Beethovens Musik emotionalisiert schon aus der Struktur heraus

  • Diesen Satz hat Thomas Sternberg in einem Thread über Beethoven-Sonaten geschrieben - und ich finde, er ist ein ausgezeichneter und anregender Threadtitel. Es ist schon mal eine Streitfrage ob diese Aussage überhaupt wahr ist, bzw. wenn ja, warum das der Fall ist.
    Welche Mechanismen, Kunstkniffe etc kommen hier zum Tragen ?
    Handelt es sich bei den genannten Eigenschaften lediglich um eine Projektion der Gesellschaft - oder steckt da etwas anderes dahinter ?


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Also mich würde es auch schon mal interessieren, was der geistige Urheber dieses Threads dazu detaillierter ausführen würde; aber er schweigt beharrlich!

  • Ich halte es für eine unglückliche und kaum verständliche Formulierung, aber Reden über Musik ist wie ...
    Insofern verzeihlich, aber wohl kaum ein fruchtbarer Ansatz für eine Diskussion.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wenngleich die Formulierung nicht von mir ist, so fühle ich mich dennoch ein Wenig verantwortlich für diesen Thread, weil ich in schließlich in die Welt gesetzt habe - und weil ich glaube - verstanden zu haben was Thomas Sternberg gemeint haben könnte.
    Wenn hier weiter oben von Yorick zu lesen ist "er schweigt aber beharrlich" - dann würde ich meinen, Thomas hat diesen Thread - wie so viele andere - einige Zeit gar nicht wahrgenommen - denn "beharrlich schweigen" ist keine Charaktereigenschaft mit der ich ihn in Zusammenhang brächte...... :stumm:
    Es geht hier auch gar nicht darum, inwieweit diese Aussage stimmt oder nicht, sondern ob sie ein Körnchen Wahrheit enthält. Ich persönlich hätte vielleicht ein wengi allgemeiner formuliert, etwa in der Art "Beethovens Musik emotionalisiert schon von sich aus"
    Und das tut sie in der Tat, wobei schwierig ist, auseinanderzuhalten, was hier Beethovens Musik bewirkt - und was die unzähligen Deutungsversuche seiner "Einzigartigkeit" Beethovens Musik wurde an anderer Stelle im Forum ein gewisses "Aggressionspotential" nachgesagt - andere sehen eine "humane Botschaft an die Menschheit" darin - das Werk einen "Titanen" - Beethoven wurden oft übermenschliche - aber auch unangenehme - Eigenschaften nachgesagt - welche aus meiner Sicht mehrheitlich in den Bereich der Legende verwiesen werden müssen. All das bringt schon an sich einen Prozess beim Hören in Gang, welchen man - lax formuliert - schon ein wenig mit "Emotionalisierung" umschreiben kann.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Meine Interpretation wäre eher, dass Beethovens Art zu komponieren bereits emotionalisiert, das heißt ungeachtet des melodischen Materials. Teilweise mag das stimmen, vor allem in seine Variationszyklen, die ja meistens keine elektrisierenden Themen haben aber dennoch sehr wirkungsvoll sind. Demgegenüber wären wohl Komponisten wie Tschaikowsky oder Grieg solche, welche ein "gutes Thema" brauchen, um zu begeistern. Nicht unbedingt meine Meinung, aber ich denke, das war gemeint.

  • Beethoven emotionalisiert, das stimmt ganz gewiss! Aber aus der Struktur heraus? Oder einfach so von sich aus? Beides wird Stichproben nicht standhalten. Obwohl es ganz gewiss größere musikalische Naturgenies als Beethoven gab (Bach. Mozart), gilt er vielen als der Revolutionär der Musik, als der große Entfesseler subjektiver Gestaltung, als Bewahrer und Überwinder, als heroisch Kämpfender wider die Gewalten der Natur, der Kunst und des Lebens - er steht mithin geradezu symbolisch am Beginn unserer individualistischen Epoche und unser stilisiertes Bild von ihm überlagert wie bei allen ganz Großen (Goethe) längst das, welches er "wirklich" abgab. Die Frage hier wäre, was wir unter Struktur verstehen; was wir als Emotionen bezeichnen und ob unsere Haltung zu Beethoven nicht hauptsächlich durch andere außermusikalische Faktoren bestimmt wird. Ich bin sicher, Kubrick hätte für "Uhrwerk Orange" auch ein anderes so eindringliches und passendes Musikstück finden können ... nur welches ... 8-)

  • Ich rate mal mit :D und vermute eher, er meint, dass strukturelle Merkmale in die emotionale Wirkung der Stücke eingebunden werden, und zwar nicht nur auf subtile Weise, sondern so, dass der Hörer gerade dadurch, dass er das Strukturmerkmal wahrnimmt und deutet, emotional erlebt.


    Ein Beispiel hierfür wäre die Scheinreprise im Kopfsatz der Pastoralsymphonie, direkt nach einer Passage wunderschönen musikalischen Stillstands. Die Scheinreprise gibt vor, jetzt müsse es weitergehen mit der "Ankunft auf dem Lande"; aber es blendet sich wieder das kleine rhythmische Motiv der Stillstandspassage ein und erzwingt eine Rückkehr dieser Passage, so als könne die Zeit noch einmal kurz angehalten werden, um den Moment der Vorfreude erneut auszukosten.


    Das ist natürlich nicht die Wirkung der Struktur alleine (und da finde ich Thomas Sternbergs Aussage unglücklich), sondern die einer Kombination eines Strukturmerkmals mit anderen musikalischen Parametern und nicht zuletzt der durch die Betitelung des Satzes gewonnenen Assoziationen; meiner Assoziationen, jemand anderes würde diese Stelle vielleicht anders deuten, etwa als einen sanften Schlummer, in den das Pferdegetrappel der Kutsche dringt, unterbrochen durch einen kurzen wachen Augenblick ("Was, schon da? Oh, gut, es dauert noch!"). Oder eben als Scheinreprise in G-Dur. ;) Die ungefähre Richtung der Assoziation scheint mir aber vorgegeben, und das Wahrnehmen und Deuten des Strukturmerkmals kann zu einer Potenzierung der emotionalen Wirksamkeit führen.

  • Zitat

    Ein Beispiel hierfür wäre die Scheinreprise im Kopfsatz der Pastoralsymphonie, direkt nach einer Passage wunderschönen musikalischen Stillstands. Die Scheinreprise gibt vor, jetzt müsse es weitergehen mit der "Ankunft auf dem Lande"; aber es blendet sich wieder das kleine rhythmische Motiv der Stillstandspassage ein und erzwingt eine Rückkehr dieser Passage, so als könne die Zeit noch einmal kurz angehalten werden, um den Moment der Vorfreude erneut auszukosten


    Hallo Spradow,


    wunderbare Stelle, du triffst genau das, was ich meine.
    Genau auf so etwas habe ich gewartet und gehofft.


    Wenn sich jetzt noch solche Experten wie Johannes ins Zeug legen, finden wir noch mehr solcher Stellen und können so vielleicht etwas mehr Beethoven`s Kompositionen "durchleuchten", das "Wesen" seiner Musik ergründen und in seine Musik "eindringen".


    Und auch für "unbedarfte" Mitleser verständlicher machen!


    Viele Grüße Thomas


    P.S. Das meine Formulierung unglücklich ist und trotzdem zum Nachdenken anregt freut mich doch sehr!

  • Wenn sich jetzt noch solche Experten wie Johannes ins Zeug legen, finden wir noch mehr solcher Stellen und können so vielleicht etwas mehr Beethoven`s Kompositionen "durchleuchten", das "Wesen" seiner Musik ergründen und in seine Musik "eindringen".

    Wie wäre es, wenn du selbst ein paar Beispiel bringst und auch den anderen Kommentatoren antwortest?

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  • Dazu gibt es ja die These von Th. W. Adornos Musiksoziologie, daß der Weltbezug - und die gesellschaftlichen Bezüge - in einer musikalischen Form dort zum Vorschein kommt, wo die strenge Formimmanenz durchbrochen wird. Das müßte man dann an einzelnen Beispielen zeigen können.


    Beste Grüße
    Holger

  • Und es gibt Analysen von Beethovens Musik, die zeigen, daß etwa in der Harmonik ein "Wille" zum Ausdruck kommt, etwa wenn eine Kadenz zurückgehalten, aufgeschoben wird usw. Daß Beethovens Form eine emotionale Ausdrucksbedeutung hat, halte ich für evident.


    Beste Grüße
    Holger

  • Ich befasse mich gerade mit der A-Dur Sonate Op.2. Im zweiten Satz gibt es diese herrliche, tiefe, "Schrittmelodie", welche den ganzen Satz "trägt", deutlich ein Strukturelement.


    Wie Beethoven jetzt dieses Element nicht inflationär einsetzt, es sozusagen "totdudelt", sondern geschickt einbaut und immer wieder zur Entspannung einsetzt, ein Gefühl von Ruhe erzeugt, kann vielleicht ein Beispiel für meine These sein.

  • Ja, o.k., aber was ist daran besonders Beethoven-spezifisch?
    Meiner Ansicht nach ist es in der Musik eher die Regel, dass "Form" und "Inhalt" nicht zu trennen sind und natürlich nicht nur einzelne Melodien oder harmonische Wendungen emotionale Wirkung haben, sondern auch längere Verläufe, wenn man es denn so will "Strukturen"


    Den langsamen Satz der A-Dur-Sonate mit der "pizzicato"-Basslinie finde ich auch faszinierend, aber im Grunde ist das keine so besondere "Struktur".

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ja, o.k., aber was ist daran besonders Beethoven-spezifisch?
    Meiner Ansicht nach ist es in der Musik eher die Regel, dass "Form" und "Inhalt" nicht zu trennen sind und natürlich nicht nur einzelne Melodien oder harmonische Wendungen emotionale Wirkung haben, sondern auch längere Verläufe, wenn man es denn so will "Strukturen"


    Den langsamen Satz der A-Dur-Sonate mit der "pizzicato"-Basslinie finde ich auch faszinierend, aber im Grunde ist das keine so besondere "Struktur".


    Hallo Johannes,


    Nu, für mich als "Neueinsteiger", der erst wenige Jahre mit dieser Musik befasst, ist das schon etwas Besonderes. Man hat, besonders in der Rockmusik, eine durchgehende Basslinie, die aber oft nicht wahrgenommen wird, aber seltenst eine eigenständige Melodie, die ein Stück trägt, mir fällt auf Anhieb da nichts ein.


    Vielleicht kannst du mir ja Stücke anderer Klassikkomponisten nennen, die so ähnlich komponiert sind.


    Viele Grüße Thomas