Esa-Pekka Salonen als Komponist

  • Hallo zusammen,


    Claus hatte mich gebeten, ein paar Zeilen, zu folgender CD zu schreiben:



    Der Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra hat in den 70er-Jahren an der Sibelius-Akademie in Finnland Komposition und (im Nebenfach) Dirigieren studiert. Über Jahre hinweg war er primär als Dirigent tätig, hat das LAPO, imo, zu einem der führenden amerikanischen Orchester geformt. Im Jahr 2000 hat er allerdings Pause vom Dirigieren gemacht und sich verstärkt der Komposition gewidmet. Drei der Resultate werden - als Ersteinspielungen - auf dieser CD vorgestellt. Das Resultat sieht gemischt aus.


    Das Titelstück - Wing on Wing, entstanden im Jahr 2004 - ist ein Auftragswerk seines Orchesters, komponiert zur feierlichen Eröffnung der neuen Konzerthalle in LA. Und so klingt es auch: Vorrangig gewaltige Klangmassen, rhytmisch eintönig, Aneinanderreihung von Akkorden, aufgelokert durch die wortlosen Beiträge der beiden finnischen Sopranistinnen Anu und Piia Komsi und die die Stimme des Architekten, Frank Gehry. Das Werk wirkt wie geschrieben, um die Akustik des neuen Saales zu testen. Ziemlich ideenlose 25 Minuten.


    Davor waren die "Foreign Bodies" zu hören (komponiert 2001), ein dreisätziges Werk ohne Pausen. Zwiespältiger Eindruck. Hervorragend gespielt, allerdings bleibt von der Komposition an sich nichts haften. Das Stück "handelt" von einer Maschine, die immer menschlicher wird. Na ja, als alternative Erklärung wird noch nachgeschoben, es handle sich um "Fremdkörper", die nach und nach in ihrer Umgebung heimisch werden. Bla, bla, bla. Die Musik wirkt ohne Erklärung nicht sonderlich. Erinnert ein bisschen an Varése light.


    Von ganz anderem Kaliber hingegen das älteste Werk auf der CD: Insomnia. Geschrieben 2001, uraufgeführt beim SHMF und Christoph Eschenbach gewidmet sprüht es vor Ideen: Die verschiedenen Instrumentalgruppen werden nicht zu einem großen Klangbrei vermischt, sondern bekommen (charakteristische?) Passagen auf den "Körper" geschrieben. Rhytmisch sehr vertrackt. Ich bin gefesselt. 20 Minuten, die noch länger dauern könnten, aber irgendwie kürzer wirken.


    Die Musik verharrt insgesamt in der Tonalität - bewusst, wie Salonen selbst erklärte: Er hatte keine Lust, atonal um der Atonalität (Modernität) willen zu sein. Recht hatte er.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Gerrit,


    danke für Deine Worte zu der neuen CD - mal schauen, irgendwann werde ich sie mir kaufen.....


    Ich kenne bisher nur die Werke, die auf der Sony-CD mit Salonen-Kompositionen drauf sind, nämlich die L.A.-Variations, die "Five images after Sappho", Mania, Giro und Gambit. Insgesamt habe ich einen besseren Eindruck im Schnitt in Erinnerung als Du von der neuen CD, mir sind nur die "images" und "Gambit" als deutlich schwächer in Erinnerung.


    Aber ich muss mal wieder in Ruhe hören, obwohl neulich erst getan, werde ich dann meine Eindrücke hier gerne noch vertiefen.


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)


  • Die L.A variations finde ich sehr gut, ich habe einen Mitschnitt eines Konzerts,d ass Salonen Ende des letzten Jahrhunderts in Berlin gab. So etwas hatte ich erhofft, sah mich aber (teilweise) enttäuscht.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Gerrit,


    wie es der Zufall will, habe ich die Aufnahme gerade auf den Ohren, auch um mich selbst nochmal zu vergewissern. Das Stück ist ja für die L.A. Philharmonic geschrieben, und IMO macht einen nicht geringen Teil des Reizes der Aufnahme aus, dass es eben von diesem Orchester auch gespielt wurde. Ich erinnere mich an diesen Berliner Mitschnitt (danach gab es Ravels G-Dur Klavierkonzert, oder?), und ich weiss noch, dass ich die Variationen erst in der Aufnahme mit dem L.A.Philharmonic richtig schätzen gelernt habe.


    BTW (auch, es wird langsam zu einer Art Gebetsmühle....) ein Stück des 20. Jahrhunderts, dass ein Mozart-gewöhnter Hörer ohne allzugroße Probleme hören können müsste. Was ich gar nicht abschätzig meine.


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Zitat

    Original von C.Huth
    Hallo Gerrit,
    Ich erinnere mich an diesen Berliner Mitschnitt (danach gab es Ravels G-Dur Klavierkonzert, oder?)


    Jauuu, mit Mustonen am Flügel.


    Zitat


    , und ich weiss noch, dass ich die Variationen erst in der Aufnahme mit dem L.A.Philharmonic richtig schätzen gelernt habe.


    Also muss ich doch noch mal was bestellen. Hatte mich gerade daran gewöhnt, dass der Stapel ungehörter CDs kleiner wird.

    Gruß,
    Gerrit

  • Zitat

    Original von Gerrit_Stolte


    Jauuu, mit Mustonen am Flügel.


    Ahja, genau. Und dann Feuervogel - die Platte wollte ich mir mit Salonen auch schon immer mal.....aber ich komme vom Thema ab.


    Zitat


    Also muss ich doch noch mal was bestellen. Hatte mich gerade daran gewöhnt, dass der Stapel ungehörter CDs kleiner wird.


    Ich bin gar unschuldig..... =)


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Liebe Tamarisken,


    obwohl ich bestimmt Eulen nach Dingsda trage:


    Im FonoForum vom März 2005 gibt es auf den Seiten 34 folgende ein Interview mit Esa-Pekka Salonen, daß Ihr aber latürnich alle kennt.


    Gruß
    yarpel

  • Mich würde von kompetenter Seite mal eine Meinung zu dieser Scheibe interessieren:



    Klavierkonzert
    Helix für Orchester
    Dichotomie für Klavier


    Yefim Bronfman
    Los Angeles PO
    Esa-Pekka Salonen



    Überlegend, ob ich mir diese CD kaufen sollte, habe ich mir bei Youtube "Helix" angehört, war dann immer noch nicht entschlossen, habe dann noch ein Stück Klavierkonzert angehört und bin vom Kauf geistig erst mal zurückgetreten...
    Ich kenn mich in der neuen Musik praktisch kaum aus, auch wenn ich durchaus aufgeschlossen und interessiert bin. Aber ist Salonen als Komponist ernst zu nehmen?


    Für Aufklärung dankbar grüßt
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Kann es wirklich sein, dass Reinhard fast zwei Jahre lang keine Antwort auf seine Frage nach der DG-CD mit dem Klavierkonzert von Salonen in der Eigenaufnahme des Komponisten mit Yefim Bronfman erhalten hat?


    "Es hat noch nie geschadet, in der Kunst den richtigen Riecher zu haben. In diesem Falle hatten weltweit gleich vier Institutionen die spürsinnige Nase: Das New York Philharmonic, die Londoner BBC, Radio Paris und der NDR. Mit vereinten Kräften erteilten sie dem Dirigenten Esa-Pekka Salonen den Auftrag zu einem Klavierkonzert. Yefim Bronfman wurde zu seinem Solisten erkoren. Salonen hat ihm das Werk prompt dankbar gewidmet. Nun kam es in Hamburgs Laeiszhalle mit dem NDR-Sinfonieorchester unter Salonens Leitung mit Bronfman am Klavier erstmals in Deutschland zu Gehör. Es erspielte sich, selten bei einem Werk der Moderne, einen geradezu ohrenbetäubenden Erfolg.


    Salonen wies eindrucksvoll nach, dass das immer erneute Nachbeten des längst herkömmlich gewordenen Neuen ans Ende gelangt ist. Der Verschiebebahnhof hoch angesehener musikalischer Formalismen hat damit ein für allemal ausgedient. Salonen geht mit seinem Klavierkonzert stürmisch aufs Ganze: die Vulkanisierung des Ausdrucks, die verschwenderische Attacke, den eleganten Wahnsinn. Er zeigte Musik als Kunst der offenen Türen für jedermann und riss sie mit den drei Sätzen seines über halbstündigen Konzerts sperrangelweit auf.


    Salonen hat sich stets als Komponisten gesehen, nicht als Dirigenten. Das haben vor ihm schon viele getan, wenn auch meist mit desaströsem Gelingen, von Gustav Mahler und Richard Strauss einmal abgesehen. Das Überraschende nun: der Komponist Salonen erwies sich dem großartigen Dirigenten durchaus ebenbürtig: ein temperamentgeladener, unternehmungslustiger Feuerkopf.


    Die drei Sätze seines Konzerts zischen mit unaufhaltsamer Energie vorüber. Es hagelt Herausforderungen an das Orchester wie an den Solisten. Man beginnt sich alsbald insgeheim zu fragen, wer außer Bronfman das Konzert in seiner gewaltigen Überschwänglichkeit spielen könnte. Es jagt schlankweg und furchtlos in den Jubel hinein. Es macht geradezu sprachlos.


    Mitten im 1. Satz erhebt sich plötzlich der Solo-Bratscher von seinem Stuhl und beginnt ein intensives Duett mit dem Pianisten. Dem wiederum fällt zur Eröffnung des 2. Satzes eine monumentale Kadenz zu, die das Orchester geradezu nachhaltig kuschen macht. Erinnerungen an Music Hall-Folklore schieben sich ein, es summt und brummt wie aus Messiaens Vogelnestern, nur dass es sich um ungeflügelte, künstliche Piepser handelt. Nachzuhören ist das alles auf der gerade erschienenen triumphalen CD (DG 477 8103)."
    Quelle: http://www.welt.de/welt_print/…onens-Klavierkonzert.html

  • Sorry - mein obiges Posting ist etwas verunglückt. Alles, was nach meinem ersten Satz dort zu lesen ist, stammt nicht von mir, sondern wurde von dem Musikkritiker Klaus Geitel verfasst und in der Tageszeitung DIE WELT vom 8. Dezember 2008 veröffentlicht (es fehlen oben leider die Anführungszeichen, während die Ausführungszeichen und die Quellenangabe vorhanden sind). Klaus Geitel rezensiert die deutsche Erstaufführung des Klavierkonzerts von Salonen am 6. Dezember 2008 in Hamburg (bei welcher ich als begeisterter Zuhörer zugegen war). Der Titel seines Artikels lautet: "Macht sprachlos: Salonens Klavierkonzert".


    Ist es jetzt richtig zitiert?

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  • Salonen wies eindrucksvoll nach, dass das immer erneute Nachbeten des längst herkömmlich gewordenen Neuen ans Ende gelangt ist. Der Verschiebebahnhof hoch angesehener musikalischer Formalismen hat damit ein für allemal ausgedient.


    Hihi ...
    Da hat wohl jemand was gegen einige Musik.
    :D
    Ich habe kürzlich eine (sehr billige) Salonen-CD gekauft - nach solchen Parolen bin ich nun natürlich etwas skeptischer und weniger neugierig als vorher.

  • Allerdings hat Salonen Werke von Kaija Saariaho und Magnus Lindberg aufgeführt, den beiden wohl bekanntesten finnischen Komponisten der Gegenwart, die mit Swjatoslaws Kampfposition eher unvereinbar scheinen (es sei denn, die hätten um 2000 radikale Stilwandel durchgemacht). Also so schlimm wird es dann wohl doch nicht sein.

  • ... die mit Swjatoslaws Kampfposition eher unvereinbar scheinen


    Hallo KSM,


    danke für das Korrigieren meines Postings Nr. 9. Und schön, dass ein wenig Bewegung in diesen Thread kommt, der es von 2005 bis 2009 gerade mal auf 8 Postings brachte.


    "Kampfposition" ist ein klasse Ausdruck, nur trifft er nicht mich, sondern Klaus Geitel, den ich nur zitiert habe :D


    Für mich war im Konzertsaal das Klavierkonzert von Salonen auch und insbesondere deswegen so beeindruckend, weil Yefim Bronfman seinen höchst vertrackten, fast schon unspielbaren Klavierpart so dermaßen bravourös meisterte, dass einem wirklich die Spucke wegblieb. Da ich in der zweiten Reihe des Parketts genau in Höhe Bronfmans saß, konnte ich die Hände fliegen sehen. Der Notenumblätterer stand übrigens angesichts der Masse an Noten auch unter Hochdruck - er setzte sich meistens gar nicht erst hin, sondern blieb gleich stehen. Die von Klaus Geitel gestellte Frage "Man beginnt sich alsbald insgeheim zu fragen, wer außer Bronfman das Konzert in seiner gewaltigen Überschwänglichkeit spielen könnte" ist angesichts der ungeheuren virtuosen Anforderungen nicht ganz unberechtigt: vielleicht Boris Berezowsky, Arcadi Volodos oder Yundi Li?


    Zu den übrigen Salonen-Kompositionen kann ich nicht viel sagen: ich kenne allerdings noch sein Werk für Violine solo "Lachen verlernt", welches ich in einer wunderschönen Einspielung mit Leila Josefowicz besitze

    Außerdem habe ich natürlich sein Klavierkonzert in der im Posting Nr. 8 verlinkten DG-CD: das Werk kommt auch zu Hause gut rüber, nicht nur im Konzert.


    Herzliche Grüße
    Swjatoslaw

  • Für mich war im Konzertsaal das Klavierkonzert von Salonen auch und insbesondere deswegen so beeindruckend, weil Yefim Bronfman seinen höchst vertrackten, fast schon unspielbaren Klavierpart so dermaßen bravourös meisterte, dass einem wirklich die Spucke wegblieb. Da ich in der zweiten Reihe des Parketts genau in Höhe Bronfmans saß, konnte ich die Hände fliegen sehen. Der Notenumblätterer stand übrigens angesichts der Masse an Noten auch unter Hochdruck - er setzte sich meistens gar nicht erst hin, sondern blieb gleich stehen. Die von Klaus Geitel gestellte Frage "Man beginnt sich alsbald insgeheim zu fragen, wer außer Bronfman das Konzert in seiner gewaltigen Überschwänglichkeit spielen könnte" ist angesichts der ungeheuren virtuosen Anforderungen nicht ganz unberechtigt: vielleicht Boris Berezowsky, Arcadi Volodos oder Yundi Li?


    Bei virtuoser moderner Musik muss man sich immer fragen, wieviel % dessen, was da erklingt, auch in den Noten steht und umgekehrt. Schließlich hört keiner, wenn sich der Musiker verspielt, und wenn er das mit ausreichend Bühnenshow macht, traut sich der normale Zuhörer offenbar nicht, daran zu zweifeln, dass der Musiker genau das spielt, was er spielen soll.


    Mitunter sind die Komponisten mit den Stars dann auch gar nicht zufrieden sondern bevorzugen weniger berühmte Musiker, die sich eher bemühen, alles zu machen, was gefordert ist (Stockhausen ist so ein Fall). Es gibt also wahrscheinlich eine sehr große Zahl technisch versierter und völlig unbekannter Pianisten, die das Stück mit viel Probenarbeit spielen können (schwieriger als Stockhausen wird es wohl nicht sein, oder?) - die Bewunderung pianistischer Akrobatik kenne ich am ehesten beim Werk von Sorabji.
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