Hallo
Während der Coronazeit schälte sich bei vielen von uns die Überzeugung heraus, dass der Erhalt der Kultur und damit auch das finanzielle Überleben der Kulturschaffenden nicht hoch genug angesiedelt werden können. Mittlerweile sind die meisten Künstlerinnen und Künstler „über den Berg“ und wir freuen uns, wenn uns wieder die Kultur geboten wird, die wir individuell schätzen und lieben.
Auch wenn ich seit Beginn der Coronapandemie kein Konzert mit Theodor Currentzis mehr erlebt habe, verdanke ich ihm doch einige der intensivsten Konzerterlebnisse der Vor-Coronajahre.
Unabhängig davon frage ich mich allerdings, mit welchem Recht wir an diejenigen, die unsere kulturellen Wünsche in Erfüllung gehen lassen, Ansprüche hinsichtlich ihrer Haltung definieren. Sind doch sie es, die uns etwas geben. Und wenn sie diesen Ansprüchen nicht genügen, dürfen sie nicht mehr für uns „aufspielen“?
Haben wir da nicht einen Knoten in der Beziehungsebene?
Natürlich würde auch ich mich freuen, wenn Currentzis sich eindeutig von diesem Krieg distanzieren würde. Aber ich habe keinen Anspruch darauf, auch wenn ich diesen Krieg (wie jeden Krieg) für krank und komplett aus der Zeit gefallen halte.
Unabhängig davon, dass ich mich nicht gedanklich in ihn hineinversetzen und somit seine Handlungsoptionen nicht beurteilen kann, da ich die Risiken nicht wirklich einschätzen kann, steht mir das auch nicht zu.
Und natürlich muss er selbst die Konsequenzen tragen. Distanziert er sich, hat es Folgen für ihn und seine Musikerinnen und Musiker. Distanziert er sich nicht, entgehen ihm Engagements im Westen. Und dass er weniger Engagements erhält ist konsequent, muss doch immer beurteilt werden, ob ein Theodor Currentzis der sich zum Krieg indifferent verhält, noch Hallen füllt.
Wer bin ich aber, von einem anderen Menschen ein Bekenntnis zu verlangen, damit ich mich befriedigt zurücklehnen kann: Er ist wohl doch ein Guter. Und wenn er es tut, dann darf er mich auch wieder unterhalten.
Umgekehrt wird doch ein Schuh draus. Jeder hat das Recht mit seinen Füßen oder seinem Geldbeutel abzustimmen. Wer eine Distanzierung erwartet, meidet seine Konzerte. Man muss seine CDs nicht mehr kaufen. Die, die man besitzt, kann man wegwerfen. Man muss auch die Übertragungen im Rundfunk oder die Mitschnitte auf youtube nicht mehr anschauen. Da das aber nicht funktionieren wird, soll er es uns doch bitte leicht machen und sich distanzieren.
Anders wäre es für mich, wenn Künstlerinnen oder Künstler aktiv ihre Position nutzen würden, den Krieg zu rechtfertigen. Entsprechende Informationen sind mir zu Herrn Currentzis bislang nicht zu Ohren gekommen.
Ich hoffe, ich konnte meine Gedanken schlüssig darstellen und war nicht zu ausschweifend. Denn das ist einer der Gründe, weshalb ich auf den offenen Brief von Herrn Eggert etwas allergisch reagiere. Allein die Länge des Schreibens zeigt mir, dass es ihm nicht zuletzt um seine Selbstdarstellung ging. Eine Selbstdarstellung in einem Kontext, in dem es nicht viel Mut braucht, Position zu beziehen. Auch die Wortwahl ist nach meinem Eindruck bewusst gesetzt, um die eigene Empörung in Szene zu setzen.
Hätte Herr Eggert tatsächlich etwas bewegen wollen, hätte er sich kürzer und prägnanter an Theodor Currentzis gewandt. Und zwar nicht öffentlich. Herr Eggert hat seine Segel gut in den Wind gesetzt und befeuert damit unsere ohnehin Überhand nehmende Empörungskultur.
Gruß Wolfgang