Wer kennt Franco Faccio?

  • Ein Musikfreund machte mich dieser Tage auf concerto.arte.tv/de/hamlet-bregenzer-festspiele aufmerksam, auf dem zur Zeit die Aufzeichnung von „Amleto (Hamlet)“ von Franco Faccio läuft, die ich hiermit allen Opernfreunden an Herz legen möchte.
    Franco Faccio (1840 – 1891) war ein Zeitgenosse Verdis und ist vor allem als Dirigent bekannt geworden, später wurde er Direktor des Mailänder Konservatoriums. Er schrieb 2 Opern, 3 Sinfonien und Kammermusik.
    „Amleto“ wurde 1865 in Genua uraufgeführt und dann noch einmal 1871 an der Mailänder Scala, wo die Oper wegen Erkrankung des Hauptdarstellers durchfiel, woraufhin Faccio keine Note mehr geschrieben haben soll. Die Oper wurde danach vergessen und erst 2014 in einer konzertanten Aufführung in Baltimore wiederentdeckt. Im gleichen Jahr wurde sie auch in Albuquerque szenisch aufgeführt.
    Nun haben die diesjährigen Bregenzer Festspiele sie mit großem Erfolg wieder aufgeführt.
    Die Musik ist mit der von Verdi nicht zu vergleichen. Sie weist schon eher in Richtung Verismo.
    Gestern Abend habe ich mir diese Oper angesehen und fand die Musik sehr fesselnd, ohne dass man jedoch von eingängigen Melodien wie bei Verdi sprechen kann. Besonders gefielen mir das Schuldbekenntnis der Gertrude und die Wahnsinnsszene der Ophelia. Sängerisch aber auch schauspielerisch war die Hauptrolle mit Pavel Cernoch gut besetzt. Aber auch die anderen Rollen konnten weitgehend überzeugen.
    Olivier Tambosi hatte das Werk in karge Bühnenbilder, aber sehr eindrucksvolle Szenen umgesetzt, wozu die farbigen Kostüme ihren Beitrag leisteten. Allerdings konnte ich mir bisher keinen Reim darauf machen, welche Symbolik die auf allen Kostümen aufgemalten großen Augen haben sollten.
    Insgesamt von der Musik als auch von der szenischen Umsetzung her eine für mich hörens- und sehenswerte Aufführung.
    Es wäre interessant, hier noch andere Meinungen zum Werk und zu seiner Umsetzung in Bregenz zu lesen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Es wäre interessant, hier noch andere Meinungen zum Werk und zu seiner Umsetzung in Bregenz zu lesen.


    Dann soll es so sein: Bevor ich meine eigenen Eindrücke schildere, sei auf die recht passable Wikipedia-Seite zu Faccios Amleto hingewiesen, die neben Informationen zur Werk- und Aufführungsgeschichte inkl. Besetzungslisten, die angesichts der überschabaren Anzahl von Aufführungen sogar vollständig sein dürfte, auch einige Links auf die recht positiven Kritiken zur Bregenzer Umsetzung enthält. Und auch die Fachzeitschrift Opernwelt äußert sich in ihrer Ausgabe Sept./Okt./2016 durchaus wohlwollend zu dieser Wiederentdeckung, sowie zur Bregenzer Inszenierung.


    Ich für meinen Teil behaupte jetzt mal, dass die ganze ca. zweieinhalb stündige Oper Faccios genau eine Melodie enthält, und die erklingt (vielversprechend) gleich zu Beginn und dann leider viel zu spät nochmals am Ende. Dazwischen hat es viele Noten und es wird viel und vor allem laut gesungen. Den Weg zum Verismo höre ich lediglich in besagter Melodie, ansonsten eher Meyerbeer und Wagner, sowie wenig Verdi. Ich fühlte mich musikalisch fast ein wenig in den Stuhl gedrückt oder sollte ich besser sagen, in die Ecke gedrängt? Bis auf die wenigen lyrischen Momente, wenn z.B. Ofelia halluziniert und schließlich ins Wasser geht, scheint mir hier einfach zu viel gewollt - vor allem zuviel Wahnsinniger Hamlet, statt die Entwicklung einer Figur vom Melancholiker hin zum Wahnsinn. Dabei ist der Inszenierung Tambosis und vor allem der schauspielerischen Leistung Pavel Černochs zugute zu halten, dass der Wahnsinn der Hauptfigur (über-)deutlich herausgearbeitet wird. Nur, die Idee, Hamlet von Beginn an als Wahnsinnigen zu zeigen, hat mich schon in einer der "neueren" Hamlet-Verfilmungen (Mel Gibson?) gestört. - Übrigens genau so, wie die Darstellung des Jack Torrance durch Jack Nicholson in Kubricks Verfilmung des Stephen King-Romans Shining; wer Buch und Film kennt, weiß vielleicht, was ich meine ...


    Die Idee der Inszenierung eines Bühnenstück im Bühnenstück (im Bühnenstück, wenn die Schauspieltruppe auftritt), ist weder für eine Opern- noch wahrscheinlich für eine Hamlet-Inszenierung neu, aber sicherlich nicht mißglückt. Das Ganze vielleicht etwas zu holzschnittartig, besonders der Auftritt des Geistes. Die Idee des überdimensionalen schwarzen Steinblocks bleibt mir unklar; handelt es sich um die Last des Schicksals, um den Stein des Anstoßes (i.e. Hamlet)? Die auf den Kostümen des Hofes allgegenwärtigen Augen sind vielleicht die Augen des Wahnsinns, der alle infiziert. Oder sind es die Augen des Zuschauers? Eine konkludente Interpretation habe ich zwar nicht, ihr Fehlen bringt mich jedoch auch nicht um den Schlaf.


    Auch, wenn mir die musikalische Qualität des Werkes fraglich erscheint, müssen die sängerischen Leistungen zum Teil hochgelobt werden: Allen voran Černoch, der in der Titelrolle eine wahre Herkulesaufgabe zu bewältigen hat, der Amleto ist eine Rolle zwischen Spinto und Heldentenor, die z.B. einem Otello in nichts nachsteht. Auch Iulia Maria Dan als verstörte, verstörende Ofelia hat mir ausgezeichnet gefallen. Am schwächsten m.E. Claudio Sgura als Königsmörder Claudio mit einem geradezu körperlich sichtbaren Vibrato.


    Sollte diese Rarität einmal in einem für mich erreichbaren Opernhaus auf dem Spielplan stehen, würde ich es mir aus Neugierde wohl nochmals anschauen; dass Amleto danach allerdings eine meiner Lieblingsopern sein wird, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Michael,


    vielen Dank für deine ausführliche und sachkundige Analyse. Vieles stimmt mit dem überein, was ich auch gesehen habe. Allerdings fand ich die Oper nicht so melodienarm, wie du sie gesehen hast. Das Libretto kenne ich nicht, aber die Aufführung schien mir werkgerecht, denn sie entspricht in weiten Teilen dem Shakespeare-Drama. Meine Lieblingsoper wird es sicherlich auch nicht werden, aber ich fand sie schon deshalb sehenswert, weil ich hier wieder ein neues Werk kennengelernt habe, von dessen Komponisten ich - ehrlich gesagt - bisher noch nie etwas gehört hatte. Ich selbst bin immer wieder mal darauf aus, etwas Neues kennen zu lernen und wollte sie daher auch anderen Opernfreunden empfehlen.
    Das Stück im Stück entspricht ja durchaus auch den ähnlichen Geschehen in Shakespeares Hamlet.
    Was den Wahnsinn des Hamlet betrifft mag es sein, dass bei Shakespeare die Entwicklung dorthin weit sensibler dargestellt wird. Für mich war es hier eher ein vorgespiegelter Wahnsinn, der aber von Pavel Cernoch - wie ich fand - brillant ausgespielt war.
    Sehenswert war die Inszenierung auch, weil gute Sänger aufgeboten waren, die auch schauspielerisch überzeugen konnten.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Eine Aufführung, die ich hier empfehlen würde, wenn sie denn noch liefe. Ich habe den Mitschnitt aus Albuquerque und hatte in Chemnitz nicht allzu viel erwartet. Hans Kühner hatte das Werk in seiner Verdi Biographie (RoRoRo) kurz erwähnt und als "zu recht in der Versenkung verschwunden" bewertet. Zum Glück war die Neugier größer und der Weg gen Osten nicht zun lang.


    Das Opernhaus Chemnitz hat die durchaus vorhandenen Melodien richtig betont und voll zur Stärke gebracht. Ameleto ist bisher mein Opernhöhepunkt 2019.

  • Hans Kühner hatte das Werk in seiner Verdi Biographie (RoRoRo) kurz erwähnt und als "zu recht in der Versenkung verschwunden" bewertet.

    Zum Glück finden sich solche apodiktischen Urteile nach meiner Beobachtung inzwischen seltener in der Literatur.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent