Slick ist. Sie meditiert über die seltsamen Wege der Liebe (Kate: Boy, What Love has Done to Me).


    Molly und Gieber haben inzwischen im Grenzbahnhof den gesuchten Danny gefunden. Dannys Chauffeur und neuer Sheriff von Custerville hat einen ganz bestimmten Verdacht und schlägt Danny vor, mit dem nächsten Güterzug über die Grenze zu fahren und sich „drüben“ verhaften zu lassen. Damit, so meint Gieber, würde der wahre Täter in Sicherheit gewiegt und könne um so besser überführt werden. In diesem Moment taucht allerdings Slick, hinter ihm der mexikanische Polizeikommissar Reale mit seinem Assistenten. Danny und Molly haben sich aber noch rechtzeitig verstecken können. Kurz darauf kommt die Überraschung: Gieber bezeichnet Slick als den Mörder von Mason und wird prompt festgenommen und abgeführt.


    Als sich der Güterzug nähert, gehen Danny und Molly auf ihn zu, während Sheriff Gieber zurückbleibt. Aus der Damentoilette des Bahnhofs kommen zwei Señoritas, die sofort mit Gieber zu schäkern beginnen (Gieber: Treat Me Rough), dem ein wilder Tanz folgt, bei dem die Röcke fliegen – und Sams Dollarscheine zum Boden trudeln. Die „Damen“ heißen Lank und Pete, die von Gieber mit dem Revolver in Schach gehalten werden.


    Unterdessen haben Danny und Molly die Dude-Ranch erreicht (Danny: Dannys Speciality Number, Step-Solo). Nach der Musiknummer sieht man Gieber mit den gefesselten Lank und Pete daher kommen und die Umstehenden lassen den Sheriff hochleben.


    Inzwischen ist Slick wieder aus dem Knast entlassen worden und behauptet, dass er die schlimmste Nacht seines Lebens „in dem Rattenloch“ in Mexiko haben verbringen müssen. Die falsche Anschuldigung war jedoch nötig, so lernen wir alle, damit man Danny vom Mord an Sam freibekommen konnte. Für ihn, so lernen wir alle noch, ist es allerdings wichtiger, dass er auf diese Weise mit seiner geliebten Kate wieder zusammengekommen ist.


    In der letzten Szene wird Überraschendes deutlich: Sam Mason hat überlebt, wurde nicht erschlagen. Und Danny verkündet, mit Molly an seiner Seite, gemeinsame Hochzeitspläne (Finale: gesamtes Ensemble).

    Hans Zender (*1936):
    DON QUIJOTE DE LA MANCHA

    Einunddreißig theatralische Abenteuer

    Libretto vom Komponisten nach Miguel de Cervantes Saavedra.

    Uraufführung am 3.Oktober 1993 in Stuttgart, musikalische Neufassung 1999 im Heidelberg realisiert.


    Personen der Handlung:
    Don Quijote (Bariton)

    Sancho Panza (Tenor)

    Nichte / Lucinde / Herzogin / Dulcinea I / Dame I (Sopran)

    Nachbarin / Dorothea / Dulcinea II / Dame II / Hofdame I / Engel (Mezzosopran)

    Haushälterin / Orakel / Dulcinea III / Dame III / Hofdame II / Königin (Alt)

    Knabe (metallische Kinderstimme / Sprechstimme)

    Barbier I / Lektor I / Häscher I / (Teufel) / Don Pedro (Tenor)

    Cardenio / Löwenwärter / Soldat / 1. Höfling / Küster / Lektor IV (Tenor)

    Verwalter / Barbier II / Lektor II / Tod / Schweinehirt Bariton

    Lektor III / Häscher II / 2. Höfling (Bassbariton)

    Don Fernando / Herzog / Der Schatten / Spiegelritter / Notar (stumme Rolle / Bariton)

    Pfarrer / Wirt / Merlin / Kaiser / 3. Höfling / Lektor V, „Der Chef“ (Bass)

    Weitere Sänger, Statisten, Schauspieler, Pantomimen, Doubles ad lib.

    Ort und Zeit: Spanien, Anfang des 17. Jahrhunderts.


    Erster Teil; 1.
    Der Herr Alonzo Quijada, Edler von la Mancha, ist ein Liebhaber von Ritterbüchern, die er mit großer Leidenschaft sammelt und liest. Diese Lektüre hat in ihm die Lust geweckt, selbst ein fahrender Ritter zu werden. Er gibt sich nach einiger Überlegung den Namen Don Quijote, nennt sein schon etwas älteres Ross Rosinante und erwählt ein Mädchen vom Lande zu seiner Herzensdame; sie bekommt den Namen Dulcinea von Toboso.


    2. Von seiner Bestimmung, ein Ritter zu sein, überzeugt, will er zum Kampf für Bedrängte, Arme, Witwen und Waisen aufbrechen.


    3. Die erwähnte feste Überzeugung, die der Ritter Don Quijote von seiner Bestimmung hat, geht seiner Umgebung ab. Die Bemühungen seiner Nichte, der Haushälterin, dem Pfarrer, dem Verwalter oder auch Nachbarn, den Don in die Realität zurückzuholen, gelingt nicht. Die Folge: alle verfluchen die Ritterbücher, lassen sie glauben, dass die Literatur ihn um den Verstand gebracht hat.


    4. Der Don lässt den Bauern Sancho Pansa zu sich kommen und ernennt ihn kurzerhand zu seinem Knappen. Er belehrt ihn über die fahrenden Ritter, was an Sancho Pansa aber abperlt. Ihn interessiert nur die Geschichte von dem Knappen, der zum Statthalter eines Königreiches wurde. Don Quijote bricht mit seinem Knappen Sancho Pansa auf…


    5. ...und sie gelangen zu einer Schenke, die der Don aber für ein Schloss hält. Es sind aber nicht Prinzessinnen, sondern Dirnen, die ihnen die Türe öffnen. Der Wirt des Etablissements merkt schnell, dass er an Don Quijote gut verdienen kann, und will ihn in seiner Eigenschaft als „Schlosskastellan“ zum Ritter schlagen…


    6. ...den er dann auch am späten Abend vollzieht. In der Nacht aber wird der Don überfallen, gefesselt und ausgeraubt. Auch Sancho Pansa kriegt „sein Fett“ ab: er wird verprügelt und hinausgeworfen.


    7. Die Geschehnisse lassen Don Quijote nicht an seiner (selbst gewählten) Bestimmung zweifeln. Er hält auch an dem selbst gewählten Ziel fest: er will der angebeteten Dulcinea den Ruhm seiner Taten zu Füßen legen.


    8. Der Weg des Dons und seines „Knappen“ führt zu Riesen mit langen Armen – Don Qujote kämpft mit den Flügeln einer Windmühle und wird dabei übel zugerichtet. Und so muss er auch wieder mit Sancho davonziehen.


    9. Wir werden Zuschauer eines neuen Abenteuers, müssen aber von der Unbedarftheit des Protagonisten Kenntnis nehmen (falls wir es nicht schon längst getan haben): Unser Don trifft auf einen Barbier, dessen Messingbecken ihm vorkommt wie der sagenhafte Helm des Mambrin; er greift den Armen an und nimmt ihm den „Helm“ ab. Dabei wissen wir natürlich, dass der Barbier jenes Teil nur wegen des Regens auf dem Kopf trug.


    10. Eine vorbeifahrende Kutsche wird von Quijote angehalten und den Insassen verlangt er das Bekenntnis ab, dass seine „Dulcinea von Toboso“ die schönste Frau der Mancha sei und genau das solle man ihm bestätigen. Dieses Bestätigung verweigert ein gewisser Don Fernando mit Rücksicht auf seine Begleiterin Lucinde, die er nämlich heftig liebt, und wegen der er sich kampfbereit mit Don Quijote zeigt. Lucinde aber verhindert das im letzten Moment. Sie hat aber nichts für Don Fernando übrig, liebt nur einen gewissen Cardenio, will folglich nicht, dass Fernando wegen ihr kämpft. Als Don Quijote jetzt den Durchblick in den Liebeswirren hat, will er trotzdem kämpfen – jetzt um Lucinde von dem schwärmerischen Don Fernando zu befreien. Der Kampf entbrennt und Don Qujote stolpert.


    11. Diese Szene spielt sich in einem einsamen Gebirge ab, wo Don Quijote um seine Dulcinea melancholisch klagt. Er hat einen Brief an sie geschrieben, den Sancho Pansa ihr übergeben soll. Auf dem Weg dorthin begegnen sie Cardenio, der um seine geliebte Lucinde klagt - worauf Don Quijote in ihm einen Irrenden der Liebe erkennt, gleich ihm selbst.


    12. Don Quijote ist in trüber Stimmung, wirft seine Waffen weg und rennt verzweifelt gegen eine Felswand.


    13. Sancho ist inzwischen beim „Schloss“, der Spelunke, in der eine Dirne jene Dulcinea ist, wo er aber Don Quijotes Nichte, Haushälterin, Verwalter und den Pfarrer antrifft. Er wird nach seinem Herrn befragt. Es ergibt sich in diesem Gespräch, dass gemeinsam beschlossen wird, Don Quijote mit der falschen Dulcinea, der Geliebten von Don Fernando namens Dorothea, zu verbinden.


    14. Jene Dame ist schließlich sogar bereit, die Komödie mitzuspielen. Dazu verkleidet sie sich als Prinzessin, wirft sich zu Don Quijotes Füßen und bittet ihn um Schutz. Der Don willigt ein, Dorothea wieder in ihre alten Rechte einzusetzen.


    15. Nun schaltet sich eine große Macht ein: die Inquisition. Sie ist auf Don Quijote irgendwie aufmerksam geworden und kommt nach einer Beratung zwischen dem „Chef“ und vier Häschern zu dem Schluss, dass man Don Quijote einfangen muss.


    16. Don Quijote wird von einem Orakel überzeugt, dass die Prinzessin seiner Hilfe nicht bedarf. Außerdem werde sie ihr Glück in einem Wirtshaus finden. Unser Don und sein Knappe Sancho machen sich auf den Weg zu jenem Wirtshaus. Dort treffen sie nicht nur auf Don Fernando und Lucinde, kurz darauf auch noch auf Cardenio; hier erkennt Dorothea ihren geliebten Don Fernando und Lucinde ihren Cardenio. Diese beiden Paare sind überglücklich, wieder zusammen zu sein. In die Gaststätte kommt nun der Barbier, der uns ja schon bekannt ist, und will seine „Sachen“ wieder haben. Diesmal verteidigt Sancho die Beute, die er als Helm und Helmkissen ausgibt, und der Herr Pfarrer darf hier das Urteil zugunsten Sanchos sprechen. Der Barbier ist verwirrt und staunt zugleich über die merkwürdige Gesellschaft in diesem Wirtshaus. Da kommt die Kutsche der Inquisition vorgefahren, allerdings verhindert Don Fernando die Verhaftung von Don Quijote.


    Zweiter Teil; 17.
    Wir werden Zeuge eines Disputs zwischen Don Quijote und seinem Schatten. Dabei wird festgestellt, dass der Don nichts erreicht hat, denn die Armen sind noch ärmer geworden, Gefangene werden noch stärker bewacht, und seiner Dulcinea ist er auch nicht näher gekommen. Er beschließt, noch einmal als Ritter durch die Lande zu ziehen.


    18. Sancho lässt seinen Herrn an einem Seil in die Höhle Montesinos hinab, wo er drei Tage und drei Nächte zu verbringen glaubt. In der Dunkelheit der Höhle hat Don Quijote mehrere Erscheinungen.


    19. Sancho und sein Herr haben eine merkwürdige Begegnung: einen dicken, zweiten Sancho und einen äußerst dürren Quijote - ihre Schatten. Ein Kampf zwischen den ungleichen Paaren endet unentschieden, aber die Doppelgänger verschwinden nicht, sie bleiben immer neben ihnen.


    20. Nachdem Quijote seinem Knappen die Erlebnisse in der Höhe geschildert hat, möchte er näheres von seiner Dulcinea von Sancho erfahren. Das bringt Sancho ins Schleudern, denn er hat sie überhaupt nicht getroffen. Aber er erfindet eine Geschichte, aus der hervorgeht, dass es ein gewöhnliches Bauernmädchen war. Quijote ist entsetzt über die schlechten Angewohnheiten seiner Angebeteten, will sie jedoch suchen.


    21. Am nächsten Morgen kündigt Sancho die Ankunft Dulcineas mit zwei ihrer Hofdamen an – es sind drei Bauernfrauen auf ihren Gäulen. Sie empfinden bei der Begegnung, dass Don Quijote sich über sie lustig macht und sagen, dass sie von ihm nichts wissen wollen, ziehen schließlich laut schimpfend ab. Trotzdem preist Sancho Dulcinea als Schönheit, die leider durch einen magischen Zauber zu einer Bäuerin wurde. Don Quijote zeigt sich enttäuscht von dieser Begegnung.


    22. Es tritt ein Löwenwärter mit dem Tier in einem Käfig auf Rädern auf. Don Quijote verlangt, dass der Löwenwärter den Käfig öffnet, damit er sich mit dem Löwen im Kampf messen kann. Der macht den Käfig auf, Quijote reizt de wilden Löwen, aber der wendet ihm nur sein Hinterteil zu, bleibt im übrigen stoisch ruhig. Dem Löwenwärter gelingt es nur mit Mühe, den Don zu überzeugen, dass das Tier aus Furcht vor dem tapferen Ritter den Käfig nicht verlassen wolle.


    23. Don Quijote und Sancho Pansa treffen auf eine Schauspieltruppe, die auf dem Weg zum Herzogspalast sind, und sich einen Spaß mit den beiden Reisenden erlauben.


    24. Der Herzog und seine Gemahlin empfangen die beiden und er erbittet von der Durchlaucht Hilfe beim Kampf für die Armen und Unterdrückten. Der Herzog plant jedoch eine besondere Prüfung: Don Quijote soll das Pferd Malambrun reiten, das war ein hölzernes Pferd, dass der Zauberer Merlin einst gebaut haben soll. Die Herzogin findet übrigens Sancho Pansa noch verrückter als Don Quijote, weil er dem Ritter diene, obwohl er doch wisse, dass Don Quijote nicht richtig im Kopf sei.


    25. Ouvertüre.


    26. Mit finsteren Gestalten wird eine feierliche Einweihungszeremonie durchgeführt, nach der Don Quijote und Sancho Pansa auf das Zauberross gesetzt…


    27. ...mit dem sie dann durch die Lüfte fliegen; durch Regen und Schnee, durch Donner und Blitz, bis sie nahe an die Feuerregion kommen, sogar ohne Schaden zu nehmen davonkommen.


    28. Don Quijote ist aber enttäuscht, dass seine Dulcinea nicht da ist; auch die Armen sind nicht befreit worden. Der Herzog ist jedoch plötzlich anwesend und präsentiert ihm das Theater als ein Sinnbild der Wahrheit. Aber unser Don kann die Theater-Illusion nicht von der Realität unterscheiden, weshalb er das Theater zertrümmert, als die Handlung zu Ende ist.


    29. Don Quijote trifft auf einen anderen Ritter, der sein Ebenbild ist. Er erkennt in diesem Doppelgänger die Quelle seine Unglücks, weshalb er mit ihm einen Kampf ausficht, am Ende jedoch unterliegt.


    30. Don Quijote ist wieder in seinem Haus; er hat das Gefühl, sterben zu müssen. Aber der Nebel (und das ist für ihn ganz wichtig), den die vielen Rittergeschichten in seinem Gehirn angerichtet haben, hat sich total verzogen. Er fühlt sich wie befreit – deshalb kann er auch mit klarem Verstand sein Testament machen. Zum Schluss dieser Szene stirbt er als Alonzo Quijada der Gute.


    31. Das letzte theatralische Abenteuer ist als Epilog zu verstehen. Es ist der Abgesang über die Kraft und Fülle des Lebens mit der die Oper beendet wird.

    Helmut Lachenmann (*1935)
    DAS MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN

    Musik mit Bildern in zwei Teilen

    Libretto vom Komponisten nach einem Märchen von Hans Christian Andersen

    und weiteren Texten von

    Leonardo da Vinci, Ernst Toller, Gudrun Ensslin und Friedrich Nietzsche.

    Uraufführung am 26. Januar 1997 in Hamburg, Staatsoper.


    Personen der Handlung:

    Zwei Soprane

    Sprecher in der„Tokyo-Fassung“ bzw. Sprecher, Sprecherin in der Uraufführungsfassung

    Mimen (Bewegungschor)

    Chor (vier doppelt besetzte Quartette zu je zwei Sopranen, zwei Alten, zwei Tenören und zwei Bässen).

    Ort und Zeit: eine kalte Silvesternacht auf der Straße zu unbestimmter Zeit in Kopenhagen im 19. Jahrhundert.


    Vorbemerkung:
    Die nachfolgende Handlungsbeschreibung ist lediglich eine Orientierungshilfe, denn die Schilderung der Ereignisse spielen sich in der Musik ab. Insofern kann man hier nicht von einer herkömmlichen Inhaltsangabe sprechen, denn der Komponist hat in das Werk zwei die Haupthandlung unterbrechende und betrachtende Episoden eingefügt, die das Geschehen aus jeweils anderer Perspektive beleuchten.


    Erster Teil: Auf der Straße.

    Am eiskalten Silvesterabend sitzt ein hungerndes Mädchen ohne ein Kopfbedeckung und mit nackten Füßen allein auf dem Trottoir vor einem Haus. Normalerweise hatte das Kind ein Paar Pantoffeln, die allerdings viel zu groß waren. Deshalb hatte sie die eine Fußbekleidung auch verloren, als sie zwei ungestüm vorbeifahrenden Autos beim Überqueren der Fahrbahn ausweichen musste. Den anderen Pantoffel hatte ein Junge gestohlen und ist damit davongelaufen.


    In einer der Taschen einer abgetragenen Schürze trägt das Mädchen Streichhölzer auf Schwefelbasis bei sich, woher der Titel dieses Bühnenwerkes rührt: Schwefelhölzer. Diese Hölzer sollte das Mädchen auf Geheiß seines Vaters verkaufen – bisher aber hat sich kein Passant gefunden, der Interesse gehabt hätte. Das Mädchen wagt sich allerdings ohne das Geld nicht nach Hause, deshalb hockt es schon seit vielen Stunden, trotz der bitteren Kälte und des gerade einsetzenden Schneefalls, auf dem Bürgersteig.


    Zweiter Teil: An der Hauswand.

    Es ist deutlich zu sehen, dass das Mädchen friert, es kann sich aber nicht entschließen, heim zu gehen, es bleibt an der Hauswand zusammengekauert hocken. Dahinter darf der Zuschauer eine gewisse Angst vor seinem Vater vermuten, der das Kind möglicherweise schlagen würde, weil es kein Geld für die Schwefelhölzer bekommen hat. Außerdem ist es in der Dachkammer des Mädchens auch nicht viel wärmer.


    Um sich doch etwas aufzuwärmen, wagt es die Arme, ein Schwefelholz zu entzünden, und dabei nicht an den zu erwartenden Ärger zu Hause zu denken. Das Kind empfindet durch die Flamme, es sitze am heimischen Ofen, und vergisst völlig, dass es an einer Hauswand im Freien sitzt und der Kälte schutzlos ausgesetzt ist. Es kommt, wie es kommen muss: als das Hölzchen heruntergebrannt ist, kriecht die Kälte wieder an dem Körper sowohl nach oben, wie auch nach unten.


    Einschub: Litanei.

    Hier wird die Selbstrechtfertigung von einer anderen Außenseiterin angeboten, nämlich von Gudrun Ensslin. Kriminelles, Wahnsinniges und der Tod eines Selbstmörders ist der „Ausdruck der Rebellion des zertrümmerten Subjekts“ als Sinnbild für die „Zertrümmerung“ des „politischen Systems“.


    Rückkehr zum Märchen.

    In der Folge ist es das Geschehen um das „Mädchen an der Hauswand“, das sich wieder in den Vordergrund schiebt: es zündet das zweite Schwefelhölzchen und ihre Empfindung ist jetzt, dass sie unter einem Tannenbaum sitzt, nach dem Erlöschen des Schwefelholzes aber glaubt, die vielen Lichter am Tannenbaum wären die Lichter des Sternenhimmels. Man darf vermuten, dass sich hier schon Halluzinationen breit machen. Als dann vom Himmel eine Sternschnuppe fällt, muss das Mädchen an einen Ausspruch seiner Großmutter denken. „Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele zu Gott empor“.


    Einschub: Leonardos Reflexion.

    In Leonardo da Vincis Gleichnis von den „Zwei Gefühlen“ wird das Ringen der Menschen um Erkenntnis beschrieben. Da ist jemand zwar von Neugier getrieben, empfindet aber trotzdem Furcht vor der Wissbegierde. Weil der Mensch den Gegenstand der Erkenntnis nicht kennt, wirkt alles bedrohlich auf ihn ein. Zu überwindende Hemmnisse beängstigen die menschliche Kreatur, sie sucht Vergleichsmöglichkeiten und denkt an das wild schäumende Meer oder den Feuer speienden Berg. Ein Verzagender wird vielleicht als ein vor einer Höhle sitzenden Wanderer empfunden, der zwar vor der Dunkelheit in der Höhle zaudert und zurückschreckt, der jedoch trotzdem neugierig ist, was sich in der Dunkelheit verbirgt.


    Rückkehr zum Märchen.

    Wir wissen als Kenner des Märchens, dass es vor der Erfrierung steht, dass es eine Grenzerfahrung durchmacht, die mit dem Zünden des nächsten Schwefelholzes zu tun hat: es glaubt die Großmutter zu sehen, bei der sie sich doch immer so wohl und geborgen gefühlt hat. Die Großmutter will das Mädchen mitnehmen und es gibt, weil sie ihr auch folgen will, besonders darauf Acht, dass die kleine Flamme des Schwefelholzes nicht verlischt. Der nächste Schritt des Mädchens weist es als vorsorglich aus, denn es zündet ein neues Hölzchen an dem Verglühenden an. Plötzlich merkt es jedoch, dass die Großmutter es in den Himmel zieht.


    Der Neujahrsmorgen bringt es an den Tag: das Mädchen ist erfroren. An den abgebrannten Schwefelhölzern ist zu erkennen, dass es sich wärmen wollte...

    Antonio Salieri (1750-1825):
    T A R A R E
    Oper in fünf Akten mit einem Prolog

    Libretto von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais

    Originalsprache: Französisch.

    Uraufführung am 8. Juni 1787 Théâtre de l’Académie royale de Musique, Paris.


    Personen der Handlung:
    Geniuis, der über die Vermehrung der Wesen herrscht oder Natur (Sopran)

    Genius des Feuers, der über die Sonne herrscht, Geliebter der Natur (Bariton)

    Atar, König von Hormus, wild, unbeherrscht (Bassbariton)

    Tarare, Soldat in seinen Diensten, verehrt für seine großen Tugenden (Tenor)

    Astasie, Frau von Tarare, zart und fromm (Sopran)

    Arthenée, Hoherpriester von Brahma (Bassbariton)

    Altamort, Armeegeneral, Sohn des Hohepriesters (Bassbariton)

    Urson, Hauptmann von Atars Wachen (Bassbariton)

    Calpigi, Chef der Eunuchen, europäischer Sklave (Haute-contre)

    Spinette, europäische Sklavin, Frau von Calpigi (Sopran)

    Calpigi, neapolitanische Sängerin (Sopran)

    Élamir, kleines Kind der Auguren (Knabensopran)

    Priester von Brahma (Baritenor)

    Sklave (Baritenor, Tenor mit Baritonstimme)

    Eunuch (Baritenor)

    Schäferin (Sopran)

    Bauer (Bassbariton)

    Chor, Statisterie,Wesire, Emire

    Priester des Lebens und Priester des Todes

    Sklaven und Sklavinnen des Serails

    Garde von Atar

    Soldaten

    Volk

    Ort und Zeit: Hormus in Persien zu unbestimmter Zeit.



    Prolog
    Die Natur (mit den entfesselten Winden) steht in der Mitte der Bühne und hält einen Stab mit den für sie typischen Attributen der Hand.

    Der Genius des Feuers und die Natur versuchen, die Elemente zu beschwichtigen, die aus

    den „im Raum verlorenen Atomen“ die Gestalten des Dramas schaffen wollen. Ein Chor der Schatten will Menschengestalt erringen. Ist das ein neuer Schöpfungsakt?



    Erster Akt

    Wolken, die die Bühne verbergen, verziehen sich nach oben; großer Saal im Palast des Königs.

    König Atar führt in seinem Reich ein diktatorisches Regiment. Der edle Krieger Tarare hat vor längerer Zeit den Herrscher aus dem Fluss Arsace gerettet. Aus Dankbarkeit wurde er Krieger zum Anführer einer Miliz ernannt. Obwohl Tarare in der Hierarchie gestiegen ist, hat er an seiner Lebensführung und -einstellung nichts geändert. So zeigt er immer wieder anderen Menschen Zuneigung in Bescheidenheit. Und er ist, obwohl in Atars Reich die Polygamie gilt, glücklich mit nur einer Frau zusammen, nämlich der schönen Astasie. Und auf die hat König ein Auge geworfen.


    Atar zitiert seinen italienischen Sklaven und Serailaufseher zu sich und informiert ihn, dass sein Harem um ein weiteres Weib vergrößert werde; es wird die Frau Tarares sein und sie wird hier Irza genannt werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen König und Calpigi ist der Grund, dass er auch erfährt, wer die Entführung von Astasie ausführen wird, nämlich Altamort, der Sohn des Hohenpriesters Athenée.


    Irza wird während eines Empfangs anlässlich der Haremsvergrößerung Atar präsentiert. Ihr wird bewusst, welches Schicksal ihr hier droht, und sie fällt über diese Gedanken in Ohnmacht. Ein Sklave, der glaubt, sie sei gestorben, wird von dem wütenden König mit den Worten „Sterbe selber“ erstochen. Als Astasie kurz darauf wieder zu sich kommt, befiehlt Atar, sie in ihr Gemach zu bringen.


    Calpigi will wissen, wer Irza zur Seite stehen soll und er hört, die „Europäerin“. Calpigi weiß, wer gemeint ist: Spinette, die Neapolitanerin, die als ebenso leichtlebig wie intrigant gilt, außerdem ist sie seine Gattin. Während sich der König über den gelungenen Coup der Entführung freut, kann man Tarares Seelenzustand, als er sein Heim leer vorfindet, mit dem Wort „traurig“ nur unzureichend beschreiben.


    Urson, Hauptmann in Atars Heer, kündigt dem König den „unglücklichen Tarare“ an, und Atar meint zu Altamort, dass ihn dieses „Unglück“ erfreue. Bei seinem Auftritt vor dem König entwirft Tarare ein begeisterndes Bild von seiner Gattin. Dass der König hinter der Entführung seiner großen Liebe steckt, weiß er natürlich nicht, und seiner Bitte, die Armee mit der Suche nach Astasie zu beauftragen, wird sogar „wohlwollend“ von Atar genehmigt. Auch der Bestrafung der oder des Entführers stimmt Atar zu. Dass das nur Heuchelei war, wird klar, als Atar Altamort befiehlt, Tarare zu verfolgen und ihn zu töten. Für den König steht fest, dass Irza ihm gehören muss und wird!


    Zweiter Akt
    Platz vor dem Palast und dem Tempel des Brahma.

    Atar streitet mit Arthenée über ihre jeweiligen Aufgaben im Reich. Der Hohepriester weiß von Angriffen irgendwelcher „Wilden“, die er übrigens später als „Christen bezeichnet, zu berichten. Atar weist den „Pontifex“ auf seine Aufgabe hin, dass Orakel zu befragen. Die Antwort Arthenées zeigt, dass er genau das schon getan hat, denn das Orakel hat als Antwort verkündet

    ...dass wir kämpfen müssen,
    dass wir einen anmaßenden Feind überwältigen müssen.


    Der Hohepriester weist den König darauf hin, dass auch der Tempel fällt, wenn der König seine Krone verliert. Um das zu vermeiden, möge er den Anführer des Heeres benennen, worauf Atar Altamort ausruft. Stolz über den Aufstieg seines Sohnes geht der Hohepriester ab und zieht sich in den Tempel zurück.

    Tarare klagt über seine entführte Gemahlin und ruft Gott Brahma um Beistand an. Calpigi kommt, informiert ihn über den Aufenthaltsort seiner Astasie und sagt ihm, dass Altamort der Entführer war. Er verspricht Tarare, dass er seiner Gattin zur Flucht verhelfen wird. Als sich die Tore des Tempels öffnen, verhüllt sich Calpigi und läuft davon.


    Verwandlung in das Tempelinnere.


    Arthenée ist mit Ko-Priestern unter einem Marsch zum Altar gezogen und bittet die Gottheit – bei Anwesenheit von Priesterschaft, Soldaten, Volk, Wesire, Emire, Hofleute, Atar und Elamir – um die Ernennung eines Armeegenerals durch den Mund eines Kindes als Medium. Diese Bitte wird von allen Anwesenden wiederholt. Arthenée weiß ja schon, wer dieser Armee-Befehlshaber sein soll, hat ihm doch der König selber den Namen verraten. Trotzdem soll das Kind Elamir die Entscheidung der Gottheit verkünden. Und Elamir spricht:

    Vom Schrecken verwirrtes Volk, wer lässt euch die Christen fürchten?
    Gibt euch der Staat keinen Rückhalt?
    Gewahrt, zu Füßen des Königs, jene, die euch verteidigen werden:
    Tarare...


    Arthenée spricht verblüfft von einem „Irrtum“, aber Elamir antwortet, dass die Gottheit ihm den Namen „Altamort“ eingegeben habe, aus seinem Mund jedoch ungewollt der Name „Tarare“ gekommen sei. Darüber freuen sich Volk und einzelne Soldaten, denn Tarare ist beliebt. Atars Versuch, die Aussage Elamirs rückgängig zu machen, geht daneben, denn der aus dem Volk hervortretende Tarare nimmt die Verpflichtung an. Der König reagiert wütend, und Altamort fühlt sich in seiner Ehre gekränkt, zieht sein Schwert, worauf auch Tarare die Waffe aus der Scheide zieht, ein Duell scheint unausweichlich, aber Arthenée schaltet sich mit der Frage ein, ob der Tempel Brahmas ein Kampfplatz sei. Auch der König verlangt die sofortige Beendigung des Streites. Der zweite Akt schließt mit der Übergabe des Kommandostabes an Tarare und das Volk jubelt zu den Klängen des Marsches über Elamirs Verkündigung.


    Dritter Akt
    Die Gärten des Palastes; Irzas Wohnung ist rechts; links und vorn sieht man in der Mitte einer hell beleuchteten Fläche ein Diwan unter einem Baldachin.

    Die helle Beleuchtung wundert Calpigi, hat er das doch nicht angeordnet. Er zitiert den Serailwächter herbei und will wissen, wer die Festbeleuchtung angeordnet hat, denn nur er habe hier Befehle zu erteilen. Bevor der Wächter etwas sagen kann, klopft der hinter Calpigi stehende König ihm auf die Schulter und sagt „Ich“. Als Grund nennt er Irzas Einzug in den Harem; darum soll ein großes Empfangsfest stattfinden. Calpigi gibt jedoch zu bedenken, dass dieses Fest schon einmal angesetzt, von der Majestät aber auch wieder abgesetzt worden war. Jetzt werden die Schauspieler und Musiker „alle woanders“ sein. Der König sagt, dass es ihm um „Rabbatz“ für Irza und ums Tanzen gehe.


    Jetzt tritt der Wachsoldat Urson auf und berichtet über das Duell zwischen Altamort und Tarare. Atar zieht aus Ursons Schilderung den Schluss, dass Altamort verloren und Tarare gewonnen hat. Irza kommt in Begleitung von Sklaven und setzt sich auf Atars Geheiß neben ihn. Calpigi soll Atar angeben, was er seiner Königin für eine Aufführung widmen. Die Antwort kommt prompt: ein europäisches Fest. Als Erläuterung fügt er hinzu, dass die Herrscher Europas, wenn sie hochgestellte Persönlichkeiten unterhalten wollen, ein Fest mit Spielen veranstalten. „Beiseite“ sagt er:

    Tarare ist nicht gewarnt worden, wenn er kommt, ist er verloren.


    Zu den bisherigen Akteuren treten nun europäische und höfische Schäferinnen und Schäfer; außerdem sind Bauern und ihre Frauen dabei – in europäischem, aber sehr einfachem Gewand. Die Musik changiert zwischen Marschrhythmus und höfischem Menuett. „Beiseite“ sagt Irza:

    Große Götter, möge der Tod Astasie dem Tyrannen [...] entreißen.


    Nach dem Tanz krönt Arta „seine“ Irza und setzt ihr dabei ein Diamanten-Diadem auf. Die Anwesenden loben die neue Herrscherin in höchsten Tönen. Atar lobt wiederum Calpigi für das Fest, das er in höchster Eile „auf die Beine gestellt“ hat. Der Tanz der Gesellschaft wird aufgenommen und Calpigi nimmt sich danach eine Mandoline und bringt eine Barcarole zum Besten. Das findet die ganze Gesellschaft animierend, fasst sich an den Händen und singt trägt den Refrain der Barcarole mit.


    Plötzlich sieht man Tarare im Hintergrund mittels einer Strickleiter nach unten klettern. Das hat auch der König gesehen und ruft zornig den Namen des ihm verhassten Kriegers aus, was von der ganzen Gesellschaft wiederholt wird. Dann stößt er wütend mit einem Fußtritt den Tisch um. Diese Aktion erschreckt Irza; sie erhebt sich schwankend, muss deshalb von der hinzukommenden Spinette gestützt werden. Atar ordnet an, dass Irza in ihr Gemach geleitet werde. Er folgt ihnen und entledigt sich vor dem Zimmer, wie es Orientalen tun, seines Mantels und der Schuhe.


    Tarare berichtet Calpigi ausführlich von seinen Erlebnissen (hier gekürzt wiedergegeben): Er fand sich plötzlich in einem unsicheren Boot und „auf tiefem Meer“ wieder. Sein Rudern war in der ruhigen Nacht allerdings weit zu hören. Dann vernahm er von irgendwoher Alarmrufe und registrierte, dass er nur einen Dolch zu seiner Verteidigung hatte. Waffen würde er jedoch benötigen, denn es kamen „zweihundert Ruderer“ auf ihn zu. Er beschloss, seine „Nussschale“ zum Kentern zu bringen und, zwischen den Booten schwimmend und tauchend, gelangte er tatsächlich unbeschadet ans Ufer. Aber auch hier wurde er verfolgt; „wenn sie rannten, hatte ich Flügel“. So kam er bis zu einer Mauer mit einer Strickleiter – und war gerettet.


    Calpigi ist von diesem Bericht zutiefst berührt, geht dann mit Tarare auf Astasies Gemach zu. Als er Atars Schuhe vor dem Gemach sieht, hält er Tarare in weiser Voraussicht zurück, denn gegen den König und seine Wachen hat er im Palast keine Chance. Tarare aber, im Wissen dass sich hinter Tür Atar mit Astasie aufhält, wird wütend und er ruft mehrmals laut den Namen Brahmas aus. Calpigi versucht, Tarare aus guten Gründen zurückzuhalten, doch der ist nicht zu bremsen. Und dieser Lärm macht den König neugierig – er kommt aus Irzas Zimmer und will wissen, was hier los ist. Tarare hat sich geistesgegenwärtig auf den Boden fallen lassen und Calpigi kommt auf den Gedanken, den am Boden liegenden Tarare als einen Irren auszugeben, der weint, schreit und stumm ist.


    Atar geht auf den am Boden liegenden Mann zu und rüttelt ihn am Arm, aber der rührt sich nicht. Er fordert Calpigi auf, mit ihm zu gehen und der hilft Atar in Mantel und Schuhe. Währenddessen spricht Atar den am Boden liegenden Mann an:

    Elendes Wesen, niederträchtig und nackt,
    warum bist du nicht statt eines unbekannten Reptils,
    [...]
    der hassenswerte Tarare?
    Mit welchem Vergnügen würde meine Hand
    aus deiner Flanke das Blut zum Strömen bringen!
    […]
    Schneiden wir diesem Sklaven den Kopf ab,
    verstümmeln ihn vollkommen.

    Trag ihn selbst in meinem Namen zu ihr.
    Sag ihr, dass ich ihren Gatten, als ich ihn hier überraschte,
    in einer eifersüchtigen Aufwallung...


    Er nimmt plötzlich Calpigis Säbel an sich, aber der, ahnend, was folgen soll, fällt Atar in den Arm und fragt ihn, was er sich von so einer Tat erhofft? Atar wird wütend und erklärt, dass Irza ihn zurückgewiesen habe, und dass er sich jetzt mit einer neuen Idee rächen will: den „nichtswürdigen“, am Boden liegenden Kerl werde er zu seiner Irza führen, dann beide verheiraten, und verlangen, dass die Ehe in der Nacht vollzogen werde. Am nächsten Tag werde sie vom ganzen Hofstaat ausgelacht. Er geht ab, und Tarare erhebt seine Hände mit den Worten zum Himmel

    Allmächtiger Gott! Nie hast du
    den Unglücklichen, der an deine Wohltaten glaubt, getäuscht.

    Dann folgt er dem König von ferne…


    Vierter Akt
    Das Bühnenbild zeigt Irzas Gemach in typisch orientalischem Flair.

    Irza beklagt vor Spinette ihre Situation und die versucht, die Herrin von den ehrlichen Absichten des Königs zu überzeugen. Doch Irzas kurze Antwort ist, dass Spinette leider ihren Tarare nicht gekannt habe.


    Calpigi kommt ins Gemach teilt mit, dass der König die sofortige Ehe mit einem neuen Gatten angeordnet habe. Auf Irzas erstaunte Frage antwortet er, für sie einen stummen Mann ausgesucht zu haben. Spinette wird ironisch, als sie sagt, dass der Hohepriester Athenée bestimmt erstaunt sei, wenn der Vielweiberei im Lande nun noch die Vielmännerei dazu käme. Calpigi übernimmt den ironischen Ton, als er antwortet, dass er natürlich die Majestät informieren werde, der sich bestimmt über diese Bemerkung freuen würde. Nach Calpigis Abgang kommt Astasie der Einfall, dass Spinette den Stummen an ihrer Stelle heiraten soll, dann wäre sie aus dem Schneider; dafür will sie ihr den ganzen Schmuck überlassen und, um Irritationen zu vermeiden, den großen Königinnenmantel umhängen – danach stürzt sie davon.


    Ein Solo für Spinette macht deutlich, dass sie heuchlerisch unterwegs ist, denn sie sagt, dass der König ihr für die Hilfe bestimmt dankbar sein werde und dass sie Ehre und Ruhm im Überfluss erhalten werde. Was sie damit meint, ist, wird deutlich, als Calpigi mit Tarare (als dem Stummen) zu der mit dem Königinnenmantel verkleideten Frau tritt und unnatürlich streng sagt, dass er „diese Frau haben kann“. Spinette findet, beiseite gesprochen, dass der vor ihr kniende Stumme zwar hässlich, aber zumindest „gut gebaut“ ist. Tarare aber stellt, auch beiseite gesprochen, entgeistert fest, dass er nicht vor Astasie kniet. Er sucht nach einer Entschuldigung und sagt, dass er in Hormus fremd sei, aber erfahren habe, dass der „Herr dieses Reiches“ für seine Geliebte ein großes Fest geben würde. Deshalb habe er versucht, sich in „erbärmlicher Kleidung“ sich hier einzuschleichen.


    Während die Wachsoldaten unter Ursons Führung näher kommen, tritt von anderer Seite Calpigi mit etlichen Eunuchen dem Trupp entgegen und hält sie auf. Als Calpigi erklärt, dass der Mann dort Tarare sei, ändert sich schlagartig die Stimmung: die Soldaten ziehen sich respektvoll zurück, aber Urson warnt Calpigi: er solle an sich selbst denken, denn des Königs Bannstrahl richte sich gegen zwei Köpfe…


    Fünfter Akt
    Die Bühne zeigt den Innenhof des Atar-Palastes. In der Mitte steht ein Scheiterhaufen, vor ihm ein Richtblock mit allerlei Gerätschaften wie Keulen,

    Der König ist in freudiger Erwartung über seine Möglichkeit, den verhassten Tarare mit „geschmeidigen Eisen der Gesetze“ töten zu können. Athenée beschwört ihn, ohne Erfolg, das despotische seines Handelns abzulegen, denn das könnte sich gegen ihn richten.


    Die Gefangenen – Tarare und Astasie – werden, endlich wieder vereint, aber dem Tode entgegensehend, Athenée zugeführt und in diesem Moment stürmen viele Soldaten, an der Spitze Calpigi, in den Palast, um Tarare zum König zu erheben.


    Atar betrachtet derweil den Scheiterhaufen und wünscht dem verhassten Tarare samt dessen Frau den Tod.


    Athenée kommt mit zwei Priestern auf die Szene; der eine trägt eine weiße Fahne mit den goldenen Lettern DAS LEBEN, der andere Priester in Schwarz mit einer ebensolchen Fahne und den silbernen Lettern DER TOD.


    Der Hohepriester wünscht Auskünfte vom König über seine Absichten. Atar antwortet, dass in seinem Harem der Mörder „seines Sohnes“ Altamort erwischt wurde. Deshalb will er ihm, dem „Pontifex“, die Aburteilung überlassen. Doch Athenée lehnt das ab, sieht den König in originärer Verantwortung.


    Atar ruft Tarare zu sich, um seinen Richterspruch zu empfangen. Der aber wehrt sich, mit der Behauptung, dass Altamort zwar seine Astasie entführt und deshalb auch den Tod verdient habe, dass aber Irza auf keinen Fall seine Gattin ist. Atar befiehlt, dass Wachen Irza herbringen und kündigt an, sie zu erdolchen, wenn er bei seiner Meinung bleiben würde. Tarare sagt mit kalter Stimme

    Sie sterben zu sehen ist nicht besonders schlimm für mich;
    du bestrafst dich selbst, nicht mich.


    Atar droht Tarare, der aber bezichtigt ihn der Verbrechen, die er als Kronenträger glaubte, sich erlauben zu können.


    Als Athasie verschleiert mit Sklaven auf die Szene kommt, tritt Spinette vor und behauptet, dass sie die Herrin vertreten und dadurch für Verwirrung gesorgt habe. Atar überantwortet sie dem Pontifex, der über ihr Schicksal entscheiden soll. Und der Priester ruft den Fahnenträger mit der Todesfahne, während er den Fahnenträger mit der Lebens-Fahne anweist, den Stoff zu zerreißen.


    Während einer Trauermusik wirft sich Astasie auf die Knie und betet; Athenée aber unterzeichnet das Todesurteil. Die Lebenspriester ziehen sich zurück. Astasie aber erhebt sich und schreitet auf den Scheiterhaufen zu, wendet sich aber dann nach Tarare und nimmt ihn in den Arm.


    Zornig verlangt Atar, dass man die beiden auseinanderreißt und verfügt dann, dass Tarare statt Astasie zum Scheiterhaufen geführt werde. Plötzlich zieht Astasie aus ihrem Gewand einen Dolch und droht jedem, der sich Tarare nähert, den Tod. Alle Versuche, die Situation zu bereinigen, gehen schief, denn die eindringenden Sklaven verlangen von Atar Hilfe vor der Miliz, die soeben mit ihren gezogenen Säbeln in den Raum drückt und Tarare zurück haben will.


    Jetzt wird Tarare munter, drängt die Miliz zurück mit den Worten

    Halt, Soldaten, halt.
    Was für ein Befehl hat euch hergeführt?
    Man würde vielleicht mein Leben retten,
    aber meinen Ruhm beschädigen.

    […]

    Steht es euch zu, euren Herrn zu richten?
    Vergesst ihr, Soldaten, die die Macht usurpieren,
    dass der Respekt vor Königen die erste Pflicht ist?
    Die Waffen nieder, ihr Wütenden, der König vernichtet euch.


    Die Soldaten der Miliz werfen sich, wie auch Tarare, vor dem König nieder und der Krieger bittet Atar, Gnade walten zu lassen. Doch der ist außer sich und fragt, ob sie ihm noch gehorchen. Einer, nur einer, sagt Ja, die anderen rufen Nein und auch das Volk stimmt mit Nein. Atar sieht seine Macht als verloren an und ruft Tarare zu:

    Missgeburt! Sie haben sich dir verkauft…
    Regiere du an meiner Stelle.

    Dann zieht er seinen Dolch aus dem Gewand und ersticht sich. Eunuchen mit Urson an der Spitze tragen schließlich den Leichnam fort. Tarare wird von den Umstehenden zur Annahme von Krone und Thron aufgefordert, doch er lehnt es ab, aber er kann dem Volk mit seinem Arm dienen, wenn es denn will. Zum Herrscher ist er jedenfalls nicht geboren worden.


    Das ist die Zeit für Urson und Athenée: beide bemühen sich, Tarare umzustimmen, doch will er immer noch nicht. Schließlich ist es der Hohepriester leid und er setzt Tarare einfach die Krone auf – und das zu Fanfarenklängen. Während die Wache Tarare von den Ketten befreit, sagt er, dass die Ketten ihm als königlichen Gürtel dienen sollen. Außerdem werden sie ihn daran erinnern, dass er zum Wohl des Staates in Ketten liegen will. Alle stimmen in den Jubel zum neuen Herrscher ein – vergessen auch die schöne Astasie nicht.


    Aus den Bewegungen ausgelassener Freude entwickelt sich ein stürmischer Tanz, die der Chor, Soldaten und Volk repräsentierend, grundiert. Man umringt dabei und König Tarare und seine Astasie, reißen beide zum Tanz mit. Irgendwann wird die Musik leiser, bis sie nicht mehr zu hören ist; dabei senken sich langsam Wolken vom Himmel herab, als Gegenbewegung wie zu Beginn des ersten Aktes. Aus den die ganze Bühne einnehmenden Wolkenschleiern treten Natur und Genius zum Epilog auf.


    Epilog (je nach Inszenierung auch Scena ultima)
    Der Genius des Feuers konstatiert, dass ein Soldat den Thron bestieg, der Tyrann aber tot ist. Die Natur meint, dass die Götter die Voraussetzungen für ihr Schicksal geschaffen hätten, ihr Charakter habe für alles andere gesorgt. Der Genius hält fest, dass man mit „unveränderlichem Schriftzug“ wunderbare Grundsätze in die Herzen der Menschen geschrieben habe.


    Es beginnt zu donnern, während die Wolken, wie im ersten Akt, wieder nach oben wandern; man sieht das Volk knien, vor allen Tarare und Astasie.


    Der ganze Chor (sehr weit weg) singt

    Teile und, o Himmel das Geheimnis dieses Lärmens,
    dieses Leuchtens mit.


    In den Wolken besingen unisono und laut die Natur und der Genius eine Erkenntnis: dass des Menschen Größe, wer immer er sei, Prinz, Priester oder Soldat, nichts mit seinem Stand, nur mit seinem Charakter zu tun hat. Der Vorhang fällt.

    Seiji Ozawa: Complete Recordings on Deutsche Grammophon


    Obwohl Seji Ozawa Programme aufgenommen hat, die nicht unbedingt zu meinen Interessen zählten, ist diese DGG-Box seit einigen Jahren in meinem Regal. Und was ich hörte, ist von vorne bis hinten durchaus hörenswert. Es ist schade, dass dieser Dirigent und verlassen hat, aber es wird jeden von uns irgendwann treffen...

    Peter Eötvös (*1944):
    TRI SESTRI (DREI SCHWESTERN
    Oper in drei Sequenzen mit einem Prolog

    Libretto von Claus H. Henneberg und dem Komponisten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Anton Tschechow

    Originalsprache: Russisch.


    Uraufführung am 13. März 1998 in Lyon unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano und dem Komponisten als Kodirigenten.


    Personen der Handlung:
    Irina Prozorow (Countertenor oder Lyrischer Sopran)

    Mascha Prozorow, verheiratet mit Kulygin (Countertenor oder Lyrischer Mezzosopran)

    Olga Prozorow (Countertenor oder Lyrischer Alt)

    Natascha (Countertenor oder Soubrette)

    Baron Tusenbach (Bariton)

    Garnisonskommandeur Werschinin (Bariton)

    Andrej (Bariton)

    Kulygin*, Gymnasiallehrer und Ehemann von Mascha (Bass)

    Doktor Tschebutikin (Tenor)

    Hauptmann Soljony (Bass)

    Anfisa, Haushaltshilfe bei den Prozorows (Bass)

    Rodé*, Unterleutnant (Tenor)

    Fedotik*, Unterleutnant (Tenor)

    (*bei den mit Sternchen gekennzeichneten Partien hebt der Komponist den russischen Charakter der Stimmen hervor).


    Ort und Zeit: Eine russischen Provinzstadt zu unbestimmter Zeit.


    Vorbemerkung:

    Zwar liegt dieser Oper eine gradlinig voranschreitende Handlung zugrunde, doch gelangt sie so nicht zur Darstellung; stattdessen läuft das Geschehen drei Mal ab und zwar in sogenannten Sequenzen. Jede einzelne dieser Sequenzen stellt eine andere Hauptperson in den Mittelpunkt: Irina, Andrej, Mascha. Dadurch ergeben sich nicht nur Verlagerungen des Schwerpunktes, sondern auch Perspektivwechsel. Somit wird das Handlungsgerüst dreifach geschildert und erfährt dadurch auch Ergänzungen.


    Prolog:
    Der Salon im Hause der Geschwister Prozorow.
    Die drei Schwestern Prozorow – Irina, Mascha, Olga – fühlen sich in der Provinz nicht mehr richtig wohl. Seit sie vor elf Jahren das quirlige Moskau verlassen haben, hat sich die Öde ihres Daseins verstärkt. Sie empfinden das als eine Grunderfahrung, wollen das auch so annehmen, gleichzeitig wollen sie aber auch dafür sorgen, dass spätere Generationen das Unglück der „Verkümmerung“ als Glück erfahren können. Vielleicht ist aber diese vorweggenommene Quintessenz des Stücks auch nur eine Lebenslüge der Schwestern, ohne die sie an dieser Lebenslüge zugrunde gehen würden. Inzwischen kommt die Schwägerin Natascha mit einer Kerze auf die Szene und wird als eine vitale Person, aber auch mit gedankenloser Rücksichtslosigkeit ausgestattet, wahrgenommen.


    Irinas Sequenz.
    Noch mehr als ihre Geschwister sehnt sich Irina nach Moskau zurück. Sie hofft, dass sie dort den Mann ihrer Träume finden kann. Dass erkennt die älteste der drei Schwestern, Olga, auch an, aber sie rät der Jüngeren, besser den Baron Tusenbach zu heiraten. Sie muss ihn ja nicht lieben, argumentiert Olga, sie sollte jedoch dem rechtschaffenen Baron mit Pflichtbewusstsein verbunden sein.


    Den Dialog der Schwester Irina und Olga hat die andere Schwester, Mascha genannt, mit Interesse und Neugier zugleich verfolgt. Nachdem Olga gegangen ist, sieht Mascha ihre Schwägerin Natascha mit einer Kerze in der Hand kommen. Das kommentiert Mascha spöttisch, Natascha wirke auf sie wie eine Brandstifterin. Diese Bemerkung hat den realen Hintergrund eines in der nahen Stadt ausgebrochenes Feuers, das aber von den Soldaten der Kaserne gelöscht werden konnte.


    Derweil finden sich Offiziere des Regiments bei den Geschwistern Prozorow ein und sind, trotz des Brand-Einsatzes, in aufgekratzter Stimmung. Auch Maschas Mann Kulygin, der Lehrer an einem Gymnasium ist, und der alkoholisierte Doktor Tschebutikin sind unter den Anwesenden. Der Garnisonskommandeur Werschinin flirtet gerade mit Mascha, gibt aber dabei eine wichtige Veränderung bekannt: seine Einheit soll nach Polen verlegt werden. Das empfindet Irina als eine ermutigende Nachricht, kann sie doch darin ein Zeichen für den eigenen Umzug nach Moskau sehen.


    Doktor Tschebutikin kommt, was angesichts seines betrunkenen Zustands aber verzeihlich ist, an die Glasuhr der Prozorows (übrigens ein Erbstück der verstorbenen Mutter) und sie zerbricht.


    Derweil werden Werschinin und Mascha beim Flirten immer inniger und Irina versucht, allerdings erfolglos, den Hauptmann Soljony, der, wie Tusenbach, in sieAndrej verliebt ist, zum Gehen zu bewegen. Tusenbach möchte zum Hauptmann ein gutes Verhältnis haben und bietet dem Baron einen Freundschaftstrunk an, den Soljony auch annimmt, wodurch die Freundschaft beider Männer besiegelt wird. Hauptmann Soljoni ist gegenüber einigen Gästen der Prozorows agressiv und legt sich zunächst mit dem Doktor an, sucht das Streit mit Andrej, der mit seiner Schwester Olga, der Haushaltshilfe Anfisa und den Unterleutnants Fedotik und Rodé hinzugekommen ist. Andrej und Olga haben, allerdings vergeblich, die Gesellschaft um mehr Ruhe ersucht. Erst ein Auftritt der Natascha, die den Doktor über die Unpässlichkeit ihres umhätschelten Sohnes Bobik informiert, erzwingt den Aufbruch – bis auf Irina und Tusenbach. Der Baron, inzwischen auch angetrunken, macht Irina den Hof und äußert dabei die Hoffnung auf gesellschaftliche Umwälzungen. Er will sich dieser Umwälzungen würdig erweisen, indem er seinen müßiggängerischen Lebensstil radikal ändert. Dieses Bekenntnis erweckt den Widerstand von Doktor Tschebutikin, der den Baron mit sich nimmt, damit sie den sarkastischen Bemerkungen von Soljony entgehen können.


    Hauptmann Soljony hat nun endlich freie Bahn und kann Irina umwerben, die aber seine Werbung zurückweist. Das wiederum versetzt Soljony in Rage und er droht damit, etwaige Rivalen zu töten.


    Natascha taucht auf und verlangt demonstrativ von Irina, ihr Zimmer ihrem Sohn Bobik zu überlassen und zu Olga ins Zimmer zu wechseln. Jetzt kommt auch noch Anfisa und meldet Nataschas Liebhaber - und Dienstvorgesetzten von Andrej – Protopopow. Was der will, lässt Natascha ein Grinsen ins Gesicht ziehen. Dann verlässt sie den Raum, schlägt die Tür hinter sich zu und alle glauben zu wissen, dass sie sich für das Stelldichein mit Protopopow herrichtet.


    Verwandlung in den Garten der Prozorows.

    Der Tag der Auflösung der Garnison ist gekommen und die Unterleutnants Fedotik und Rodé sprechen bei den Prozorows vor, um sich zu verabschieden. Anwesend sind auch der Baron Tusenbach, Gymnasiallehrer Kulygin und Irina. Letztere hat sich inzwischen entschlossen, den Baron Tusenbach zu heiraten – genau genommen schon am nächsten Tag. Beide werden sodann nach Moskau übersiedeln. Jetzt erfährt Irina von Ihrem Schwager und Doktor, dass Hauptmann Soljony sich mit Tusenbach angelegt hat – ein Duell ist unausweichlich. Als Soljony kommt, besprengt er seine „nach Leiche riechenden“ Hände mit Parfüm, und fordert Doktor Tschebutikin auf, mit ihm zu kommen.


    Irina trifft sich mit ihrem Bräutigam Tusenbach; aber sie kann den aufgeregten Baron nicht beruhigen. Er stürmt davon; beide ahnen zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie sich nicht wiedersehen werden. Kurz darauf ist aus der Ferne ein Schuss zu hören. Der Doktor eilt herbei mit der Nachricht für Irina und Olga, dass Baron Tusenbach im Duell, das nach den Regeln abgelaufen ist, getötet wurde.


    Andrejs Sequenz:
    Der Salon im Hause Prozorow.

    Die Schwestern Prozorow sind über ihren Bruder Andrej enttäuscht: er konnte die Pläne einer Universitätskarriere in Moskau nicht verwirklichen, und muss sich nun mit einem Posten in der städtischen Verwaltung begnügen. Für Irina, Mascha und Olga liegt das am mangelnden Ehrgeiz ihres Bruders und zugleich an ihrer Schwägerin Natascha, weil sie durch ihre Liebschaft mit Andrejs Chef ihren Bruder zum Gespött der Leute in der Gemeinde gemacht hat. Aber auch die Schwestern sind mit der tristen Situation in der Provinz unzufrieden.


    An dieser Stelle kommt Natascha ins Spiel, denn sie taucht mit einer Kerze in der Hand auf und leitet damit zum Brand in der Provinzstadt über. Das Geschehen ist bereits aus der ersten Sequenz bekannt.


    Andrej kommt aufgeregt ins Zimmer und möchte mit seinen Schwestern sprechen. Aber die sind offensichtlich an einer Aussprache mit ihrem Bruder nicht interessiert, denn Mascha ist mehr an einem Treffen mit dem hinter Andrej eintretenden Werschinin, dem Garnisonskommandeur, interessiert. Sie verlässt den Raum und Olga bekommt es mit Andrejs Wunsch nach einem Gespräch zu tun. Olga aber lehnt das ebenso ab, weil der Bruder seine Frau Natascha verteidigt und seine Berufswahl rechtfertigt. Olga ist nämlich gerade mit Anfisa beschäftigt, die Angst hat, als Hausangestellte entlassen zu werden. Das ist nicht einfach aus der Luft gegriffen, denn Natascha kommt hinzu und fordert, dass die „Alte“ den Raum verlässt und dann von Olga verlangt, Anfisa zu kündigen. Da spielt Olga aber nicht mit und bringt ihre Schwägerin damit in Rage. Sie geht mit Drohungen ab.


    Dafür kommen Baron Tusenbach, Kulygin, Fedotik und Rodé, hinter denen noch der betrunkene Doktor Tschebutikin eintritt. Vom letztgenannten erfahren die Zuschauer, dass er sich den Tod einer Patientin anrechnen muss. Weil er wegen seines alkoholisierten Zustands etwas fahrig ist, geht eine Glasuhr der Prozorows zu Bruch, was er, erschreckt, zur Kenntnis nimmt, ansonsten jedoch in Selbstmitleid zerfließt.


    Ohne den Doktor und sein Jammern zu beachten, finden die anderen Anwesenden den Brand interessanter. Während Rodé über die bisher bekannten Schäden berichtet, teilt Baron Tusenbach seinen Entschluss mit, den Militärdienst zu verlassen. Dann überlegt er mit Kulygin, ob Mascha wohl bereit sein könnte, mit ihrem Klavierspiel eine Wohltätigkeits-Veranstaltung zu bereichern. Werschinin empört sich über seine Gemahlin, die ihre gemeinsamen Kinder während des Brandes im Stich gelassen hat. Währenddessen wird Irinas Klage über ihre geistige Unterforderung im Telegrafenamt hörbar. Sie geht mit Fedotik, dem einzigen in der Runde, der vom Brand betroffen ist, zum Patiencelegen in ein anderes Zimmer.


    Natascha tritt auf, als Olga gerade das Zimmer verlässt. Beide Frauen beachten sich nicht.


    In der Begleitung von Natascha ist der Hauptmann Soljony, der sie allerdings mit einer nicht gerade freundlichen Bemerkung über ihren kleinen Sohn Bobik beleidigt.


    Andrej wendet sich an den Doktor und beklagt seine schwindende Liebe zu Natascha. Tschebutikin rät ihm, die Provinzstadt schleunigst zu verlassen. Als Andrej alleine ist, gibt er zu, dass ihn die stumpfsinnige Atmosphäre anwidert. Er sieht sich allerdings nicht in der Lage, dem Rat des Doktors zu folgen. Er fürchtet sich vor dem Neuanfang in der Fremde und hofft stattdessen auf einen Neuanfang vor Ort.


    Natascha platzt in die Überlegungen und fordert aus Sorge um den Schlaf ihrer kleinen Tochter Sophie absolute Ruhe. Sie selbst hält sich aber nicht daran, denn als Anfina die Ankunft Protopopows meldet, geht sie, laut die Tür zuschlagend, ab. Zur gleichen Zeit, aber unbemerkt von anderen, verlässt Andrej mit dem Doktor durch den Hinterausgang das Haus: sie wollen in der Stadt dem Glücksspiel frönen.


    Maschas Sequenz:
    Gleiches Bühnenbild: Der Salon bei den Prozorows.

    Anlässlich ihres Namenstages hat Irina am Nachmittag zu einer Teestunde geladen. Baron Tusenbach kündigt Irina den Oberst Werschinin, den neuen Kommandeur der Garnison an. Mascha pfeift irgendwelche Schnulzen gelangweilt vor sich hin und will gerade gehen, als der Oberst sich als ein Freund der Familie – noch aus Moskau – vorstellt. Das weckt das Interesse von Irina, denn die holt sofort Olga herbei und Mascha entschließt sich, entgegen ihrer ursprüngliche Absicht, nicht zu gehen, sondern zu bleiben.


    Da tritt noch ihr Mann Kulygin hinzu, der für seine Schwägerin – zur allgemeinen Erheiterung – das gleiche Geschenk wie im Jahr davor gekauft hat. Dann wendet er sich Mascha zu und die lässt erkennen, dass ihres Mannes besitzergreifende Liebe auf “den Keks“ geht: sie weist seine Zärtlichkeiten verärgert zurück. Außerdem will sie ihren Mann auf keinen Fall am Abend zum Schuldirektor begleiten. Kulygin hat Mühe, Mascha zu bewegen, mit ihm zu seinem Vorgesetzten zu gehen, doch nach langen Diskussionen gibt seine Frau nach.


    Einige Zeit später, die Gäste sind fast alle schon gegangen, kommen sich Mascha und Oberst Werschinin etwas näher. Mascha musste die alte Haushilfe Anfisa allerdings mehrfach auffordern, Tee für den Herrn Oberst zuzubereiten. Das Publikum hört, dass die mit achtzehn Jahren mit Kulygin verheiratet worden war, dass aber auch Werschinin ein Problem hat, nämlich eine suizidgefährdete Gattin. Es stellt sich somit heraus, dass beide ihr Eheleben satt haben. Gerade als Werschinin der Mascha eine Liebeserklärung machen will, kommt Anfisa mit dem Tee für den Oberst – und einen Brief für den Militär. Und aus dem Schreiben erfährt Werschinin, dass seine Gemahlin einen erneuten Suizidversuch unternommen hat. Er bricht natürlich seinen Besuch sofort ab und verabschiedet sich.


    Nach seinem Abgang mach die hinzutretende Natascha ihrer Schwägerin Mascha Vorwürfe wegen des Gesprächs mit dem Oberst. Mascha allerdings lässt ihr Schwestern rufen und gesteht ihnen ihre Liebe zu Werschinin. Das will Olga auf keinen Fall akzeptieren und lehnt es ab, weiter zuzuhören. Die für sie wie eine Beichte klingende Liebeserklärung von Mascha kann sie nicht gutheißen, denn der Mann ist schließlich verheiratet.


    Verwandlung in den Garten des Hauses der Prozorows.

    Oberst Werschinin ist gekommen, um sich zu verabschieden, denn die Garnison ist auf Befehl aus Moskau aufgelöst worden, und man zieht sich mit Mann und Geräten aller Art zurück. Als Mascha den Geliebten umarmen und küssen will, gelingt ihr das nicht, denn sie bricht weinend zusammen. Ihre Schwestern und ihr Mann kümmern sich um sie, die plötzlich wieder, wie zu Beginn der Sequenz, vor sich hin pfeift, jetzt aber durchaus resigniert klingend...

    Gasparo Spontini (1774-1851):
    OLYMPIE
    Tragédie lyrique in drei Akten

    Libretto von Michel Dieulafoy und Charles Briffaut nach Voltaires Schauspiel

    Originalsprache: Französisch.


    Uraufführung: 22. Dezember 1819 in der Pariser Opéra,
    Erstaufführung der revidierten Fassung am 14. Mai 1821 im Königlichen Opernhaus, Berlin, Unter den Linden,
    Erstaufführung dieser revidierten Fassung, ins Französissche übersetzt, am 28. Februar 1826 in der Pariser Académie Royale de Musique.


    Personen der Handlung:

    Statira, Alexanders Witwe (Mezzosopran)

    Cassandre / Cassander, Sohn des mazedonischen Königs Antipater (Tenor)

    Antigone / Antigonus, Feldherr Alexanders und König eines asiatischen Reiches (Bariton)

    L’Hiérophante, Oberpriester (Bass)

    Hermas, Vertrauter von Antigone (Bass)

    Ein Priester (Bass)

    Arbate, Cassandres General (stumme Rolle)

    Zwei Priesterinnen (stumme Rollen)

    Chor, Ballett und Statisterie: Priester, Priesterinnen, Eingeweihte, asiatische Krieger, Soldaten, Jäger, Erntearbeiter, Seeleute, junge Griechen, junge ägyptische Mädchen, Bacchantinnen, Große des Reichs, asiatische Edle, asiatisches Volk, Amazonen, Waffenherolde, Krieger von Antigone und Cassandre, Magier, Gefolge der Königin, Wache von Antigone.


    Ort und Zeit: Ephesus, vor und im Tempel der Diana, 300 v. Chr.


    Erster Akt.
    Im Tempel der Diana.


    Wenn die Handlung der Oper einsetzt, ist Alexander der Große schon 15 Jahren tot – ermordet. Für die Tat, die bis zum Beginn der Handlung nicht aufgeklärt ist, könnte man sowohl Cassandre als auch Antigonus verantwortlich machen, denn beide hätten ein Motiv, nämlich das Verlangen nach Krone und Reich und, nicht ganz unwichtig, dass beide in Olympie, Alexanders Tochter, verliebt sind. Nach Alexanders Tod bestimmten Kriege, mit großem Hass geführt, die Zeit bis zum Beginn der Handlung dieser Oper.

    Der Eingangschor, repräsentierend die Bevölkerung von Ephesus, bejubelt die Göttin Diana, die für Frieden sorgen möge:

    Hochauf erschallt, jubelnde Klänge, vernimm, o Göttin, unser Flehen! Diana!
    Glühender Lust Weihegesänge und Dankopfer bringen wir dar,
    aus heiteren Höhen hernieder steigt Friede, gibt Freude uns wieder,
    die Flamme lodert auf von heiligen Altar.


    Das große Blutvergießen zwischen den Völkern muss beendet werden. Cassandre und Antigonus sind ebenfalls im Tempel und schwören, vom Oberpriester ermuntert, ewigen und heiligen Frieden, aber auch Freundschaft zwischen ihren Völkern zu halten. Ein Duett von Cassandre und Antigonus (mit später hinzutretendem Chor) schließt die Szene ab.


    Das Publikum erfährt, dass die Götter die Vorherrschaft des Königreichs dem Antigonus zugesprochen haben. Cassandre wiederum denkt an eine Heirat mit Olympie, die er allerdings erst wiederfinden muss. Dieses Streben nach Liebe zu Alexanders Tochter, lässt bei Antigonus Argwohn wachsen, denn Olympie ist längst ihm versprochen. Der Streit zwischen den beiden, die sich gerade noch Freundschaft schwörten, wird wieder lebendig, als Cassandre auf den Mord an Alexander zu sprechen kommt und die Frage nach dem Mörder stellt und sich rechtfertigt. Cassandre wird misstrauisch, als Antigonus behauptet, dass Olympie ihm versprochen wurde. Er gibt aber zu bedenken, dass sie vielleicht nicht mehr am Leben sei.


    Nun tritt eine Amenais auf die Szene und Cassandre erkennt in ihr sofort Olympie. Sie hat ihn auch sofort erkannt und besingt das Glück, ihren Geliebten wiedergefunden zu haben und freut sich, bald seine Gemahlin zu sein. Ein Liebesduett beendet diese Szene.


    Die Priesterin Arsana tritt auf die Szene. Sie hat vom Hohenpriester Hierophant den Auftrag bekommen, die Ehe von Cassandre mit Amenais vor den Göttern zu segnen. Arsana ist in Wahrheit die Witwe Alexanders, Statira, die unerkannt im Tempelbezirk der Diana lebt. Als das Brautpaar zum Altar Dianas schreitet, erkennt der ebenfalls im Tempel befindliche Antigonus in Amenais Alexanders Tochter Olympie. Aber auch Arsana / Statira hat eine erhellende Erkenntnis: in Cassandre erkennt sie den Mörder ihres Gatten.


    Während Antigonus seine Krieger zur Rache auffordert, vergisst Arsana als Priesterin der Diana die Segnung des Brautpaares und ruft stattdessen die Götter zur Rache am Mörder ihres Mannes und Königs an. Cassandre fleht ängstlich und zitternd um Erbarmen und Olympie sucht ihren Priester-Vater Hierophant auf, von dem sie sich eine Beruhigung ihrer Seelenqualen erhofft. Der erste Akt endet mit dem Chor

    O fluchwürdig Wort!

    Welch furchtbar’ Schrecken vermocht’s im Heiligtum zu wecken.
    Ha! Beginnen frevelhaft!
    O Tag der Schmach, o Tag der Trauer, Entsetzen fasst uns, Todesschauer!
    Donnerbeben über uns!


    Zweiter Akt.
    Im Tempel der Diana zu Ephesus.


    Ein Chor von Priestern und Priesterinnen der Diana erbittet von der Göttin Milde für die Arsena / Statira. Zu wild waren ihre Mordanklagen am Altar gegen Cassandre. Ihr Wüten haben die religiösen Weihegesänge überlagert. Das könnte man als Entweihung des Diana-Altares ansehen – ein unwürdiges Verhalten für eine Priesterin.


    Statira hofft, dass sie im heiligen Hain der Diana ihr Leid vergessen kann. Den Bund von Cassandre mit Amenais kann sie auf keinen Fall segnen, auch wenn die Götter dem Mörder offenbar vergeben, geehrt und gekrönt haben. Sie hat jedenfalls den Wunsch, ihre Tochter Olympie noch einmal wiederzusehen, glaubt aber nicht wirklich daran.


    Hat Alexanders Witwe wirklich noch nicht bemerkt, dass jene Amenais ihre Tochter ist?


    Auch Oberpriester Hierophant ist nicht auf dem Laufenden, denn in einem Gespräch mit Arsena erfährt er jetzt, dass die Priesterin in Wirklichkeit Statira, die Gattin von König Alexander und die Tochter von König Darius ist. Hierophant wirft ein, dass sie im Tempel der Diana Schutz finden werde. Aber Statira ist durch die Begegnung mit Cassandre aus dem Gleichgewicht gebracht worden und beklagt den Tod ihres Vaters, ihres Gatten und ihrer Tochter.


    Hierophant fordert Statira auf, Hymnen zu singen, denn es nahe die Fürstenbraut und mit Erstaunen gibt sich Amenais in einem Duett mit ihr als Olympie zu erkennen. Dann erfährt sie, dass Cassandre, in jener unheilvollen Mord-Nacht, ihr das Leben gerettet hat. Und dass er ihr Vater und Freund war:

    Er bietet mir die Krone.
    So vieler Zärtlichkeit, soviel Treu zum Lohne,
    welch arm’ Geschenk ist meine Hand?


    In der nächsten Szene vereinen sich Statira, Olympie und der hinzugetretene Cassandre zu einem Terzett, in dem Olympie erstmals vom Mord durch Cassandre an ihrem Vater hört. Der Mörder gesteht zwar die Tat, sieht sich allerdings als Vollstrecker eines Komplotts, was er als Entschuldigung vorbringt. Immerhin, so erklärt er weiter, konnte er Mutter und Tochter das Leben retten.


    Verwandlung auf den Platz vor dem Tempel.

    Statira bleibt trotz Cassandres Erklärungen unversöhnlich. Plötzlich hört man aus der Ferne Freudengesänge auf Statira, angestimmt von Antigonus. Der will mit seinen Kriegern der Königinwitwe in der Rache beistehen und ist damit zum Kampf mit Cassandre bereit. Auch Statira ruft im Finale des zweiten Aktes zur Rache für ihren ermordeten Gatten auf. Tatsächlich kommen auf sein Zeichen von allen Seiten Soldaten auf die Szene. Cassandre, Antigonus’ Angriff als Verrat empfindend, schwört nun Rache an dem „Freund“. Die Priester und Priesterinnen der Diana versuchen, mit Oberpriester Hierophant an der Spitze, die Streithähne zu besänftigen, finden es aber erwähnenswert, dass man den heiligen Ort „entweiht“ habe. Ungeachtet dessen, rufen Antigonus und seine Krieger, damit den zweiten Akt beendend, weiter nach Rache für den Königsmord.


    Dritter Akt.
    Verwandlung in den Tempel mit Altar der Diana.


    Olympie erfährt, dass Cassandre mit seinen Kriegern gegen Statira und Antigonus vorgeht. Sie beklagt nun ihre zwiespältigen Gefühle zu dem Geliebten. Allerdings ist ihr klar bewusst, dass die Staatsräson von ihr den Hass auf Cassandre verlangt.


    Statira fühlt sich stark genug, Antigonus die Hand ihrer Tochter zu versprechen (hat sie vergessen, dass Olympie, wie es Antigonus behauptet hat, ihm längst versprochen war?). Die aber wehrt sich gegen die Forderung ihrer Mutter:

    Unmögliches verlangt ihr von Olympien!
    Zu Füßen des heiligen Altars werde ich, den Sterblichen beweinend,
    von dem mich trennt ein grausam’ Los, mein Leben enden.
    Ah! einzig meine Tränen bleiben ihm; im Heiligtum der Götter lasst sie mich vergießen.


    Antigonus freut sich zwar über Statiras Versprechen, verlangt aber den Tod Cassandres. Dafür will er jedenfalls streiten.


    In einem Rezitativ erfährt Olympie (und das Publikum), dass Cassandre den Feldzug gewonnen hat. Er nähert sich Olympie und fordert sie auf, ihm zu folgen. Sie zögert, ist sich durch Hassrufe von Antigonus’ Kriegern auch nicht sicher, ob sie ihm folgen soll. Schwer verwundet kommt Antigonus auf den Altar zu. Plötzlich verdunkelt sich Dianas Bildsäule, Donner und Blitz fahren auf Antigonus nieder, der vom Himmel als Frevler verdammt worden ist. Im Todeskampf ruft er die Furien des Hades an, dass sie Cassandre vernichten mögen. Zum Entsetzen aller Anwesenden gesteht Antigonus, der Mörder von König Alexander zu sein, dessen Geist durch die Furien gerufen wurde und der seine Stimme mahnend erhebt.


    Im Finale jubeln Freudenchöre und Statira führt Olympie und Cassandre zusammen. Zum Schluss preisen Priester und Priesterinnen das glückliche Ende als eine göttliche Fügung:

    Hoch entzückt für dich sieh uns glühen;
    hoch entzückt huldigen dir wir, o selig Paar
    In stillem, süßem Frieden
    herrsche, beglück’ das Reich.
    Und Seligkeit hienieden stellt dich den Göttern gleich.

    (Deutsche Fassung der eingestreuten Zitate von E.T.A.Hoffmann, Berlin 1821)

    Paul Dessau (1894-1979):
    DIE VERURTEILUNG DES LUKULLUS
    Oper in 12 Szenen - Libretto von Bertolt Brecht


    Uraufführung der 1. Fassung als „Das Verhör des Lukullus“ am 17. März 1951 in Berlin, Deutsche Staatsoper;

    Erstaufführung der 2. Fassung am 12. Oktober.1951 ebenda.


    Personen der Handlung:
    Lukullus, römischer Feldherr (Tenor)

    Friesgestalten:

    Der König (Bass)

    Die Königin (Sopran)

    Zwei Kinder (stumm)

    Zwei Legionäre (Bässe)

    Lasus, Koch des Lukullus (Tenor)

    Der Kirschbaumträger (Tenor)

    Totenschöffen:

    Das Fischweib (Alt)

    Die Kurtisane (Mezzosopran)

    Der Lehrer (Tenor)

    Der Bäcker (Tenor)

    Der Bauer (Tenor)

    Tertullia, eine alte Frau (Alt)

    Frauenstimmen (Soprane im Orchester)

    Stimmen der drei Ausruferinnen (Soprane)

    Der Totenrichter (Bass)

    Eine kommentierende Frauenstimme (Sopran im Orchester)

    Fünf Offiziere (drei Tenöre, zwei Bässe)

    Sprecher des Totengerichts

    Drei Ausrufer

    Zwei junge Mädchen

    Zwei Kaufleute

    Zwei Frauen

    Zwei Plebejer

    Ein Kutscher

    Chor, Statisten: Menge, Volk, Sklaven, Schatten

    Kinderchor.


    Ort und Zeit: Rom und das Schattenreich im Altertum (etwa 56 v. Chr.).


    Szene 1: Der Trauerzug.
    Der römische Feldherr Lukullus ist gestorben und die wichtigsten Männer Roms geben seinem Katafalk das letzte und ehrende Totengeleit. Ein riesiger Fries, der sein Grabmal schmücken soll, und auf dem seine ruhmreichen Taten dargestellt sind, wird von Offizieren seines Regiments hinter dem Katafalk hergetragen. Nur das Volk, das neugierig an der Wegstrecke steht und den Trauerzug beobachtend begleitet, steht dem Ruhm des Feldherrn ablehnend gegenüber, denn es hatte nicht nur unter seiner Herrschaft zu leiden, sondern auch unter seinen Kriegen. Man darf sich also nicht wundern, dass es den Lobeshymnen auf Lukullus keinen Glauben schenkt, sondern im Chor ausruft

    Wann wird man uns mit dem Gewäsch von Ruhm verschonen?


    Zweite und dritte Szene: Das Begräbnis.
    An der berühmten Via Appia wird der Katafalk in einem Staatsakt in dem vorbereiteten Grab beigesetzt. Fünf Offiziere verabschieden sich mit militärischen Ehrenbezeigungen von ihrem ehemaligen Befehlshaber und wenden sich dann zynisch ihren Vergnügungen zu.


    Vierte Szene: In den Lesebüchern.
    Was in vielen Ländern üblich ist, wird auch in Rom praktiziert: Die Schulkinder müssen die Daten der Kriegszüge und Schlachten des römischen Eroberers auswendig lernen und wie mit dem Bogenpfeil geschossen aufsagen können.


    Fünfte Szene: Der Empfang.
    Im Vorraum zum Schattenreich muss Lukullus warten und regt sich darüber auf, dass er nicht sofort vorgelassen wird; die ihm auf der Erde gewährte Vorzugsbehandlung gilt hier nicht. Die alte Tertullia, die vor ihm an der Reihe ist, versucht ihn zu beruhigen und klärt ihn auf, dass vor den Richtern des Schattenreiches alle „Kandidaten“ gleich seien, denn auf den Nutzen eines Menschen geben sie das meiste.


    Sechste Szene: Wahl des Fürsprechers.
    Nach Tertullias Verhandlung, die schnell vonstatten geht, wird Lukullus aufgerufen und soll vor den Totenrichtern – einem Richter mit fünf Schöffen (einem früheren Fischweib, einer Kurtisane, einem Lehrer, einem Becker und einem Bauern) – Rechenschaft ablegen, ob er den Menschen „genützt oder geschadet habe“. Der ehemalige Feldherr wird aufgefordert, einen Fürsprecher zu benennen, und er wählt ohne lange zu überlegen, Alexander den Großen – offensichtlich sein großes Vorbild. Doch den kennt man hier nicht! Lukullus ist entsetzt, dass man hier den großen König und Eroberer nicht kennt und wählt den Fried, der seinen Triumphzug abbildet.


    Siebte Szene: Herbeischaffen des Frieses.
    Die Totenrichter bestehen zu Lukullus’ Erstaunen darauf, dass man die Schatten der auf dem Fries abgebildeten Menschen zum Erscheinen aufruft. Darunter sind natürlich auch Opfer seiner Machenschaften. Sein Einspruch gegen die Anordnung des Gerichts ist aber vergeblich.


    Achte Szene: Das Verhör.

    Der Fries wird von Sklaven herbeigeschafft und das Gericht ruft die Abgebildeten zur Aussage auf: ein König und seine Königin, zwei Legionäre, zwei Kinder, ein Koch und ein Kirschbaumträger sind als Zeugen aufgerufen, Lukullus’ Handlungen zu beschreiben. Das Gericht erfährt, dass der König samt seinem Reich unterworfen wurde, und seine Königin die von der Soldateska des Lukullus vergewaltigt wurde. Eine Kurtisane belastet Lukullus ebenfalls schwer, außerdem sagen zwei Kinder stellvertretend für Tausende von getöteten Kindern in den 53 von Lukullus zerstörten Städten ungünstig gegen ihn aus. Lukullus hält sich aber für schuldlos und behauptet, dass der König auch nicht gerade ein Ausbund an Gerechtigkeit gewesen sei. Lukullus verteidigt sich mit dem Hinweis, er habe schließlich auf Befehl Roms gehandelt. Das weist der Lehrer-Schöffe jedoch zurück mit dem Hinweis, dass nicht das Volk von Rom, sondern dass die Reichen hinter dem Befehl steckten. Zu Gunsten von Lukullus wird vermerkt, dass er Gold nach Rom gebracht und damit den Staatshaushalt stabilisiert habe. Plötzlich bemerkt der Richter, dass der Feldherr müde wirkt und ordnet eine Pause an.


    Neunte Szene: Rom.
    In der Verhandlungspause belauscht Lukullus das Gespräch von zwei hinzugekommenen Schatten, die das harte Los der römischen Bevölkerung schildern. Der Feldherr sehnt sich zurück nach Rom.


    Zehnte Szene: Das Verhör wird fortgesetzt.
    Das Fischweib, eine der Schöffen, hat nie etwas von dem Gold bemerkt und will wissen, was mit dem Gold geschehen sei. Lukullus wirft ein, dass er nicht „für Roms Fischweiber“ in den Krieg gezogen sei – aber mit „unseren Söhnen“ antwortet das Fischweib und teilt mit, dass man auch ihren Sohn eingezogen habe, der dann in einem der blutigen Kriege als Legionär getötet wurde. Zwei Legionäre werden aufgerufen und befragt, aber Lukullus lehnt es ab, mit diesen Zeugen zu sprechen, denn die „verstehen nichts vom Krieg“. Der Totenrichter ist von der Argumentation des Fischweibs angetan und wirft ein, dass gerade sie sehr wohl den Krieg beurteilen könne, denn sie habe ihren Sohn durch den Krieg verloren.

    Elfte Szene: Weiter im Verhör.
    Die Triumphe und Taten des Lukullus, meint das Gericht, können nicht für ihn sprechen, vielleicht aber seine Schwächen, die möglicherweise menschliche Züge auffinden ließen. Folglich lässt Lukullus seinen Koch rufen und der spricht für seinen Herrn. Als ein Liebhaber köstlicher Speisen bot Lukullus seinem Koch alle Möglichkeiten, sich zu einem Meister seiner Kunst zu entwickeln. Der Bauer, einer der Schöffen, lobt die Einführung des Kirschbaums aus Asien als die bedeutendste Tat des Feldherrn. Leider aber ist das auch ein Negativum, denn es wurden 80.000 Legionäre für die „Eroberung“ des Kirschbaums geopfert.


    Zwölfte Szene: Das Urteil.

    Diese 80.000 Gefallenen treten auf und mit ihnen spricht das Gericht schließlich das Urteil: „80 000 Menschen für einen Kirschbaum! Ins Nichts mit ihm und mit allen wie er“...


    Anmerkungen:

    1939 schrieb Brecht in seinem schwedischen (nach anderer Lesart in Dänemark) Exil das 1940 von Radio Beromünster (Bern) gesendete Hörspiel „Das Verhör des Lukullus“. Da Dessau einer Vertonung zunächst ablehnte, bot Brecht den Text Igor Strawinsky an, der allerdings auch absagte; später komponierte Roger Sessions das Radiostück „The Trial of Lucullus“ (1947).


    Unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse wurde der ursprüngliche Schluss, der Gut und Böse gegeneinander abwog und kein Urteil fällte („Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück“), in der Oper dahingehend abgeändert, dass die Richter verkündeten: „Ah ja, ins Nichts mit ihm, und ins Nichts mit allen wie er!“ Als Zwischenstation auf dem Weg von dem anfänglichen Radiostück zur endgültigen Opernfassung fungierte die Probeaufführung (als „Das Verhör des Lukullus“) im März 1951. Bereits der endgültige Titel der Neubearbeitung, „Die Verurteilung des Lukullus“, zeigt die veränderte Akzentuierung an; die Premiere fand im Oktober 1951 unter Hermann Scherchen statt. In der Inszenierung von Wolf Völker und den Bühnenbildern von Caspar Neher sang Alfred Hülgert die Titelrolle. Als verbindlich hat sich eine Fassung (5. Fassung) mit vereinfachten Dialogen anlässlich der Leipziger Aufführung von 1957 erwiesen. Auch nach dieser Version nahm Dessau für eine Neuaufführung (Regie: Ruth Berghaus) an der Deutschen Staatsoper Berlin 1960 weitere Veränderungen vor, desgleichen für eine dortige Neueinstudierung anlässlich seines 70. Geburtstages 1965, die Berghaus-Inszenierung stand bis 2000 auf dem Spielplan der Berliner Staatsoper. Eine bemerkenswerte Inszenierung realisierte Dietrich Hilsdorf 1994 in Dessau.

    (Quelle der Anmerkungen: Rolf Fath)

    Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung



    Ein lesenswertes Buch, dessen Lese-Empfehlung ich hier gut und gerne posten kann. Der Autor, inzwischen verstorben, räumt mit manchen Mythen auf, die vor allem von dem Filmemacher István Szábo und dem britischen Dramatiker Ronald Harwood und dessen Dramaturgie in "Taking Sides" zurückgehen - und auf den New-York-Times-Artikel vom Delbert Clark, der bei der Verhandlung anwesend war und der unbedingt ein Zerrbild des Dirigenten zeichnen wollte.


    Klaus Lang hat das Protokoll der letzten Verhandlung vor einer Entnazifizierung-Kommission (am 17. Dezember 1946) in der Berliner Schlüterstraße veröffentlicht und hier ergibt sich ein völlig anderes Bild. Diese Verhandlung schließt sich nahtlos an den Freispruch vom Februar 1946 in Wien an, gegen den die Alliierten aber opponierten. Und dort, wo die Verhandlung stattfand, lag die Verhandlungsführung nicht in den Händen eines "erfundenen und ordinären amerikanischen Majors", sondern wurde von zwei – kürzlich noch aktiven – Widerstandskämpfern geleitet: Alex(ander) Vogel, 37, Kommunist ud Vorsitzender der - rein deutschen - Kommission,

    Wolfgang Schmidt, Referent, etwa 40 Jahre alt,

    Karl August Neumann, Beisitzer, 49 Jahre alt.

    Jerome Kern (1885-1945):
    SHOW BOAT (Das Komödiantenschiff)
    Musical Play in zwei Akten

    Gesangstexte und Buch: Oscar Hammerstein II

    nach dem gleichnamigen Roman von Edna Ferber (1926)

    Originalsprache: Englisch.


    Broadway-Premiere am 27.12.1927 im Ziegfeld Theatre;

    West-Ende-Premiere am 3.Mai 1928 im Drury Lane Theatre, London;

    Deutsche Erstaufführung am 31.10.1970 in Freiburg, Städtische Bühnen.


    Personen der Handlung:

    Andy Hawks, Kapitän der Cotton Blossom und Theaterdirektor

    Parthy Ann Hawks, Ehefrau von Andy

    Magnolia Hawks, deren Tochter

    Gaylord Ravenal, Glücksspieler, später Magnolias Ehemann

    Kim Ravenal, Tochter von Gaylord und Magnolia

    Julie LaVerne, Mulattin, Schauspielerin, Sängerin

    Steve Baker, Schauspieler, Julies Ehemann

    Joe, Schiffsarbeiter, Queenies Ehemann

    Queenie, Köchin

    Ellie May Chipley,Soubrette, Frank Schultz’ Ehefrau

    Matrose Pete

    Frank Schultz, Tänzer.


    Ort und Zeit: Am Mississippi und in Chicago, zwischen 1880und 1927.



    Erster Akt.
    Nach der Ouvertüre sieht das Publikum die „Cotton Blossom“ (Baumwollblüte), die gerade in Natchez, einer typischen Mississippi-Kleinstadt, angelegt hat (Opening I). Andy Hawks, der stolze Besitzer des Schiffes, ist gleichzeitig auch Theaterdirektor und stellt seine Truppe mit den vier Hauptdarstellern Ellie May Chipley, Frank Schultz, Julie LaVerne und Steve Baker vor und lädt alle zur Abendvorstellung auf sein „Show Boat“ ein.


    Das Publikum muss dazu wissen, dass Julie LaVerne gerade Streitobjekt zwischen Stev, dem Matrosen Pete und der (schwarzen) Köchin Queenie ist. Der Grund ist, dass Julie eine Halskette, die Pete ihr geschenkt hat, an die Köchin weitergegeben haben soll. Julies Mann Steve dagegen hat sich mit dem Matrosen angelegt, weil der seine Frau ständig mit ominösen Anträgen belästigt. Kapitän Andy gelingt es aber mit einem resoluten Auftritt, die Streithähne zur Räson zu bringen.


    Gaylord Ravenal, Magnolias (Tochter von Andy und Parthy) und später Ehemann von Magnolia, lungert gerade am Kai herum, weil er hofft, eine günstige, soll heißen: kostenlose, Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Er trifft dort des Kapitäns Tochter (Gaylord, Magnolia: Only, Make, Believe). Die Tochter des Kapitäns ist von Gaylord sofort begeistert und verliebt sich in ihn – obwohl der schwarze Hafenarbeiter Joe sie warnt: sie möge in Liebesdingen erst mal den Ol’ Man River befragen. Noch jemand mahnt Magnolia, nämlich Julie, die meint, dass ein verliebtes Mädchen die Emotion nicht auspusten kann, wie eine Kerze (Julie, Joe, Queenie, Magnolia und Quartett: Can’t Help Lovin’ Dat Man).


    Auf der kleinen Bühne der „Baumwollblüte“ wird gerade geprobt, als Sheriff Vallon zum Entsetzen von Andy Steve und Julie verhaftet und ins Gefängnis wirft. Pete hat die beiden rachedurstig angezeigt, weil die Ehe gegen die Gesetze der Südstaaten verstoße, da es sich um Rassenmischung handle. Andy, der Theaterdirektor, ist aber ein Meister der Improvisation und weiß sich sofort mit der Besetzung seiner Tochter mit Julies, und Gaylord mit Steves Rolle zu besetzen. Auf diese Weise kann Gaylord seinen Fahrschein als Schauspieler abverdienen.


    Drei Wochen später: In einem andere Mississippi-Hafen ist die neue Besetzung mit Gaylord und Magnolia bereits Publikumsmagnet und sorgt für volles Haus. Das stört den Tänzer Frank, der gerade missmutiger Laune ist, weil seine Frau Ellie sich ihm verweigert und er sich mit ihr lautstark kabbelt. In dieser miesen Stimmung klärt Ellie die Theaterfans auf, dass das Leben beim Theater nicht immer so glamourös ist, wie man „draußen“ glaubt (Ellie, Girls, Boys: Life Upon the Wicked Stage).


    Parthy hat ein Problem mit den „Schauspiel-Künsten“ ihrer Tochter und Gaylord. Sie hält die Liebesszenen viel zu echt, doch ihr Mann schiebt das beiseite – ihn beschäftigt mehr, dass der Balkon für die „Schwarzen“ noch nicht ausverkauft ist. Das ist Queenies Chance, denn sie kann ihre Aufreißerqualitäten unter Beweis stellen (Queenie, Tänzer: Queenie’s Bally-Hoo and Dance). Gegeben wird heute ein schmalziges Melodram, untermalt von schwül-wabernder Musik (Orchester: Villain Music). Frank, der den Ärger mit seiner Frau nicht vergessen hat, legt die Rolle des Bösewichts so grimmig hin, dass er das Publikum gegen sich aufbringt und hinter die Kulissen flüchten muss. Der Theaterdirektor greift ein und versucht, das Publikum zu beruhigen, in dem er berichtet, wie es nun weiter geht – mit einer friedlichen Szene nämlich, Franks „Soft-Shoe“-Nummer (Frank: Villain’s Dance), mit der das Spiel schließlich fortgesetzt wird.


    Nach der Vorstellung nimmt das Publikum mit Interesse wahr, dass Gaylord und Magnolia sich auf dem Oberdeck der „Cotton Blossum“ treffen und dass Gaylord ihr vorschlägt, beim nächsten Halt des Schiffes, in Greenville nämlich, zu heiraten (Ravenal, Magnolia: You Are Love). Das ist eine Wendung die Magnolias Mutter Parthy überhaupt nicht gefällt und die bei ihr die Abneigung gegen Ravenal, den zukünftigen Schwiegersohn,noch steigen lässt. Dem setzt Pete noch einen drauf, in dem er Parthy erzählt, dass Gaylord einen Mann in Notwehr getötet habe. Und mit dieser Nachricht will Mutter Parthy die Heirat verhindern, muss aber entgeistert zur Kenntnis nehmen, dass ihr Mann bereits Hochzeitsgäste auf die „Cotton Blossom“ eingeladen hat. Für Parthy steht fest, dass Andy die Hochzeitsfeier als Werbung für sein „Show Boat“ nutzen will (Ensemble: Finale 1. Akt).



    Zweiter Akt.
    Orchester: Entr’acte.
    Jahre später, das Ensemble der „Cotton Blossum“ hat sich aufgelöst, genießen Magnolia und ihre Eltern, in Chicago heimisch geworden, die Sensation der Weltausstellung 1893 (Ensemble: Prelude und Opening II). Das Publikum hört, dass Parthy ihren Schwiegersohn Gaylord immer noch nicht ausstehen kann, zumal der Geschäften nachgeht, über die die Familie einfach nichts erfährt. Wir aber, das Publikum, wissen, dass Gaylord seiner Leidenschaft fürs Spielen frönt und dass er es bisher geschafft hat, den Lebensunterhalt für seine kleine Familie, zu der auch noch die Tochter Kim gehört, zu „verdienen“.


    Neue Szene: Parthy hat ein Problem mit dem Tanz Couchi-Couchi, der angeblich aus dem Orient stammt und ein eindeutig erotischer Bauchtanz ist (Orchester; Fatimas Dance). Und Gaylord behauptet, dass er Glück im Spiel gehabt habe (Gaylord, Magnolia: Why Do I Love You). In Wahrheit ist er allerdings völlig ruiniert und sieht nur die Möglichkeit, seine Familie zu verlassen. Auf der Szene wird nun der „Tanz der Wilden“ von Dahomey Village aufgeführt, eine der heißen Attraktionen der Weltausstellung (Tänzer: Dahomey). Die Akteure stammen aber alle aus New York.


    Die Handlung macht nun eine Sprung in das Jahr 1904. Ellie May Chipley, die Soubrette von der Cotton Blossom und Ehefrau des Tänzers Frank Schultz, hat mit ihrem Gatten ein Engagement im „Trocadero Club“ gefunden. Sie sind gerade auf einer Wohnungs-Besichtigung in einer zweitklassigen Pension und erleben mit, dass die bisherigen Mieter ausziehen müssen. Sie reagieren geschockt, als sie gewahr werden, wer diese bisherigen Mieter sind, nämlich Magnolia und ihre achtjährige Tochter Kim. Wir können eine gewisse Wiedersehensfreude feststellen und Frank Schultz ist auch sofort bereit, für Magnolia im „Trocadero“ wegen einer Anstellung vorzusprechen – was er für aussichtsreich hält, weil auch Julie nach ihrer Gefängniszeit als Sängerin dort beschäftigt ist. Julie versteht sich allerdings mit Jim, dem Besitzer der Klubs, nicht, weshalb sie immer wieder zur Flasche greift (Julie: Bill).


    Magnolia muss Jim vorsingen (Can’t Help Lovin’Dat Man), hat aber den Eindruck, dass der Barbesitzer nichts von ihr hält, sie nicht leiden kann und geht dann ab. Sie trifft auf den Pförtner Charlie, der ihr mitteilt, dass Julie mal wieder wegen zu viel Alkoholgenuss ausfällt – sie möge also noch einmal zurückkehren. Tatsächlich gibt Jim ihr den Job…


    Gaylord hat sich zur St.-Agatha-Schule begeben, um sich von seiner Tochter Kim zu verabschieden. Der Chor singt gerade ein Te Deum, als er Kim mitteilt, dass er sie nicht mehr wiedersehen wird (Gaylord: Only Make Believe).


    Am Silvesterabend besucht Kapitän Andy zufällig das „Trocadero“ und trifft dort zu seiner Überraschung Frank und Ellie (Orchester: Washington Post March; Frank, Ellie: Goodbye My Lady Love). Andy hört, eine weitere Überraschung für ihn, dass seine Tochter Magnolia im „Trocadero“ als Sängerin angestellt ist. Er wird aber auch Zeuge, dass das Publikum mit Magnolias Gesangskünsten nicht einverstanden ist und lautstark murrt – zum Teil mit abwertenden Bemerkungen. Die Situation spornt den alten Theaterpraktiker Andy an, spontan die Regie zu übernehmen: er treibt Magnolia an und fordert das Publikum auf, starken Applaus zu spenden (Magnolia, Ensemble: After the Ball; Orchester: Hot Time in the Old Town Tonight).


    In der Handlung ist ein Zeitsprung in das Jahr 1927 zu denken: Auf der Szene taucht die „Cotton Blossum“ wieder auf (Joe: Ol’ Man River). Andy Hawks ist jetzt 85 Jahre alt, hört mit dem 65jährigen Gaylord, der ihn aufgesucht hat, eine Radiosendung über zwei neue Stars der „Musical Comedy“: Magnolia und Kim. Die Stimmen erwecken in Gaylord Erinnerungen an alte Zeiten (Gaylord: You Are Love). Beim Halt in Greenville kommen Frank und Ellie an Bord. Das Publikum erfährt, dass auch die beiden ein Kind haben, einen Sohn, der als Filmstar Millionär geworden ist. Andy hat seiner Tochter telegraphiert, dass Ravenal aufgetaucht ist – und wird mit großer Freude Zeuge, dass sich die Familie auf der „Cotton Blossum“ wieder vereint (Ensemble: Finale 2. Akt).


    Ein - für meinen Geschmack - unschlagbares Lexikon von Komponisten aus dem Hause Propyläen - viele davon, deren Namen ich noch nie gehört hatte. Ein Freund hatte es mir vor neunzehn Jahren zum 60. geschenkt..

    Mitch Leigh (Irwin Michnick, 1928-2014):

    MAN OF LA MANCHA
    Musical Play in einem Akt mit 23 Szenen

    Gesangstexte: Joe Darion; Buch: Dale Wasserman (nach seinem Fernsehspiel

    „Don Quixote“ und dem Roman „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“

    von Miguel de Cervantes Saavedra).

    Originalsprache: Englisch.


    Off-Broadway Premiere: New York, 22.11.1965 im Anta Washington Square Theatre (ab 1968 Martin Beck Theatre);

    Deutsche Erstaufführung am 4.01.1968 im Theater an der Wien;

    West-End Premiere London: 24.04.1968, Picadilly Theatre.


    Personen der Handlung:
    Miguel Cervantes, Dichter, zugleich Alonso Quijano, ein Landjunker, genannt Don Quixote

    Sancho, sein Diener

    Hauptmann

    Gefängniswärter und Männer der Inquisition

    Gefangene in den Spielrollen:

    Aldonza, Magd

    Gastwirt (Gouverneur)

    Padre

    Dr. Sanson Carrasco (Herzog)

    Antonia, seine Braut

    Barbier

    José, Anselmo, Juan, Paco, Tenorio, Maultiertreiber

    Pedro, ihr Anführer

    Haushälterin

    Maria, Frau des Gastwirtes

    Fermina, Dienstmagd

    Maurin

    Gitarrist

    2 Pferde (Tänzer)

    Ort und Zeit: Ein Kerker in Sevilla um 1600.


    Inhalt des einzigen Aktes.
    Cervantes und sein Diener Sancho sind wegen des „Angriffs auf seiner Majestät Allerheiligste Katholische Kirche“ in den Kerker geworfen worden und müssen sich später noch vor der Heiligen Inquisition rechtfertigen. Im Kerker sind sie zusammen mit Wegelagerern, Dieben, Mördern und sonstigem Gesindel eingesperrt und werden von denen auch sofort ausgeplündert. So findet man z. B. bei Cervantes einen Roman, der als wertlos ansehen wird, weshalb das Papier verbrannt werden soll.


    Irgendjemand kommt auf den Gedanken, dass man zur allgemeinen Belustigung eine Gerichtsverhandlung „veranstalten“ könnte. Nach Zustimmung aller wird Cervantes verhört und bekennt sich dabei schuldig des Idealismus, weil er das Leben nicht so sieht, wie es ist, sondern so, wie es sein sollte.

    Der Dichter hat nicht vergessen, dass sein Manuskript verbrannt werden soll und schlägt – immer noch vor dem „Gericht“ stehend – vor, den Inhalts seines Romans gemeinsam aufzuführen. Tatsächlich sind alle einverstanden und schlüpfen in die ihnen zugewiesenen Rollen – worauf das Spiel beginnt:

    Alonso Quijano, ein alter und hohlwangiger Landjunker, will, das ist sein Entschluss, als der Ritter „Don Quixote de La Mancha“ in die Welt ziehen und alles Böse bekämpfen sowie jegliches Unrecht gut machen (I, Don Quixote, Man of La Mancha). Er hat allerdings einen starken Widerpart, der ihm das Leben schwer macht: den „Großen Magier“- der hat den Unhold Matagoger in eine Windmühle verwandelt, noch ehe der Don zu einem Angriff kommen konnte. Damit ist Quixotes erste Heldentat schon früh die Grundlage entzogen.


    Der Ritter und sein Knappe kommen auf ihrer Wanderung zu einer elenden Schenke, die ihnen aber als Schloss erscheint. In der Schenke ist der Magd (und Hure) Aldonza jedem Gast zu Diensten (It’s All The Same), aber Don Quixote sieht in ihr die Dame seines Herzens, nämlich das Ritterfräulein Dulcinea (Quixote, Maultiertreiber: Dulcinea).


    Im Landhaus von Alonso Quijanos in der Mancha, der Hochebene um Madrid, möchten Quixotes Nichte Antonio und die Haushälterin Rat vom Padre einholen, wie man den „Verrückten“ aufhalten könnte (Antonio, Haushälterin, Padre: ‚I‘m Only Thinking of Him). Antonias Verlobter Dr. Sanson Carrasco beschließt, dem „Gespött der ganzen Gegend“ nachzureisen (Reprise ‚I‘m Only Thinking of Him: Antonia: Haushälterin, Padre, Dr. Carrasco).

    Wie es sich für einen Ritter gehört, will Don Quixote einer edlen Dame, dessen Ehre er seine Heldentaten widmen kann – es ist natürlich Aldonza –, ein Schreiben überbringen, in dem er die Bitte um ein Zeichen ihrer Gewogenheit niedergelegt hat. Sancho, der das Schreiben überbringen muss, erklärt Aldonza, weshalb er seinem Herrn so treu folgt (Sancho: I Really Like Him). Aldonza kann mit dem Inhalt des Schreibens und Sanchos Schilderung allerdings nichts anfangen (What Do You Want of Me).


    Der Schenke nähert sich ein Barbier, der das Bartbecken als Sonnenschutz auf seinem Kopf trägt (The Barber’s Song). Don Quixote meint allerdings, dass die Kopfbedeckung der sagenhafte goldene Helm des Mambrino ist, der jeden Mann mit edlem Herzen unverwundbar macht (Quixote, Sancho, Barbier, Maultiertreiber: Golden Helmet).


    Da Don Quixote zu seinem Kummer noch niemals zum Ritter geschlagen wurde, bittet er den Wirt der Schenke – den er als Kastellan seines „Schlosses“ ansieht – dass er ihm diesen Ritterschlag erteilt. Dem mittlerweile samt Padre angekommenen Dr. Carrasco gelingt es nicht, Don Quixote zur Heimkehr zu bewegen (Padre: To Each His Dulcinea). Der angebeteten Dulcinea – Aldonza – sind die ritterlichen Ambitionen Don Quixotes völlig fremd – für sie ist die Welt nur ein Misthaufen, in dem sie alle als Maden herumkriechen. Für den Don bedeutet die Sendung eines Ritters die Freiheit schlechthin (Don Quixote: The Impossible Dream). Insofern wundert es nicht dass der Don Dulcineas Ehre im Kampf mit den Maultiertreibern erfolgreich verteidigt und daraufhin zum Ritter geschlagen wird (Wirt, Sancho, Aldonza: The Dubbing – Knight of the Woeful Countenance). Diese edlen Taten bringen für Don Quixote edle Früchte: Aldonza pflegt die üblen Verletzungen der böse zugerichteten Maultiertreiber, die sie zum Dank bewusstlos schlagen und in einem choreographischen Tanz vergewaltigen (Orchester: The Abduction).


    Don Quixote und sein Diener Sancho Pansa setzen ihre Reise nun fort (Don Quixote: The Impossible Dream, Reprise) – aber das Spiel wird von einem Hauptmann und von Männern der Inquisition abrupt unterbrochen: sie schleppen einen sich stark wehrenden Gefangenen hinweg. Dieser Zwischenfall hat alle Spieler in die Realität zurückgeholt und der „Herzog“ nimmt die Gelegenheit wahr, Cervantes mit der Behauptung anzugreifen, dass ihr Verrückten das Leben missachtet. Ein Mann muss sich mit dem Leben abfinden, wie es ist, schreit er lautstark. Cervantes hat eine gänzlich andere Vorstellung und entgegnet, dass es vielleicht Wahnsinn ist, sich Träumen hinzugeben und Schätze zu suchen, wo nur Schutt ist. Aber der allergrößte Wahnsinn ist, das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht so, wie es sein sollte (Reprise: I Don Quixote).


    Das Spiel wird fortgesetzt und wir sehen, dass Don Quixote räuberischen Mauren in die Hände fällt. In einem traurigen Zustand kehrt er mit Sancho in die Schenke, seinem „Schloss“, zurück, und kommentiert seine Niederlage mit den Worten, dass ein Mann wohl tausendmal unterliegen kann, dass er aber immer wieder aufstehen und den Kampf von neuem beginnen muss.


    Aldonza hat für Don Quixotes Träume nur noch Verachtung übrig, weil ihr das ja nur Schmerzen gebracht hat(Aldonza). In diesem Moment hat der „Ritter der Spiegel“ seinen großen Auftritt: er fordert Don Quixote zum Kampf heraus und zwingt ihn, in den Spiegel der Realität zu sehen, und zwar in den spiegelnden Schild seiner Gegner, der ihm immer nur das eigene Ich zeigt. Infolgedessen gibt sich Don Quixote geschlagen und sinkt zu Boden, der Ritter der Spiegel aber gibt sich zu erkennen: es ist Dr. Carrasco.


    Das Spiel wird unterbrochen, und der Hauptmann meldet, dass sich Cervantes für das Verhör der Inquisition bereithalten muss. Die Gefängnis-Insassen wollen aber noch den Ausgang des Spiels erfahren, worauf Cervantes eiligst einen Schluss improvisiert: der alte Mann, Alonso Quijano, der sich im Spiel Don Quixote nannte, liegt im Sterben und Sancho versucht, ihn zu trösten (A Little Gossip). Da drängt sich plötzlich Aldonza ins Zimmer, um den Sterbenden an die Ehre des Don Quixote und an das Ritterfräulein Dulcinea zu erinnern (Reprise Dulcinea). In Don Quixote kommt das „alte Feuer“ wieder hoch: er verlangt nach seinem Schwert, stirbt aber im gleichen Moment, worauf der Padre den Gesang des De profundis clamavi anstimmt.


    Hier wird in die Realität, den Kerker nämlich, zurück geblendet und wir nehmen wahr, dass man Cervantes sein Roman-Manuskript zurückgibt. Seine Freude über dieses Faktum ist jedoch nur kurz, denn ein kleine Schar Soldaten holt ihn mit seinem Diener Sancho zum Verhör der „Heiligen Inquisition“ ab – die Realität, wie sie ist und nicht, wie man sie gerne hätte, holt Cervantes ein…

    Zitat

    lohengrins schrieb:

    Die Musik der Neujahrskonzerte ist nicht meine. War es nie, wird es nie.

    Der Geschmack der Musikliebhaber ist sehr unterschiedlich - und das ist auch gut so. Dennoch will ich hier einige Zitate von Komponisten-Kollegen bringen, die viel über die Bedeutung von Johann Strauß (Sohn) aussagen (nach Wikipedia):


    „Ich verehre ihn nicht allein als Künstler, sondern auch als Menschen, weil mich seine außerordentliche Bescheidenheit ganz entzückt“

    Anton Rubinstein

    „Er ist der Einzige, den ich beneide – er trieft von Musik, ihm fällt immer etwas ein.“

    Johannes Brahms

    „Ich verehre ihn als einen meiner genialsten Kollegen.“

    Giuseppe Verdi

    „Johann Strauss ist der musikalischste Schädel der Gegenwart. […] Es leben alle musikalischen Genies von Bach bis Johann Strauss!“

    Richard Wagner

    „Acht Takte von Wiener Blut und ich gebe eine ganze Oper dafür – es ist viel schwerer, einen schönen Walzer zu schreiben als eine mittelmäßige Symphonie zu komponieren.“

    Richard Strauss

    Jerry Herman (Musik und Gesangstexte):
    HELLO, DOLLY!
    Buch: Michael Stewart (nach Thornton Wilders „The Matchmakers“ und seinem frühen Stück „The Merchant of Yonkers“, nach Johann Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ und John Oxenfords „A Day Well Spent)

    Originalsprache: Englisch.


    Broadway-Premiere: 16.01.1964 im St. James Theatre;

    West-End-Premiere am 2.12.1965 im Drury Lane Theatre, London;

    Deutsche Erstaufführung am 26.11.1966 im Schauspielhaus Düsseldorf. Kostüme und Bühnenbild: Jean Pierre Ponnelle.


    Personen der Handlung:
    Mrs. Dolly Meyer (Original: Dolly Gallagher Levi), Heiratsvermittlerin

    Horace Vandergelder, Kaufmann

    Ermengarde, seine Nichte

    Cornelius Hackl und Barnaby Tucker, Handlungsgehilfen

    Irene Molloy, Hutmacherin

    Minnie Fay, Verkäuferin

    Ernestina Money, reiche Erbin

    Mrs. Rose, Gemüsehändlerin

    Ambrose Kemper, Künstler

    Rudolph, Oberkellner

    Richter

    Beamter

    Passanten, Musiker, ein Pferd (2 Tänzer), Leute von Yonkers und New York.

    Ort und Zeit: Yonkers und New York im Sommer 1898.


    Erster Akt.
    Die lebenslustige Dolly Meyer, Witwe des Kurzwarenhändlers Ephraim Meyer, ist auf dem Weg nach Yonkers, um dort die zweite Ehe des wohlhabenden Horace Vandergelder unter „Dach und Fach“ zu bringen. Sie hat allerdings im Hinterkopf, selbst diese zweite Ehefrau zu sein, und gibt dem Publikum ein musikalisches Eigen-Portrait (I Put My Hand In). Ihr zukünftiger Ehemann ist allerdings ein schwieriger Typ, denn er hält alle und jeden für Narren – sich selbst natürlich ausgenommen. Sein närrischer Entschluss, eine zweite Ehe mit der Hilfe von Dolly Meyer einzugehen (It Takes A Woman), könnte aber auch nach hinten losgehen.


    Dolly Meyer, in Yonkers eingetroffen, verliert keine Zeit, ihre Rivalinnen „aus dem Weg zu räumen“. Sie schafft es, Vandergelders Interesse für die reiche Erbin Ernestina Money zu wecken, die er bereits am Nachmittag während der Parade in New York kennenlernen soll.


    Vandergelder ist einverstanden und fährt aus „geschäftlichen Gründen“ nach New York. Seine beiden Angestellten Cornelius Hackl und Barnaby Tucker haben die Kleinstadt Yonkers satt und beschließen, die Abwesenheit ihres Chefs zu nutzen, ebenfalls nach New York zu fahren, um dort Abenteuer – welcher Art auch immer – zu erleben. Dolly aber überredet Ermengarde, Vandergelders Nichte, aus der Spießbürgerlichkeit von Yonkers auszubrechen und sich den beiden Angestellten ihres Onkels anzuschließen (Dolly, Ermengarde, Cornelius, Barnaby, Ambrose: Put On Your Sunday Clothes).


    Mrs. Molloy, eine von Vandergelder in die engere Wahl für ein eheliche Verbindung gezogene Dame besitzt in New York einen Hutladen, den sie gerne für ein Abenteuer mit dem anderen Geschlecht mal verlassen würde – eine Ankündigung, die ihre Mitarbeiterin Minnie in Verlegenheit stürzt (Mrs. Molloy: Ribbons Down My Back).


    Dann geschieht das, was eigentlich unvorstellbar ist: in New York müssen Cornelius und Barnaby vor einer Zusammenkunft mit ihrem Chef fliehen und das ausgerechnet in den Hutladen von Mrs. Molloy. Dort halten sie sich versteckt, während Mrs. Molloy, Dolly und Minnie den misstrauischen Mr. Vandergelder abzulenken versuchen (Motherhood). Das gelingt jedoch nicht, denn Vandergelder bemerkt die beiden Männer, weiß aber nicht, wer sie sind. Fremde Männer im Laden seiner Braut in spe jedenfalls sind ein wichtiger Grund für den Abbruch der Bekanntschaft zu Mrs. Molloy.


    Dolly hat bemerkt, dass Cornelius von Mrs. Molloy sehe angetan ist, und sie schlägt vor, im exklusiven Harmonia-Garden-Restaurant speisen zu gehen. Dort soll Mr. Vandergelder auch jene Ernestina Money treffen. Cornelius macht schnell Inventur in seiner Geldbörse und stellt dabei fest, dass er nur noch drei Dollar besitzt – ein Grund, den Vorschlag von Dolly umgehend abzulehnen. Allerdings schiebt er die Behauptung, nicht tanzen zu können, vor. Diese Ausrede akzeptiert Dolly jedoch nicht und beginnt sofort mit einem Tanzunterricht (alle Solisten: Dancing). Dolly gesteht sich, dass sie das einfache Leben satt hat und will sich ebenfalls in das pralle Leben stürzen (Before The Parade Passes By).


    Zweiter Akt.
    (Entr’acte).
    Cornelius und Barnaby versuchen wegen ihrer finanziellen Lage Mrs. Molloy und Minnie zu überreden, dass Spazierengehen besser sei und außerdem die absolute Spitze der Vornehmheit ist (Elegance). Ihre Bemühungen sind jedoch erfolglos – der Weg führt direkt zum Harmonia-Garden-Restaurant und dort sehen sie Dolly Meyers in einer exklusiven Toilette eine geschwungene Treppe herunterkommen. Sie zieht alle Register weiblicher Verführungskünste, um bei Horace Vandergelder zu ihrem Ziel zu kommen. Sie begegnet ihm abweisend und kühl, zeichnet ihm dann aber sein elendes Junggesellendasein und ein chaotisches Familienleben – da sieht er plötzlich seine Nichte Ermengarde und seine beiden Angestellten. Cornelius wird umgehend entlassen, was der aber mit Gleichmut hinnimmt, denn die Liebe zu Mrs. Molloy hat einen anderen Menschen aus ihm gemacht (Cornelius, Mrs. Molloy: It Only Takes A Moment).


    Vandergelder wandert ins Gefängnis, weil er im Restaurant lautstark protestiert und der Besitzer daraufhin die Polizei gerufen hat. Dolly musste sich von Vandergelder verabschieden (So Long, Dearie).


    Als er aus dem Gefängnis wegen mangelndem öffentlichen Interesse freikommt und nach Yonkers zurückkehrt, ist aber auch Vandergelder ein anderer Mensch geworden, der sich eingesteht, dass er ein Narr wäre, wenn er Dolly Meyer nicht heiraten wurde. Folglich macht er ihr einen entsprechenden Antrag, den sie natürlich annimmt (Finale ultimo: Hello Dolly).

    John Kander:
    CABARET
    New Musical von Fred Ebb (Gesangstexte) und Joe Masteroff (Buch)

    nach John von Drutens Schauspiel „I am a Camera“ auf der Grundlage der Berliner Episoden-Romane "Mr. Norris Changes Trains" und "Goodbye to Berlin" von Christopher Isherwood.

    Originalsprache: Englisch.


    Broadway-Premiere am 20.11.1966 im Broadhurst-Theatre,

    West-End-Premiere London 28.02.1968 im Palace Theatre,

    Deutsche Erstaufführung am 14.11.1970 im Theater an der Wien.


    Personen der Handlung:
    Conférencier

    Sally Bowles (Cabaretsängerin)

    Clifford Bradshaw (Schriftsteller)

    Fräulein Schneider (Pensionswirtin)

    Herr Schultz (Gemüsehändler)

    Ernst Ludwig (Nazi-Funktionär)

    Fräulein Kost (Pensionsgast)

    Max (Chef des Kit-Kat-Klubs)

    Mausi

    Inge

    Heidi

    Helga

    Matrosen

    Besucher

    Nazis.


    Ort und Zeit: Berlin, Anfang der 1930er Jahre.



    Erster Akt.
    Der Conférencier, ein zu Spott neigender, durchaus fröhlicher Bonvivant eröffnet die Show im Berliner Kit-Kat-Klub, einem Kabaret-Klub (Welcome, Bienvenue).


    Clifford Bradshaw, ein US-Amerikanischer Schriftsteller, hält sich zu Recherchen zu einem zeitgeschichtlichen Roman in Berlin auf, und erlebt dort das Ende der Weimarer Republik und den Beginn der nationalsozialistischen Diktatur. Im Zug in die Reichshauptstadt macht Bradshaw die Bekanntschaft des politisch engagierten Deutschen namens Ernst Ludwig. An der Grenze geschah es dann: Ludwig konnte – unbeobachtet – seine mit Geldscheinen gefüllte Brieftasche in das kontrollierte Gepäck des Amerikaners stecken – und gesteht ihm dann anschließend, dass er – richtig professionell – schmuggelt. Dem erschrockenen Bradshaw gibt Ludwig, was offenbar beruhigend wirken soll, die Adresse der Privatpension von Fräulein Schneider.


    Fräulein Schneider verlangt für ein Zimmer zunächst 100 Reichsmark, gibt sich dann aber mit 50 Reichsmark zufrieden (Fräulein Schneider: So What). Am Silvesterabend kommt Bradshaw endlich dazu, den ihm von Ernst Ludwig empfohlenen Kit-Kat-Klub zu besuchen und hört dabei das Auftrittslied von Sally Bowles (Don’t Tell Mama). Sie ruft über das Tischtelefon des Klubs Bradshaw an und setzt sich kurz darauf an seinen Tisch. Das ist aber schon das Höchste der Gefühle, denn eine Verabredung wehrt sie entschieden ab (Ensemble: Telephon Song).


    Cliff Bradshaw erteilt Ernst Ludwig Englisch-Unterricht; unerwartet erscheint Sally und erklärt, dass ihr Chef Max sie gefeuert habe, weil sie dem „Amerikaner“ zu viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Plötzlich kommt ein Taxifahrer mit Sallys Gepäck, und noch ehe Cliff Einwände erheben kann, macht sie es sich in seinem Zimmer gemütlich. Sally malt sich die Zukunft schön (Sally, Cliff: Perfectly Marvellous).


    Im Kit-Kat-Klub zieht der Conférencier seine große Show ab (Conférencier: Two Ladies). Die Schneider meckert mit dem Pensionsgast Frl. Kost wegen zu häufiger Männerbesuche und ein Herr Schultz, Besitzer eines Gemüseladens, macht der Schneider Avancen und übergibt ihr eine Ananas, ein durchaus exotisches Geschenk (Schneider / Schultz: It Couldn’t Please Me More). Im Kit-Kat-Klub singen die Kellner eine Hymne auf’s Vaterland im Nazi-Jargon (Tomorrow Belong To Me).


    Sally hat sich inzwischen in Cliffs Wohnung eingerichtet, was an der überall verstreuten Kleidung abzulesen ist. Ordnung zu halten scheint also nicht ihre große Leidenschaft zu sein. Cliff aber fühlt sich trotzdem wohl (Why Should I Wake up). Sally eröffnet ihm, dass sie in Kind von ihm erwartet, worauf er einen Job bei Ludwig annimmt: Er steigt in den Devisenschmuggel ein. Auch im Kit-Kat-Klub ist das Geld der Hauptgesprächsstoff (Conferencier: Sitting Pretty – The Money Song).


    Fräulein Kost, gerade noch von der Vermieterin Schneider wegen ihrer vielen Männerbekanntschaften gerügt, beobachtet, dass Herr Schultz aus dem Zimmer der Schneider kommt. Er macht die Kost sprachlos und überrascht die Schneider mit der Ankündigung, dass er sie (Fräulein Schneider) heiraten will (Schultz, Schneider: Married). Auf der Verlobungsparty ist auch Ernst Ludwig als Gast dabei – er trägt das Hakenkreuz auf seinem Jackett. Cliff weigert sich übrigens, für geleisteten Devisenschmuggel einen Scheck anzunehmen; Sally hat keine Probleme und nimmt das Papier für Cliff an. Dann wird es interessant: Herr Schultz, der etwas zu viel Schnaps getrunken hat, stimmt ein Lied an (Meeskite), das ihn als Juden kennzeichnet, was sofort zu einer unterkühlten Stimmung führt. Ernst Ludwig und seine Freunde singen nun ihre eigene Musik (Tomorrow Belongs to Me [Reprise]- Finale 1. Akt).


    Zweiter Akt.
    Die Band des Kabarett-Klubs und die Tanzgirls, geben zu Beginn eine große Tanznummer, die mit einer Fanfare beginnt und mit einem Stechschritt-Marsch endet. Im Laden von Schultz gesteht Fräulein Schneider, dass das Gebaren der Nazis sie beunruhigt, was Herr Schultz veranlasst, das Fräulein über ihre Ängste hinweg zu helfen und ihr vorzuschlagen, die Verlobung nicht aufzulösen, weil er ja Jude ist (Married) und sie Schwierigkeiten bekommen könnte. Das ist der Moment, wo ein Stein durch das Schaufenster fliegt.


    Der Conferencier des Kit-Kat-Klubs präsentiert sein „Mädchen“ (faszinierend und abstoßend zugleich), nämlich einen Gorilla (If You Could See Her Trough My Eyes). Die Schneider kommt zu Sally und Cliff und gibt ihnen das Verlobungsgeschenk zurück, weil sie die Verlobung aus Angst vor der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten gelöst hat – sie will nicht einen Juden heiraten (What Would You Du), der sie schnell zur Witwe machen würde.


    Cliff ist über das Geschehen, das ihm sehr nahe geht, entsetzt und drängt Sally, Berlin zu verlassen und mit ihm in die Vereinigten Staaten zu gehen. Sally aber träumt von einer Karriere beim Kabarett und geht in den Kit-Kat-Klub. Cliff gibt nicht auf, folgt Sally und gerät dort in eine Auseinandersetzung zwischen Sally und Ernst Ludwig, worauf Cliff eingreift, jedoch von den Nazi-Freunden Ludwigs zusammengeschlagen wird. Sally erhält eine große Solo-Nummer, in der sie ihre Lebensphilosophie ausbreiten kann: Das Leben ist ein Kabarett und das ist ihre Welt (Cabaret).


    Cliff packt seine Habseligkeiten, wird dabei von Sally überrascht. Ihm fällt auf, dass Sally ohne ihren Pelzmantel daher kommt. Als er sie darauf anspricht, gesteht sie ihm, das gute Stück verkauft zu haben, damit sie das Hindernis für eine große Karriere im Kabarett-Businesss beseitigen lassen kann: das Kind. Cliff ohrfeigt sie und legt ihr eine Zugkarte auf den Tisch. Im Zugabteil hört er die Stimmen von Sally, Fräulein Schneider und Herrn Schultz wie Geisterstimmen (Finale 2. Akt).

    Im August 1970 bei den Salzburger Festspielen: Auf dem Programm steht eine Reprise der "Zauberflöte" in der Inszenierung von Oscar Fritz Schuh und mit dem Bühnenbild von Teo Otto.


    Die Malaisse geschah direkt am Anfang. Peter Schreier als Tamino hatte gerade "Zu Hilde, zu Hilfe, sonst bin ich verloren" angestimmt, als sich der Vorhang wieder schloß. Die Wiener Philharmoniker verstummten peu a peu (wie bei Haydns "Abschiedssymphonie") und Wolfgang Sawallisch, der Dirigent des Abends, verließ sichtlich verärgert das Pult.


    Was war geschehen?


    Eine riesige Kulissenwand ließ sich wegen eines gerissenen Drahtseils nicht verschieben. Ein Sprecher trat vor den Vorhang und bat für die technische Panne um Verzeihung und gleichzeitig um Geduld. Etwa zwanzig Minuten später kam Sawallisch zurück und die Introduktion begann von neuem - Peter Schreier hatte sich in der Gewalt und ließ sich nichts anmerken, Profi halt. Der Beifall am Schluss des ersten Aktes war ungewöhnlich lang...

    Verspätet zwar nenne ich den Spanier Tomás de Torrejon y Velasco (1644-1728). Der Schüler von Hidalgo ist der Komponist der 1701 im peruanischen Lima aufgeführten Oper der neuen Welt. Der Text stammt von Calderón de la Barca - eine Version mit komischen Elementen und Figuren der von Ovid her bekannten Sage über Venus und Adonis.


    Tomas de Torrejon y Velasco (1644-1728): La Purpura de la Rosa (Exklusiv für jpc), 2 CDs


    Andrew Lawrence-King Edition. CD03 - La Púrpura De La Rosa - La ...

    1830, am 25. August, erlebte das Brüsseler Theater „La Monnaie“ nicht nur die Uraufführung von Aubers „Die Stumme von Portici“, sondern die Oper war auch der Anlass für eine Revolution gegen die ungeliebte niederländische Herrschaft. Auslöser war das Duett „Amour sacré de la patrie“ (Die heilige Liebe zum Vaterland). Das Publikum geriet in Erregung und als Massaniello mit einer Axt in der Hand sang: „Laufet zur Rache! Die Waffen, das Feuer! Auf dass unsere Wachsamkeit unserem Leid ein Ende bereite!“ erhob sich das Publikum und rief „Aux armes!“ (Zu den Waffen!). Die nach der Aufführung ausgelösten Unruhen führten zur belgischen Revolution und schließlich zur Unabhängigkeit Belgiens.

    1968 war Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ Anlass für einen Skandal in Hamburg: Studenten hatten die Bühne besetzt und Spruchbänder, eine rote Fahne und ein Bildnis Che Guevaras aufgepflanzt. Damit sollte die Veranstaltung abgebrochen bzw. eine Diskussion mit dem Premierenpublikum erzwungen werden. Die Presse hatte den Eklat allerdings tatkräftig vorbereitet. Der Intendant des NDR, der das Konzert live übertragen wollte, sah sich genötigt, die Polizei zu rufen und den Saal stürmen zu lassen. Während Hans Werner Henze sich mit den Podiumsbesetzern solidarisierte und in die „Ho-Chi-Minh“- einstimmte, wurde der Librettist Ernst Schnabel irrtümlicherweise von der Polizei verhaftet. Die Veranstaltung musste schließlich abgebrochen werden, der NDR sendete stattdessen einen Mitschnitt der Generalprobe.

    Heinrich von Herzogenberg (1843-1900):
    DIE PASSION

    Kirchenoratorium in zwei Teilen für Gründonnerstag und Karfreitag op. 93

    Libretto vom Komponisten nach Texten der Heiligen Schrift.


    Uraufführung am 3. April 1897 in Berlin.


    Besetzung:
    Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Bass

    Vierstimmiger gemischter Chor

    Harmonium und Orgel

    Streichorchester.


    Im ersten Jahrgang der von Friedrich Spitta und Julius Smend herausgegebenen Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst (1896/97)
    findet sich eine Vorstellung des Werkes durch den Komponisten selbst, die hier ungekürzt im Wortlaut als authentische Werkeinführung wiedergegeben wird:


    Erster Teil.

    Der Einleitungschor über die Worte: „Lasset uns aufsehn auf Jesum...“ (Hebr.12,2 und Joh. 20,31) fordert die Gemeinde zur Betrachtung des Passionsgeschehens auf. Er ist in der Art eines Mottos, durchaus einstimmig und sehr knapp gehalten. Die harmonische Wendung vom C-dur auf den g-moll-Dreiklang, die hier im vierten Takt und noch an mehreren Stellen gebraucht wird, kehrt im zweiten Teile gleichsam als Leit-Harmonie oft wieder. Dem folgenden Gemeindechoral: „Halt im Gedächtnis Jesum Christ“ ist ein kurzes Orgelspiel voraus gestellt, welches die Anfangszeile der Melodie „Herr, wie du willst“ imitatorisch verwendet. Als Nachspiel dient die Umkehrung dieser Melodie.


    Der Evangelist erzählt dann von den Vorbereitungen zur Fußwaschung; der Chor schiebt bei Betrachtung der liebevollen Demut Jesu ein kurzes Stück ein: „Siehe, wie Jesus geliebt hatte die Seinen“ (Joh. 13,1) In den folgenden Wechselreden zwischen Petrus und Jesus sind die ihnen beigegebenen Motive festgehalten: Petrus charakterisiert sich durch die sich überstürzende Natur seiner noch nicht auf Erkenntnis beruhenden Liebe; Jesus durch die leise Wehmut, die den feierlich-priesterlichen Ton seiner Reden durchzieht. Nach den Worten des Evangelisten: „Da sahen sich die jünger untereinander an, und ward ihnen bange, von welchem er redete“ klopft sich die Gemeinde (der Chor) in eignem Schuldbewusstsein an die Brust: „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz ...“ (Psalm 139, 23.24)


    Johannes thut die bange Frage: „Herr, wer ist’s?“ und Jesus giebt den eingetauchten Bissen an Judas Ischariot. Dieser entfernt sich, „und es war Nacht“, die Nacht der Sünde. Der Erkenntnis der Sünde folgt Reue und Buße; so fällt der Chor mit Worten aus Psalm 130 und 51 ein. Die Aufgabe war keine leichte, diesen Stoff, den nur ein großes selbständiges Werk erschöpfen könnte, auf den knappen Raum einer Zwischennummer zusammenzupressen, ohne die herrliche Dichtung um ihre Wirkung zu bringen. Ich glaubte sie durch starke aber kurzgefasste Thematik, nahe aneinander gerückte Kontraste, vor allem aber durch möglichst symmetrischen und durchsichtigen Bau lösen zu sollen.

    Nun wendet sich die Betrachtung dem Abendmahle zu. Die Gemeinde singt die beiden Strophen: „Schmücke dich, o liebe Seele“ und „Jesu, wahres Brot des Lebens“; eingeleitet wird der Gesang durch ein Vorspiel, in welchem sich die Violoncelle der Orgel anschließen und mit ihr die erste Melodiezeile imitatorisch verarbeiten. Nach der ersten Strophe treten die Bratschen mit Zwischenspiele hinzu; und als Nachspiel, das weiter ausgeführt ist, auch die Geigen und Bässe. Dieses Hereinziehen der Streichinstrumente geschah, um dem Vortrag mehr Ausdruck und Innerlichkeit zu verleihen, als der unbewegliche Orgelton allein geboten hätte. Ist der Musikchor von der Orgel aber durch einen zu weiten Raum getrennt, dann muss eben auf diesen Schmuck verzichtet werden, und die Orgel trägt diese Sätze auf kontrastierenden Klavieren allein vor. Die Einsetzungsworte werden in Form eines Ariosos, mit schlichten Melismen durchsetzt vorgetragen; ihnen folgt, mit Hinzutritt der Streichinstrumente, ein Satz von festerem Gefüge auf die Worte: „Bleibet in mir, und ich in Euch ...“ (Joh. 15,4.5).


    Unmittelbar an diese Segensworte Christi schließt sich ein großer Dankchor an. Der Text - er ist der „Lehre der zwölf Apostel“ entnommen - atmet den männlichen, freien und kräftigen Geist der früh-christlichen Kirche. Um den Ton dieser alten Hymne festzuhalten, aber auch um die Fülle des gebotenen Textes in eine einheitliche Form gießen zu können, griff ich auf den einstimmig rezitierenden, unbegleiteten Gesang zurück, wie ihn jene Zeiten kannten, wie er in der katholischen Kirche sich bis auf die heutigen Tage erhalten hat, ohne mich aber darum den musikalischen Motiven des gregorianischen Gesanges anzuschließen.


    Das Gebet, von dem wir nur einen Teil bringen konnten, zerfällt in einzelne Abschnitte, die jedesmal in einen litaneiartigen Ruf auslaufen. Um die Strophen von ihren Refrains zu trennen, gab ich erstere einem einstimmigen Männerchore, letztere dem vollen Chor mit Hinzutritt aller Instrumente. Dadurch entging ich auch der Gefahr der Monotonie, wiewohl sich diese Gruppe viermal zu wiederholen hat. Von demselben Gesichtspunkte ausgehend und wohl auch angeregt durch die größere Innigkeit zweier Stellen, ließ ich in der dritten und vierten Strophe auch die Männerstimmen kurze vierstimmige Sätzchen singen, jedoch unbegleitet wie ihre ganze Partie, und beiderseits durch einstimmige Stellen eingeschlossen. An den letzten Refrain schließt sich ein kurzes fugiertes „Amen“ des vollen Chores an.


    Der Evangelist leitet nun mit den Worten: „Solches redete Jesus, und hob seine Augen auf gen Himmel und sprach“, in das Hohepriesterliche Gebet über. Auch hier ist der Stoff in seiner Ausdehnung und Bedeutsamkeit ein gewaltiger. Professor Spitta hatte den glücklichen Gedanken, die Gebetsworte Jesu dreimal durch kurze Chöre zu unterbrechen; mit war dadurch aber die Aufgabe vorerst nur erschwert worden, da die Texte derselben formal und inhaltlich ganz selbständige Gebilde erforderten. Das Stück schließt mit den beiden Zeilen: „Liebe, dir ergeb‘ ich mich, dein zu bleiben ewiglich“ aus dem Chorale „Liebe, die du mich zum Bilde“. Ich stellte nun zwischen diesen Chorsätzen dadurch eine nicht nur musikalische, sondern auch Stimmungseinheit her, dass ich die Melodie dieser Choralzeilen unter die Singstimmen der drei vorausgehenden Chorsätze als basso ostinato legte. Die musikalische Einheitlichkeit war dadurch, sowie durch die immer wiederkehrende selbe Tonart dieser Zwischensätze, gerettet; der Stimmungswert dieser vorausgreifenden Verwendung des Chorales kann sich aber natürlich nur dem Wissenden erschließen: ein Schicksal, das diese Nummer mit vielen ähnlichen Gebilden bei Bach und Anderen teilt. Die Gebetsworte Jesu habe ich bei erhöhten Momenten der Empfindung auf die alte Intonation jenes Gebetes gegründet, das uns Jesus selbst gelehrt hat, des „Vater unser“, wie sie nicht nur in der alten, sondern auch in der evangelischen Kirche gebräuchlich ist.


    Mit den angeführten Choralzeilen im Sopran und einem zweimaligen Amen schließt diese Nummer; die Orgel leitet mit dem Anfangsmotiv der Melodie „An Wasserflüssen Babylon“ in den Schlusschoral des ersten Teiles über, der von der Gemeinde auf den Text: „Mein Lebetage will ich dich aus meinem Sinn nicht lassen“ gesungen wird.


    Zweiter Teil.

    Gleich mit dem Eingangschore des zweiten Teiles wandelt sich die Grundstimmung des Werkes um. Wie Jesus sich mit seinen Jünger vom Abendmahle erhebt und dem Ölberge zuschreitet, so rafft sich die Gemeinde auf, um ihm dorthin zu folgen. Der Chor singt die Worte: „Stehet auf und lasset uns mit Jesu gehen.“ Die fugierte Form wurde hier aus poetischen Gründen gewählt, um den allmählichen Aufbruch der Gemeinde zu schildern. Ein homophones Seitenthema über die Worte: „auf dass wir erkennen, dass er den Vater liebet und also thut, wie ihm der Vater geboten hat“, tritt zuerst in der Seitentonart, am Schlusse in der Haupttonart auf. In der Mitte des Stückes, in der Durchführung, bringt der Text: „Es kommt der Fürst dieser Welt, und hat nichts an ihm“ neue töne in das Gesamtbild; und so haben wir einen breit ausgeführten Sonatensatz vor uns. Die Gemeinde tritt unmittelbar nach dem Schlussakkord mit der Melodie: „Mach`s mit mir, Gott“ ein und singt die beiden Strophen: „Mir nach, spricht Christus, unser Held“, und „So lasst uns denn dem lieben Herrn mit Leib und Seel` nachgehen“. So öffnet sich, mit sanft ausklingenden Orgeltönen, das Portal zum Schauspiel der Qualen und Schmerzen des Erlösers. Die Gemeinde findet aber, im Besitz der Heilswahrheit, die Kraft und den Mut, die Trauer um das Leiden Christi mit Akzenten des Dankes, der innigen freudigen Gottesliebe, ja des Triumphes zu durchsetzen. Und darin unterscheidet sich diese Passion von allen ihren Vorläufern. Von der Handlung wird gerade nur so viel verwendet, wie als Grundlage für Betrachtung und Gebet erforderlich war.


    Die nun folgenden Recitative des Evangelisten, auf die Melodie: „O Haupt voll Blut und Wunden“ aufgebaut, sind absichtlich in viel reicherem Maße mit Zwischen tönen, Erweiterungen u.s.w. durchsetzt als diejenigen des ersten Teiles. Nur selten tritt die Melodie ganz unverbrämt in die Erscheinung, und dann meist mit einer bestimmten, leicht herauszufindenden Absicht; so gleich anfangs bei den Worten: „Da nun Jesus wusste alles, das ihm begegnen sollte“, und später sogar im Munde von Pilatus: „Sehet, das ist euer König!“ Jesus hält durch die erste Partie, die Gefangennahme, wieder gewisse Harmonie- und Melodie-Eigentümlichkeiten fest, die mir der Situation zu entsprechen schienen. Die Kriegsknechte rufen ihr zweimaliges „Jesum von Nazareth“ - das zweite Mal um einen halben Ton höher - auf Grundlage von Akkorden, die gegen die vorhergehenden stark kontrastieren. Hier zeigt sich schon ein Kunstmittel an, das in der Folge stets verwendet wird, wo es gilt, auch die Chöre der Juden von dem Übrigen loszulösen und herauszuheben; es ist, als ob ein Riss durchs Bild ginge, so oft die feindlichen Mächte eintreten.


    Ergriffen von den liebeüberströmenden Worten Jesu: „Suchet ihr denn mich, so lasset diese gehen“, singt der Chor über leisen und ruhigen Harmonien: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil ...“; als Mittelsatz tritt zu den Worten: „Darum so die Bösen an mich wollen ...“ (Psalm 27,1.2) ein heftiges und rauhes Thema in kurzem Fugato ein. - An die weitere Erzählung vom Knechte Malchus und die Worte Jesu: „Soll ich den Kelch nicht trinken ...“ knüpft der Chor eine Bearbeitung des Chorales: „Was Gott thut, das ist wohlgethan, muss ich den Kelch gleich schmecken ...“ Die Anknüpfung an das Wort „Kelch“ ist nur eine äußerliche; die innerliche beruht auf der Ergebung in Gottes Willen. Mit den ersten Melodieschritten, in ihrer Verkleinerung zu Achtelnoten, durchziehen die Streichinstrumente den ganzen Satz; die drei oberen Singstimmen bringen dazu die Motive der einzelnen Zeilen in Viertel-, der Bass in Halben-Noten.

    Die Erzählung schreitet bis zu den Worten Jesu fort: „Was schlägest du mich?“; hierauf folgt ein Arioso für eine Altstimme. War es schon an sich geraten, die allzudichte Aufeinanderfolge von Chorsätzen einmal zu durchbrechen, so schien mir gerade der Text: „Christus hat uns ein Vorbild gelassen ...“ (1.Petri 2, 21.23) weniger zu lyrischer Ausbreitung geeignet. Die Begleitung - ausnahmsweise nur dem Streichorchester überlassen - drückt in ihren Harmonien das schmerzliche Bild des geschlagenen göttlichen Antlitzes aus.


    Pilatus fragt: „Was bringet ihr für Klage wider diesen Menschen“, und die Juden antworten: „Wäre dieser nicht ein Übelthäter...“. Zum ersten Male erscheint das den Volkschören zugesellte Motiv, aus kreischenden und heulenden Tönen zusammengesetzt; ebenso gleich darauf: „Wir dürfen niemand töten.“ Im Verlaufe des Stückes trachtete ich, bei jedem neuen Eintritt dieser Chöre den Sprung in den Tonarten immer zu vergrößern. Da das Orchester stets vorausschlägt, bietet sich der Ausführung keine nennenswerte Schwierigkeit. - Der Sänger der Partie des Christus möge nicht übersehen, dass in den Verhören vor Kaiphas und Pilatus auch kraftvolle und stolze Töne angeschlagen werden; er hüte sich aber vor aufgeregter Leidenschaftlichkeit. Den Worten: „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme“ fügt das Harmonium zwei Takte schmerzlichen und doch ergebenen Ausdrucks hinzu, die in der Folge wiederkehren und an Bedeutung gewinnt.


    Pilatus thut endlich die große Frage: „Was ist Wahrheit?“; auf schwankenden Harmonien wird mit dem Motiv des folgenden Stückes in dasselbe übergeleitet; wie ein Echo tönt es vielfältig zurück: „Was ist Wahrheit?“ Und nun wird derselbe Gedanke zuerst von Solostimmen, dann vom Chor mit der ängstlichen Frage: „Herr, wohin sollen wir gehen?“ erfasst. In immer dichterer Verstrickung kanonischer Imitationen werfen sich die Stimmen das Thema zu; die Stimmung wächst bis zu leidenschaftlicher Höhe an, um sofort zu verzweifelter Ratlosigkeit zusammenzusinken. Da ertönt, zuerst von einer Stimme vorgetragen, dann vom Chor aufgenommen, die erlösende Antwort: „Du hast Worte des ewigen Lebens“; und es entwickelt sich über die folgenden Worte: „Wer da bleibet in deiner Rede, der wird die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird ihn frei machen“ ein Wechselgesang zwischen Solo- und Chorstimmen, der zu einem breiten und kräftigen Schluss führt. In dieser Stimmung kann nun die Orgel das Motiv der Frage wieder aufnehmen, denn diese hat ihre Beantwortung im glauben gefunden; und die Gemeinde darf mit den Liedstrophen: „Ach bleib mit deinem Worte ...“ und „ Ach bleib mit deinem Glanze ...“ diesen Abschnitt beschließen.


    Die folgenden Partien des Evangeliums kann ich hier übergehen, da das Allgemeine darüber schon gesagt ist. - Der Evangelist singt bei der Stelle: „Da überantwortete er Jesum, dass er gekreuziget würde“ auf dem Wort „gekreuzigt“ eine schmerzerfüllte Tonreihe, die, mit kleiner rhythmischer Umgestaltung, das ganze folgende Stück - eine Bearbeitung des Chorales „Herzliebster Jesu“ - durchzieht. Der zu Grunde gelegte Text: „O große Lieb`, o Lieb` ohn` alle Maßen, die dich gebracht auf diese Marterstraßen! Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden, und du mußt leiden!“ atmet eine so leidenschaftliche Beteiligung der christlichen Gemeinde an den Schreckensbildern der Kreuzigung, dass sich der Ausdruck fast bis zu dramatischer Höhe steigern durfte.

    Nach den Worten des Evangelisten: „Allda kreuzigten sie ihn“, die der früheren Tonfigur unterlegt sind, setzt im Harmonium ein neues Motiv ein, welches mit seinen harmonischen Rückungen und Verschränkungen später als Folie für die letzten Worte Jesu am Kreuz dienen wird. Hier galt es, die furchtbare Szene mehr anzudeuten, durch wortlose Tonsprache mehr zu verhüllen als zu schildern. In stockender und fast flüsternder Weise vollendet dann der Evangelist seinen Satz. - Nach den ersten, Maria und Johannes betreffenden Worten Jesu entwickelt sich eine Bearbeitung des Chorales: „O du Liebe meiner Liebe“. Mit der Verkürzung des Themas umspielen die Bratschen einen freien Satz von vier Solostimmen, während dem Alt-Chor die Melodie zugeteilt ist.

    Das Evangelium wird beschlossen: „Und neigete das Haupt und verschied“. Hier war der Moment gegeben, die durch Christi Tod erlöste Gemeinde aus der menschlichen Trauer zum großen Gesichtspunkt des Triumphes zu erheben, bis zu jenem mystischen Gedanken: „Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Ehre, Preis und Lob“. Unvermittelt durften jedoch diese Töne nicht angeschlagen werden, und so stellte sich der Text: „Weine nicht; siehe es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlechte Juda“, beide Grundstimmungen in sich vereinigend, zwischen die Trauer um den Tod Jesu und den Siegeshymnus der erlösten Christenheit. Ich habe es seit meiner frühesten Bekanntschaft mit Bachs Matthäuspassion immer als nicht hingehörend empfunden, dass die Gemeinde nach dem Tode Jesu sich in Einzelindividuen auflöst, und jeder für sich an seinen eigenen physischen Tod denkt, statt seine Gedanken auf die Überwindung des Todes der Menschheit durch Jesu Opfertod zu richten. Bei Professor Spitta fand ich zu meiner Genugthuung denselben Gedankengang vor, und so wagten wir etwas, das in dieser Konsequenz ohne Vorgang ist. Die Zeit wird entscheiden, ob wir damit einen Missgriff gethan haben; anfängliches Befremden allein könnte uns nicht davon überzeugen.


    Diese Nummer hat folgenden Gang: Auf einem einzelnen fremden Tone, der anfangs noch gar keine Tonart zu erkennen giebt, klopft die Bratsche in unregelmäßigen Pulsschlägen wie ein Herz, das im Schmerz still zu stehen droht. Die einzelnen Stimmen des Chores rufen sich - aber thränenüberströmt - die Mahnung zu: „Weine nicht!“ und raffen sich bei den Worten „Siehe, es hat überwunden der Löwe...“ in kurzer Steigerung zweimal zu höchster Kraft empor; dann sinkt der Chor in die Tiefe: „Weine, weine nicht!“ Und nun, nach kurzer Pause, ertönt in glänzenden, aber feierlichen Akkorden die Siegeshymne: „Das Lamm, das erwürget ist...“ Die folgende Amen-Fuge ist von diesen Tönen durchzogen und steigert sich in der Koda bis zu höchster Wucht und Breite.

    Unmittelbar daran - um den Überschuss der Helligkeit gegen den Schluss hin wieder abzudämpfen - schließt der Chor, in leisen Harmonien, die Melodie: „O Haupt voll Blut und Wunden“ mit dem Vers: „Du hast mich ja erlöset“, durchsetzt mit Betrachtungen der Solostimmen über den Text: „Daran haben wir erkannt die Liebe, dass er sein Leben für uns gelassen hat, auf daß wir in ihm Frieden haben. In der Welt habt ihr nun Angst; aber seid getrost: er hat die Welt überwunden.“ Die Gemeinde fällt mit dem Vers: „Hilf, dass ich ja nicht wanke“ ein, und nach dem Beschluss: „Gottlob, es ist vollbracht!“ erhebt sie sich, bei ihrem Ausgange noch durch ein ernst-kräftiges Orgelnachspiel begleitet. Es liegt in einer kürzeren und einer längeren Fassung; je nach der Größe der Gemeinde mag die eine oder andere gewählt werden; beherrscht ist das Nachspiel von der ersten Zeile des Schlusschorales; der längeren Fassung ist eine Choralfuge in die Mitte gestellt.


    Musste der Komponist schon bei Abfassung dieses Werkes der allzu persönlichen Laune seiner künstlerischen Phantasie Schranken setzen, so hofft er, dass es ihm auch als Berichterstatter gelungen sein wird, den Standpunkt reiner Sachlichkeit keinen Augenblick aus dem Augen zu verlieren. Dass er aber schließlich doch für sein Werk einstehen musste, wird ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden.