SCHÖNBERG, Arnold: GURRE-LIEDER

  • Arnold Schönberg (1874-1951):
    Gurrelieder - Oratorium in 3 Teilen 1900-11 (UA 1913)

    für Sopran, Mezzosopran, 2 Tenöre, Baß, Sprecher, 3 vierstimmige Männerchöre, achtstimmigen gemischten Chor und großes Orchester



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    Uraufführungen


    Uraufführung des I. Teils (in einer Bearbeitung für 2 Klaviere zu 8 Händen):
    Ehrbar-Saal in Wien am 14. Januar 1910
    Waldemar - Hans Nachod, Tenor; Tove - Martha Winternitz-Dorda, Sopran;
    Etta Werndorf, Arnold Winternitz, Anton von Webern, Rudolf Weinrich, Klavier


    Uraufführung der dreiteiligen Gesamtfassung:
    Großer Musikvereinssaal, Wien; Sonntag, 23. Februar 1913

    Waldemar - Hans Nachod, Tenor; Tove - Martha Winternitz-Dorda, Sopran; Waldtaube - Marya Freund, Alt; Klaus-Narr - Alfred Boruttau, Tenor; Bauer - Alexander Nosalewicz, Baß; Ferdinand Gregori, Sprecher;
    Wiener Philharmonischer Chor, Wiener Kaufmännischer Gesangverein;
    Wiener Tonkünstler-Orchester;
    Leitung: Franz Schreker


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    Großer Musikvereinssaal in Wien, am Sonntagabend des 23. Februar 1913 um halb acht Uhr.


    Vor der Uraufführung des Oratoriums 'Gurrelieder' des vom Großteil des Publikums als "Bürgerschreck" verschmähten Arnold Schönberg herrscht eine gespannte Atmosphäre. Immer wieder hatten Aufführungen der Werke des Komponisten in den vergangenen Jahren tumultartige Szenen und Skandale provoziert, so z. B. die Uraufführung seines 2. Streichquartetts (1907/08). Der Schöpfer der frühen symphonischen Dichtungen, Lieder und Kammermusik spätromantischer Prägung hatte sich konsequent - und von der ablehnenden Reaktion der zeitgenössischen Zuhörerschaft unbeeindruckt - zum eigensinnigen "Neutöner" entwickelt. Ein ebensolches eindrucksvolles Beispiel für seine tiefgreifende Radikalität hatte der Vater der 'Zweiten Wiener Schule' 1912 mit dem Melodram 'Pierrot Lunaire', opus 21 vorgelegt.


    In Erwartung eines weiteren provozierenden "Events", das man nicht gewillt war, unkommentiert über sich ergehen zu lassen, hatte sich zur Uraufführung der 'Gurrelieder' unter die zahlreichen Zuhörer eine ganze Reihe von potentiellen Störenfrieden gemischt:


    In hundert Augen lauert schon die Schadenfreude: heute wird man's ihm wieder einmal zeigen, ob er sich's wirklich erlauben darf, zu komponieren wie er will und nicht wie die anderen es ihm vorgemacht haben. Es kam jedoch gänzlich anders.
    Das jubelnde Rufen, das schon nach dem ersten Teil losbrach, stieg zum Tumult nach dem dritten, ... Und als dann der machtvoll aufbrausende Sonnenaufgangsgruß des Chors vorüber war, ... kannte das Jauchzen keine Grenze mehr; mit tränennassen Gesichtern wurde dem Tondichter ein Dank entgegengerufen, der wärmer und eindringlicher klang, als es sonst bei einem "Erfolg" zu sein pflegt: er klang wie eine Abbitte.
    Ein paar junge Leute, die ich nicht kannte, kamen mit schamglühenden Wangen und gestanden mir: sie hätten Hausschlüssel mitgebracht, um zu Schönbergs Musik die ihnen angemessen erscheinende hinzuzufügen, und nun seien sie so ganz zu ihm bezwungen worden, daß sie nun nichts mehr von ihm abbringen könne.


    Nicht nur die Publikumsreaktionen, sondern auch die durchweg positiven Zeitungsberichte deuteten bereits an, daß dieses Uraufführungskonzert als einer der größten Erfolge des Komponisten in die Rezeptionsgeschichte der Schönbergschen Werke eingehen sollte.


    Wie kam es aber nun dazu, daß ein derart publikumsfreundliches, im Schönklang der Spätromantik schwelgendes, opulent besetztes und umfangreiches Opus in einer Zeit präsentiert wurde, in der Schönberg längst die Grenzen der Tonalität hinter sich gelassen hatte? -
    Wie sich im Folgenden zeigen wird, hatte sich der Komponist keinesfalls zum Romantiker zurückentwickelt, um sich einem konservativen Publikum anzubiedern, sondern es kam 1913 zur längst überfälligen Aufführung eines Werkes, dessen Komposition zwar lange vollendet worden war, deren Orchestrierung sich jedoch (mit Unterbrechungen) etwa zehn Jahre hingezogen hatte.



    Autor und Text


    Jens Peter Jacobsen (1847-1885)


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    Gurresange (Gurrelieder) aus der Sammlung: En cactus springer ud (Ein Kaktus blüht) - Novelle 1869/70 (1886 erschienen)


    Deutsche Übersetzung: Robert Franz Arnold (1872-1938) (eigentlich: Levisohn)
    Übersetzung 1897 entstanden und 1899 erschienen.


    Der von Schönberg vertonte Text stammt aus der Feder des dänischen Botanikers und Dichters Jens Peter Jacobsen (1847-1885). Der überzeugte Darwinist war um die Jahrhundertwende ein vielgelesener, populärer Romanautor.
    Die Versfolge 'Gurresange' hat Jacobsen mit weiteren, in impressionistischem Stil gehaltenen Jugendgedichten zu einer Novelle mit Rahmenhandlung zusammengefügt: In 'En cactus springer ud' ('Ein Kaktus blüht') vertreiben fünf junge Männer sich selbst sowie ihrem Gastgeber nebst Tochter die Zeit durch das Vortragen eigener Werke (darunter 'Gurresange'), während man auf das Aufblühen eines seltenen Kaktus wartet.


    Der Inhalt der 'Gurresange'-Gedichte gründet sich auf den im 19. Jahrhundert sehr beliebten und in etlichen Fassungen überlieferten mittelalterlichen Sagenstoff (I. Teil) um die heimliche Liebe des dänischen Königs Valdemar (oder auch Volmer) IV. Atterdag zu dem schönen Mädchen Tovelille (kleine Taube) auf Schloß Gurre am Esrom-See (nördlich von Kopenhagen). Zum Ende des I. Teils verkündet die Stimme der Waldtaube den Tod Toves durch die rasend eifersüchtige Königin Helwig.
    Der sehr kurz gehaltene II. Teil enthält eine wilde Gottes-Anklage Waldemars, in der er - verzweifelt über den Verlust der Geliebten - unverhohlen die allzu menschlichen Züge des tyrannischen Herrschers verurteilt.
    Die im III. Teil geschilderte 'Wilde Jagd', nach der König Waldemar und seine Mannen dazu verdammt sind, als unerlöste Tote rastlos durch die Nacht zu reiten, entstammt einem eigenen Sagenkreis und wurde erst später mit der 'Gurre'-Legende verknüpft.
    Mit Einführung der Figuren des abergläubischen Bauern und des Klaus-Narr erfährt die Geschichte, insbesondere bezüglich allzu naiver, irdisch-menschlicher Vorstellungen von Gott, Himmel, Sünde, Strafe und Erlösung eine ironische Brechung.
    Der das Werk beschließende Abschnitt 'Des Sommerwindes wilde Jagd' beschreibt die im Tages- und Jahresrhythmus stets wiederkehrende Auferstehung der Natur. Und vor allem in der anschaulichen Schilderung der Pflanzen, der Tiere, des Windes und schließlich der aufgehenden Sonne zeigt sich überaus deutlich die exakte Beobachtungsgabe Jacobsens, des studierten Botanikers und Naturwissenschaftlers, der jedoch darüber hinaus von den zeitgenössischen spekulativen Theorien über das Seelenleben der Pflanzen beeinflußt war.
    Und somit findet die Handlung des Werkes nicht wie bei Wagner im Liebestod ihr Ende, sondern - versinnbildlicht im strahlenden Aufgang der Sonne - in einer hymnischen Verklärung der allumfassenden Natur.
    Im vorletzten Gesang des III. Teils spricht Waldemar die Vorstellung von der beseelten Natur aus. Tove und die Natur sind eins geworden:



    Mit Toves Stimme flüstert der Wald,


    mit Toves Augen schaut der See,


    mit Toves Lächeln leuchten die Sterne ...



    Entstehung


    Schönberg lernte Jacobsens Gedichte in der Übersetzung des Wiener Philologen Robert Franz Arnold (1872-1938) kennen, die 1897 entstand und 1899 im Druck erschien.
    Auf die Ausschreibung eines Komponistenwettbewerbes des Wiener Tonkünstler-Vereins hin begann Schönberg vom Jahre 1900 an, einige Gedichte als Liederzyklus für Gesang und Klavier zu vertonen. Weil er jedoch den Liedern wegen ihrer Neuartigkeit keine großen Erfolgschancen bei dem Wettbewerb einräumte, reichte er diese nicht ein, sondern verwendete sie als Grundlage zur Schaffung eines großen, dreiteiligen Oratoriums für Solisten, Chöre und Orchester, wobei die Komposition bereits 1901 vollendet wurde, die Umarbeitung und aufwändige Instrumentierung sich aber - verursacht durch längere Unterbrechungen - bis 1911 hinzog.



    Besetzung


    Soli:
    Singstimmen: Sopran, Mezzosopran, 2 Tenöre, Baß; Sprechstimme: 1 Sprecher (Melodram)
    Rollen: Waldemar - Tenor; Tove - Sopran; Waldtaube - Mezzosopran; Bauer - Baß; Klaus-Narr - Tenor


    Chöre:
    3 vierstimmige Männerchöre, 1 achtstimmiger gemischter Chor


    Orchester:


    Holzbläser: 4 Piccoloflöten, 4 Flöten, 3 Oboen, 2 Englischhörner, 3 Klarinetten in A oder B, 2 Klarinetten in Es, 2 Baßklarinetten, 3 Fagotte, 2 Kontrafagotte


    Blechbläser: 10 Hörner, 6 Trompeten, 1 Baßtrompete, 1 Altposaune, 4 Tenorposaunen, 1 Baßposaune, 1 Kontrabaßposaune, 1 Kontrabaßtuba


    Schlagzeug: 6 Pauken, Große Rührtrommel, Becken, Triangel, Glockenspiel, kleine Trommel, große Trommel, Xylophon, Ratschen, Tamtam, einige große eiserne Ketten


    4 Harfen, Celesta


    ca. 80 Streicher: Violinen I - zehnfach geteilt, Violinen II - zehnfach geteilt, Bratschen - achtfach geteilt, Celli - achtfach geteilt (sämtlich in mehrfacher Besetzung), Kontrabässe



    Aufführungsdauer: ca. 1:50:00



    Aufbau


    I. Teil
    Orchestervorspiel (Mäßig bewegt)
    1. Waldemar: Nun dämpft die Dämm'rung jeden Ton von Meer und Land
    2. Tove: Oh, wenn des Mondes Strahlen leise gleiten, und Friede sich und Ruh durchs All verbreiten
    3. Waldemar: Roß! Mein Roß! Was schleichst du so träg! Nein, ich seh's es flieht der Weg hurtig unter der Hufe Tritten.
    4. Tove: Sterne jubeln, das Meer, es leuchtet, preßt an die Küste sein pochendes Herz
    5. Waldemar: So tanzen die Engel vor Gottes Thron nicht, wie die Welt nun tanzt vor mir.
    6. Tove: Nun sag ich dir zum ersten Mal: "König Volmer, ich liebe dich!"
    7. Waldemar: Es ist Mitternachtszeit, und unsel'ge Geschlechter stehn auf aus vergess'nen, eingesunknen Gräbern
    8. Tove: Du sendest mir einen Liebesblick und senkst das Auge, doch der Blick preßt deine Hand in meine
    9. Waldemar: Du wunderliche Tove! So reich durch dich nun bin ich, daß nicht einmal mehr ein Wunsch mir eigen.
    Orchesterzwischenspiel (Ein wenig bewegter)
    10. Stimme der Waldtaube: Tauben von Gurre! Sorge quält mich, vom Weg über die Insel her! Kommet! Lauschet!


    II. Teil
    11. Waldemar: Herrgott, weißt du, was du tatest, als klein Tove mir verstarb?


    III. Teil: Die wilde Jagd
    12. Waldemar: Erwacht, König Waldemars Mannen wert! Schnallt an die Lende das rostige Schwert
    13. Bauer: Deckel des Sarges klappert und klappt, schwer kommt's her durch die Nacht getrabt.
    14. Waldemars Mannen: Gegrüßt, o König, an Gurresees Strand! Nun jagen wir über das Inselland. Holla!
    15. Waldemar: Mit Toves Stimme flüstert der Wald, mit Toves Augen schaut der See
    16. Klaus-Narr: "Ein seltsamer Vogel ist so 'n Aal, im Wasser lebt er meist, kommt doch bei Mondschein dann und wann ..."
    17. Waldemar: Du strenger Richter droben, du lachst meiner Schmerzen, doch dereinst beim Auferstehn des Gebeins
    18. Waldemars Mannen: Der Hahn erhebt den Kopf zur Kraht, hat den Tag schon im Schnabel
    Des Sommerwindes wilde Jagd
    Orchestervorspiel (Langsam)
    19. Melodram - Sprecher: Herr Gänsefuß, Frau Gänsekraut, nun duckt euch nur geschwind
    20. Gemischter Chor: Seht die Sonne, farbenfroh am Himmelssaum, östlich grüßt ihr Morgentraum!



    Die Komposition


    "Verschwenderische Melodienvielfalt", "ausdrucksgesättigte Tonsprache", "romantischer Überschwang", "weit gespannte, expressive Melodiebögen", "hymnisch prachtvolle Klänge", "Riesenbesetzung", "differenzierteste Orchestrierung", "Wagner-Nachfolge", . . . - diese oder ähnliche Schlagworte begegnen dem Leser von Konzertkritiken, Einführungstexten und Werkbesprechungen bei dem Versuch, prägnante Charakterisierungen zu Schönbergs bedeutendem Oratorium zu formulieren. Attribute, die bereits einen sehr treffenden Einblick in die Klangwelt der 'Gurrelieder' vermitteln und die darüber hinaus die so ungemein große Begeisterung des Publikums während und nach der Uraufführung sowie nach zeitgenössischen konzertanten Darbietungen des Werkes nachvollziehbar macht.


    In der Tat schöpft der zu Beginn der Komposition (im Jahre 1900) 26-jährige Schönberg in jeder Hinsicht aus dem Vollen. Die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vorherrschende Neigung zum Gigantismus offenbart sich bei den 'Gurreliedern' bereits im Hinblick auf das immense vokale wie instrumentale Aufgebot an Mitwirkenden. Ähnlich wie in Gustav Mahlers VIII., der sogenannten "Symphonie der Tausend" (1906/07) oder Havergal Brians I., der "Gothic Symphony" (1919-27), verlangt der Komponist der 'Gurrelieder' einen riesigen Aufführungsapparat von fünf Gesangssolisten, einem Sprecher sowie die erst im III. Teil hinzutretenden Chöre - bestehend aus drei, jeweils vierstimmigen, Männerchören und einem großen, achtstimmigen gemischten Chor. Und auch der instrumentale Aufwand ist, wie obige Orchesterauflistung zeigt, außergewöhnlich umfangreich und vielfältig. (Das Orchester soll eine Anzahl von mindestens 150 Musikern umfassen!)
    Allerdings erliegt der noch junge Komponist in keiner Weise der Versuchung, angesichts solcher Möglichkeiten ungehinderter Klangentfaltung, eine ausschließlich auf äußerliche Effekte zielende, lärmig-bombastische Geräuschkulisse zu produzieren, sondern er erweitert das Wagnersche Orchester zwar einerseits zur heftigen Klangmassierung an bestimmten Punkten der Komposition (vor allem im III. Teil), reichert es aber vielmehr an, um feinste und differenzierteste Klangbilder von betörender Schönheit zu gestalten. Eine hoch entwickelte Kunst der Nuancierung also, die auch Schönbergs berühmte Komponistenkollegen zeitgleich zur Entstehung der 'Gurrelieder' entwarfen, z. B. das so überaus fein und raffiniert eingesetzte und in nur allen erdenklichen Farben schillernde und funkelnde Orchester eines Alexander von Zemlinsky in 'Die Seejungfrau' (1903), eines Franz Schreker in seinem ersten großen Bühnenerfolg 'Der ferne Klang' (1901-10) oder des 14-jährigen Erich Wolfgang Korngold in der 'Sinfonietta' von 1911/12.


    Jedoch nicht nur bezüglich der Besetzung zeigt sich die ungeheure Fülle an Mitteln, derer sich Schönberg bedient - auch hinsichtlich der Wahl der Gattung offenbart sich bei genauerer Betrachtung ein vielseitiges Bild. So gibt der Komponist seinem großen, noch in spätromantischer Tradition stehenden Werk eine heterogene Form - gestaltet es aus Elementen eines Liederzyklus, eines Oratoriums, eines Musikdramas sowie eines Melodrams.


    Stilistisch geht Schönberg in seinen 'Gurreliedern' von Richard Wagner aus. Die Prinzipien einer "schwebenden Tonalität" neben der fortschreitenden "Emanzipation der Dissonanz" sind ebenso präsent wie die Verwendung von Leit- und Erinnerungsmotiven, welche in abgewandelter Form und in immer neuen Kombinationen das ganze Werk durchziehen. Die dramaturgische Weiterentwicklung dieser musikalischen Themen und Motive beruht hingegen auf dem auf Johannes Brahms zurückgehende Prinzip der "entwickelnden Variation".
    Eine 100 Seiten starke thematische und harmonische Analyse legt Alban Berg 1912 in dem ein Jahr später von der Universal-Edition verlegten 'Gurrelieder-Führer' vor, in dem er anhand von 129 Notenbeispielen das über die gesamte Komposition gesponnene, dicht gewebte Netz an thematischen Beziehungen, melodischen wie harmonischen Verknüpfungen offenlegt.


    Wie bereits erwähnt, gliedert sich Schönbergs Oratorium in drei in sich geschlossene Teile, die jedoch durch Themen der Vorahnung (I. Teil) bzw. Erinnerung (III. Teil) miteinander verbunden sind. Die das Werk umrahmenden Naturbilder des Sonnenuntergangs zu Beginn und des Sonnenaufgangs am Ende sind auch musikalisch miteinander verklammert, vor allem durch den in unterschiedlichen Ausprägungen erklingenden Quintsextakkord, der eines der wichtigsten kompositorischen Elemente der 'Gurrelieder' bildet.



    I. Teil
    An den Beginn des I. Teils ist ein etwa siebenminütiges Vorspiel in Es-dur gesetzt, welches in seinen hoch differenzierten und wunderbar delikaten Orchesterklängen, die friedlich-beschauliche Atmosphäre eines Sonnenuntergangs schildert.
    Bei der sich unmittelbar anschließenden Folge von neun Liedern handelt es sich um einander stetig abwechselnde Gesänge zwischen Tenor (Waldemar) und Sopran (Tove) - eine Reihung lyrischer Monologe, wie sie sich z. B. in Gustav Mahlers 'Lied von der Erde' (1907/08) oder Alexander von Zemlinskys 'Lyrischer Symphonie' (1922) findet, d. h. die beiden Solostimmen vereinen sich an keiner Stelle der Komposition zu einem Zwiegesang oder gar zu Ensembleszenen. Allerdings geht Schönberg in der Gestaltung seines Werkes mit der auch in diesem Punkt an Wagner erinnernden durchkomponierten Form über Mahlers Konzeption hinaus, indem er die einzelnen Lieder mithilfe von motivischen Verflechtungen sowie durch Überleitungen bzw. Zwischenspiele des Orchesters miteinander verbindet und diese somit zu einer weit gespannten Form zusammenfaßt.


    Die paarweise angelegten Gesänge von Waldemar und Tove sind jeweils einem bestimmten Ausdrucksgehalt verpflichtet. Die ersten beiden, die Naturstimmungen der Dämmerung und der Nacht beschwörenden Lieder, sind in noch gänzlich kontemplativer Stimmung des Vorspiels gehalten. Dem entgegengesetzt, sind die ersten großen stürmischen Ausbrüche leidenschaftlicher Gefühle in den Gesängen III und IV, die Waldemars und Toves Vorfreude und erregte Erwartung auf die bevorstehende Begegnung widerspiegeln. Nach den beiden folgenden, vom Glück der Liebe handelnden Liedern (V und VI) schlägt die Stimmung in Nr. VII plötzlich in eine düstere Atmosphäre um. Waldemars "Es ist Mitternachtszeit ..." ist als - das Unheil vorausahnende - Todesvision bereits geprägt von den Motiven des Gespensterzuges aus dem III. Teil. Der letzte Gesang Toves (Nr. VIII) steht, mit der Idee der Verschränkung von verbotener Liebe und Todessehnsucht, ganz in der Tradition von Wagners 'Tristan und Isolde' (Tove: "So laß uns die goldene Schale leeren ihm, dem mächtig verschönenden Tod: Denn wir gehn zu Grab wie ein Lächeln, ersterbend im seligen Kuß!"). Nach einer nochmaligen Erwiderung Waldemars im IX. Gesang wird die Folge der lyrischen Monologe durch Toves Ermordung unterbrochen. Die schreckliche Tat erfährt der Hörer jedoch zunächst nicht aus dem Text, sondern mithilfe des Orchesters; denn der anschließende orchestrale Abschnitt hat nicht nur die Funktion eines die Gesänge verbindenden Zwischenspiels, sondern er erzählt die Geschichte, die die Worte verschweigen, eigenständig weiter. Die stetig gesteigerte Erregung gipfelt schließlich in einem gewaltigen Tutti-Schlag des Orchesters (in Takt 950), welcher dem Hörer den grausamen Angriff der rachesüchtigen Königin Helwig plastisch vor Ohren führt. In denkbar größtem Kontrast dazu erhebt sich unmittelbar anschließend die Stimme eines einsamen Englischhorns in fahlem, gebrochenem Tonfall. Die Waldtaube berichtet in ihrem Klagelied von Toves Tod und Waldemars Trauerzug. Ihr Gesang sowie der sie begleitende Orchesterpart steigern sich von kammermusikalischer Schlichtheit zum opernhaft dramatischen Höhepunkt und wirkungsvollen Abschluß des I. Teils.


    An dieser Stelle ist für Aufführungen des Oratoriums eine Pause vorgesehen.


    II. Teil
    Im nur aus einer einzigen wilden Gottesanklage König Waldemars bestehenden II. Teil beherrschen vorrangig Trauer, Verzweiflung und Wut die Stimmung des etwa fünfminütigen Stücks. Aus einem zunächst zaghaft tappenden Trauermarsch zu Beginn entwickelt sich die Gangart über einen nobel dahinschreitenden Duktus (Waldemar: "Herrgott, ich bin auch ein Herrscher") hin zu einem unerbittlich vorwärtstreibenden Marsch-Rhythmus am Ende. Auch hier - wie im I. Teil - eine Vorausdeutung auf die im III. Teil von Waldemar selbst angeführte 'wilde Jagd'.


    III. Teil
    Der III. und letzte Teil der 'Gurrelieder' erscheint durch die von Schönberg verwendeten verschiedenen Gattungselemente (Lieder, Chöre, Opernattitüde, Melodram), die kontrastreichen Stimmungen (Schauerromantik, Ironie, Wiedererweckungsjubel) sowie die neu hinzukommenden Figuren (abergläubischer Bauer, skurriler Klaus-Narr, Sprecher als distanzierter Beobachter) als der heterogenste des Werks. In der Länge in etwa dem I. Teil zu vergleichen, unterscheidet er sich jedoch in vielen anderen Punkten radikal von diesem:
    Ist der I. nach dem Muster eines symphonischen Zyklus von Orchesterliedern gestaltet, so nimmt der III. die Form einer dramatischen Kantate an.
    Auch bezüglich der Orchesterbehandlung bestehen gravierende Unterschiede, als Schönberg im I. Teil - von Wagner ausgehend - das ihm zur Verfügung stehende gewaltige Instrumentarium als Palette für Farbmischungen verwendet und im Gegensatz dazu im III. die Instrumente öfter solistisch einsetzt und mit anderen Soloinstrumenten zu neuartigen Klangkombinationen in Verbindung bringt, also eine Entmischung der Farbpalette anstrebt.


    Der III. Teil, mit der Überschrift 'Die wilde Jagd', steht - bis auf den verklärten Schluß - gänzlich im Zeichen einer seit Webers 'Freischütz' in die Musik eingegangenen Schauerromantik. Der Tonschöpfer zeigt auch an dieser Stelle eine exzellente Begabung für wirkungsvolle Effekte neben einer perfekten Beherrschung der kompositorischen Mittel. Der Beginn der düsteren Szene steht in der nächtlichen bzw. Todestonart es-moll und bildet in dieser Hinsicht den größt möglichen Kontrast zum strahlenden Chorfinale in der Sonnen- und Lichttonart C-dur. Die schaurig-gespenstische Atmosphäre des mitternächtlichen Schauplatzes wechselt mit wuchtig wilden Passagen der als unerlöste Tote durch die Luft dahin brausenden Mannen Waldemars. In diesem Abschnitt scheut Schönberg einerseits nicht den Einsatz von plakativeren Mitteln z. B. mit der Verwendung von klirrenden großen Eisenketten zur Untermalung der Gruselstimmung (ähnlich wie Richard Strauss in seiner 'Alpensymphonie' Wind- und Donnermaschine zur naturalistischen Darstellung von Sturm und Gewitter heranzieht), andererseits werden die mächtigen Chormassen in drei jeweils vierstimmige Gruppen gegliedert und deren Stimmen höchst kunstvoll polyphon in Kanontechnik geführt und verweisen damit auf den alten musikalischen Topos von Jagd - Flucht - Fuge.
    Die in die Passagen der wilden Jagd und der immer wieder aufflammenden Klagegesänge Waldemars über den Verlust seiner Geliebten Tove eingefügten Abschnitte des abergläubischen Bauern, der sich vor dem Geisterspuk zu verbergen sucht sowie des einen skurrilen Humor anschlagenden grotesken Liedes des Klaus-Narr erhalten die Funktion, die jeweilige pathetische Atmosphäre der Trauer oder des Unheils ironisch kommentierend zu brechen.
    Ein letzter Mannen-Gesang, der teils vom Orchester kammermusikalisch begleitet wird bzw. teils sogar a cappella erklingt, verflüchtigt sich kurz vor Anbruch des neuen Tages. An der Stelle, an welcher sich die Auflösung des Spuks vollzieht, verleiht Schönberg den Stimmen der nicht zur Ruhe kommenden Seelen einen wahrlich geisterhaften Klangcharakter, indem er die Tenöre in höchsten Lagen im Falsett singen läßt sowie die Bässe in tiefsten Regionen: "O, könnten in Frieden wir schlafen!"
    Auch die Tönung im Orchester verdunkelt sich bis ins Schwarze (durch die Verwendung sehr tiefer Holz- und Blechbläser).


    Der nach einer kurzen Pause einsetzende, letzte Abschnitt 'Des Sommerwindes wilde Jagd' beginnt in seinem Orchestervorspiel demgegenüber in den höchsten Regionen der Holzbläser. Beim Hören dieser ungewöhnlichen Klänge, die wie ein feines Lispeln und Wispern erscheinen, stellen sich Assoziationen eines zunächst leicht wehenden, durch Gräser und Pflanzen streichenden Windes ein.
    Der am weitesten in die Zukunft vorausweisende Teil der 'Gurrelieder' stellt das unmittelbar anschließende Melodram dar, welches eine Schilderung der wiedererwachenden Natur am frühen Morgen enthält. Der Dichter und Botaniker selbst liegt am Gurresee und beobachtet die sich allmählich regenden Tiere, die sich öffnenden Blüten der Blumen unter seinem Vergrößerungsglas.
    Als Vorbild für die von Schönberg übernommene Neuerung des Sprechgesangs darf wohl Engelbert Humperdincks Melodram 'Königskinder' (in der 1. Fassung von 1897) gelten. Danach ist neben dem Rhythmus auch die Tonhöhe der Sprechstimme durch eine eigene Notenschrift genau vorgegeben. Auch in späteren Werken greift der Komponist das Sprechen bzw. den Sprechgesang zu einer instrumentalen Begleitung - jedoch in ausdifferenzierterer Weise - immer wieder auf, z. B. in 'Pierrot Lunaire' (1912) oder 'Ein Überlebender aus Warschau' (1947).
    Die letzte Passage des Sprechers, mit den Worten "Erwacht, erwacht, ihr Blumen zur Wonne!", mündet nahtlos in den gewaltigen, achtstimmigen Schlußchor. Das Nachtstück 'Gurrelieder' endet in einer hymnischen Begrüßung der aufgehenden, lebensspenden Sonne in C-dur, dem wohl strahlendsten und überwältigendsten Sonnenaufgang, der je komponiert wurde.



    Seht die Sonne,


    farbenfroh am Himmelssaum,


    östlich grüßt ihr Morgentraum!


    Lächelnd kommt sie aufgestiegen


    aus den Fluten der Nacht,


    läßt von lichter Stirne fliegen


    Strahlenlockenpracht!



    Einspielungen


    Die folgende, nach Aufnahmedatum geordnete Auflistung enthält sämtliche (bis heute 18) auf Tonträger erschienenen Gesamteinspielungen der 'Gurrelieder'.


    Die erste komplette Aufnahme des Werks entstand im Jahre 1932 mit dem Philadelphia Orchestra unter Leitung von Leopold Stokowski:


    Waldemar - Paul Althouse, Tenor; Tove - Jeanette Vreeland, Sopran; Waldtaube - Rose Bampton, Mezzosopran; Klaus-Narr - Robert Bette, Tenor; Bauer - Abrasha Robofsky, Baß; Benjamin de Loache, Sprecher;
    Princeton Glee Club, Fortnightly Club, Mendelssohn Club, Eight part mixed chorus;
    Philadelphia Orchestra, Leopold Stokowski
    Aufnahme: Live, Philadelphia, 04/1932, mono
    Labels: RCA Victor / EMI / Pearl



    Richard Lewis, Ethel Semser, Nell Tangeman, Ferry Gruber, John Riley, Morris Gesell;
    Chorus & Orchestra of the New Symphony Society Paris, René Leibowitz
    Aufnahme: Paris, 10/1953, mono
    Labels: Haydn Society / Nixa / Erato / Vox / Lys / Preiser



    Herbert Schachtschneider, Inge Borkh, Hertha Töpper, Lorenz Fehenberger, Kieth Engen, Hans Herbert Fiedler;
    Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Rafael Kubelik
    Aufnahme: München, 03/1965, stereo
    Label: Deutsche Grammophon



    Alexander Young, Martina Arroyo, Janet Baker, Niels Møller, Odd Wolstad, Julius Patzak;
    Danish State Radio Chorus, Danish Radio Symphony & Concert Orchestras, János Ferencsik
    Aufnahme: Kopenhagen, 03/1968, stereo
    Label: EMI



    Arturo Sergi, Gundula Janowitz, Christa Ludwig, Murray Dickie, Herbert Lackner, Eva Pilz;
    Chor der Wiener Singakademie, Wiener Schubertbund, Chorus Viennensis, Wiener Symphoniker, Josef Krips
    Aufnahme: Live, Wien, 06/1969, stereo
    Label: Arkadia


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    Jess Thomas, Marita Napier, Yvonne Minton, Kenneth Bowen, Siegmund Nimsgern, Günter Reich;
    BBC Singers, BBC Choral Society, Goldsmith's Choral Union, Gentlemen of the London Philharmonic Choir,
    BBC Symphony Orchestra, Pierre Boulez
    Aufnahme: London, 11 & 12/1974, stereo
    Labels: Columbia / CBS / Sony Classical



    James McCracken, Jessye Norman, Tatiana Troyanos, Kim Scown, David Arnold, Werner Klemperer;
    Tanglewood Festival Chorus, Boston Symphony Orchestra, Seiji Ozawa
    Aufnahme: Live, Boston, 03 & 04/1979, stereo
    Labels: Philips / Aquarius



    Siegfried Jerusalem, Susan Dunn, Brigitte Fassbaender, Peter Haage, Hermann Becht, Hans Hotter;
    Chor der St. Hedwigs-Kathedrale Berlin, Städtischer Musikverein zu Düsseldorf,
    Radio-Symphonie-Orchester Berlin, Riccardo Chailly
    Aufnahme: Berlin, 05 & 06/1985, stereo, DDD
    Label: Decca



    Manfred Jung, Eva-Maria Bundschuh, Rosemarie Lang, Wolf Appel, Ulrich Cold, Gert Westphal;
    Rundfunkchor Berlin, Rundfunkchor Leipzig, Prager Männerchor,
    Dresdner Philharmonie, Mitglieder des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters Leipzig, Herbert Kegel
    Aufnahme: Dresden, 08/1986, stereo, DDD
    Labels: Eterna / Berlin Classics / Edel Classics



    Paul Frey, Elizabeth Connell, Jard van Nes, Volker Vogel, Walton Grönroos, Hans Franzen;
    Chor des NDR Hamburg, Chor des Bayerischen Rundfunks, Opernchor der Städtischen Bühnen Frankfurt a. M.,
    Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt, Eliahu Inbal
    Aufnahme: Frankfurt a. M., 05/1990, stereo, DDD
    Labels: Denon / Brilliant Classics



    Gary Lakes, Eva Marton, Florence Quivar, Jon Garrison, John Cheek, Hans Hotter;
    New York Choral Artists, New York Philharmonic Orchestra, Zubin Mehta
    Aufnahme: New York, 05/1991, stereo, DDD
    Label: Sony Classical



    Siegfried Jerusalem, Sharon Sweet, Marjana Lipovšek, Philip Langridge, Hartmut Welker, Barbara Sukowa;
    Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Arnold Schönberg Chor, Slowakischer Philharmonischer Chor Bratislawa,
    Wiener Philharmoniker, Claudio Abbado
    Aufnahme: Live, Wien, 05/1992, stereo, DDD
    Label: Deutsche Grammophon



    Thomas Moser, Deborah Voigt, Jennifer Larmore, Kenneth Riegel, Bernd Weikl, Klaus Maria Brandauer;
    Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden, Chor des Mitteldeutschen Rundfunks Leipzig, Prager Männerchor,
    Staatskapelle Dresden, Giuseppe Sinopoli
    Aufnahme: Live, Dresden, 08/1995, stereo, DDD
    Label: Teldec



    Ben Heppner, Deborah Voigt, Waltraud Meier, Matthew Polenzani, Eike Wilm Schulte, Ernst Haefliger;
    Philharmonischer Chor München, Herrenchor der Bamberger Symphoniker, Münchner Philharmoniker, James Levine
    Aufnahme: Live, München, 07/2001, stereo, DDD
    Label: Oehms Classics



    Thomas Moser, Karita Mattila, Anne Sofie von Otter, Philip Langridge, Thomas Quasthoff, Thomas Quasthoff;
    Rundfunkchor Berlin, MDR Rundfunkchor Leipzig, Männerstimmen des Ernst-Senff-Chors Berlin,
    Berliner Philharmoniker, Simon Rattle
    Aufnahme: Live, Berlin, 09/2001, stereo, DDD
    Label: EMI Classics



    Stephen O'Mara, Melanie Diener, Jennifer Lane, Martyn Hill, David Wilson-Johnson, Ernst Haefliger;
    Simon Joly Chorale, Philharmonia Orchestra London, Robert Craft
    Aufnahme: London, 10/2001, stereo, DDD
    Labels: Koch International Classics / Naxos



    Robert Dean Smith, Melanie Diener, Yvonne Naef, Gerhard Siegel, Ralf Lukas, Andreas Schmidt;
    Chor des Bayerischen Rundfunks, MDR Rundfunkchor Leipzig,
    SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Michael Gielen
    Aufnahme: Freiburg i. Br. / Frankfurt a. M., 10/2006, stereo, DDD, Multichannel
    Label: Hänssler Classic



    Stig Andersen, Soile Isokoski, Monica Groop, Andreas Conrad, Ralf Lukas, Barbara Sukowa;
    Philharmonia Voices, City of Birmingham Symphony Chorus,
    Philharmonia Orchestra London, Esa-Pekka Salonen
    Aufnahme: Live, London, 02/2009, stereo, DDD, Multichannel
    Label: Signum



    Schöne Grüße
    Johannes

  • Lieber Johannes,


    ich bin absolut geplättet und begeistert. Diese hervorragend recherchierte und geschriebene Darstellung der GURRELIEDER wird dem Werk in jeder Hinsicht gerecht - auch im Aufwand.


    Da bleibt mir nur ein mattes :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: etc.


    Seit ich mir in den 60ern die LP-Box der Kubelik-Aufnahme zugelegt hatte, gehört das Lied der Waldtaube zu meinen absoluten Favoriten. Vielleicht die erschütterndste Klage, die bis dahin in Töne gesetzt wurde. Als ich sie damals einem Kreis von Freunden vorspielte, mit denen ich von Zeit zu Zeit Musik hörte (damals entdeckte ich auch Mahler, konnte ihn aber, im Gegensatz zu diesem Werk, noch nicht schätzen), flossen selbst bei nicht so leicht gerührten Männern die Tränen. Seither ist die Aufnahme mein Maßstab für das Werk, an den Inbal, den ich mal günstig gebraucht erhaschte, lange nicht heran reicht.


    Andere Aufnahmen kenne ich noch nicht, weil ich mich seither, wie wohl aus meinen sonstigen Beiträgen ersichtlich, vom Monumentalen weg bewegt habe. Dein Artikel reizt mich aber, mich wieder mal mit dem Werk zu befassen, und deshalb bin ich sehr gespannt darauf, welche Aufnahme(n) Du bevorzugst, und auf die Vorlieben der anderen Taminos natürlich auch.


    Vielen Dank und beste :hello: Rideamus

  • Lieber Guercoeur,


    ich schließe mich den Worten meines Vorredners an. Ein beeindruckender Artikel über einen monumentalen Monolithen, den man leider selten in einem Konzerthaus gesetzt sieht, habe Dank.


    Ich selbst besitze die Aufnahme aus Boston unter Ozawa (mit dem flirrenden und äußerst passenden Munch drauf).
    Die, abgesehen vom Dirigenten, durchwegs amerikanische Crew lässt kaum Wünsche offen, stört man sich nicht an McCrackens wenig gravierendem, aber unüberhörbarem Akzent und seinem recht baritonalen Timbre.
    Jessye Normans gewaltigen Sopran assoziiert man vielleicht nicht gerade mit einem taubengleichen Mädchen, doch ich finde sie, wie so oft, grandios.
    Sehr eindringlich und mit großem Gestus unterstreicht Tatiana Troyanos die bedrohliche Musik der Waldbewohnerin.
    Interessant vielleicht: Die Rolle des Sprechers übernimmt Otto Klemperers Sohn Werner, welcher sich nach der Emigration in die Vereinigten Staaten als Schauspieler einen Namen machte. Einem breiteren deutschen Fernsehpublikum ist er - ausgerechnet - als trotteliger Lagerkommandant Oberst Klink in der Serie Hogan’s Heroes (Ein Käfig voller Helden) bekannt.


    Leider fehlen auch mir die Vergleichsmöglichkeiten, was dieses Werk betrifft, ich konnte allerdings bisher mit dem opulenten, gleichwohl nie außer Kontrolle geratenden und gut durchhörbaren Dirigat Ozawas gut leben.
    Die Klangtechnik ist trotz des Alters der Einspielung und der Nachteile einer Live-Aufzeichnung hervorragend.



    Es gibt im Übrigen eine Bearbeitung des Werkes für, man sollt’s nicht meinen, Violoncello und Klavier des Duo Sarasate, welche sich wohl am Klavierauszug Alban Bergs orientiert und bildnerisch begleitet wird von einem Zyklus aus 28 Farbradierungen des Künstlers Ernst v. Hopffgarten.










    Gruß,



    audiamus

  • Hallo Gurrelieder-Begeisterte und die es werden wollen,


    ganz lieben Dank für Eure herzlichen Rückmeldungen zu meinem 'Gurrelieder'-Beitrag. Da mich das Werk, seit ich es in den 80-er Jahren sehr schnell in mein Herz geschlossen habe, nach den vielen Jahren noch immer überwältigt wie am ersten Tag, war es mir natürlich eine Herzensangelegenheit, diesen neuen Thread zu starten, da es bei 'Tamino' noch keinen gab.


    Kennengelernt habe ich das Oratorium in der Boulez-Aufnahme (damals noch auf LP). Zwar kamen im Lauf der Jahre noch fünf weitere, aus meiner Sicht mehr oder weniger gelungene, hinzu (Ozawa, Chailly, Inbal, Abbado, Sinopoli), zurückgekehrt bin ich jedoch immer wieder zu Boulez, teilweise vielleicht aus Gewöhnung, teils weil sie meiner Vorstellung einer idealen Interpretation am nächsten kommt.
    Eines der wichtigsten Kriterien ist mir dabei stets die Wahl des richtigen Tempos, wobei mir in dieser Hinsicht ein sehr langsam und sehr breit dahinströmender, den ausladenden Charakter des Werks betonender Grundduktus vorschwebt - ein Interpretationsansatz, den ich in gleicher Weise bezüglich Pfitzners Eichendorff-Kantate 'Von deutscher Seele' favorisiere.


    Außerdem halte ich bei dem so üppig besetzten Klangapparat der 'Gurrelieder' eine höchst brillante Klangqualität für unerläßlich, um die vielen orchestralen Einzelheiten der Partitur in all ihrem Detailreichtum hörbar zu machen.


    Bezüglich der Solisten wird wohl jeder Hörer wieder nach den eigenen Präferenzen auswählen, welche Zusammenstellung an Stimmen ihm am meisten zusagt und welche eher nicht. Letztendlich wird es einem "wählerischen" Hörer - derer es in diesem Forum sicher viele gibt - wohl kaum gelingen, eine einzige Einspielung zu finden, die - gerade bei einem solch groß besetzten Werk wie den 'Gurreliedern', die eigenen Idealvorstellungen in allen Punkten erfüllt. Für mich heißt die Devise in dieser Hinsicht, zu versuchen, den bestmöglichen Kompromiß zu finden, was die Sache nicht viel einfacher macht. :wacky: :D



    Hallo Rideamus,


    Zitat

    Original von Rideamus
    Dein Artikel reizt mich aber, mich wieder mal mit dem Werk zu befassen, und deshalb bin ich sehr gespannt darauf, welche Aufnahme(n) Du bevorzugst ...


    wenn meine Abhandlung dazu beitrüge, Dein Interesse an dem Werk erneut zu wecken, würde mich das sehr freuen. Natürlich ist es in vielerlei Hinsicht eines der monumentalsten der Musikgeschichte, allerdings enthält es ja - wie Du bereits ausgeführt hast - etliche sehr innige und zutiefst berührende Stellen in geradezu kammermusikalisch gestalteten Passagen.


    Leider kenne ich die von Dir favorisierte Kubelik-Einspielung nicht, so daß ich dazu kaum etwas sagen kann. Allerdings ist mir, als ich die Auflistung der Covers zusammengestellt habe, aufgefallen, daß es sich bei Kubelik um die (mit 98 Minuten) am schnellsten dirigierte Interpretation des Werkes handelt, was mich beim Lesen der Dauer etwas zusammenzucken ließ, da mir gehetzte Tempi bei diesem (im Durchschnitt mit 110 bis 115 Minuten bemessenen) Stück ein gewisses Unbehagen bereiten. Auch die Chailly-Aufnahme, die ich mir gerade eben seit langem wieder zu Gemüte geführt habe, geht leider in diese Richtung.
    Aber, wie oben bereits erwähnt, sind mehrere Komponenten wichtig, um Vorlieben und Abneigungen einer Aufnahme gegenüber zu empfinden, so daß die von mir befürchtete Hektik im Blick auf sämtliche "Zutaten" vielleicht gar nicht so stark ins Gewicht fällt.


    Was Einspielungsempfehlungen angeht, bin ich, wie gesagt, von der Boulez-Aufnahme stark vorgeprägt. Werde mich aber in den nächsten Tagen / Wochen durch die anderen in meinem Besitz befindlichen Interpretationen durchhören und noch mal genauer darauf eingehen.



    Hallo audiamus,


    Zitat

    Original von audiamus
    Die Klangtechnik ist trotz des Alters der Einspielung und der Nachteile einer Live-Aufzeichnung hervorragend.


    Da ich die Ozawa-Aufnahme seit bestimmt über 15 Jahren nicht mehr angehört habe, sind meine Erinnerungen daran nicht mehr allzu frisch. Allerdings weiß ich noch, daß mich damals die dumpfe Akustik (sprich: Live-Bedingungen) und die damit verbundene nicht sonderlich brillante Klangqualität ziemlich abgeschreckt haben, auch wenn Frau Norman sicher traumhaft interpretiert. Werde mir die Einspielung aber bald einmal wieder zu Gemüte führen und meinen damaligen Höreindruck überprüfen.


    Zitat

    Original von audiamus
    Es gibt im Übrigen eine Bearbeitung des Werkes für, man sollt's nicht meinen, Violoncello und Klavier des Duo Sarasate ...


    Sachen gibt's. Sicher eine herrliche Kuriosität. :D



    Hallo Fairy Queen,


    Zitat

    Original von Fairy Queen
    Was ist für Einsteiger (ich bin bis dato ausser Pierrot Lunaire innerlich noch nicht zu Schönberg vorgedrungen, komme mit Alban Berg viel besser zurecht) die beste Möglcihkeit, sich damit vertraut zu machen? Bei 2 Stunden Dauer ist bei mir recht oft schon eine Schmerzgrenze erreicht, wenn es sich um schwere und schwierige Musk handelt.
    Gleich alles auf einmal oder erstmal die Highlights zum Eingewöhnen ?


    Ich bin mir ziemlich sicher, daß Dir der frühe Schönberg der 'Gurrelieder' keine ernsthaften Probleme bereiten wird, da er sich hier in noch gänzlich tonalen und spät- / nachromantischen Gefilden bewegt und somit bei Hörern großen Anklang gefunden hat und findet, die ansonsten mit dem späteren (atonalen bzw. zwölftönigen) Schönberg wenig bis gar nichts anfangen können. Ich würde also raten: Hinein ins warme Wasser, und alles gleich auf einmal durchhören. :yes:



    Hallo Walter,


    Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    ich empfehle Dir wärmstens das Gurren des Herrn Rattle


    auch Dir vielen Dank für Deine herzlichen Worte. :]
    Die Rattle-Einspielung kenne ich leider auch noch nicht, steht aber ziemlich weit oben auf meiner Wunschliste.


    Herzliche Grüße
    Johannes
    :hello:

  • Hallo Johannes,


    du hast ja einen Beitrag zu den Gurreliedern geschrieben, der alle Rekorde an Vielseitigkeit und Anspruch überbietet. Herzlichen Glückwunsch dazu.


    Ich kenne und liebe die Gurrelieder seit langem, aber merkwürdigerweise hatte ich kaum ein Interesse, sie mir als CD anzuhören. Vielleicht wäre eine DVD für mich geeigneter.


    Dein Beitrag weckt eine Erinnerung an ein schönes Konzert bei mir. Ende der 1980er Jahre eine Aufführung des Werkes durch das Orchestre Philharmonique de Liège mit dem Dirigenten Günter Neuhold und mit Klaus Maria Brandauer als Sprecher für den Schlussteil.


    Innerhalb der ersten fünf oder sechs Takte erreichten die Musiker eine wunderbare Balance der Klangabmischung in dieser so reich besetzten Partitur und behielten sie dann bis zum Schluss bei. Schade, dass damals keine Fernsehaufzeichnung gemacht wurde.

  • Die Gurre-Lieder zählen zu den Entdeckungen der letzten beiden Jahre (nebenbei: Schuberts Winterreise gehört auch dazu; ich finde es schön und faszinierend, wenn man sich in ganz unterschiedlichen Bereichen den Horizont erweitern kann). Wie ein derart monumental-klanggewaltiges und spätromantisches Werk unbeachtet an mir vorbeiziehen konnte, ist mir vollkommen unverständlich, aber sei's drum...


    Kennen lernen durfte ich das Werk in der sehr preiswerten Einspielung mit Eliahu Inbal. Nach mehrmaligem (vergleichs-)Hören ist das für mich eine Aufnahme, die im guten Sinne solide und handwerklich ordentlich gemacht ist. Es mag an der etwas entfernten und "neutralen" Klangtechnik liegen, daß der rechte Begeisterungsfunke selten bei mir überspringen wollte. Inbals Interpretation wirkt mir zu verhalten und gezügelt - und das, obwohl er mit ca. 107 min (58'17'', 4'41'', 44'54'') die kürzeste Spielzeit benötigt. In den "grelleren Passagen" (z.B. "Ein seltsamer Vogel ist so'n Aal) ist er mir schlichtweg zu brav.


    Mit einem anderen musikalischen Kaliber wartet James Levine mit seiner Live-Aufnahme auf (63'43'', 5'06'' und 46'20''). Der damalige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker bevorzugt den "dicken Pinsel". Soll heißen, er liefert eine außerordentlich (klang-)ästhetische Sichtweise der verschiedenen Stimmungen ab.
    Ein großes Plus stellt die Besetzung der Solisten dar. Ernst Haeflinger ist nicht nur als ehemaliger Sänger, sondern auch als Sprecher Geschmackssache, aber die Gesangsleistung von Ben Heppner ist mehr als beeindruckend (wenn man wollte, könnte man sie "referenzwürdig" nennen). Er meistert alle Klippen in den hohen, aber noch mehr in den für einen Tenor unangenehmen tiefen Passagen und singt sehr textverständlich (an dem "rrrollenden rrr" darf man sich nicht stören ;) ).


    Ebenfalls "live" entstand die Aufnahme mit Michael Gielen.
    Wahrscheinlich ist ein derart monumentales Werk wie die Gurre-Lieder nur im Konzert richtig akustisch zu durchdringen (so wie z.B. auch das Requiem von Berlioz), aber wenn's denn eine "Konserve" sein soll, dann muß sie so klingen wie bei Gielen. In den Fortissimo-Passagen gerät die Klangtechnik an die Grenzen, der Pegel ist kurz vor dem Übersteuern, aber anders ist die immense Dynamik des Werkes wohl kaum zu bewältigen.


    Wie bei vielen Einspielungen Gielens gibt es auch hier ein paar Anmerkungen des Dirigenten: "Das Besondere ist hier ja, dass das Lianenhafte, Wuchernde des Jugendstils polyphon auskonstruiert ist und deshalb nicht in einem parfümierten Wohlklang sich auflösen darf.", heißt es im Beiheft.
    Viel stärker als in den anderen Aufnahmen macht Gielen diese Polyphonie hörbar. Sei es in dem sanft-filigranen Orchestervorspiel, sei es, wenn Waldemars Mannen ihren König grüßen, sei es, wenn Waldemar mit Gott hadert, sei es, wenn ganz zum Schluß die Sonne strahlt; stets hat Gielen das fantastisch aufspielende Orchester im Griff und läßt dem Orchesterspiel eine Transparenz angedeihen, die sich derart selbstverständlich und organisch entwickelt, daß man denkt "genau so muß es klingen" (das Sonnenaufgangs-Finale treibt mir jedes Mal Tränen in die Augen, ja auch Männer dürfen mal Gefühle zeigen.. ;) ). Auch im Tutti sind die einzelnen Orchestergruppen gut hörbar.
    Die Chöre stehen der Orchesterleistung nichts nach: Deutlich ist zu hören, daß es sich um vielstimmige Chöre handelt ("Transparenz" lautet auch hier das Stichwort).


    Leider kann Gielens Waldemar, Robert Dean Smith, weder mit der physischen Kraft eines Ben Heppners oder der gestalterischen Intelligenz eines Manfred Jungs (Herbert Kegel) mithalten, es fehlt bisweilen an sicherer Höhe und noch sicherer Tiefe der Stimme). Auch mit Melanie Diener als Tove bin ich nicht 100%ig "glücklich" (ein paar Höhenprobleme und igs. etwas zu "reif für ein Täubchen"), aber da bei den beiden dennoch ein gutes Niveau geboten wird, sind das die einzigen kleinen "Wermutströpfchen" in einer rundherum empfehlenswerten Einspielung.



    Ach ja, daß ich die Tempi bisher nicht erwähnte, hat einen bestimmten Grund: Man merkt gar nicht, daß sich Gielen mit 65'35'', 5'40'' und 49'41'', also knapp 122 min, die meiste Zeit gönnt.


    PS.: Auch Herbert Kegel, dessen Aufnahme ich unlängst erwarb, kann igs. nicht ganz an Gielen heran reichen. Da aber Kegel ibs. im zweiten und dritten Teil der Gurre-Lieder einen ganz anderen Blickwinkel auf das Werk hat als Gielen, höre ich lieber noch ein- zweimal mehr bevor ich mich äußere...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Fast identisch von den Spielzeiten der Aufnahme mit Michael Gielen, aber vom Charakter vollkommen unterschiedlich, ist die Einspielung Herbert Kegels



    Im 1. Teil weiß Kegel durch ein sehr detailreiches Orchesterspiel zu gefallen, aber insgesamt wirkt er mir ein bißchen zu sehr "bemüht". Er "erarbeitet" die Musik eher als daß er sie, wie Gielen, organisch fließen läßt.
    Auch wirken mir die Tempi stellenweise zu langsam (Kegel braucht für den ersten Teil 68'51''). Mag sein, daß ich zu sehr durch Gielens Transparenz zu sehr voreingenommen bin, aber erste Wahl ist Kegel im ersten Teil für mich nicht. Eva-Maria Bundschuh als Tove und Rosemarie Lang als Waldtaube gefallen mir sehr gut; bei Manfred Jung fällt auf, daß auch er längst nicht über die herausragenden stimmlichen Mittel eines Ben Heppner verfügt. Jungs Timbre empfinde ich als nicht sehr angenehm, er forciert manchmal zu sehr, wenn es in die Höhe geht, aber man merkt ihm an, daß er weiß, was er singt. Gegen seine Gestaltung des Waldemars ist nichts einzuwenden.


    Welch Unterschied aber dann ist im zweiten und dritten Teil zu hören (5'24'', 47'31''): Nirgendwo ist Waldemars Verzweiflung und Wut über Toves Tod so prägnant wie bei Kegel und Jung. Solist und Orchester verausgaben sich schier in der Beschreibung der Gefühlswelt. Besonders fallen die schneidenden, aggressiven Blechbläser auf.


    Zeit zum "Luft holen" bleibt kaum, denn bei Kegel ist die folgende "wilde Jagd" tatsächlich eine. Ulric Cold hat als Bauer seine Mühe, Kegels Tempo zu folgen, bewältigt seine Aufgabe, wie insgesamt alle Solisten, in beeindruckender Manier. Die Chöre stehen den Solisten nicht nach.


    Daß in "des Sommerwindes wilde Jagd" Kegel nicht ganz so viel Strahlkraft verbreitet wie Gielen, liegt ausschließlich am direkten Vergleich und daran, daß Gielen wohl einen Standard geschaffen hat, der nicht zu übertreffen sein wird.


    Insgeamt also hat Gielen leicht die Nase vorn, wenngleich Kegel über die besseren Solisten verfügt und im zweiten und Teilen des dritten Teils durch seine rasante, aggressive Grundtendenz zu gefallen weiß.


    Eine lohens- und nebenbei preiswerte Alternative.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Liebe Frau Musica,


    mit den Ohren hast Du es bestimmt nicht ! Leider versteht man ja heute nicht mal mehr die deutschen "Muttersprachler", wie soll man dann die Ausländer verstehen, wenn sie Deutsch singen !

  • Wer kann denn mal einem Interessierten eine Aufnahme der Gurre-Lieder empfehlen? Schönberg hat wahrlich nicht "meine Musiksprache", aber ich lese immer, gerade die Gurre-Lieder wären in spätromantischem Idiom geschrieben...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Meine Favoriten sind nach wie vor diese Aufnahmen.



    exzellente Besetzung; Brandauer als Sprecher




    mit einer fabelhaften Tove (Jessye Norman)

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Bei der erstgenannten Einspielung handelt es sich um einen Konzertmitschnitt vom 18. März 1968 aus der Konzerthalle des Dänischen Rundfunks. Die LP-Kassette enthält das vollständige Libretto in deutscher Sprache.




    Die Einspielung mit Jessye Norman finde ich ebenfalls reizvoll und werde sie mir als CD zulegen.




    Mir war nicht bewusst, dass man die Gurre-Lieder als Kantate einstuft, weil Schönberg selbst sie formell nicht als solche bezeichnet. Sachlich ist es aber richtig, weil die Handlung - wenn auch kraus - so doch durchgehend ist und einen roten Faden hat.


    Leseprobe:


    'Herr Gänsefuß, Frau Gänsekraut, nun duckt euch nur geschwind,
    denn des sommerlichen Windes wilde Jagd beginnt.
    Die Mücken fliegen ängstlich durch den schilfdurchwachs'nen Hain.
    In den Schilf grub der Wind seine Silberspuren ein.'


    später heißt es dann:


    'Die Ähren schlägt der Wind in leidigem Sinne,
    dass das Kornfeld tönend bebt.
    Mit den langen Beinen fidelt die Spinne, und es reißt,
    was sie mühsam gewebt'


    =)


    Man muss da schon ein bisschen Gespür entwickeln und seine boshaften Gelüste unterdrücken, wenn man der spätromantischen Dichtung mit einem gehörigen Schuss Surrealismus etwas abgewinnen will.


    Aber ich werde mich mal 'ranmachen, das Oratorium zu beschreiben.


    Mit freundlichen Grüßen an alle Forianer


    :angel:
    Engelbert


  • Lieber Engelbert


    Vielen Dank für den Hinweis auf die Aufnahme des Dänischen Rundfunks!!!
    Ich bin ein großer Baker- und Patzak Fan, vorallem liebe ich dieses poetische, wenn auch sperrige spätromantische Werk.
    Ich fühle mich Dänemark seit gut 30 Jahren "kulturell" (und auch auf privater Ebene) sehr verbunden........habe beide Nachkriegs-RINGE (Aarhus und Kopenhagen LIVE erlebt, der in Aarhus ist zwar der unbekanntere ABER der BESSERE, aus meiner Sicht)...............die Reihe liesse sich endlos fortsetzen. Auch wenn es nicht zur Musik gehört....ich bin ein Verehrer Kierkegards, Hermann Bang's, der Dänischen Malerei und Archtektur....aber auch Nielsens...und ich liebe seine Oper "Maskerade"........


    Von den 11 Aufnahmen die ich von den GURRELIEDERN besitze, ragt die NEUAUFNAHME Gielens hervor. (mit Robert Dean Smith als dem tragenden Tenor)
    Was die alte Gielen-Aufnahme von (1980?) nicht leisten kann, das NARRATIV-PHANTASTISCHE MOMENT, ist hier einzigartig festgehalten. Die Aufnahme hat auch etliche internationale Preise gewonnen. (Haessler)


    Gruß......................"Titan"

  • Lieber Titan,


    von Hamburg aus war Dänemark früher mit Busausflügen bequem zu erreichen, habe allerdings nicht oft davon Gebrauch gemacht. Odense und Helsingör kenne ich flüchtig, einmal war ich auch in Kopenhagen (Tivoli und Kleine Meerjungfrau).


    An berühmten dänischen Persönlichkeiten ist mir der Astronom Tycho Brahe geläufig.


    Welche Opern dänischer Komponisten kennst Du?



    In meiner Sammlung befinden sich etliche. Besonders spektukär: Das Gilgamesch-Epos mit der Musik von Per Noergard.


    Mit freundlichen Grüßen
    :angel:
    Engelbert

  • Hallo Engelbert,


    Zitat

    Original von Engelbert
    Mir war nicht bewusst, dass man die Gurre-Lieder als Kantate einstuft, weil Schönberg selbst sie formell nicht als solche bezeichnet.


    Das ist - mit Verlaub - teilweise falsch, lieber Engelbert! Schönberg bezeichnet die Gurrelieder im Untertitel der vollständigen Fassung eindeutig als Oratorium in 3 Teilen.


    Zitat

    Original von Engelbert
    Aber ich werde mich mal 'ranmachen, das Oratorium zu beschreiben


    Eine ausführliche Beschreibung ist - zumindest was dieses Forum betrifft - bereits vorhanden. :D Siehe:


    Arnold Schönbergs größter Erfolg - Die 'Gurrelieder'


    :hello:
    Johannes

  • Lieber Guercoeur,


    Deinen Report (Doktorarbeit) finde ich ganz vorzüglich. Vielleicht kann die Administration diesen mit dem neuen Thread verschweißen, damit wertvolles Informationsmaterial sich zusammenfügt und der neue Leser sein Bild ausbauen kann.


    Freundlichen Gruß
    :angel:
    Engelbert



    Wunschgemässe zusamengefügt von MOD 001 ALFRED
    am 21.6.2010 um 8:03 Uhr

  • hallo,


    die gurrelieder werde ich , wenn möglich demnächst in karlsruhe sehen/hören. ich möchte mir auch eine aufnahme zulegen, gielen als SACD ist sicher eine gute wahl, es gibt aber auch in einer box die rattle aufnahme mit viel weiterer musik die eine terra inkognita für mich ist - ist sie - gerade bei dem preis eine empfehlung wert ?


    gruss


    kalli


    p.s. - ich konnte nicht widerstehen....die 5 cd box habe ich bestellt ....hoffentlich kein fehler.


  • Markus Stenz liefert eine extrem detailgenaue und scharfkantige Interpretation der "Gurre-Lieder", die sich keinem hohlen Gigantismus hingibt, sondern immer eng am Notentext bleibt und mit exzellenter Spannungsdramaturgie aufwartet. Das Gürzenich-Orchester scheint über sich selbst hinauszuwachsen.
    Die Solisten werden niemals vom Orchester überdeckt und werden nicht zum Forcieren genötigt.
    Barbara Haveman hat keine besonders schöne Stimme und klingt streckenweise schrill.
    Brandon Jovanovich hat Probleme mit der deutschen Sprache.
    Thomas Bauer und Gerhard Siegel sind absolut rollendeckend besetzt.
    Claudia Mahnke überzeugt mit Ihrer gewohnt ausdrucksstarken Stimme. Ein Glück, daß Sie immer noch im Frankfurter Opernensemble ist.
    Johannes Martin Kränzle ist 2015 leider an der Knochenmarkkrankheit MDS erkrankt. Hier agiert er als Sprecher (2014). Das macht er überzeugend. Hoffentlich geht es Ihm mittlerweile wieder besser, und er kann an die Frankfurter Oper zurückkehren.
    Die Hyperion-Klangtechnik fängt das Riesenunternehmen in einer weiträumig disponierenden Klangtechnik ein, die das Ganze zu einem Hörvergnügen ersten Ranges macht.
    Von mir eine absolute Empfehlung für diese Neuaufnahme, die mir wieder einmal bewiesen hat, was für ein fantastischer Dirigent Markus Stenz doch ist.

  • Alfred_Schmidt

    Hat den Titel des Themas von „Arnold Schönbergs größter Erfolg - Die 'Gurrelieder'“ zu „SCHÖNBERG, Arnold: GURRE-LIEDER“ geändert.