25.09.2012 (Staatsoper Hamburg) Alexander Borodin "Knjaz Igor" ("Fürst Igor")

  • Fürst Igor : Andrzej Dobber
    Jaroslawna : Veronika Dzhioeva
    Waldimir Igorewitsch : Dovlet Nurgeldiyev
    Fürst Galitzky : Rafal Siwek
    Khan Kontschak : Tigram Martirossian
    Kontschakowna : Cristina Damian


    Bundesjugendballett und Mitglieder der Ballettschule des Hamburg Ballett, Choreographie Renato Zanella;
    Philharmoniker Hamburg und Chor der Staatsoper Hamburg unter der musikalischen Leitung von Simone Young;
    Inszenierung David Pountney, Bühnenbild Robert Innes Hopkins und Kostüme Marie-Jeanne Lecca.


    (Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich)


    (4.Vorstellung seit der Premiere am 15.09.2012)


    Der erste Opernbesuch der Saison galt diesesmal der aktuellen Neu- bzw. Koproduktion eines leider viel zu selten gespielten Werkes der großen russischen Nationaloper (Fürst Igor im Opernführer). Zuletzt war diese Oper als Hamburger Erstaufführung 1938 unter dem späteren Gründer des NDR-Sinfonieorchesters H.Schmidt-Isserstedt zu sehen.


    Kurz vor Beginn der Vorstellung wurde der in der Titelrolle singende, polnische Bariton Andrzej Dobber als indisponiert angekündigt; glücklicherweise war hiervon kaum etwas zu merken.


    Einen für mich zwiespältigen Eindruck hinterließ einmal mehr Tigram Martirossian als Khan Kontschak. Ähnlich seiner Darstellung des Mephisto in C.Gounods Faust stand einer tadellosen schauspielerischen Leistung sein zu wenig profunder Bass entgegen. Insbesondere in höheren Lagen fehlt ihm die Fähigkeit, die Stimme zu öffnen, was natürlich umso mehr auffällt, wenn man z.B. einen N.Ghiaurov oder einen B.Christoff "im Ohr" hat. Eventuell wäre hier sogar R.Siwek die bessere Besetzung gewesen; seine Interpretation des Galitzky ließ im ersten Putiwl-Akt (hier als zweiter Akt, siehe unten) auch an vokaler Dämonie und Verschlagenheit nichts zu wünschen übrig.
    Als Sohn des Fürsten war mein aktueller Lieblings-Tenor des Hamburger Ensembles, der Turkmene Dovlet Nurgeldiyev zu hören. Seine m.E. ungemein lyrischen Stimme war einmal mehr mein ganz persönliches Highlight des Abends. Nicht ganz so sein Counterpart, die Kontschakowna gesungen von Cristina Damian, deren Leistung zwar in keinster Weise zu beanstanden war, die jedoch für ihre Rolle etwas zu dunkel timbriert schien. Der Star des Abends (wie wohl schon in der Premiere) war unumstritten Veronika Dzhioeva (Jaroslawna). Leider nur einen ungefähren Eindruck ihres auch an diesem Abend außerordentlich klangschönen, hochdramatischen Soprans liefert der Trailer der Staatsoper Hamburg:



    (zuletzt aufgerufen am 01.10.2012)


    An dieser Stelle auch ein großes Lob an Marie-Jeanne Lecca für dieses prachtvolle Kostüm ebenso, wie für das Ornat, welches Igors am Ende des Prologs anlegt!


    Was die hier angesprochenen Kürzungen und Eingriffe angeht, ist zuerst einmal festzustellen, dass der Abend etwa vier Stunden gedauert hat. Bei zwei Pausen von zusammen etwa 45 Minuten macht das eine ca.Spielzeit von etwa drei Stunden. Da die Oper in den verfügbaren Gesamteinspielungen auf etwa 3 1/2 Stunden kommt, dürften sich Kürzungen im Rahmen gehalten haben. Der wesentliche "Eingriff" bestand darin, die Reihung der ersten beiden Akte zu tauschen. Dies war jedoch keine Willkür, sondern geht auf Aufzeichnungen Borodins zurück und entspricht z.B. auch der von V.Gergiev eingespielten Fassung.


    Das Orchester unter der Hamburger Generalmusikdirektorin spielte erfreulich akkurat und man meinte zu spüren, dass Fr.Young einiges an diesem Werk zu liegen scheint.


    Zum Regiekonzept des Briten David Pountney äußert er sich selber im Trailer des Opernhauses Zürich, welcher ebenfalls im Netz angesehen werden kann:



    (zuletzt aufgerufen am 01.10.2012)


    Nun ist alleine die Tatsache, Borodins einzige (und noch dazu von ihm unvollendet hinterlassene) Oper auf zwei großen europäische Bühnen zu zeigen, an sich schon lobenswert. Allerdings fürchte ich, der Impetus dieser Inszenierung ist dann doch zu gering, als dass sie bleibende Spuren hinterläßt. Pountney changiert letztlich zwischen konventionellen Versatzstücken, wie z.B. einem hölzernen Glockenturm, der "goldenen" Steppe und einem beeindruckenden Reiterstandbild auf der einen Seite und dem Verweis auf die jüngere und jüngste russische Geschichte z.B. im im ersten Putiwl-Akt (zweiter Akt) oder im Schlussbild, wenn drei Darstellerinnen kostümiert als Pussy Riot (zuletzt aufgerufen am 01.10.2012) die Bühne betreten - spätestens in diesem Moment merkt man, dass, was eigentlich wehtun sollte, nicht sticht!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo,


    am Samstag war ich in Hamburg und kann der Meinung mein es Vorredners voll zustimmen. Veronika Dzhoeva war das Highlight des Abends. Tigran Martirossian hat mich auch etwas entäuscht.
    Eine Inszenierung, von der man sich den Ansporn wünscht, mehr russisches Programm auf die Bühne zu bringen.
    Vor ca. 20 Jahren lief der Füsrt Igor auch mal in Braunschweig, ebenfalls sehr schön.


    Schöne Grüße
    wega

  • Zur Inszenierung kann ich zwar nichts sagen, aber ich habe am 15. September die Radioübertragung dieser Vorstellung gehört, und bin mir zeimlich sicher, dass es keine Umbesetzungen im Sängerensemble gab, deswegen kann ich mich der Meinung meiner beiden Vorredner zumindest musikalisch anschließen. Allen voran die Dzoheva. Die Kontschakowna habe ich nicht als zu dunkel empfunden, die Rolle ist eben für Mezzo oder Alt.
    Was das Orchester angeht, es klang mir vielleicht etwas zu "unrussisch", etwas zu unterkühlt-spitz (aber zum Vergleich kenne ich auch nur die Tschakarow-Einspielung). Der Chor hat mir sehr gefallen.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Hallo wega, Hallo SchallundWahn,


    es freut mich, dass mein kleiner Bericht anscheinend nicht allzusehr subjektiv gefärbt zu sein scheint und ich meine Eindrücke bestätigt finde. Leider hatte ich es nicht geschafft, die Übertragung der Premiere im Radio zu verfolgen, so dass ich hier keinen Vergleich habe. Die Besetzung der von mir besuchten Vorstellung entsprach aber tatsächlich der Premierenbesetzung.


    Die Kontschakowna habe ich nicht als zu dunkel empfunden, die Rolle ist eben für Mezzo oder Alt.

    Was mich tatsächlich auch jedesmal wieder irritiert: Warum nicht Sopran und dafür die Jaroslawna im tieferen Stimmfach? Ich reime mir dies so zusammen, dass Borodin durch seine Wahl das orientalisch-geheimnisvolle in der Rolle der Khan-Tochter hervorheben wollte.


    Was das Orchester angeht, es klang mir vielleicht etwas zu "unrussisch", etwas zu unterkühlt-spitz (aber zum Vergleich kenne ich auch nur die Tschakarow-Einspielung).

    Zugegeben: Anders, als die Sänger war der Orchesterklang zwar sehr gut, aber unideomatisch, was nach meinem Empfinden gerade beim russischen Repertoire jeweils stärker ins Gewicht zu fallen scheint bzw. zumindest häufiger diskutiert wird, als etwa im italienischen!?


    Der Chor hat mir sehr gefallen.

    Das von mir versäumte Lob ist natürlich unbedingt nachzuholen: Der Chor der Staatsoper Hamburg war auch am 29.09, wie so oft, ganz ausgezeichnet disponiert.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.