John Kinsella - irischer Komponist

  • John Kinsella ist ein irischer Komponist, der 1932 in Dublin geboren wurde. Er studierte die Bratsche, Harmonie und Kontrapunkt, ist als Komponist aber Autodidakt. In den 1960er Jahren flirtete er mit dem Serialismus (kann man sich bildhaft kaum vorstellen), geriet dann aber in eine Schaffenskrise und erkannte - wie viele andere - dass diese Richtung eine Sackgasse ist. Seine Musik wurde daraufhin persönlicher und zugänglicher. Ab 1984 komponierte er u.a. insgesamt 10 Symphonien.

    Die vorliegende 5. Symphonie heisst "The 1916 Poets". Sie ist drei Dichtern gewidmet, die als Aktivisten am legendären Osteraufstand im April 1916 gegen die britische Herrschaft beteiligt waren und in Folge wenige Tage später von den Besatzern exekutiert wurden: Joseph Mary Plunkett, Thomas MacDonagh and Patrick Pearse. Bei dem fast 40-minütigen Werk handelt es sich um eine Vokalsymphonie, die mehrere Gedichte aller drei Dichter zur Grundlage hat. Die Gedichte werden teils über der Musik rezitiert (hier von Bill Golding), teils vom Bariton Gerard O'Connor gesungen. Die Musik ist den Texten, die sich häufig mit Tod und Todesvorahnungen befassen, gemäß düster und tragisch. Sie ist im Prinzip tonal und vielleicht am ehesten vergleichbar mit Britten (Peter Grimes) und Schostakowitsch (13. und 14. Symphonie) in ihren düstersten Momenten. Auch Mahler ist als Einfluss nicht zu überhören. Diese Musik ist außerordentlich ausdrucksstark und man kann sich ihrer Kraft kaum entziehen. Und dass obwohl die Aufnahme alles andere als optimal ist. Sie stammt von 1994 (vermutlich live oder fürs Radio) und war sicher schon zu der Zeit klanglich problematisch. Der Sound erinnert an russische Aufnahmen der 70er Jahre. Die Lösung, die Stimme des Rezitators elektronisch zu verstärken, ist auch nicht optimal gelöst und der Bariton ist alles andere als angenehm im Ohr. Trotz all dieser Probleme kommt die Musik überaus stark herüber, was m.E. für ihre außerordentliche Qualität spricht. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber wäre zu wünschen, dass hier in naher Zukunft eine Neuaufnahme vorgelegt wird. Und die Aufnahme weckt natürlich Interesse, die anderen Symphonien kennenzulernen.


  • Bei meiner Suche nach weiteren Aufnahmen von Kinsella im Netz stiess ich auf diese CD hier und dachte, das Cover kennst Du doch irgendwie. Und tatsächlich, die CD steht schon im Regal und enthält u.a. das 3. Streichquartett von Kinsella. Inzwischen hat der Komponist 5 Quartette geschrieben, das letzte 2013. M.W. ist die Nr. 3 aber das einzige, das bisher eingespielt wurde. Es ist ein Übergangswerk, von der modernistischen zwölfton- und seriell beeinflussten Phase zu einer ausdrucksstärkeren postmodernen Tonsprache. Den Einfluss der Wiener Schule hört man hier und da noch, aber man hört eben auch, dass die zentralen Aussagen in eine andere Richtung gehen. In gewissem Sinne ähnelt dieses Stück Quartetten, die 100 Jahre früher komponiert wurden, als der Aufbruch in die Moderne begann. Ob sich Schönberg das erträumt hat, dass einmal ähnliche Stücke den Rückweg in die Tonalität markieren würden?

  • Die 1989/90 entstandene dritte Symphonie von John Kinsella lässt in mir die Überzeugung heranreifen, dass es sich bei diesem Komponisten um meine Entdeckung des Jahres handeln könnte. Das erscheint mir schon nach einmaligem Hören eine der interessantesten Symphonien zu sein, die auf den britisch-irischen Inseln komponiert wurde. Dieses Werk ist zwar 1989/90 entstanden, könnte aber auch 50 Jahre früher komponiert sein. Sibelius, Vaughan Williams, Bax, Moeran, Bruckner sind so assoziativ verknüpft, aber letztendlich doch etwas ziemlich Eigenes.


    Liebe Taminos, das Stück kommt IMO richtig gut. Weitere Symphonien werden folgen.

  • Ziemlich starkes Stück diese 3. Symphonie, gerade noch einmal heute morgen gehört. Die Form des 30-minütigen Stücks ist ungewöhnlich, zwei Sätze um die 12 min, ein Scherzo und ein Adagio, werden von kurzen Sätzen: Prolog, Intermezzo, Epilog umrahmt. Der Prolog ist eine Solokadenz für Fagott, das auch in den anderen kurzen Sätze eine dominante Rolle spielt. Das Scherzo beginnt recht munter und steigert sich dann zu ziemlich Klangballungen auf, auf deren Höhepunkt auch die Pauken ordentlich zuhauen, Mahler 6 lässt grüßen. Das Adagio ist ein tief gefühltes langsames Stück mit Soloeinlagen eines Saxophons und steigert sich in der Mitte zu einem Höhepunkt von Brucknerschen Ausmaßen auf. Das Stück gefällt mir, endlich wieder eine neue starke spätromantische Symphonie im Regal.


    Auf youtube habe ich heute die kurz vorher entstandenen Symphonien 1 und 2 mit jeweils 45 min Länge in kompletter Länge entdeckt. Symphonien 6 und 7 sind bestellt. Ich werde berichten.

  • Die vierte Symphonie von John Kinsella hat das klassische viersätzige Format, wobei der langsame Satz am Ende steht, gut 45 min dauert das Werk. Es hat den Untertitel: the 4 provinces, womit die vier irischen Provinzen gemeint sind: Munster, Connacht, Ulster und Leinster. Man lernt also auch gleich geographisch dazu :D. Das Werk ist den 6 (!) Kindern des Komponisten gewidmet. Um kindgerechte Musik handelt es sich hier aber nun nicht, sondern es geht recht düster und tragisch zu. Alles was ich über Symphonie Nr. 3 geschrieben habe, gilt mehr oder weniger auch hier, die Orchestersprache ist an einigen Stellen moderner, so dass technische Errungenschaften der Nachkriegszeit durchaus eingeflossen sind. Aber die Symphonie ist immer noch spät-spät-romantisch oder von mir aus auch postmodern. Hörer, die Sibelius oder Schostakowitsch schätzen, müssten eigentlich auch dieses Werk goutieren.


    Insgesamt bestätigt auch hier schon der erste Hördurchgang, dass es sich bei Kinsella um einen kapitalen Symphoniker handelt, den es zu entdecken gilt.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Diese beiden Symphonien bestätigen das bisher gesagte, beide Werke sind gelungene Beispiele für kompakte (jeweils unter 30 min) tonal fundierte Symphonien im 20. Jahrhundert. Als grössten Einfluß würde ich bei beiden Werken Sibelius ausmachen, angereichert mit ein wenig Robert Simpson und Malcolm Arnold. Wer deren Symphonien für würdig befindet, im Regal zu stehen, sollte auch an Kinsella nicht vorbeigehen. Hoffentlich kommen Symphonien 1 und 2 (bisher nur auf youtube anhörbar) und 8 und 9 noch heraus.