Es ist schwer geworden, für Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ gute Besetzungen für die Hauptpartien zu finden und es stellt sich die Frage, ob man das Stück überhaupt spielen sollte, wenn gerade für die beiden Titelrollen nur ein Sopran und ein Tenor zur Verfügung stehen, die ihre anspruchsvollen Partien nur irgendwie exekutieren und am Ende noch nicht völlig vor Wagners Partitur kapituliert haben.
So auch in Wiesbaden: Alfons Eberz als Tristan grölt sich kraftvoll und rüde durch das Stück und wenn die Töne nicht mehr sicher erreicht werden können, wird mit Gewalt nachgeholfen. Die Folge ist, dass die Stimme dann wegbricht und ausfasert. Die Gesangslinie wird immer wieder verlassen und an die Notation der Partie darf man nicht denken.
Kaum besser die schmalstimmige Turid Karlsen als Isolde mit ihrem scheppernd-ältlichen Sopran, die eigentlich keine echte hochdramatische Sängerin ist. Die Höhe wirkt erkämpft und unfrei, die Tiefe unnatürlich, vieles bleibt farblich eng, manche Töne kommen nur gequetscht, an weit ausschwingende Bögen oder eine geschickte Phrasierung ist auch nicht ansatzweise zu denken – da blüht nichts auf, da versucht eine Sopranistin mit wenig Potential eine grosse Partie über die Rampe zu bekommen.
Auch Silvia Hablowetz als Brangäne überzeugt nicht. Ihr dunkel timbrierter, eher harter Mezzosopran kämpft mit der Lage der Partie genauso, wie mit den Spitzentönen, die Register werden nicht immer gut verblendet und die Intonation bleibt genauso im Ungefähren, wie bei den Vorgenannten.
Bernd Hofmann ist der weitgehend unauffällige König Marke, eine Leistung, wie man sie an jedem besseren Stadttheater finden kann.
Einzig Thomas de Vries bot eine ansprechende Leistung als Kurwenal. Sein Bariton hat an Volumen und Klang gewonnen und dort, wo der Sänger an Grenzen stösst (namentlich im dritten Akt), besteht die Hoffnung, dass sich das in den Folgeaufführungen noch verbessern wird.
GMD Marc Piollet hat mit dem Orchester gute Vorbereitungsarbeit geleistet. In grösster Ruhe beginnt das Vorspiel zum ersten Akt, langsam, sehr zögernd, gerät dann die Musik in Bewegung, bis sie, nachdem sie den Kulminationspunkt erreicht hat, wieder leise und langsam verklingt. Dieses ruhige Grundtempo hält Piollet durch. Nur im zweiten Akt zieht der Dirigent etwas an, auch im dritten Akt, bei den Fieberexaltationen des Tristan kommt die Musik stärker in Bewegung. Der Klang ist klar strukturiert, weniger üppig, als man das bei einer solchen Interpretation erwarten würde, vieles wird bis zum Manierismus ausgehört. Wenn man sich drauf einlassen kann, ist das nicht unspannend. Wer einer feurigen, vorwärts drängenden Interpretation der Vorzug geben würde, kommt hier nicht auf seine Kosten.
Zum ersten Mal inszenierte Dietrich Hilsdorf Wagner. Der Dirigent Marc Piollet hat ihn dazu überredet. Das Ergebnis ist zwiesplätig.
Nicht der normale Bühnenvorhang schliesst die Bühne ab, man sieht einen grossen Prospekt, auf dem eine Dampflokomotive gemalt ist, die mit ihrem Zug über einen Damm fährt, an dem links und rechts Meereswellen heraufschlagen, der Himmel dahinter ist wolkenverhangen.
Die Handlung spielt in Zeiten des Krieges in einer ausgebombten Villa. Ob es die Villa des Militärführers König Marke ist oder ob dessen Mannschaft diese Villa nur besetzt hat und die ehemaligen Bewohnerinnen im Keller gefangenen gehalten werden, bleibt offen. Die Uniformen sind zwar ohne Hoheitszeichen und in einem dunklen Ton gehalten, aber die Assoziationen gehen wegen des Schnittes der Mäntel, der Hosen und der Stiefel, sowie der Koppel in Richtung zweiter Weltkrieg. Der erste und dritte Akt spielen im Keller dieser Villa. Einfache Metallbetten ohne Bezüge sieht man da, dazu passende Stühle, rechts hinten die Reste einer grüngekachelten Nasszelle mit Toilette und Waschbecken. Die Decke ist beschädigt, auf den Wänden Zeichnungen eines Schiffes und jenes Zuges, der auf dem Prospekt zu sehen war.
Neben Brangäne und Isolde werden hier noch (so sagt es das Programmheft) ein junges Mädchen und eine Hexe gefangen gehalten. Isolde, in einem langen Wehrmachtsmantel, ist in dieser Keller-Haft fast wahnsinnig geworden. Ihre Freundin Brangäne umsorgt Isolde liebevoll. Tristan und Kurwenal sind Soldaten, die wohl mit der Aufsicht dieser Gefangenen betraut sind. Die Geschichte entwickelt sich, wie bekannt. Am Ende des Aktes rollt König Marke in einem Rollstuhl in den von einer Metalltür verschlossenen Raum. Seine Uniform weist ihn als hohen Militär aus.
Der zweite Akt, der Prospekt zeigt hier eine wilde Wolkenlandschaft, spielt einen Stock höher. Der Krieg hat seinen Tribut gefordert, der Raum ist bis auf einen grossen, runden Tisch und einen Sekretär leer. An den Wänden erkennt man noch, wo sich einstmals Bilder befanden, links führt ein Aufzug nach unten und oben, rechts und im Hintergrund begrenzen grosse Glastüren und -wände den Raum. An einer Säule eine brennende Fackel. Nach der Liebesszene stürzen bewaffnete Soldaten in den Raum und halten alle in Schach. Brangäne, die an dem Sekretär sitzt, schreibt jenes Geständnis nieder, das den Marke über den Liebestrank aufklären wird. Marke kämpft sich aus seinem Rollstuhl und setzt sich zu Isolde, Tristan drückt Melot eine Art langes Messer in die Hand und stürzt sich waffenlos in dieses Messer. Er fällt in den Rollstuhl von Marke und wird via Aufzug mit den Seinen in den Keller verbracht.
Der Prospekt zeigt vor dem dritten Akt das gleiche Bild mit dem Zug aus einer etwas veränderten Perspektive. Auch der Keller präsentiert sich fast unverändert – nur die Zeichnungen an den Wänden sind mehr geworden und Tristan sitzt im Vordergrund mit einem Tuch über dem Kopf im Rollstuhl. Am Ende kommen zuerst Marke und Melot in den Keller und beobachten das Geschehen. Dann kommt Isolde mit verbunden Augen dazu. Marke hat wieder in seinem Rollstuhl Platz genommen. Isolde, die nichts sieht, richtet einen Grossteil ihrer Worte an Marke, den sie für Tristan hält, sie setzt sich auf dessen Schoss und ist, als sie die Binde von den Augen nimmt, entsetzt, als sie ihren Irrtum bemerkt.
Brangäne wird es sein, die sich um den Marke kümmert, sie ist (ähnlich hat man das bei Luk Perceval in Stuttgart sehen können) Isoldes alter Ego. Der Prospekt senkt sich über der Szene, Isolde steht allein im Vordergrund. Ein letztes Mal wird der Prospekt transparent – Isolde schaut auf eine Welt, die sie verlassen hat.
Die Inszenierung bietet eine konventionelle Personenführung, die weit hinter dem zurückbleibt, was spannendes Musiktheater sein könnte. Die Liebesszene ist gänzlich unbewältigt, geradezu hilflos agieren Tristan und Isolde. Aber auch andere Passagen bieten nichts, was nicht so oder so ähnlich in anderen Aufführungen des „Tristan“ erlebt werden könnte. Hätten die Figuren der Handlung andere Kostüme an, wäre der Bühnenraum ein anderer, die Aufführung wäre kein Aufreger. Man muss Hilsdorf zugute halten, dass er sein Konzept stringent verfolgt und dass er sich Gedanken über das Stück gemacht hat – das Ergebnis überzeugt allerdings nicht wirklich.
Starker Beifall für alle Beteiligten, und deutliche Ablehnung für das Regieteam. In diese ablehnenden Bekundungen des Wiesbadener Publikums zog Hilsdorf den leicht widerstrebenden Dirigenten Marc Piollet mit hinein, immerhin war der es, der Hilsdorf für den „Tristan“ engagieren wollte.