Schubert: Klaviersonate a-moll, op.42 d.845

  • {bevor mich alfred rausschmeißt -und ich DANN ein schubertforum gründen muss. :D keine angst, dazu bin ich viel zu faul; aber mir ist aufgefallen, dass fast keine einzelwerke mehr vorgestellt werden. andererseits ist das auch logisch: die wichtigsten sind schon, über ein paar traut sich vielleicht niemand drüber, und die anderen finden nicht viel interesse. mal sehen, wie das mit dem folgenden ist:}


    schubert: klaviersonate a-moll, op42 d845


    zuerst ein bisschen umstände:


    komponiert hat er sie im frühjahr 1825, zeitgleich mit der c-dur zwillingsschwester d840. er logierte zu der zeit direkt an der karlskirche, im frühwirthischen hause, 5.stiege, 2.stock, wo auch des freundes moritz von schwinds familie wohnte. zur zeit der komposition entstand das bekannte porträt von rieder


    erschienen ist das gute stück bei anton pennauer als "première grande sonate" im märz 1826, vermutlich so spät, weil der widmungsträger sich mit seiner gnädigen erlaubnis zeit gelassen hat. es handelt sich dabei um den beethovenliebling rudolf, österr. erzherzog, olmützer fürsterzbischof, sohn kaiser leopolds II., dieswelcher als nachfolger seines berühmten bruders josef II. nur von 1790-92 regierte, sein sohn franz herrschte dann bis 1835 etwas länger, zuerst als deutscher dann als österreichischer kaiser. (dies nur zur orientierung)


    sie wurde in der leipziger allgemeinen musikalischen zeitung gleich euphorisch besprochen, mit verweisen auf haydn und beethoven.


    obwohl schubert vor ihr je nach standpunkt an 13, 14 oder 15 sonaten gearbeitet hat, scheint er mit ihr als erster voll zufrieden gewesen zu sein, daher: 1ère grande sonate.


    d845 ist die 3. schubertsonate in a-moll (d537, d784) und gehört in eine reihe mit d840, d850 und d894


    autograph ist keines vorhanden, der erstdruck gilt als fehlerhaft. vor 2 jahren ist sie in der nga erschienen.


    nach der 3-sätzigen d784 und der nicht zu ende gebrachten d840 die klassische form:
    1. moderato. 311 takte
    2. andante, poco mosso. 181t.
    3. scherzo. allegro vivace.trio, un poco più lento 134+48 t.
    4. rondo.allegro vivace. 549 t.


    der 1.satz
    obwohl ein hämmerndes marschmotiv mit vielen sforzati eigentlich für kräftige bewegung stehen sollte, hab ich aber trotzdem den subjektiven eindruck, der satz komme nicht recht voran.
    da eine melodie aus dem lied "totengräbers heimweh", d842 verwendet wird, ist dem satz vielfach eine gewisse todessehnsucht zugeschrieben worden.
    er ist jedenfalls ziemlich unfröhlich.
    mit vielen staccatopunkterln geht's dem ende entgegen, das ist dann schon ziemlich gewalttätig und erschütternd, ein brutales akkordgedonner, unerbittlich, wie ich es gerade beim "so weichen" schubert liebe, aber fern von lisztscher affektiertheit, -so sehr sich dieser auch um jenen verdient gemacht hat.


    der 2. satz besteht (als einziger schubertscher klaviersonatensatz) aus idylle mit 5 variationen, welche der komponist auf seiner reise mit vogl nach oberösterreich 1825 dort zum besten gab, wie er selbst in jenem brief schreibt, in dem er auch gegen das "vermaledeyte hacken" selbst bei ausgezeichneten klavierspielern wettert.


    der 3.satz ist natürlich vital und federnd, das trio besonders bemerkenswert, wie ein abgehobenes wiegenlied.


    der 4. satz
    mein eindruck: rastlos, gejagt. die sonate endet recht ansatzlos und schroff.


    an aufnahmen habe ich diesmal "nur" badura-skoda, brendel, endres, gulda und schuchter
    der zeitliche aufführungsrahmen bewegt sich um die halbe stunde (gulda 27', brendel 37')


    die posthume veröffentlichung von guldas aufnahme vom mai 67 scheint mir vor allem dem großen namen und damit verbundener dokumentarischer bedeutung geschuldet. im 3. satz zeigt er, wie schnell er spielen kann, im 4. satz scheint mir sogar ein gesprochener kommentar, sei es des interpreten, sei es eines tontechnikers nicht vollständig wegzulöschen gewesen zu sein. gulda hatte seine skrupel bei schubert, er mied ihn eher, vielleicht seines suizidalen soges wegen.


    klavierprofessor schuchter spielt mir hier zu akademisch.


    mein favorit ist schon wieder badura-skoda auf hammerflügel conrad graf ca. 1824.


    alfred brendel gefällt mir auch sehr gut, -ich meine seine aufnahme aus den frühen 70ern, nicht die zur zeit erhältliche, 1989 erschienene. vor allem durch seine bezwingende agogik.


    schöne geburtstagswünsche aus schubert-town

  • Salve,


    auch von mir Glückwunsch!


    D845 ist mir von jenen Schubertsonaten, die ich gelegentlich spiele, eine der liebsten. Besonders I und III sind meine Favoriten, u.a. wegen der Vorwegnahme eines charakteristischen Themas der "Großen" in C im B-Teil des Trios [T. 151 ff.]:



    :jubel: :jubel: :jubel:


    Das leise rufende Einstiegsthema des 1. Satzes mag ich ebenfalls sehr gerne, gefolgt von den Synkopen [T. 10] und den kleinen Nonen [T. 12], mehr noch aber den Übergang zum 2. Thema in C-Dur: T. 26-39. Die Durchführung ist ab T. 120 forellig - auch ganz mein Ding. Der Satz endet in seiner Art ganz ähnlich dem Schlußsatz der h-moll-Sinfonie - überhaupt ist der Satz ziemlich "sinfonisch"...


    Den 2. Satz finde ich bereits zu lyrisch für meinen Geschmack und finde auch, dass er sich nicht so ganz zum Gesamtbild der Sonate fügt. Der Anfang des Satzes ist jedenfalls blendend einfach und schön.


    Das Scherzo! Keine Spur von lustig, tolle Rückungen und der Beginn des B-Teils in Septimen [ff als Vortagsbezeichnung] löst sich - nach Pause - zu As-Dur [42/43] bzw. as-moll [56/57] auf. Sehr hübsch und typisch schubertisch ist der Teil T 67ff. - etwas wehmütig, aber voller Hoffnung!


    Das Rondo gefällt mir überhaupt nicht.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ja!


    Vor ein paar Monaten hätte ich bestimmt noch einen ganz langen, leidenschaftlichen Beitrag zu dieser Sonate verfasst, die zu meinen "sechs Großen" zählt. (D.840 zähle ich nicht dazu)
    In der Zwischenzeit bin ich aber in andere, ferne Gefilde vorgedrungen und mein Interesse ist bezüglich Schubert leider schon etwas zurückgegangen, auch da ich von ihm mittlerweile schon (fast) alles kenne und mehrfach wiederholt durchgehört habe.



    Zitat

    klavierprofessor schuchter spielt mir hier zu akademisch.

    Das ist noch milde ausgedrückt!
    Schuchter ist furchtbar, fast die ganze Box war ein Reinfall, er spielt wie ein alter Tattergreis, abgehackt und unsicher, er lässt die Musik nicht fließen.



    Zitat

    Das Rondo gefällt mir überhaupt nicht.

    Uaahh! Ulli!
    Muss ich an deinem musikalischen Verständnis zweifeln?! :D


    mit Grüßen
    Christoph

  • Zitat

    Original von Hayate
    Uaahh! Ulli!
    Muss ich an deinem musikalischen Verständnis zweifeln?! :D


    Dürfen darfst Du das sicher. Müssen hingegen tust Du es nicht - mein musikalisches Verständnis erfasst den Satz voll und ganz. Mein musikalischer Geschmack hingegen akzeptiert ihn nicht [so sehr]. Da ist mir dann doch Mozarts KV 310 III wesentlich lieber... [zumal er zuerst da war :D ].


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Kann der thread ab morgen dann vielleicht nicht-indexikalisch umbenannt werden?


    Ich bin hier mehr oder minder auf Ullis Seite, als dass ich die Sonate recht unausgeglichen finde. (Habe gerade Richter/Melodiya 1958 gehört)
    Der Kopfsatz ist m.E. einer der gelungensten in allen Schubert-Sonaten, sehr persönlich und originell.
    Den Variationensatz finde ich schon etwas gemischt. Er fängt sehr schön an, die bewegte (2.?) Variation nervt aber schon ein wenig. Die folgende verzweifelte Mollvariation macht wieder einiges gut, die anschließende Hektik gefällt mir dagegen nicht, wirkt auf mich wie eine etüdenhafte 08/15-Figurierung. Der Schluß mit den "Hörnertriolen" bringt den Satz dann doch noch auf eine 2+ ;)


    Das Scherzo ist gut, aber etwas zu lang. Womit in der 9. Sinfonie vergleichst Du das Trio, Ulli? Mit dem dortigen Trio (das hier ist VIEL besser als dieser allzu üppige Ländler!) :jubel:


    Das Finale? Naja, ich erwarte von einem Schubert-Finale nicht viel. M.E. war das sein zentrales Formproblem, das er selbst in seinen besten Werken nur selten wirklich zufriedenstellend gelöst hat.
    Das hier ist wenigsten relativ kompakt, trotzdem recht repetitiv, insgesamt wohl eines der besseren.


    Schätze die Sonate doch höher als ich gedacht hatte (sehr viel mehr jedenfalls als D 850 :wacko: )


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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    Original von Johannes Roehl
    Womit in der 9. Sinfonie vergleichst Du das Trio, Ulli? Mit dem dortigen Trio (das hier ist VIEL besser als dieser allzu üppige Ländler!) :jubel:


    Salut,


    ich meinte lediglich die harmonische Wendung zu Beginn des B-Teils im Trio des Scherzo der Sonate. Sie ist identisch mir einer Wendung im Finale der "Großen".


    Das Scherzo mag ich wirklich sehr gern. Aber vielleicht nur, wenn ich's selbst spiele... und damit meine ich nicht mein fürchterliches Spiel, sondern die Freude am Spielen. Anhören würde ich mir Klaviersolo sowieso nur in Ausnahmefällen [zu langweilig].


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das Finale? Naja, ich erwarte von einem Schubert-Finale nicht viel. M.E. war das sein zentrales Formproblem, das er selbst in seinen besten Werken nur selten wirklich zufriedenstellend gelöst hat.
    Das hier ist wenigsten relativ kompakt, trotzdem recht repetitiv, insgesamt wohl eines der besseren.


    Meines Erachtens hat Schubert für seine Finalsätze eine der letzten Möglichkeiten gesucht, die es nach den bei Beethoven erkämpften musikalischen Lösungen geben kann: Nach den Wanderungen in unbekannte, fremde Welten der ersten Sätze kann er die Sonate nicht mehr logisch zu Ende zu bringen, sondern er lässt (harmonische) Fragen offen und endet nicht selten mit einem Lied oder einem liedhaften Finale, er gibt also eine andere Art von Antwort/Abschluss, eben keine musikalisch-logische, sondern romantisch-transzendente. Es steckt ein Konzept dahinter, das das Formproblem auf eine völlig andere Art und Weise löst wie Beethoven. Im Finale von D. 845 versucht Schubert aber noch das vorangegangene musikalische Material irgendwie ingrimmig zu verarbeiten, aber es will nicht mehr so recht gelingen. Im Finale von D. 959 angekommen, geht er dann ganz andere Wege.


    Grüße,
    Christian

  • so, geburtstag war gestern.
    darf ich einen der zufällig vorbeistreunenden schmutzarbeiter bitten, den überschriftendreck wegzuwischen -ich kann's ja nicht mehr- und durch den eigentlichen titel (im text dick geschrieben) zu ersetzen. ebenso kann der text in {} und dieses posting hier gelöscht werden, da stell ich meine originalitätsversuche unter die internationale seriosität des forums.


    :hello:

  • Servus Observator,


    habe übrigens gestern abend die Große C-Dur (Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks) unter Bernstein im Radio gehört.... sowas von schwerfällig....


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

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  • Zitat

    Original von observator
    so, geburtstag war gestern.
    darf ich einen der zufällig vorbeistreunenden schmutzarbeiter bitten, den überschriftendreck wegzuwischen -ich kann's ja nicht mehr- und durch den eigentlichen titel (im text dick geschrieben) zu ersetzen. ebenso kann der text in {} und dieses posting hier gelöscht werden, da stell ich meine originalitätsversuche unter die internationale seriosität des forums.


    :hello:



    So, hab mir die Hände schmutzig gemacht. Das was da in {} steht, bleibt aber aus Gründen der Beweissicherung stehen!!! :baeh01:

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hallo Observator,


    obwohl ich drei Aufnahmen besitze, hatte ich die Sonate bislang nie konzentriert, sondern immer nur nebenbei gehört. Dein Eröffnungsbeitrag war Anlass, das Versäumte nachzuholen.


    Den ersten Satz finde ich ausgezeichnet. Einschränkung: Wenig anfangen kann ich mit dem von Ulli so genannten forellenartigen Durchführungsteil. Merkwürdigerweise muss ich bei den flimmernden Sechzehnteln immer an Griechenland denken – absurd, ich weiß. Auch sind die Staccati vielleicht allzu sehr satzbeherrschend und frage ich mich am Ende des Satzes regelmäßig, ob sich irgendetwas verändert, entwickelt hat. Der Satz komme nicht recht voran, hast du geschrieben. Ja, so sehe ich es auch


    Der zweite Satz beginnt sehr schön, lässt dann aber in meinen Ohren stark nach. Ich finde die Variationen schlicht uninteressant, auch zu lang.


    Der dritte Satz gefällt mir sehr gut. Mit dem vierten kann ich nichts anfangen. Meistens höre ich ihn mir gar nicht mehr an.


    Insgesamt gesehen will sich bei mir kein Gefühl der Zusammengehörigkeit der Sätze einstellen. Nicht oft erlebe ich es zudem, dass verschiedene Sätze derselben Sonate von mir so sehr unterschiedlich geschätzt werden. Eine seltsame Sonate!


    Christians Bemerkung „Nach den Wanderungen in unbekannte, fremde Welten der ersten Sätze kann er (Schubert) die Sonate nicht mehr logisch zu Ende zu bringen, sondern er lässt (harmonische) Fragen offen und endet nicht selten mit einem Lied oder einem liedhaften Finale" hat mir geholfen, ein wenig gedankliche Ordnung in mein Verständnis zu bringen. Vielleicht ist das Bild der Wanderung tatsächlich geeignet, der Sonate näher zu treten, wobei es nach meinem Eindruck eher um ein Wandern im Sinne des Umherirrens als um ein Wandern im Sinne eines Hinkommens geht.


    Aufnahmen besitze ich, wie gesagt, drei: Kempff, Aufnahme 1953 (aus der Reihe „Great Pianists“), Gulda, Aufnahme 1977 („Friedrich Gulda spielt Schubert“, heißt die CD von Amadeo) und Endres (aus der Gesamtaufnahme).


    Endres spielt alles richtig, habe ich den Eindruck, mehr aber auch nicht. Hört man, wie drängend Gulda die Staccati des ersten Satzes spielt – Gulda ist im ersten Satz mit Abstand der schnellste –, wie Gulda es versteht, den Eindruck von Beethovenscher Dämonie entstehen zu lassen, wird deutlich, was Endres fehlt. Kempff fehlt dieses Drängende auch. Nur gelingt Kempff, der vergleichsweise weich spielt, dafür Wunderbares in den lyrischen Stellen, was Endres ebenfalls fehlt. Am liebsten höre ich im ersten Satz Gulda, obwohl ich den Verdacht habe, dass er den Notentext – er liegt mir nicht vor – nicht immer beachtet, und im dritten Kempff.


    Viele Grüße, Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt


    Den ersten Satz finde ich ausgezeichnet. Einschränkung: Wenig anfangen kann ich mit dem von Ulli so genannten forellenartigen Durchführungsteil. Merkwürdigerweise muss ich bei den flimmernden Sechzehnteln


    Salut,


    ja, die sind's... aber eben nicht nur, sondern die sich [im Bass] windende Forelle... ganz ähnlich übrigens auch in der DF der c-moll-Sonate; auch dort mein eigentlich liebster Teil [nur ist er da wegen der größeren Chromatik und rhythmischen Verschiebung] noch besser.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Gerade die Variation und das Finale sind meine beiden Lieblingssätze dieser Sonate, genau die beiden Sätze die hier am meisten auf Ablehnung stoßen.
    Wie erklärt man solch ein Phänomen? -g-
    Die Variation ist doch sowas von bezaubernd.


    Der erste Satz hat zwar etwas wunderbar unheimliches an sich, ist mir dann aber doch zu lang und will, mit seinen dauernden Wiederholungen nicht so richtig voran kommen, wie hier schon so schön gesagt wurde.
    Die Coda geht dann am Schluss aber richtig unter die Haut.


    mit Grüßen
    Christoph

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  • Zitat

    Original von observator
    2. andante, poco mosso. 181t.


    Ja, 181 notierte Take - und wer spielt es so? Komisch, daß noch niemand darauf eingegangen ist: Die Henle-Ausgabe weist im Vorwort darauf hin, daß im B-Teil der "1. Variation" [T. 41ff.] vermutlich eine den Thementakten 21-24 entsprechende Periode von vier Takten fehlt, zu welchen ein Ausführungsvorschlag Paul Badura-Skodas abgedruckt ist.


    Thema
    A-Teil 16 Takte ohne ://
    B-Teil 16 Takte mit ://:


    1. Variation
    A-Teil 8 Takte mit ://. entspricht 16 Takten
    B-Teil 12 Takte mit ://:


    2. Variation
    A-Teil 8 Takte mit ://: entspricht 16 Takten
    B-Teil 16 Takte mit ://:


    3. Variation
    A-Teil 8 Takte mit ://: entspricht 16 Takten
    B-Teil 16 Takte mit ://:


    4. Variation
    A-Teil 8 Takte mit ://: entspricht 16 Takten
    B-Teil 16 Takte mit ://:


    5. Variation
    A-Teil 22 Takte ausgeschieben [sic!] ohne ://:
    B-Teil 16 Takte mit ://:


    Coda
    T. 164ff.


    ~~~


    Vermeulen, Obsis Neuerwerbung, spielt es so, wie von Schubert notiert:



    was ohne Probleme "normal" klingt. Zumal ja auch die 5. Variation nicht dem Taktschema 16+16 folgt, sehe ich auch keinen Anlass, Badura-Skodas Vertiefungen Folge zu leisten, was aber Friedrich Gulda wiederum anders sieht [und spielt]:



    ...hier sind die vier Badura-Takte zu hören, weshalb die Interpretation auch 13:04 bei Gulda und 12:42 beim Vermeulen dauert... :pfeif:


    Ein wirkliches "Aha!"-Erlebnis entsteht durch Hinzufügen der vier Takte jedoch nicht: Badura-Skoda wendet einfach die Copy-and-Paste-Technik an [natürlich, um möglichst ohne fremde Zutaten auszukommen], Schubert aber hat bei jeder Wiederaufnahme dieser viertaktigen Phrase eine weitere Veränderung innerhalb der Veränderung eingebaut.


    Gerade die asymmetrische fünfte Variation scheint mir ein starkes Indiz dafür zu sein, daß Schubert nichts vergessen, sondern vielmehr ganz bewußt die Takte ausgelassen hat [im Gegenzug müßte man in der 5. ja ein paar Takte eliminieren...]. Auch wurden ja die jeweiligen Veränderungen nicht mal als "Variation" bezeichnet, so daß Schubert in der Gestaltung hier eh freier vorgehen konnte.


    Beide vorgestellte Interpretationen gefallen mir aber außerordentlich gut - Gulda ist etwas gefühlvoller für mein Empfinden.


    :hello:


    Grüße aus der Obsi-CD-distribution France Inc.


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Schubert, Sonate Nr. 16 a-moll D.845
    Alfred Brendel, Klavier
    AD: 1976/77
    Spielzeiten: 11:35-13:33-7:27-6:05 -- 38:40 min.;


    Alfred Brendel gibt ja in dieser Reihe zu jedem Werk eine Einführung, und so ist es spannend nach seinen erklärenden Worten zu verfolgen, wie er das Erklärte umsetzt, z. B. in diesem gewaltigen Kopfsatz, wo sich quasi alles aus dem Hauptthema entwickelt, und wie hochdramatisch sich dieser Satz gestaltet, wie die musikalischen Figuren sich immer wieder ändern und in geänderter Reihenfolge auftreten, so dass man in diesem ausufernden Satz, selbst wenn man wollte, nichts auslassen könnte. Hier ist der alte Sonatenhauptsatz nicht mehr als solcher zu erkennen, man erkennt vielleicht die Durchführung als Laie wie ich vielleicht dran, dass das ohnehin dramatische Material noch mal in diesem Abschnitt nochmal furios gesteigert wird, und auch eine Reprise alter Form, in der Vieles wörtlich oder nur leicht abgewandelt wiederholt wird, gibt es hier nicht, sondern man weiß als Hörer eigentlich nicht, wo die Reise hin geht, und trotzdem ist alles stimmig, muss es so und nicht anders kommen oder, wie man bei Schubert besser sagen sollte, "geschehen". Brendel setzt das alles kongenial um, jedenfalls, soweit ich das beurteilen kann, und sein Schubert ist hier düster und furchterregend bis zum Exzess. Da wundert es nicht, dass Schubert selbst diese Sonate als seine Lieblingssonate bezeichnet hat.


    Wie kontrastreich zum Kopfsatz hebt dieses Variationen-Andante , das Jeremy Siepmann im Beiheft als einzigen Variationensatz in Schuberts gesamten Sonatenoeuvre bezeichnet. Es fängt so berückend singend an, entdeckt aber bald die höheren dynamischen Regionen, und in den Siebzigern gab Brendel auch noch hemmungslos Gas, was sich vor allem zu Beginn der zweiten Satzhälfte in einer umfangreichen Moll-Variation Bahn bricht, wo zum Dynamischen noch das intensive Drama dazu kommt- aber wen sollte das bei Schubert wundern. Nur mühsam, mit immer wieder kleinen Eintrübungen, findet das musikalische Geschehen zur Ausgangstonart zurück und endet in einer himmlischen, von Brendel tief bewegenden und grandios gespielten im tiefsten Pianissimo.


    Ein neuer Kontrast temporaler und dynamischer Art führt uns im Scherzo in die Welt der Mendelssohnschen Kobolde, die sich auch in dem aufgewühlten Rhythmus äußert. Das dergestalt meisterhaft Komponierte wird ebenso meisterhaft von Brendel vorgetragen.
    Doch schon folgt er nächste kräftige Kontrast. Im Trio entführt uns Schubert in die Welt der Elfen, die traumverloren mit ihren zarten, durchscheinenden Körpern durch unsere Gedanken schweben. Jedenfalls kommen mir diese Gedanken beim adäquaten Vortrag Brendels, der dann aber in der Wiederholung des Scherzos wieder die Kobolde auftreten lässt.


    Das Finale zeigt im ersten Thema erst weiter die koboldesken Züge, was sich aber schnell ändert durch beinahe eruptive dynamische Entwicklung, doch immer wieder meldet sich das Thema zu Wort, eine typische Rondoanlage halt. Dennoch vermeine ich einen Durchführungsabschnitt zu erkennen, indem das Hauptthema kühn variiert wird und in höchste dynamische Regionen führt. Wer jetzt gegen Ende glaubt, dass das musikalische Geschehen in einer Art Morendo endet, der sieht sich durch zwei hammerharte, von Brendel durchaus fff gespielte Schlussakkorde getäuscht.
    Am Ende einer solchen Betrachtung wundere ich mich gar nicht mehr, dass Schubert diese Sonate als seine Lieblingssonate bezeichnete, in die er viel von seinem Leben, die Träume, die Enttäuschungen und die Bitternisse hat einfließen lassen.
    Ein Meisterwerk, mit dem Schubert längst aus dem Schatten Beethoven herausgetreten war und seinen eigenen Weg gefunden hatte, und was für einen. All das muss natürlich auch so meisterhaft dargeboten werden wie hier von Brendel, dem man nicht nur anhört sondern hier auf der DVD auch in jeder Sekunde ansieht, wie sehr er sich in die Musik vertieft, ohne sich allerdings in ihr zu verlieren.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    D 845 ist eine wunderbare Sonate! Und wahrlich ein Wunder ist die alte Aufnahme mit Maurizio Pollini (damals die LP zusammen mit der Wandererfantasie). Das ist etwas für die Ewigkeit - wirklich auf dem Gipfel wie C. D. Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer... Ich habe auch die ältere Philips-Einspielung von Brendel, aber hier erreicht auch Meister Brendel finde ich nicht Pollinis einsamen Höhenflug. :hello:



    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich bin vor einer knappen stunde von einem langen msuikalischen Tag zurückgekommen. Gestern morgen haben wir ein Goldhochzeitsamt gesungen (u. a. Ave verum und Halleluja, und anschließend haben wir ein Ständchen gebrucht. Zu diesem zweck war ich von 9.30 bis 12.30 unterwegs. Um 15.30 ging es in den Nachbarort, wo wir einen Audtritt mit der Choralschola meines zweiten Chores erst durch ein Kaffetrinken, und dann durch intensive Proben vorbereiteten. Anschließend war um 18.OO Uhr deas Chralamt mit vier gregorianischen Chorälen zum 23. Sonntag im Kirchenjahr und der zweiten Choralmesse, der "Missa de Angelis" sowie etlichen lateinischen Choralwendungen, und schließlich wurde das Ganze gegen 19.30 mit einem Abendessen, jetzt wieder in Coesfeld und anschließendem Kegeln fortgesetzt und gegen 23.30 Uhr beendet. Anschließend habe ich noch drei Choralscholaren nach Hause gebracht und lese gerade deinPosting.
    Ich kann Pollini (noch) nicht mit Brendel vergleichen, da ich ihn noch nicht habe, habe ihn aber bestellt. Was Brendel angeht, so habe ich eben festgestellt, dass die Aufnahmen dieser Box:

    ziwschen 1982 und 1986 digital aufgenommen wurden und nicht identisch sind mit den DVDS-Aufnahmen von 1976/1977. Ich kann nur sagen, dass die Aufnahme, die ich hier besprochen habe, von ihrem Ausdruck und ihrem furiosen dynamischen Feuer her der Hammer sind. Ich bin mal gespannt, wenn die Aufnahme kommt, wie sich Pollini anhört. Von ihm habe ich bisher nur D.959, das Allegretto D.915 und die drei Klavierstücke D.946. Die sind natürlich auch alle großartig, und Pollini beweist heir wie ebenso bei Beethoven, dass er nicht der kühle technisch perfekte Piannist ist für den ihn manche halten, sondern dass in ihm das Feuer genauso brennt wie in Brendel. Es gilt also, zur Feinjustierung überzugehen. Ob das während des Beethovenprojektes gelingt, weiß ich nicht. ich würde das lieber in drei Jahren nach usnerem Beethovenprojekt machen und mich dann auf die letzten 8 Sonaten ab D. 784 beschränken. Das schließt nicht aus, dass ich mir Pollinis Lesart nach Erscheinen in der Art anhöre und darüber berichte, wie ich es jetzt mit Brendel getan habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich bin mal gespannt, wenn die Aufnahme kommt, wie sich Pollini anhört. Von ihm habe ich bisher nur D.959, das Allegretto D.915 und die drei Klavierstücke D.946. Die sind natürlich auch alle großartig, und Pollini beweist heir wie ebenso bei Beethoven, dass er nicht der kühle technisch perfekte Piannist ist für den ihn manche halten, sondern dass in ihm das Feuer genauso brennt wie in Brendel.


    Lieber Willi,


    da bin ich mal auf Deine Eindrücke gespannt! Die späteren Schubert-Aufnahmen von Pollini sind wirklich großartig, aber sie kommen meiner Meinung nach doch nicht (ganz) an das singuläre Niveau seiner erster Schubert-Platte heran. Sogar Joachim Kaiser hat diese Platte immer bewundert als eine der ganz großen Aufnahmen des 20. Jh. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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