Die Bachkantate (006): BWV63: Christen, ätzet diesen Tag

  • Für mich persönlich ist BWV 63 (und dabei ganz besonders der überaus festlich-schwungvolle Eingangchor!) die einzige nennenswerte Alternative zur ersten Kantate des heißgeliebten Weihnachtsoratoriums des Thomaskantors. :jubel:


    Wie schön, dass es hier keine Konkurrenz-Entscheidung gibt und man guten Gewissens "Jauchzet, frohlocket" mit "Christen, ätzet diesen Tag" ergänzen kann, wenn man gar nicht genug bekommen kann von dieser typisch barocken Bach-Feierlichkeit, die für mich zu Weihnachten einfach dazu gehört :yes:




    BWV 63: Christen, ätzet diesen Tag
    Kantate zum ersten Weihnachtstag (Weimar 1713 oder 1716?)


    Lesungen:
    Epistel: Tit. 2,11-14 (Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes) oder Jes. 9,2-7 (Uns ist ein Kind geboren)
    Evangelium: Luk. 2,1-14 (Geburt Christi, Verkündigung an die Hirten, Lobgesang der Engel)


    Sieben Sätze, Aufführungsdauer: ca. 30 Minuten


    Textdichter: unbekannt, Anklänge an Dichtungen Hallenser Theologen sind jedoch vorhanden; evtl. Johann Michael Heineccius (1674-1722)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Tromba I-IV, Timpani, Oboe I-III, Fagott, Violino I/II, Viola, Continuo


    1. Chorus (SATB, Tromba I-IV, Timp, Oboe I-III, Fagott, Streicher, Continuo)
    Christen, ätzet diesen Tag
    In Metall und Marmorsteine!
    Kommt und eilt mit mir zur Krippen
    Und erweist mit frohen Lippen
    Euren Dank und eure Pflicht;
    Denn der Strahl, so da einbricht,
    Zeigt sich euch zum Gnadenscheine.


    2. Recitativo (Alt, Streicher, Continuo)
    O sel’ger Tag! O ungemeines Heute,
    An dem das Heil der Welt,
    Der Schilo, den Gott schon im Paradies
    Dem menschlichen Geschlecht verhieß,
    Nunmehro sich vollkommen dargestellt
    Und suchet Israel von der Gefangenschaft und Sklavenketten
    Des Satans zu erretten.
    Du liebster Gott, was sind wir Arme doch?
    Ein abgefall’nes Volk, so dich verlassen;
    Und dennoch willst du uns nicht hassen;
    Denn eh wir sollen noch nach dem Verdienst zu Boden liegen,
    Eh muss die Gottheit sich bequemen,
    Die menschliche Natur an sich zu nehmen
    Und auf der Erden
    Im Hirtenstall zu einem Kinde werden.
    O unbegreifliches, doch seliges Verfügen!


    3. Aria (Sopran, Bass, Oboe I solo [ersetzt durch obligate Orgel in einer späteren Version zu Leipzig nach 1723], Continuo)
    Gott, du hast es wohl gefüget,
    Was uns itzo widerfährt.
    Drum lasst uns auf ihn stets trauen
    Und auf seine Gnade bauen,
    Denn er hat uns dies beschert,
    Was uns ewig nun vergnüget.


    4. Recitativo (Tenor, Continuo)
    So kehret sich nun heut
    Das bange Leid,
    Mit welchem Israel geängstet und beladen,
    In lauter Heil und Gnaden.
    Der Löw’ aus Davids Stamme ist erschienen,
    Sein Bogen ist gespannt, das Schwert ist schon gewetzt,
    Womit er uns in vor’ge Freiheit setzt.


    5. Aria (Alt, Tenor, Streicher, Continuo)
    Ruft und fleht den Himmel an,
    Kommt, ihr Christen, kommt zum Reihen,
    Ihr sollt euch ob dem erfreuen,
    Was Gott hat anheut getan!
    Da uns seine Huld verpfleget
    Und mit so viel Heil beleget,
    Dass man nicht g’nug danken kann.


    6. Recitativo (Bass, Oboe I-III, Streicher, Continuo)
    Verdoppelt euch demnach, ihr heißen Andachtsflammen,
    Und schlagt in Demut brünstiglich zusammen!
    Steigt fröhlich himmelan
    Und danket Gott vor dies, was er getan!


    7. Chorus (Besetzung wie 1.)
    Höchster, schau in Gnaden an
    Diese Glut gebückter Seelen!
    Lass den Dank, den wir dir bringen,
    Angenehme vor dir klingen,
    Lass uns stets in Segen geh’n,
    Aber niemals nicht gescheh’n,
    Dass uns Satan möge quälen!



    Gerade die titelgebende Textzeile "Christen, ätzet diesen Tag" hat früher immer dazu geführt, dass ich als Kind der 1980er Jahre assoziierte, dass Christen diesen Tag besonders "ätzend", also "schrecklich" finden sollten :wacky: Diese Ansicht fand ich - gerade für einen frommen Mann wie Bach - doch extrem seltsam... :D
    Das hat mich dann immerhin dazu gebracht, auf diese Kantate ganz besonders neugierig zu sein - und "ätzend" war daran dann eigentlich gar nichts - im Gegenteil :]


    Die so üppig-assoziationsreiche Barockdichtung gibt uns auch hier wieder eines ihrer nie versiegenden Bildbeispiele, das man sonst wahrscheinlich nie mit Weihnachten in Verbindung gebracht hätte: In Stein und Marmor sollen wir Christenleut' den Weihnachtstag ätzen, um seine Bedeutung immer im Bewusstsein und vor Augen zu haben! Was für ein kraftvolles und originelles Bild!


    Leider ist die Entstehungsgeschichte und der Textdichter dieser Kantate nicht ganz geklärt. Obwohl Bach diese Kantate in Leipzig 1723 anlässlich seines ersten Weihnachtsfestes dort als Thomaskantors aufführte (und auch in späteren Jahren nochmals), ist relativ sicher, dass er selbige schon während seiner Weimarer Zeit komponierte (und zur Aufführung brachte). Typisches Merkmal hierfür ist u. a. die für diese Zeit bei Bach typische Verfahrensweise bei der Komposition der Rezitative - diese werden immer wieder zu kleineren oder größeren Arioso-Abschnitten erweitert (in der Weimarer Kantate zum 4. Advent, BWV 132, verfährt Bach beispielsweise genauso).


    Interessant an der Textdichtung ist, dass keine einzige Zeile aus einem Choral in ihr verwendet wird - es gibt nicht viele geistliche Bachkantaten, in denen das der Fall ist. Statt dem zu erwartenden einfachen Schlusschoral ist der Chorus Nr. 7 nochmals ein ausgewachsener Fest-Chor, mit fanfarenartigen Blöcken, die auch vom Chor in dieser Manier deklamiert werden, immer wieder unterbrochen von flinken Oboenläufen. Einfach herr - lich! :jubel::angel:


    Bevor ich ein paar Bemerkungen zu einzelnen Interpretationen machen kann, möchte ich auch hier wieder zunächst ein paar Einspielungen miteinander vergleichen, u. a. die von Richter und Gardiner.


    Wie gefällt Euch BWV 63 denn? Welche Einspielungen mögt Ihr besonders und warum? Ich bin sehr gespannt... :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo, Marc!


    Auch ich schätze die Kantate „Christen, ätzet diesen Tag“ ganz besonders. Es ist eine meiner liebsten Bach-Kantaten überhaupt (ich kenne allerdings noch nicht viele) und meine liebste weihnachtliche Kantate (von diesen kenne ich BWV 36,61,62,63,64,121,133).
    Der Grund dürfte der selbe sein wie bei Dir – barocker Prunk und Festlichkeit. Ganz besonders mag ich in dieser Hinsicht den Schlußchor. Bach verwendete allerdings für die Chöre nicht seine normale Pauken- und Trompeten-Tonart D-dur (wie z.B. in den Weihnachtsoratorium-Teilen 1,3,6), sondern C-dur.


    Zitat


    Leider ist die Entstehungsgeschichte und der Textdichter dieser Kantate nicht ganz geklärt. Obwohl Bach diese Kantate in Leipzig 1723 anlässlich seines ersten Weihnachtsfestes dort als Thomaskantors aufführte (und auch in späteren Jahren nochmals), ist relativ sicher, dass er selbige schon während seiner Weimarer Zeit komponierte (und zur Aufführung brachte).


    Ich zitiere aus Reclams Bach-Führer:


    Indizien [der Entstehungszeit] deuten jedoch auf die Jahre 1713 und 1716, als Bach Kontakte zu Halle hatte, und auf den Pfarrer der dortigen Liebfrauenkirche, Johann Michael Heineccius als Textverfasser.


    Im booklet der Harnoncourt-CD heißt es:


    Da der Text vielleicht von dem Hallenser Theologen J.M. Heineccius stammt, liegt es nahe, die Kantate für ein Probestück zu Bachs Bewerbung um die Organistenstelle der Hallenser Liebfrauenkirche 1713 zu halten und mit Bachs Orgelabnahme an der selben Kirche 1716 in Verbindung zu bringen.


    Hingegen steht im Gardiner-booklet:


    BWV 63 entstand möglicherweise noch in Bachs Weimarer Zeit für einen Reformationstag um 1715. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Kantate zuerst am 25.12.1723 in Leipzig aufgeführt wurde.


    Zitat


    Interessant an der Textdichtung ist, dass keine einzige Zeile aus einem Choral in ihr verwendet wird - es gibt nicht viele geistliche Bachkantaten, in denen das der Fall ist. Statt dem zu erwartenden einfachen Schlusschoral ist der Chorus Nr. 7 nochmals ein ausgewachsener Fest-Chor


    Das hat allerdings auch Methode: Die Kantate ist symmetrisch angelegt: Chor – begleitetes Recitativ – Duett – unbegleitetes Recitativ – Duett – begleitetes Recitativ – Chor.
    Ja, ein Choral fehlt, aber ich vermisse keinen. Es gibt ja genug choral- bzw. pastoralhafte Weihnachtsmusik.


    Zitat


    Wie gefällt Euch BWV 63 denn? Welche Einspielungen mögt Ihr besonders und warum?


    Die erste Frage habe ich schon beantwortet. Zur zweiten Frage: Ich habe nur zwei Einspielungen (mehr habe ich aber bei keiner Bach-Kantate), Gardiner (1998 ) und Harnoncourt (1976).
    Allein schon wegen des Knabensingsang (sorry) bei Harnoncourt gebe ich Gardiner den Vorzug. Aber auch sonst ist seine Interpretation prägnanter und festlicher. Besonders die angesprochenen Prunk-Chöre sind hier beeindruckender.



    Viele Grüße,
    Pius.

  • „Wie gefällt euch BWV 63 denn?“, hat Marc gefragt. „Mit Einschränkungen sehr gut“, möchte ich antworten.


    Fantastisch finde auch ich den Schlusschor. Er ist das zweitlängste Stück der Kantate und doch beim Hören stets am schnellsten vorbei. Wunderschön ist zudem das erste Duett. In die Oboenmelodie bin ich regelrecht verliebt und der weiche, ruhige Fluss des oftmaligen „Gott, du hast es wohlgefüget“ bringt – auch für mich als Nicht-Gläubigen – eine tiefe innere Zufriedenheit im Sinne einer fundamentalen Glaubensgewissheit aufs Schönste zum Ausdruck. Damit sind die Top-Scorer meiner Meinung nach aber auch schon benannt. Das zweite Duett fällt in meinen Ohren gegenüber dem ersten genau so ab – ich halte das zweite für melodisch viel weniger schön – wie der Anfangschor gegenüber dem Schlusschor. Generell habe ich zudem ein kleines Problem mit den Übergängen zwischen den Chören und den Rezitativen. Für meinen Geschmack ist der Sprung von der Festlichkeit der Chöre zur Schlichtheit der Rezitative zu groß. Ich werde bei beiden Übergängen emotional nicht mitgenommen, muss mich jedes Mal neu orientieren. Es ist, als würde die Musik stolpern.


    Wie Pius besitze ich zwei Aufnahmen: Leusink und Harnoncourt. Darüber hinaus habe ich vor kurzem eine TV-Dokumentation gesehen: „Gardiner probt Christen ätzet diesen Tag“ oder ähnlich.


    zu Leusink:


    Salisburgensis hat sich anderenorts schon deutlich negativ zur Güte von Leusinks Chor geäußert. Hier, bei BWV 63, gebe ich ihm recht. Schon der Beginn klingt einfach nicht gekonnt. Ganz schlimm wird es im Schlusschor, wenn die einzelnen Stimmfächer, sich nicht mehr im Gesamtklang verstecken können, sondern nacheinander einzeln hervortreten. Die Festlichkeit wird dadurch leider nachhaltig gestört. Was hilft es da noch, dass orchestral erneut sehr gut gespielt wird?


    Ausgezeichnet gefällt mir das erste Duett. Die Oboe zu Beginn klingt herrlich. Herausragend singt erneut der Bass (Ramselaar), hinreichend schön seine Partnerin. Im zweiten Duett stimmt in meinen Ohren die Balance zwischen Alt und Tenor nicht, singt der Alt zu sehr im Vordergrund – Buwalda missfällt mir überdies bereits rein vom Stimmklang.


    zu Harnoncourt:


    Sofort zu Beginn fallen die starken Akzentuierungen auf. Sie sind derart hart, ja ruppig, dass sie fast schon den Fluss der Musik stören. Tja, und dann singt eben auch noch ein Knabenchor. Da bin ich kein Freund von. Das erste Duett ist eine Riesenenttäuschung. Schon die Oboe klingt quäkig und nicht wirklich beherrscht. Und dann, dann… Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll. Also: Warum um alles in der Welt hat Harnoncourt diesen Knabensopran singen lassen? Er muss doch gehört haben, dass dieser Sopran einfach scheußlich klingt! Das zweite Duett, gesungen von Esswood und Equiliz, gefällt mir dafür wie auch der Schlusschor – trotz der Knaben – deutlich besser als bei Leusink.


    zu Gardiner:


    Zur Gardiner-CD kann ich nichts sagen, da ich sie nicht kenne. Der oben erwähnten TV-Dokumentation lag aber offenbar die CD-Aufnahme zugrunde. Also einige Anmerkungen:


    Der Monteverdi-Chor ist – wie gewohnt – gigantisch gut. Bestünde die Kantate nur aus Chören, hätte ich mir die CD schon längst gekauft. Die Solisten kamen aber leider über ein solides gut nicht hinaus, die Italienerin sang zudem unidiomatisch – hier möchte ich mich aber zurückhalten, da mein Urteil nur auf einmaligem Hören beruht.


    Interessant war übrigens, wie intensiv an Einzelheiten gefeilt wurde. So wies beispielsweise die anwesende Sprachtrainerin daraufhin, dass das Wort „quälen“ am Ende der Kantate von der „Qual“ herrühre und entsprechend gequält auszusprechen sei. Gardiner hingegen verwies auf den inhaltlichen Zusammenhang, in dem das Wort steht. Mit meinen Worten: Das „[Lass] Aber niemals nicht gescheh’n, dass uns Satan möge quälen", wird von Personen gesprochen, die glaubensgewiss sind und deshalb vor Satan keine Angst haben. Folgerichtig ließ Gardiner das Wort „quälen“ nicht gequält, sondern weich und angstfrei singen.


    Mein Fazit lautet: Ich bin weiterhin auf der Suche nach meiner Aufnahme. Wer eine kennt, bei der alles stimmt, der möge sie nennen.


    Gruß, Thomas

  • Hallo zusammen,


    BWV 63 "Christen ätzet diesen Tag" ist auch für mich eines der prachtvollsten, ergreifendsten und
    schwungvollsten Werke, das jemals für die Weihnachtszeit geschrieben wurden.


    Mir liegen zwei vollständige Aufnahmen vor, die ich hier gerne besprechen möchte.


    1. Gardiner CD:




    + dazu passend, aber extra zu kaufen:
    Gardiner DVD bei der man Probenausschnitte sowie Erläuterungen des Dirigenten sehen und
    hören kann:






    2. Herreweghe SACD:




    3. Koopman CD



    Diese Aufnahme habe ich bisher nur als Teil einer Demo-CD des alten Erato-Labels, auf dem die Sätze 1-3
    gekürzt zu hören sind. Diese Aufnahmen sind heute vollständig unter Koopmans neuem Label zu bekommen, s.o.




    Satz 1. Coro "Christen, ätzet diesen Tag"



    Hier kann ich allen drei Aufführungen kann ich einfach nur Begeisterung entgegenbringen!
    Ein dickes Lob also an alle Interpreten!
    Jeder bringt diesen prachtvollen Chorsatz auf seine ganz persönliche Art, und doch wirkt alles sehr überzeugend.


    Gardiner und Herreweghe stellen dabei die am weitesten auseinanderliegenden Auffassungspole dar, obwohl es keine trennenden Welten sind, die dazwischen liegen.
    Bei Gardiner geht es mit viel Schwung und "Schmackes" ( wie der Ostwestfale sagt) "in die Vollen", ohne dass es dabei unkultiviert wird.
    Die Trompeten und Pauken spielen die 16-tel der anfänglichen Figuren ab Takt 5 auf Geheiß des Maestros (siehe Probenausschnitte der DVD)
    mit schmissigen Crescendi auf die nächste 1, dass es eine Freude ist. Die übrigen Orchestermusiker spielen schön dynamisch und sehr bewegt, so etwa die Streicher mit ihren 16-tel-Figuren, die sich in einer Bewegungsgeste" nach oben schrauben" und diese Töne dann aus jener aufsteigenden Bewegung heraus herrlich organisch mit den tanzend absteigenden Achteln des a-moll -Dreiklangs von Takt 15 verbinden, und so die Phrase abschließen.
    Solche Dinge sind ja eigentlich schon alle so komponiert, man muss sie aber
    trotzdem erst einmal erkennen und virtuos umsetzen können.
    Der intonationssichere und koleraturfeste Monteverdi-Chor fügt sich hier nahtlos ins Konzept ein.
    Bei einer solchen Lebendigkeit im Vortrag müssten die Leute in Leipzig ja vor Schreck aus ihren Kirchenstühlen gefallen sein...
    Ich glaube aber ganz sicher, dass Bach es so gemocht hätte.
    Schön finde ich auch, dass mitten im freudigen "Tanzen und Springen" ein quasi überraschend gesangliches Legato auf den Worten "...in Metall" in den Takten 41 und 42 kommt. Von hier ab werden ja die Marmorsteine durch eine ausladende Melisma im Sopran und Bass beschrieben, während Mittelstimmen sich die Worte in "Metall" "und Marmorsteine"
    gegenseitig in Achteln wie Bälle zuwerfen.
    All das ist bei Gardiner sehr schön und klar zu hören.
    Im B-Teil werden die reizvollen Hemiolen bei der Modulation zur neuen a-moll Tonika auf den Worten "Dank und Eure Pflicht" deutlich ausgesungen. Danach kommt der "Strahl", der entweder mit einer schwungvollen Melisma einen kometenhaften 16-tel-Schweif hinter sich
    herzieht, oder aber kurz und kräftig aufblitzend in Achtelausrufen mit kurzen Sforzati auf sich aufmerksam macht. Auf der DVD bekommt man mit, wie genau diese Stellen geübt wurden - sehr interessant.
    Gardiner betont den freudigen "Dance"-Character der Komposition sowohl in seinem Dirigat als auch in seinen Erläuterungen zurecht. Hier geht es schließlich um den Affekt der überschäumenden Weihnachtsfreude!


    Etwas "gesitteter" und vom Tempo her auch nicht ganz so flott geht es bei Herreweghe zu.
    Hier steht etwas mehr der Aspekt der edlen Klangkultur und des festlichen Weihnachtsglanzes im Vordergrund. Keineswegs wird "lahm" musiziert, nur eben etwas anders, etwas vornehmer vielleicht.
    Herreweghes Musizierhaltung erinnert mich manchmal in gewissen Aspekten
    an die Vornehmheit eines Gustav Leonhardts, allerdings mit viel mehr verbindendem Legato und einer klanglichen Edelpolitur. Er hat ja auch früher viel mit Leonhardt zusammengearbeitet, so dass es da sicherlich einen gewissen Einfluss gibt.
    Das Orchester spielt also höchst perfekt, durchsichtig und gediegen, durchaus auch schwungvoll und mitreißend, allerdings wird man hier nicht so vom Stuhl geworfen wie bei den English Baroque Soloists.
    Alles klingt sehr schön und wertvoll, und dabei doch keineswegs langweilig.
    Für Leute, die HIP immer noch nicht mögen oder vielleicht nicht gewohnt sind, ist dieser Eingangschor unter Herreweghe sicherlich ein guter Höreinstieg in diese Klangwelt. Den „Strahl“ hört man ebenso deutlich wie bei Gardiners Chor, auch die "in Metall"- Einwürfe.


    Im Chorklang gibt es einige Unterschiede. Der Monterverdi Choir klingt mehr nach einem Kammerchor, der mit hervorragenden und ambitionierten Solisten besetzt ist; das Collegium Vocale Gent klingt dagegen noch mehr nach einem in Jahrzehnten auf ein bestimmtes Klangideal hin erzogenem Chor, und gar nicht mehr (womöglich öfter wechselnden) Solisten.
    Das CVG ist wirklich ein außerordentlich homogener Chor, der mit seinen männlichen Altisten und dem eher seltenen Vibrato-Einsatz sehr transparent klingt und gleichzeitig sehr virtuos und beweglich singen kann. Die Klanglichkeit dieses Chores ergänzt sich wiederum sehr gut
    mit der rund aufspielenden Chapelle Royale.
    Beide chorischen Klang-Konzepte haben ihre Reize, wobei ich insgesamt eine gewisse Präferenz zu Herreweghes gediegenerem Chorklang nicht verhehlen kann.


    Ton Koopman verbindet in seiner Interpretation gewissermaßen beide Aspekte miteinander.
    Auf der einen Seite der Jubel und die tanzende Freude, auf der anderen Seite die gediegene Kultiviertheit mit entsprechendem Oberflächenpolish ( positiv gemeint!) Als Einziger lässt er die mixolydisch absteigenden Achtelsekunden des Continuos in den Takten 25 bis 26 gebunden spielen, was ich ausserordentlich gut finde, weil es im herrlichen Kontrast zu den vorhergehenden luftigen Tanzbässen steht. Diese spielen ja wie bei einer Tanzkapelle zum Freudenfest auf, und zwar in einer gleichbleibenden
    3/8-Oktavbewegung auf den Tönen g-2, g-1, g-2 usw., von Takt 21 bis 24.


    Der Chor klingt ähnlich kultiviert wie bei Herreweghe, traut sich noch etwas mehr Legato und klingt hier trotzdem noch irgendwie noch tänzerischer als das CVG. Die Triller mit angehängtem Doppelschlag (zuerst im
    Sopran ab Takt 43 zu hören) gelingen diesem Chor am perfektesten. Es klingt wie auf einem Instrument gespielt - Wahnsinn.
    Koopmans Tempo ist mit dem Gardiners nahezu identisch.
    Auch bei ihm geht es sehr sehr temperamentvoll zu, allerdings explodiert die Freude bei Gardiner noch mehr, während die überschäumenden Gefühle bei Koopman tendenziell mit etwas mehr Noblesse und Kultur ausbrechen – lahmer, oder weniger lebendig ist es jedoch nicht, eher mehr noch in die Tanzrichtung gehend.


    Satz 2: O sel`ger Tag


    Am Anfang erzeugen die Streicher beim Hörer durch ihren akkordischen Klangteppich das erhaben-staunende Gefühl von: "es ist zu Bethlehem ein Wunder geschehen" Irgendwie klingt es so, als ob man still und staunend auf das soeben geborene Kind schauen würde.
    Durchs Bachs Musik wird -wie so oft- der vielleicht etwas holperige Barocktext zu einer zu Herzen gehenden Dichtkunst. Nur gesprochen kann der Text seine Wirkung kaum entfalten.


    Am stärksten geht mir in diesem Vergleich die Version Gardiners unter die Haut, sowohl vom Gesang, als auch vom begleitenden Orchester her. Die Altistin Sara Mingardo erzeugt hier wunderbar unendliche Spannungen. Herrlich z.B. das zerbrechliche pp bei "Du liebster Gott".
    Oder die dynamische und affektmäßige Abstufung zwischen "o unbegreifliches" und "doch seliges Verfügen" in Takt 24 ff.
    Zwar ist ein leichter, südländischer Ausspracheakzent nicht ganz zu überhören, aber angesichts der knisternden Spannung und des musikantischen Vortrags sollte man nicht zu ungnädig werden.
    Das Timbre ist sehr angenehm, und das Vibrato wird effektvoll und bewusst eingesetzt, bzw. auch zwischendurch einmal reduziert/weggelassen.
    Der Continuo-Cellist Harnoncourt streicht seiner TELDEC-Aufnahme die letzten 4 Takte des Satzes vielleicht noch liebevoll-ergriffener, aber hier geht es auch schon sehr in diese innige Richtung.
    Ja, wenn es so interpretiert wird, wie hier bei Gardiner kann sich die große Musik als solche wirklich entfalten.


    Wesentlich nüchterner und auch schneller gesungen kann man dasselbe Stück unter Herreweghes Leitung erleben. Ingeborg Danz hat für mich oft ein ideales Timbre für die Bachschen Altpartien und besticht vor allem durch akzentfreie Textverständlichkeit und ein mühelose
    stimmliche Beweglichkeit. Durch Herreweghes eher schlicht-nüchterne Interpretation wird das Stück allerdings nicht derart zum riesigen Spannungserlebnis wie bei Gardiner, bei mir jedenfalls nicht.


    Elisabeth von Magnus ist auf Koopmans Aufnahme zu hören ( die Namen der Sänger/innen stehen nicht auf der Demo-CD, aber ich kenne ihren Klang ja)
    Diese Darstellung überzeugt mich leider nicht vollends. Zwar singt sie als deutschsprachige Künstlerin selbstverständlich akzentfrei, doch leidet bei ihr die Textverständlichkeit etwas unter den zu weichen Konsonanten, z.B. das zu weiche "s" beim Wort " Israel".
    Dynamisch wird vielleicht zu sehr auf die Belebung der kurzen Einzeltöne Wert gelegt, was hier allerdings zu Lasten der wichtigeren größeren Zusammenhänge geht.
    Bei der von Sara Mingardo wunderbar zart gesungenen p-Stelle "...zu einem Kinde werden" singt Elisabeth von Magnus leider entlang der aufsteigenden Melodielinie lauter statt leiser, und sehr leider mit dazu improvisierten Verzierungen. Gegen die habe ich ja sonst nichts, aber
    doch nicht hier, nicht an dieser Stelle!
    Wahrscheinlich hat sie Verzierungsmeister Koopman dazu aufgefordert... ;)


    Satz 3
    Duett, Sopran + Bass: " Gott, du hast es wohl gefüget"


    Man müsste sich einmal in Ruhe darüber Gedanken machen, was Bach allein durch dieses herrliche Oboenvorspiel alles im Sinne der Klangrede aussagen wollte. Ich höre hier z.B. die Affekte sehnsüchtig-inbrünstiges Warten, Angst, Rückblick auf schmerzliche Erinnerungen aus einer dunklen Zeit
    und sicherlich auch etwas weich Klagendes. Wahrscheinlich bezieht es sich auf die Worte "das bange Leid" aus dem nachfolgenden Rezitativ.


    Gardiners Oboist Michael Niesemann betont die Schwer-Leicht- Zweierbindungen deutlicher als Marcel Ponseele, der bei Herreweghe zum Einsatz kommt. Ich vermute nur vom Hören her, dass er die Arie auch unter Koopman spielt.
    Zwar erklingen bei beiden Oboisten die gleichen, richtigen Artikulationen, doch wird bei Koopman/Herreweghe weicher und tendenziell mehr in
    Richtung Legato artikuliert. Das passt natürlich auch zum -im Verhältnis zu Gardiner- etwas ruhigerem Tempo dieser beiden Dirigenten.
    Etwas dramatischer als bei Koopman/Herreweghe werden die unerwarteten
    Schmerz-Dissonanzen der Oboe durch Akzentuierungen bei Gardiner aufgefasst, während diese bei Herreweghe und vor allem bei Koopman durch winzig kleine Ritardandi vorbereitet und dynamisch wie ein langgezogen-ziehender Schmerz (wie Zahnschmerz) ausgespielt werden.
    Das erste erinnert an Harnoncourts Interpretation mit Jürg Schaeftlein (dort klingt es aber noch etwas "gewollter" und klanglich vielleicht weniger rund) und hat ebenso seinen Reiz und seine Berechtigung wie die weicheren Versionen.
    Momentan höre ich bei dieser Arie am liebsten Koopmans Version, aber das wechselt hin und her.
    Gesanglich können alle Aufnahmen dieser Arie voll überzeugen.
    Bei Gardiner singen Ann Monoyios und Stephan Loges, bei Herreweghe Carolyn Sampson und Sebastian Noack und bei Koopman wird es vielleicht Lisa Larsson sein ( steht nicht auf dem Cover) und auf jeden Fall Klaus Mertens.
    Besonders gut gefällt mir vielleicht Carolyn Sampson, doch bei diesem Niveau kann ich nicht guten Gewissens eine Art Rangfolge aufstellen.
    Schön, dass es drei sehr gute Aufnahmen gibt!


    Satz 4: Rezitativ, Tenor: "So kehret sich nun heut`das bange Leid"


    Hier ist ein Wendepunkt der Kantate, sozusagen die Vorbereitung zum ausgelassenen
    Tanz "Ruft und fleht den Himmel an" der daran anschließt.

    Am anspringendsten klingt es bei Gardiner: "Der Löw aus Davids Stamme ist erschienen" und dann kommt raketenartig der gespannte Bogen oder das gewetzte Schwert im rassig gespielten Continuo. Bach hat hier die rhetorische Figur der Tirata zur Verdeutlichung eingesetzt.


    Auch bei Herreweghe kann man all diese Dinge hören, nur eben wieder etwas kultivierter,
    mehr in Richtung Schönklang ( das wär doch etwas für unseren Alfred...)


    Ab hier kann ich zu Koopmans Aufnahme nichts mehr sagen ( Demo-CD), was ich aber hoffentlich irgendwann nachholen werde.


    Satz 5: Duett, Alt/Tenor: "Ruft und fleht den Himmel an"


    Erst jetzt, wo ich den Text ohne Musik lese, fällt mir die mäßige Qualität der Dichtung auf.
    Wenn ich es mit Bachs Musik höre, wird mir das Textstück zum Meisterwerk...


    Bei Gardiner swingt es richtig, und ich hätte bei einem Konzert meine liebe Mühe gehabt, ruhig und mit ernst-lutherischen Gesicht in einer Kirchenbank sitzen zu bleiben.
    Was für ein Tanz! Das Orchester spielt sehr temperamentvoll und dynamisch, auch das Continuo. Der wirklich zwingend euphorische 16-tel Übergang der Continuo- Bässe in Takt 142 zum nächsten G-Dur Zwischenspiel der Streicher wird mit einem mitreißenden Crescendo ausmusiziert, ähnlich emphatisch wie bei Harnoncourt, jedoch um einiges schneller.
    Die Solisten Mingardo und Müller fügen sich hier wunderbar ein und lassen ihre Stimmen zusammen mit Instrumenten tanzen. Dazu könnte man noch mehr Positives zu sagen, aber dann wird es zu lang.


    Auch bei Herreweghe wird das Tanzbein geschwungen, und zwar wiederum auf höchst kultiviertem Niveau. Hier wird der Aspekt der immer noch vorhandenen Ekstase nicht so sehr betont, obwohl er auch vorhanden ist.
    Stattdessen kann man sich mer an der Eleganz des Reigentanzes berauschen.
    Die verzierenden lombardischen Punktierungen im Vokalbereich bei den paarweisen 16-teln auf "Ruft und fleht den"... können mich durch ihre nahezu höfische Leichtigkeit und Eleganz sehr überzeugen. Die gehören da ganz sicher auch hin, wenn man es denn so machen will.


    Satz 5: Rezitativ, Bass:" Verdoppelt euch demnach"


    Das "brünstigliche" Zusammenschlagen der verdoppelten "heißen Andachtsflammen" kann man in beiden Versionen sehr schön hören.
    Bach hat es ja auch so komponiert, und über dem Continuo dem dreistimmigen Streichersatz ( Violine 1/2, Viola) einen dreistimmigen
    Oboensatz dazugesellt ( "verdoppelt"...!)
    Die Oboe darf sich in ihrer Dankbarkeit in Takt 8 einen kleinen synkopischen
    "Gefühlsausbruch" leisten, der - typisch für Bach- gleichzeitig auch ein wenig an den gearbeiteten Stylo Antico erinnert. Das ist ja das Schöne bei Bach, dieses duale Spannungsverhältnis von Emotion einerseits und strenger handwerklicher Qualität andererseits.


    Ab Takt 6 ist "Andante e piano" vorgeschrieben. Bei Gardiner wird dort ein Affektwechsel von andächtig zu "fröhlich pfeifend vor sich hin gehend" vollzogen.
    Man kann es so sehen, wenn man will. und es überzeugt mich auch durchaus.
    Das etwas langsamere Andante Herreweghes überzeugt mich aber ebenfalls. Die Andacht der ersten Takte ist bei Herreweghe ab Takt 6 nicht so deutlich und schnell zugunsten des " ich gehe meine Strasse fröhlich" -Affekts verflogen, was auch für sich einnehmen kann.


    Das festere Timbre des Bassisten Sebastian Noack auf Herreweghes Einspielung sagt mir hier noch etwas mehr zu als der unruhigere Klang von Stephan Loges bei Gardiner.
    Es sind hier aber keine dramatischen Unterschiede.


    Satz 6, Chor: Höchster schau in Gnaden an


    beginnt mit einer Trompeten- und Paukenfanfare und nachfolgenden kecken Einwürfen, erst der Oboen, dann der Streicher.
    Es ist, als ob zum Weihnachtsfest erst die Erwachsenen etwas Feierliches, Königliches zelebrieren wollen (die Trompeten) und dann einige Kinder
    ( Oboen und Streicher) leichtfüßig und vorwitzig die ganzen Veranstaltung mehr in Richtung Ausgelassenheit und Lebensfreude ziehen wollen. Wie anders soll man denn die anschließend- schwirrenden 32-tel der ersten Violinen deuten?
    Gewiss, solche Figuren beschreiben bei Bach oft einen "schimmernden Glanz" ( siehe das Geld aus "Gebt mir meinen Jesum wieder", Matthäus-Passion, oder" kann ich nur Jesum mir zum Freunde machen, so gilt der Mammon nichts bei mir")


    Nun denn: die armen Blechbläser geben sich geschlagen und müssen die unglaublich schwer zu spielen in 32-teln ausgeschriebenen Pralltriller mitspielen.
    Das ganze wird zum rasanten Freudenfest, es ist eigentlich ein auskomponiertes "Durchdrehen vor Freude". Es glüht und brennt, überall wird die Glut der gebückten Seelen hörbar.

    Nach dem Orchestervorspiel erklingt zunächst ein gesittet homophoner Chorsatz auf dem o.g. Text, damit sich die Leipziger Herrschaften wieder etwas fangen konnten.
    Etwas später kommt zur Ausgelassenheit - wieder typisch Bach- die traditionsbewusste Gelehrigkeit einer Chorfuge hinzu, ebenfalls auf dem gleichen Text.


    Später kommt im B-Teil dann der Text." aber niemals nicht geschehn" den Gardiner überraschend langsam nimmt, gleichsam als einen großen Doppelpunkt: " dass uns Satan möge quälen" Die chromatische Quälerei des Satans wird bei Gardiner trotzdem leichtgängig gesungen. Er sieht es so, dass es hier nicht ernst gemeint ist, denn wir sind ja in Sicherheit und können dem Satan die lange Nase zeigen ( solche Sachen sind von ihm auf der DVD zu erfahren)


    Mich kann auch das überzeugen, auch wenn man wohl nicht sagen kann, dass man es so machen muss.


    Auch bei Herreweghes hochvirtuoser, doch "normaleren" Darstellung kommt beim Hörer große Freude auf. Ganz so glühend feurig wie bei Gardiners klingt es nicht, aber ist es wieder einmal erlesene Klangkultur des Chores, die begeistern kann. Auch das Orchester spielt extrem
    exakt und virtuos, bei angenehm-festlicher Klanglichkeit. Allerdings soll auch dieses nicht derart explosiv loslegen, wie es die Musiker bei Gardiner sollen/dürfen.
    Bachs Musik ist für Herreweghe anscheinend etwas, was vor allem wertvoll, edel und luxuriös klingen sollte. Erstens hat er ja damit auch nicht Unrecht, und zweitens kann man das auch sehr mögen, zumal er immer auch die aufführungspraktischen Grundsätze dieser Musik beachtet und, wie die anderen Interpreten auch, auf historischen Instrumenten oder
    Nachbauten in entsprechender tieferer Stimmung spielen lässt ( wenn es nicht gerade die Kantaten sind, die im Chorton aufzuführen sind)


    Fazit:
    Alle drei Aufnahmen sollte der passionierte Bachfreund und Bachkenner aus meiner Sicht haben. Sie sind allesamt eine Bereicherung für denjenigen, der diese Musik wirklich liebt.
    Ich sage dass halbwegs prophetisch, obwohl ich den Rest der Koopman-Einspielung (noch) nicht kenne. Die Unterschiede, die sicher auch in den Persönlichkeiten der Dirigenten und den Eigenheiten der unterschiedlichen Klangkörper und Solisten strukturell veranlagt sind,
    habe ich versucht zu beschreiben. Wer sich die Gardiner CD holt,
    sollte vor dem Hören auch die entsprechend hochinteressante DVD gesehen haben.
    Man hört dann einfach noch mehr, besonders mit Partitur.
    Aufnahmetechnisch ist die CD wesentlich besser als die DVD, bei der es wohl auch weniger um solche Dinge ging.
    Besonders bei Koopman klingt die Aufnahmetechnik deutlich nach Kirche, während man bei der DG-Aufnahme merkt, dass sie in einem
    Studio stattfand. Hier klingt es etwas analytischer und transparenter (Gardiner), dort mehr ganzheitlich- räumlich (Koopman). Ein Mittelweg wurde aufnahmetechnisch bei der Harmonia Mundi-CD beschritten (Herreweghe)
    Ich muss allerdings dazusagen, dass ich Herreweghes Version nur in einer
    CD-Version habe, bei der auch das "längere" Magnificat enthalten ist.
    Die SACD-Fassung wird also höchstwahrscheinlich noch besser sein.



    Harnoncourts Aufnahme kenne ich noch aus dem Gedächtnis, da sie momentan bei meinem Vater in Deutschland liegt, weshalb ich hier nur flüchtig darauf eingegangen bin. Allerdings kenne ich sie sehr gut...



    Viel wichtiger als solche Vergleiche ist es jedoch, nach dem Hören der Musik zu empfinden, durch die Musik und den Inhalt des Werkes erfüllt und bereichert worden zu sein.
    Dafür sind alle drei Aufnahmen sehr gut geeignet!




    Herzlichst :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)


  • Hallo Glockenton,


    ganz herzlichen Dank für diesen profunden Interpretationsvergleich!


    Bei Koopman singt im 3. Satz Ruth Holton die Sopranstimme.


    Man bekommt diese schöne Aufnahme übrigens auch in dieser 3-Box, die vergleichsweise günstig ist.



    Mit Gruß von Carola

  • Zitat


    Original von Carola
    Man bekommt diese schöne Aufnahme übrigens auch in dieser 3-Box, die vergleichsweise günstig ist.


    Hallo liebe Carola,


    stimmt ja auch, vielen Dank für den Hinweis!


    Ich selbst werde allerdings die normale Vol. 3 nehmen müssen, da ich mir nach und nach alle Koopman-Aufnahmen kaufen und Doppelkäufe möglichst vermeiden will... :(


    Irgendwie kann man Koopman den vollen Preis ja auch gönnen, bei den Widrigkeiten ( Schließung von Erato) , die es zur Vollendung seiner Einspielungen zu überwinden galt. ;)


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Da muss ich doch wieder meinen Japaner anschleppen. :D


    Neben dieser



    besitze ich noch die Einspielungen von Koopman und Gardiner. Alle drei habe ich mir nacheinander zu Gemüte geführt und alle genossen, aber mit Abstrichen.


    Manchmal fehlt mir das Verständnis für die Gardiner-Euphorie. Der Chor schwächelt an manchen Stellen ziemlich deutlich. Der Alt in Nr. 2 ist – mit Verlaub – eine Katastrophe. Auch sonst bin ich nicht immer mit Gardiner glücklich. Manchmal scheints, er verwechselt Kantate und Nummernoper – mir fehlt da oft der Bogen über allem.


    Koopman gefällt mir schon viel besser, aber auch da habe ich den Eindruck, man könnte an manchen Stellen besser bei der Sache sein.


    In jeder Hinsicht am besten komme ich mit Suzukis Ansichten und Leistungen zurecht. Der Chor ist bei weitem der disziplinierteste von den dreien, seine Sänger gefallen mir ebenfalls am besten und er verwechselt niemals Tempo mit Wirkung. So nimmt er den Eingangssatz zum Beispiel am langsamsten von allen dreien, es wirkt aber bei keinem anderen so rhythmisch straff und federnd,
    Einziges Manko ist wie immer das Spielzeugörgelchen, das den Continuo piepsen muss, aber das ist bei allen dasselbe.

  • Es ist schon interessant, dass die meisten Weihnachtskantaten nicht unbedingt zu den bekanntesten und manche auch nicht zu den besten Kantaten Bachs gehören (damit meine ich ausdrücklich nicht die Epiphanias-Kantaten, da sind einige der großartigsten Schöpfungen Bachs dabei). An Bekanntheit stehen sie wohl einfach im Schatten des zumindest heutzutage omnipräsenten WO. Viele Kantoreien führen – um sich der Besucherzahlen sicher zu sein – lieber noch ein weiteres WO auf, als mal ein Jahr ohne WO aber mit den selten gespielten Weihnachtskantaten einzustreuen. Ausnahmen bestätigen freilich die Regel. Und das Qualitätsargument: Im Kanon der 200 Bachkantaten kann man IMO kaum von schwachen Werken reden, es ist also Jammern auf sehr hohem Niveau. Dennoch sind Werke wie BWV vielleicht nicht die Perlen des Kanons.


    Mit BWV 151 & 63 gibt es allerdings zwei Kantaten, die auch für mich zu den großartigen Weihnachtsmusiken gehören.

    In BWV 63 wird eindeutig die festliche, freudige Komponente des Weihnachtsfestes betont, weniger die besinnliche, stille.

    Neben den höchst feierlichen Rahmenchören – von denen mir der innovative Schlusssatz sogar noch besser gefällt – ist mein Highlight das Duett „Ruft und fleht den Himmel an“. Nahezu euphorisch erscheint das vollstimmige Motiv der Streicher, in das sich die selbstständigen und recht unmelodischen Stimmen der Solisten einfügen. „Ruft und fleht den Himmel an, kommt ihr Christen, kommt zum Reihen, ihr sollt euch ob dem erfreuen, was Gott hat anheut getan“. Der unbekannte Textdichter irritiert ein wenig mit dem Wort 'Flehen', ist die eigentliche Intention des Duetts doch der Dank für das weihnachtliche Geschenk. Ein Hinweis kann die frühe Entstehung von Kantate und Text (vor 1713) sein. Zu jener Zeit griff Bach noch deutlich häufiger auf Texte solcher lutherisch-orthodoxer Dichter zurück, deren Theologie Gottes Gnade wesentlich mehr mit 'Flehen', als z.B. mit 'Gabe' verknüpften. Musikalisch vermag es die Kantate aber bis heute, der Freude über das Weihnachtsfest Ausdruck zu verleihen.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)


  • Endlich mal habe ich diese Kantate ( Suzuki+Gardiner ) und muss sie nicht kaufen, werde ich heute noch anhören.....


    Jetzt erklingt Suzuki bei mir, aber als Freund von SACDs habe ich noch die im Beitrag 4 von Glockenton auch sehr positiv besprochene Doppel SACD bestellt.