Hallo liebe Opernfreunde, ganz speziell liebe Rossini-Freunde.
Nachdem ich mir in der letzten Zeit wiederum etliche Rossini-Aufnahmen zugelegt habe und nach deren Hören zu den verschiedensten Urteilen gekommen bin, fiel mir aber eine Konstante auf: Jedes Mal stellte sich mir die Frage "Was macht den Barbier von Sevilla so besonders?"
Ich kenne nun schon fast alle Rossini-Opern und muss sagen, dass ich mich immer wieder wundere, warum (fast) ausschließlich der Barbier von ihm gekannt wird. Ist er musikalisch wirklich um Hausecken besser als der Rest von ihm oder liegt es einfach an der Unmenge der vorhandenen Produktionen?
Eines ist allerdings völlig klar: Der Barbier von Sevilla ist die bekannteste Oper Rossinis und sie ist in unzähligen Aufnahmen erhältlich und die Schlüsselrollen wurden vom Who is Who der Opernsänger eingesungen. In vielen Lexika (jetzt nicht speziell Musiklexikas) wird nur der Barbier von Sevilla genannt und vielleich noch der Wilhelm Tell, warum hört man nichts vom Rest?
Dass die Sujets bzw. Handlungen der Opern befremdlich sind, mag nur zum Teil stimmen, es gibt natürlich schon schräge Handlungen (Ermione, Ricciardo e Zoraide), aber zum Großteil sind schon bekannte Themen verarbeitet worden (La Cenerentola, Otello, Armida).
Liegt es an der prinzipiellen Ablehnung von Rossinis Belcanto-Stil?
Auch das kann ich mir nicht so Recht vorstellen - denn dann müsste man auch den Barbier verschmähen.
Ohrwürmer en masse gibt es nicht nur hier, auch in anderen Opern gelingt es Rossini immer wieder, Ohrwurm auf Ohrwurm folgen zu lassen.
Aufgrund der Tatsache, dass der Barbier am häufigsten eingespielt bzw. aufgeführt wurde drängte sich die Frage auf, ob denn der Barbier Rossinis BESTE Oper sei?
Ich komme zu dem Schluss, dass sie das NICHT ist. Sie ist ohne Zweifel eine der Besten von Rossini, allerdings wirken die Arien teilweise etwas einfallslos (Ausnahme ganz klar das "Largo al factotum") und bei weitem nicht so virtuos und halsbrecherisch wie in anderen Opern. Von der sängerischen Herausforderung eine der "einfacheren" Oper Rossinis.
Bei den Ensembles und Duetten läuft Rossini zu Hochform auf und komponiert wirklich enorm durchschlagskräftige "Kanonen", die sich absolut einprägen.
Aber virtuose Duette haben wir auch in anderen Opern (Tancredi, L´Italiana in Algeri, Turco in Italia, Elisabetta...), meist enden sie, im Gegensatz zum Barbier, mit Spitzentönen.
Gibt es nun eine oder mehrere Opern, die "besser" (ausgewogener) sind als der Barbier und die es verdienen würden, als seine Nummer eins zu gelten?
Die gibt es schon. Meiner Meinung nach gehören hier vor allem 2 hinein:
LA CENERENTOLA
L´ITALIANA IN ALGERI
Warum?
1. Die Handlung ist wesentlich lustiger (Italiana) bzw. dramatischer, wenngleich fern von Realität (Cenerentola), aber seit wann soll denn ein Märchen realistisch sein?
2. Die Musik ist um einiges einfühlsamer in den traurigen Szenen und wesentlich alberner in den komischen Szenen und sie wirkt ungezwungener und unverbrauchter (vielleicht ist gerade das Überangebot an Barbier-Aufnahmen schädlich?)
3. Meist haben nur Rossini-Spezialisten sich an diese Opern getraut - die Qualität der gebotenen Aufnahmen ist dementsprechend hoch.
Das waren meine letzten Gedanken zum Barbier von Sevilla - nun hoffe ich auf eine interessante Diskussion.
LG Joschi