Was mich an Johannes Brahms fasziniert........

  • Momentan:
    ...dass mir die Brahms-Musik :jubel: :jubel::stumm: viel, viel viel besser gefällt, als die von Bruckner und Wagner (dabei ist Wagners Musik eigentlich doch gar nicht sooo schlecht)
    ..dass die Liebhaber von Brahms Musik keinen Kult um ihn machen.
    Dass – nach privater Erfahrung - Brahmshörer (was für angenehme Menschen!) weniger autistisch wirken als manche eingefleischte Wagnerianer, Brucknerianer oder Bachhörer.
    ...dass – nach meiner Erfahrung – kein Brahmshörer auf die absurde Idee käme, seine Musik quasi als „ästhetischen Gottesbeweis“ hoch zu stilisieren; ganz im Gegensatz zu manchen Liebhabern von Bachs und Bruckners Musik.
    Was mich an Brahms Musik ärgert:
    ... dass es so schwer für Orchester + Dirigenten ist, seine Sinfonie Nr. 3 + 4 sinnvoll wiederzugeben.


    :hello:

  • Hallo Keith,
    aber ein bisserl lächerlich ist es schon, die Handvoll Schumann-Lied-Nachahmungen eines jungen Dutters namens Bruckner und die de facto inexistente Kammermusik Wagners den Tonnen von Liedern und Kammermusik Brahms' gegenüberstellt. Wenn einer das in solchen Mengen produziert, müßte er schon ein elendiglich schlechter Komponist sein, wenn nicht das eine oder andere Stückchen ein wenig besser dasteht.
    Was Wagners Lieder betrifft: Allein für die Einleitung zu den "Träumen" lasse ich Brahms' gesamtes Liedschaffen stehen. Aber es braucht nicht immer Wagner zu sein. Was ist mit Schubert? Hat Lieder geschrieben wie den "Leiermann" - und dagegen ist Brahms nun wirklich zweite Garnitur.


    ***


    Hallo Glockenton,
    schau Dir einmal das Finale der "Götterdämmerung" in der Partitur an (der Klavierauszug schafft die Wiedergabe nicht): Hier hast Du klare polyrhythmische Schichten, in denen nicht nur innerhalb eines Taktes hemiolisch gedacht wird sondern sogar innerhalb von Taktperioden.
    Wenn Brahms eine wie Du selbst sagst an sich wenig bemerkenswerte rhythmische Facette zur quasi-stilistischen Marotte erhebt, halte ich freilich auch diese Marotte für wenig bemerkenswert, außer insoferne als daß sie eben häufig bei Brahms vorkommt. Du siehst: Wiederum stimmen wir in der Analyse überein ("Hemiolen sind bei bei Brahms auffällig"), nicht aber in der Bewertung, die bei Dir in Entzücken besteht und bei mir in Schulterzucken.


    Zitat

    Wahrscheinlich werde ich bei Draeseke eben genau vermissen, dass er nicht wie ein 100%iger Brahms klingt.


    Das ist nun ein Satz, der ehrlich ist, der aber praktisch Deine ganze Argumentation entwertet. Wenn Du einem Brahms-Kult angehörst, der alle Musik nur beurteilt, ob sie 100-prozentig nach Brahms klingt, dann ist klar, warum Dir Brahms so gut gefällt.
    Ich hingegen bin sehr froh, daß die von mir geschätzten Komponisten nur an schwächeren Stellen wie Brahms klingen - etwa der von mir sehr geschätzte Dvorák, der zwar satztechnisch einiges übernimmt, sich aber nicht verkneifen kann zu wissen, wie man Farbe und Klang erzeugt.
    :hello:

    ...

  • Liebe Brahms-Liebhaber und Edwin,


    das Problem bei dieser Auseinandersetzung scheint zu sein, dass man bei Brahms - im Gegensatz zu anderen Komponisten, die gerade durch kühne Effekte Aufmerksamkeit erregen - bestimmte Eigenarten seiner Musik nicht vom Gesamtbild abstrahiert beurteilen kann. So mag eine 2 gegen 3 - Rhythmik nichts besonders sein, aber im Kontext wirkt sie gerade bei Brahms oft so zwingend und überwältigend, dass man seine Bewunderung darüber äußert, obwohl man zugleich weiß, dass dem, worüber man gerade schreibt (die "2vs3-Rhythmik"), vom Rest abstrahiert absolut keine Bedeutung zukommt.
    So können auch harmonisch scheinbar fantasielose und banale Takte im Kontext eine ungeheuere Wirkung erzielen (selbst Glenn Gould verkannte dies, z. B. als er die sechsfache Wiederholung hämmernder D - T - Akkorde im Kopfsatz des 5. Klavierkonzertes von Beethoven mit Substanzlosigkeit verwechselte).


    Um meine Faszination zu erklären, wähle ich mal den Allegro-Teil des letzten Satzes der 1. Sinfonie, der angeblich die nach dem grandiosen Beginn aufgekommenen Erwartungen nicht erfüllt.
    Beginnen tut er mit einem erhebenden Thema in sonorer, eindrucksvoller Klanggestaltung - hier gleich eine Frage an Edwin: Hätte hier Brahms anders instrumentieren sollen, um dem Thema zu noch besserer Geltung zu verhelfen?
    Besonders berühren mich die beiden letzten Takte mit dem expressiven Sextsprung (die Absurdität der isolierten Betrachtung einzelner Gestaltungsmittel, die unweigerlich zu Polemik führen muss, wird hier ganz deutlich. "Wow, ein Sextsprung. Aber gabs den nicht auch schon bei Karl Ditters von Dittersdorf?"). Umwerfend finde ich, wie Brahms nach und nach auf die denkbar unscheinbarste Art Ideen einbringt, die sich im späteren Verlauf als mit die wesentliche Substanz entpuppen werden (so z. B. Takt 97).
    Takt 106 ff.: Die Verflechtung dreier Stimmen mit ein und dem selben, auf unterschiedliche Taktzeiten einsetzenden Motiv (4 16tel + 3 Viertel), welches wirkt, als hätte es sich zwingend aus dem Vorherigen ergeben müssen, übt auf mich wahrscheinlich dieselbe Faszination aus wie die Betrachtung einer schönen Formel auf einen Mathematiker.
    Das Seitenthema wirkt auf mich, als würde eine Person mit größtem Enthusiasmus versuchen, ihre gerade gewonnene Erkenntnis an andere weiterzugeben.
    Eine der aufregendsten Passagen beginnt für mich in Takt 142. Hier kommt die von anderen bereits angesprochene Melancholie durch, besonders deutlich und ergreifend für mich in T. 148-151 sowie T. 168ff.
    Ach, und zum Abschluss (ich mache ein anderes Mal weiter) noch ein Beispiel für besondere Klangsinnlichkeit bei Brahms: die Wiederkehr des Hauptthemas. Mit scheinbar simpelsten Mitteln, z. B. Oktavsprüngen in den Klarinetten, übertrifft Brahms die bereits erwähnte, mir sehr zusagende Klanggestaltung beim ersten Erscheinen des Hauptthemas noch einmal um ein Vielfaches.


    Achso, und in Sachen Bruckner kann ich JR nur zustimmen: Wer die an Eintönigkeit IMO nicht zu übertreffende Satztechnik und Instrumentierung Bruckners duldet, müsste Brahms' Orchesterbehandlung eigentlich durchgehend bewundern...
    (nicht, dass das ein mir wesentliches Kriterium wäre, gute Musik - zumindest in dieser Epoche - klingt auch noch im Klavierauszug gut. Zudem müsste man dann Bach gegenüber Monteverdi und Beethoven gegenüber Mozart als deutlich überschätzt einstufen!)

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    ...
    Was Wagners Lieder betrifft: Allein für die Einleitung zu den "Träumen" lasse ich Brahms' gesamtes Liedschaffen stehen. Aber es braucht nicht immer Wagner zu sein. Was ist mit Schubert? Hat Lieder geschrieben wie den "Leiermann" - und dagegen ist Brahms nun wirklich zweite Garnitur.
    ...
    :hello:


    Lieber Edwin,


    es bleibt Dir unbenommen, Wagner und Bruckner besser zu finden. Du kannst es auch auf die Spitze treiben und ein Lied Wagners besser als alles Liedschaffen Brahms' finden...was soll es?!


    Oder Du kannst und bist dem Versuch erlegen, Brahms gegen Schubert auszuspielen...was soll es?!
    Aber: Beethoven ist besser als Britten! Britten kannst Du in "die Tonne kloppen!"...Wie würde Dir so etwas Unqualifiziertes behagen? ;) (Sorry: Polemik...Übertreibung!)


    Daß Du an Brahms' Musik nichts (?) findest...akzeptiert.


    Lies bitte einmal den Threadtitel!!! ;)


    Nichts für ungut...Deine werkspezifischen Analysen als Profi sind wesentlich besser, als Deine allgemeinen polemischen Unmutsbekundungen en masse...


    Bis dann.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    ...


    Ich hingegen bin sehr froh, daß die von mir geschätzten Komponisten nur an schwächeren Stellen wie Brahms klingen - etwa der von mir sehr geschätzte Dvorák, der zwar satztechnisch einiges übernimmt, sich aber nicht verkneifen kann zu wissen, wie man Farbe und Klang erzeugt.
    :hello:


    Hallo Edwin,


    Nachtrag:


    Wieder dasselbe Schema wie bei 'Brahms gegen Schubert'.


    Wenn Du Klang und Farbe so schätzt (?), wieso mißfallen Dir die Belcanto-Opern so? (?) Ist das Ausdruck der Inkonsequenz?


    Bis dann. :)

  • Oder Richard Strauss erst... :D

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Keith,
    aber ein bisserl lächerlich ist es schon, die Handvoll Schumann-Lied-Nachahmungen eines jungen Dutters namens Bruckner und die de facto inexistente Kammermusik Wagners den Tonnen von Liedern und Kammermusik Brahms' gegenüberstellt.
    ...
    :hello:

    [Hervorhebung durch den Zitierenden]


    Hallo Edwin,


    "Fantasie für Klavier in fis-Moll (1831)
    3 Klaviersonaten:
    Klaviersonate in B-Dur (1831)
    Klaviersonate in A-Dur (1832)
    Klaviersonate in As-Dur (1853)
    Züricher Vielliebchen-Walzer für Klavier in Es-Dur (1854)"
    [zitiert nach Wikipedia]


    Du suchst doch "Solitäre"; nicht die Menge! Dieses ist Kammermusik.


    Bis dann.

  • Hallo rappy,


    habe einmal Deine Anmerkungen anhand der Partitur nachvollzogen, und ich mich muss Dir in allem Recht geben.


    Eigentlich ist bei mir jeder Takt eine Lieblingsstelle ( weil die Musik so gut "gearbeitet" ist - ich verwende dieses Wort bewusst als Hinweis auf die Bezeichnung "gearbeitete Musik" des deutschen Barock), aber ich möchte doch auch einige Takte anfügen, die mich sehr begeistern:


    Takt 458ff. : nach der vorhergehenden Steigerung geht es nur scheinbar wie gehabt mit dem fallenden Terz-Motiv Eb-C ( Bamm-Bamm ;) ) weiter. Statt wie vorher im pp wird ff gespielt wird aus dem Zweitöne-Motiv eine durchaus agressive Apotheose an die Kraft des Rhythmus die sich in ihrer inneren Spannung und Wildheit steigert - man ist fast froh, dass man an der richtigen Stelle (474) wieder aus der Hörsituation entlassen wird. Dies findet über akzentuierten, sich wiederholenden Hörnerakkorden statt ( C7 mit der Septime im Bass - eigentlich harmonisch nichts "Besonderes", hier aber unglaublich wirksam...gerade daran zeigt sich ja die Meisterschaft des Komponisten) die erst zweimal in punktierten Halben den Takt ausfüllen, und dann ihren Notenwert zur Steigerung halbieren. Eine unglaublich tolle Stelle ist das, finde ich.


    Oder die Akkorde in 479ff: Kein Gespür für Klangsinnlichkeit? Das schwebt doch...nach dieser Darstellung innerer Zerissenheit scheinen sich Hoffnung, Resignation und friedliche Melancholie im schnellen (harmonischen) Wechsel zu vermischen - Grossartig!


    Schon nach dem ersten Satz habe ich das Gefühl, eine ergreifende und spannende Geschichte miterlebt zu haben, sozusagen eine Reise durch die wechselnden inneren Zustände einer Seele.


    Später mehr...


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Keith,

    Zitat

    Dieses ist Kammermusik.


    Nei, dieses ist Klaviermusik. Kammermusik wäre etwa ein Streichquartett. Eine polemische Fehlleistung wird nicht besser durch neuerliche Irrtümer.


    Zitat

    Beethoven ist besser als Britten! Britten kannst Du in "die Tonne kloppen!"


    Klar, längst geschehen. Daß Britten vor einem kulturhistorischen Hintergrund komponierte, der von Beethoven wesentlich weiter entfernt war als Brahms von Schubert - wen kümmert's...?
    Mensch, Keith, bitte....!


    ***


    Hallo Rappy,

    Zitat

    Oder Richard Strauss erst...


    Substanz und Farbe machen für mich die Qualität aus. Farbe allein ist zuwenig. :D


    Zitat

    hier gleich eine Frage an Edwin: Hätte hier Brahms anders instrumentieren sollen, um dem Thema zu noch besserer Geltung zu verhelfen?


    Ich habe im Moment die Partitur nicht vor mir. Meinst Du die Beethoven nachempfundenen Streichermelodie, die dann Mahler in seiner Dritten klaute (und um Klassen besser instrumentierte)? Wenn ja: Die Stelle wirkt allein durch die melodische Formulierung. Farbtechnisch tut sich nichts. Aber ich gebe zu: Eine Oase in der Wüste...


    :hello:

    ...

  • Zitat


    Original von Edwin Baumgartner
    Das ist nun ein Satz, der ehrlich ist, der aber praktisch Deine ganze Argumentation entwertet. Wenn Du einem Brahms-Kult angehörst, der alle Musik nur beurteilt, ob sie 100-prozentig nach Brahms klingt, dann ist klar, warum Dir Brahms so gut gefällt.


    Ja , ich bemühe mich hier immer um Ehrlichkeit in meinen Sätzen.
    Nein, meine Argumentation ist nicht entwertet, weil ich ja vorher überhaupt nicht in Anspruch genommen haben, dass ich sozusagen wie ein zur Neutralität verpflichteter Richter mich der Frage stelle, WAS MICH AN JOHANNES BRAHMS FASZINIERT (siehe Titel dieses Threads).


    Ja, ich bin befangen und freue mich auch darüber. Ich muss hier ja nicht wie ein Richter ein Verbrechen beurteilen und bestrafen.
    Das ist vielmehr so ähnlich, als ob man einen anderen Menschen liebt. Trotzdem kann ich mich doch qualifiziert über diesen geliebten Menschen – oder im hier besprochenen Fall- über die geliebte Musik des Johannes Brahms äußern, oder nicht? Diese Frau, bzw. diese Musik kenne ich doch ganz gut…?
    Ich kann ja auch sagen: Es gibt sicher viele andere schöne Frauen auf dieser Welt, aber eines weiß ich jetzt schon, ohne sie alle kennengelernt zu haben: Sie werden mir nie so gut gefallen wie meine Frau, selbst wenn ich einige von ihnen noch persönlich kennenlernen werde.
    Das hat dann mit den sehr spezifischen Eigenschaften dieser Frau zu tun, die man gar nicht immer so leicht in einer sachlichen Sprache ausdrücken kann. Tut man es doch, dann kommt ein anderer daher, der in der rein sachlichen Analyse übereinstimmt, aber in seiner Bewertung nichts Besonderes daran finden kann.
    Ich denke, so in etwa kann man den Unterschied zwischen unserer Sicht auf Brahms beschreiben. Du liebst ihn einfach nicht... ;(



    Übrigens beurteile ich nicht ALLE Musik danach, ob sie nach Brahms klingt.
    Ich mag auch Wagner im Instrumentalen ganz gerne – aber nicht von Morgens bis Abends, und nicht auf den nüchternen Magen…
    Ebenso höre ich gerne Schubert, Schumann, Mendelssohn….und diese Komponisten finde ich auch immer am besten, wenn sie nach „typisch Schubert“ oder „typisch Mendelssohn“ ( Ouvertüre Sommernachtstraum…) klingen.


    Ansonsten gehöre ich einem gesittet- fanatischen Bach-Kult an, wenn Du schon das Wort "Kult" in den Raum wirfst.
    Für mich sind Bachsche Contrasubjekte aus seinen Fugen oft so aufregend, dass ich sie mir ausgedruckt an die Wand hängen und vor ihnen Andacht halten könnte ( da stehe ich in meinem privaten Umfeld ziemlich alleine da :D


    Ähnlichs gilt auch für manche Themen von Brahms, ich wüsste auch schon welche...


    LG :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Hallo!


    Hatte ich mir nicht mal vorgenommen, zu all diesen "Was mich an X fasziniert"-threads etwas zu schreiben?
    So wie ich Alfred bei der Eröffnung der Reihe verstanden habe, sollte da jeder Faszinierte ungezwungen seine subjektiven Eindrücke loswerden können - also threads der Kategorie "bei denen alle mitmachen können" - vorausgesetzt, man ist "Fan" von Komponist X.
    Dieser thread ist irgendwie anders verlaufen, und ich traue mich gar nicht mehr, meine naiven Brahms-Bejubelungen loszuwerden.


    @Edwin: In einem deutschsprachigen Klassik-Forum gegen Brahms zu stänkern - da muß man eben Gegenwind aus allen Richtungen erwarten, aber das hast Du sicher schon vorher gewußt. Ich kann Deine Argumentation nachvollziehen und verstehen, teile aber gewisse Grundansätze Deines musikalischen Wertungssystems (ein solches ist IMO immer zu einem gewissen Grade subjektiv) nicht, so daß Brahms für mich weiterhin ein hervorragender Komponist ist.
    Streng konsequent müßte man diese Diskussion in einen eigenen thread (Brahms für Aussteiger oder so) auslagern, denn diese Threadreihe war eigentlich für ungezwungene positive Äußerungen gedacht - na ja es kommt immer anders als...


    Ich gebe zu, meine Faszination für Musik von Brahms ist im Prinzip subjektiv begründet. Mich begeistert und inspiriert seine Musik, und da ist es mir egal, ob sein Requiem, sein Klavierquintett, seine 4. Symphonie, seine Händel-Variationen, seine Streichquintette "objektiv" gesehen schlecht oder mittelmäßig komponiert / instrumentiert / klanggefärbt sind.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Ich habe im Moment die Partitur nicht vor mir. Meinst Du die Beethoven nachempfundenen Streichermelodie, die dann Mahler in seiner Dritten klaute (und um Klassen besser instrumentierte)? Wenn ja: Die Stelle wirkt allein durch die melodische Formulierung. Farbtechnisch tut sich nichts.


    Hallo Edwin,


    der Vergleich mit Mahler ist (Du weißt: meiner Meinung nach ;)) vollkommen abwegig: Brahms lässt das Thema choralartig von den Streichern spielen, Mahler unisono von acht Hörnern. Wieso sind acht Hörner "um Klassen besser instrumentiert"? Ich würde eher sagen: Da wollten zwei etwas vollkommen Verschiedenes. (Nebenbei: Worin eigentlich die immer wieder behauptete Ähnlichkeit dieses Themas mit Beethovens "Freudenthema" bestehen soll, ist mir bisher noch verborgen geblieben...)


    Zur vermeintlichen Farblosigkeit: Gerade diese Stelle wirkt sogar primär klangfarblich, weil der weiche, tiefe Streicherklang im Farbkontrast zu den wilden Läufen, Pizzicati, Tremoli und vor allem dem markanten Hornsolo der großartigen Einleitung steht. Du behauptest hier immer wieder einen klanglichen Einheitsbrei bei Brahms, den es einfach nicht gibt: Die Variationen im Finale der Vierten sind auch und vor allem klangfarblich charakterisiert, die Coda des letzten Satzes der Dritten wirkt in erster Linie durch die Auflösung des Klanges durch Tremoli und Dämpfer, usw.. Es ist nicht die Klangbehandlung, die Deinen Geschmack trifft, das ist inzwischen hinreichend deutlich geworden. Das ist aber auch alles.


    Viele Grüße,


    Christian

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Keith,


    Nei, dieses ist Klaviermusik. Kammermusik wäre etwa ein Streichquartett. Eine polemische Fehlleistung wird nicht besser durch neuerliche Irrtümer.
    ...
    :hello:


    Hallo Edwin,


    ich ordne Klaviermusik der Kammermusik hinzu, dieses ist nicht gänzlich falsch; und halte Dich nicht an Nebensachen auf...Was Du aus Geschriebenen immer herausgreifst und polemisch bewertest...?! :no:


    Und bitte: Zitiere ordentlich! Mein Beispiel der Überzeichnung bzgl. Britten habe ich selbst als Polemik gekennzeichnet, während Du es unterschlägst...z. B. verwende ich 'das Stilmittel' des Absatzes nicht ohne Grund. X(


    Bis dann.

  • Lieber Amfortas- wo du Recht hast, hast Du Recht!
    Der generelle (Ausnahmen bestätigen die Regel...) Unterschied zwischen Brahmsianern und Wagnerianern spricht wahrlich eher für die Qualitât von Brahms...... :pfeif:


    Was Brahms als Liedkomponisten angeht, muss ich Edwin aber doch Recht geben: mit Schubert oder Schumann kann er auch meiner Ansicht nach nicht konkurrieren und spielt da nciht in der allerersten Liga mit.
    (In der Kammermusik m.E. jedoch serh wohl.)


    Die Lieder sind überwiegend zwar serh schön, auch gerade im genuin ästhetischen Sinne, aber die intensive Verbindung Musik/Gedicht, die für mich das Kunstlied ausmacht, gelingt Brahms nicht so überzeugend wie Schubert oder Schumann oder auch Hugo Wolf.
    Brahms hat das evtl selbst gewusst und deshalb nciht viele wirklich hochwertige Dichtungen vertont ?(
    F.Q.

  • Zitat

    Original von Glockenton
    ...WAS MICH AN JOHANNES BRAHMS FASZINIERT (siehe Titel dieses Threads)...
    Glockenton


    Hallo Glockenton,


    ganz Deiner Meinung...habe ich auch versucht einzufordern...


    Manche hören wahrscheinlich lediglich Stichworte (in diesem Fall: Brahms), lesen jedoch nicht die Themenstellung.


    Bis dann.

  • Zitat

    Original von ChKöhn
    ...
    Hallo Edwin,
    ...
    (Nebenbei: Worin eigentlich die immer wieder behauptete Ähnlichkeit dieses Themas mit Beethovens "Freudenthema" bestehen soll, ist mir bisher noch verborgen geblieben...)
    Christian



    Hallo Christian,


    sorry, solche "Eingeständnisse" solltest Du in diesem Thread nicht machen. Wenn ich diese Zeile nicht geschrieben hätte, wäre der Rückschlag vorprogrammiert..., Edwin ist gerade in 'Geberlaune'... ;):pfeif:


    Bis dann.

  • Hi Glockenton,


    Bei mir hört die Partitur schon mit T. 457 auf, aber falls du die Takte meinst, die man in meiner Partitur erhält, wenn man von den 4XX genau 200 abzieht, dann sind scheinen sich unsere Geschmäcker auf beinahe unheimliche Weise zu ähneln!
    T. 458 (nach meiner Zählung 258): Genau diesen gewaltigen Ausbruch meinte ich, als ich schrieb:


    Zitat

    Umwerfend finde ich, wie Brahms nach und nach auf die denkbar unscheinbarste Art Ideen einbringt, die sich im späteren Verlauf als mit die wesentliche Substanz entpuppen werden (so z. B. Takt 97).


    Dort steht dieses unscheinbare Dreitonmotiv (Es-C-As) nämlich dann im Fokus.
    Eine meiner Lieblingspassagen!


    Unbedingt erwähnenswert ist auch der Bläserchoral in der Coda - da verliert man doch den Boden unter den Füßen!


    Deinen Bachfanatismus teile ich auch. :yes:


    @Edwin:


    Substanz in der Musik - das wäre erst noch zu definieren ;) Laut Hanslick gibt es keine Substanz außer - ich formuliers mal so: die Töne und deren Platz im Gesamtkunstwerk.
    Diese mir äußerst sympathische Blickrichtung öffnet einem die Tore zu Brahms und Strauss. :)


    Zur Brahmssinfonie: Ja, genau die Stelle meine ich.


    Zitat

    Die Stelle wirkt allein durch die melodische Formulierung.


    Ich formuliere mal polemisch dagegen: Bei Mahler wirkt die Stelle gerade umgekehrt allein durch den aufgesetzten Effekt der Instrumentation. :P
    Für sich alleine betrachtet empfinde ich den melodischen Verlauf bei Mahler als nichtssagend, ja geradezu hässlich. Womit ich nicht einen meiner Lieblingssätze bei Mahler entwerten will, den zum Glück stellt diese Melodie zumindest für mein Empfinden nicht das Wesentliche der Komposition dar!
    Ansonsten hat Christian das Wesentliche zum Vergleich dieser beiden Passagen gesagt, kann das nur voll und ganz unterschreiben.
    Die angebliche Ähnlichkeit, die ich auch für ziemlich weit hergeholt halte, findest du übrigens im Wikipedia-Artikel schön anschaulich erläutert ;) (@Christian)


    Zum Thema Instrumentation fehlen hier noch ein paar Spezialisten, die Brahms verteidigen wollen - könnten ja Loge mal anlocken :D
    Hab jedenfalls mal ein ziemlich gutes Instrumentationsbuch eines Professors aus Wien gelesen, und der urteilte ziemlich abwertend über Schuberts Instrumentation, während Brahms weit besser wegkam (bei ihm kritisiert er die Dicke in den Mittelstimmen, aber das kann man vielleicht gerade lieben, genauso wie die Entfernung von der "goldenen Mitte" ins andere Extrem bei Janacek auch etliche Liebhaber findet?)

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Lieber Pius,

    Zitat

    Edwin: In einem deutschsprachigen Klassik-Forum gegen Brahms zu stänkern - da muß man eben Gegenwind aus allen Richtungen erwarten, aber das hast Du sicher schon vorher gewußt.


    :D :D :D
    Ich habe da schon zwei Musikwissenschafts-Dozenten und zwei Kompositionslehrer (einer davon immerhin Amerikaner) damit auf die Palme gebracht, aber von einem der letzteren immerhin einen Satz geerntet: "Na, so ganz unrecht haben Sie nicht, zumindest partiell." Allerdings war der der gute Mann Franzose....


    ***


    Hallo Christian,

    Zitat

    Nebenbei: Worin eigentlich die immer wieder behauptete Ähnlichkeit dieses Themas mit Beethovens "Freudenthema" bestehen soll, ist mir bisher noch verborgen geblieben...)


    Das monotone Leiern - bei keinem der beiden Komponisten ein wirklich genialer Einfall, bei Beethoven aber zumindest noch originell.

    Zitat

    Wieso sind acht Hörner "um Klassen besser instrumentiert"?


    Wer hilft mir und erfindet ein Satzzeichen für Ironie?
    Das gibt's doch nicht, daß Du das für "ernst" genommen hast...!

    Zitat

    Du behauptest hier immer wieder einen klanglichen Einheitsbrei bei Brahms, den es einfach nicht gibt: Die Variationen im Finale der Vierten sind auch und vor allem klangfarblich charakterisiert, die Coda des letzten Satzes der Dritten wirkt in erster Linie durch die Auflösung des Klanges durch Tremoli und Dämpfer, usw..


    Du mußt die Stellen mit der Lupe suchen - und wirst sicher in jedem Werk zwei, drei finden können. Eine magere Ausbeute. Bitte nicht jetzt behaupten, das sei so gewollt, damit die wenigen Stellen umso besser wirken. Ich wurde nämlich von Johannes Roehl weiter oben belehrt, daß Brahms gar nicht vor hatte zu wirken.
    Manche Verteidigungslinien stehen auf schwachen Füßen - vor allem, wenn man Brahms' offensichtliche Mängel in Tugenden ummünzen will. Manchmal wäre es vernünftiger, einfach zu sagen: "O.K., der Kerl hat keine Ahnung von Instrumentierung gehabt und von Klangtechnik auch nicht, aber seine Musik hat andere Tugenden, die sie auf die Stufe der Außerordentlichkeit erhebt".


    Spreche ich jetzt am Ende für Brahms? - Um Gottes Willen, Themenwechsel!!!


    Also:


    ***


    Hallo Keith,

    Zitat

    ich ordne Klaviermusik der Kammermusik hinzu, dieses ist nicht gänzlich falsch;


    Falsch nicht. Eher kurios.
    (Ich überlege gerade, ob ich Bläserquintette eher der Symphonik oder der Musikdramatik zuordnen soll, werde mich aber doch für Orgelmusik entscheiden...)


    Zitat

    ...WAS MICH AN JOHANNES BRAHMS FASZINIERT


    Ja. Das habe ich ja auch deutlich gesagt, was mich an Brahms fasziniert. Daß Ihr mich dann zu einer Erklärung auffordert und diese dann zu Eurem offenkundigen Mißvergnügen auch erfolgt, ist doch wirklich nicht in meiner Verantwortung. :angel::D


    :hello:

    ...

  • Liebe Fairy Queen,


    Zitat

    Was Brahms als Liedkomponisten angeht, muss ich Edwin aber doch Recht geben: mit Schubert oder Schumann kann er auch meiner Ansicht nach nicht konkurrieren und spielt da nciht in der allerersten Liga mit.


    Danke für Deine mutige Todesbereitschaft.
    Ich warte mit Spannung auf die Verteidigung von Brahms Liedschaffen. Wahrscheinlich findet sich sogar jemand, der ihn zum begnadeten Vokalkomponisten erhebt, obwohl er von Singstimmenführung fast so wenig Ahnung hatte wie Beethoven.


    :hello:

    ...


  • Hallo,


    voilà. :)


    Bis dann.

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  • Lieber Edwin,


    1.
    Zitat:
    "Der Begriff Kammermusik bezeichnete ursprünglich Musik, die im Gegensatz zur Kirchenmusik für die fürstliche „Kammer“, also den weltlich-repräsentativen Gebrauch bestimmt war. Erst im Laufe des Barock entstand die Eingrenzung des Begriffs auf reine, klein besetzte Instrumentalmusik."
    [vgl. Wikipedia]


    2.
    Da mußt Du nicht mehr überlegen. Eigene Zuordnungen machst Du doch bereits! ;)


    "Also schauen wir uns einmal den Symphoniker Wagner an, wobei ich seine bühnengebundenen Symphonien wie "Tristan", "Parsifal" (die mit dem tollen Scherzo im Mittelsatz) und "Meistersinger" einmal beiseite lasse...."
    [Edwin am 24.03.2009 im Thread: Wagners symphonisches Schaffen; Hervorhebung durch den Zitierenden]


    Nichts für ungut. Ist doch alles nicht so tragisch! :)


    Bis dann.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich warte mit Spannung auf die Verteidigung von Brahms Liedschaffen. Wahrscheinlich findet sich sogar jemand, der ihn zum begnadeten Vokalkomponisten erhebt, obwohl er von Singstimmenführung fast so wenig Ahnung hatte wie Beethoven.


    Lieber Edwin,


    so "jemand" hat es schon gegeben: Neben vielen anderen zum Beispiel Dietrich Fischer-Dieskau (in "Johannes Brahms: Leben und Lieder"), der Brahms als Liederkomponisten auf eine Höhe mit Schubert und Wolf stellt. Aber der hat wahrscheinlich keine Ahnung von Singstimmenführung... Ich persönlich würde Schubert schon höher einschätzen, aber wenn ich ein Wunderwerk wie "Immer leiser wird mein Schlummer" höre, dann bin ich mir nicht mehr so sicher.


    Viele Grüße,


    Christian

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Lieber Christian,
    ich mag besagtes Lied auch besonders gerne und bestreite überhaupt nciht, dass Brahms schöne Lieder komponiert hat.(im Moment schwärme ich besonders für "Feldeinsamkeit", O wüsst ich doch den Weg zurück" und "Der Mond steht über den Bergen") Leider geht er oft mit Stimmen nicht viel besser um als Bach und ist wohl weder selbst Sänger (wie etwa Schubert) noch ein "gesanglicher" Komponist(wie etwa Mozart) gewesen.
    Auch das Requiem ist streckenweise eine echte Zumutung- so schön ich etlcihe Nummern daraus auch finde.
    Ausserdem finde ich seine Lied-Textwahl (überwiegend) ein bisschen arg mittelmässig und würde ihn darin fast mit Richard Strauss vergleichen wollen.
    Kongeniale Zyklen die eine Einheit von Dichtung und Vertonung bilden, wie etwa der Liederkreis 39, das Italienische Liederbuch, die Kindertotenlieder, die Winterreise und Müllerin sind ihm m.E. nicht gelungen.
    Auch die schöne Magellone würde ich persönlcih damit ganz und gar nciht in eine Reihe stellen. DiFiDi mag da vielleicht anderer Meinung sein.... ;)


    Für mich gehört Brahms nciht in die allervorderste Reihe der deutschen Liedkomonisten , serh wohl aber zu denen, die man unbedingt hören und kennen sollte.


    Dass er keine einzige Oper geschrieben hat, ist ja nun auch nciht gerade ein Beweis für seine überragende Vokal-Begabung.


    F.Q.


    Lieber Edwin, wieso Todesmut?????
    Hast du schon Morddrohungen von der Brahms-Gesellschaft erhalten???
    Keine Sorge- im Gegensatz zu den Wagnerianern sind Brahmsianer pazifistische Gentlemen!
    Wir können also unbesorgt weitermachen...... :D :hello:

  • Lieber Edwin,


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Wer hilft mir und erfindet ein Satzzeichen für Ironie?
    Das gibt's doch nicht, daß Du das für "ernst" genommen hast...!


    sei mir nicht böse, aber Du hast in diesem Thread schon so viel geschrieben, was entgegen aller Erwartung nicht ironisch gemeint war, dass ich allmählich alles für möglich halte ;).


    Zitat


    Spreche ich jetzt am Ende für Brahms? - Um Gottes Willen, Themenwechsel!!!


    Einverstanden!


    Zitat


    Ja. Das habe ich ja auch deutlich gesagt, was mich an Brahms fasziniert. Daß Ihr mich dann zu einer Erklärung auffordert und diese dann zu Eurem offenkundigen Mißvergnügen auch erfolgt, ist doch wirklich nicht in meiner Verantwortung. :angel::D


    Zu meinem Missvergnügen nicht: Ich finde zwar - welch Überraschung - nach wie vor, dass Du Unrecht hast, aber die Auseinandersetzung wird dadurch ja nur interessanter.


    Viele Grüße,


    Christian

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Liebe Fairy Queen,


    Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ausserdem finde ich seine Lied-Textwahl (überwiegend) ein bisschen arg mittelmässig und würde ihn darin fast mit Richard Strauss vergleichen wollen.


    ich muss die Quelle noch einmal nachschlagen, aber Brahms hat sich zu diesem Thema sinngemäß so geäußert, dass eine Vertonung bei den allerbesten Dichtungen überflüssig sei, weil sie nichts Wesentliches mehr hinzufügen könnte. Deshalb hat er lieber zu Dichtungen von Dauner u.ä. gegriffen. Insofern ist das wirklich Absicht.


    Zitat

    Dass er keine einzige Oper geschrieben hat, ist ja nun auch nciht gerade ein Beweis für seine überragende Vokal-Begabung.


    Es ist aber natürlich auch kein Beweis für das Gegenteil. Die Vokalmusik insgesamt macht mehr als die Hälfte seines Gesamtwerkes aus (69 von 121 Opera). Dass darunter keine Oper ist, liegt also wohl kaum daran, dass er nicht wusste, wie er für Gesang schreiben sollte.


    Viele Grüße,


    Christian

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Meine Lieben,


    Ich bin ja recht glücklich über den derzeitigen Verlauf des Threads - vor allem wenn man in Betracht zieht wie "kriegerisch" er begonnen hat..
    Allerdings sind wir schon ein wenig vom Thema abgekommen.
    Hier wird versucht, Brahms objektiv zu bewerten - was einerseits legitim - andrerseits unmöglich - drittens eigentlich nicht Thema dieses Threads ist. Hier wird Brahms gelobt, angegriffen, kritisiert, verteidigt und analysiert.


    Faszination an sich entzieht sich jedoch allen messbaren und objektiven Kriterien - sie ist einfach vorhanden - oder eben nicht.
    Selbstredend, daß Faszination stets einen Sender und einen Empfänger braucht: War den einen fasziniert, kann den anderen oft völlig kalt lassen.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Christian,

    Zitat

    so "jemand" hat es schon gegeben: Neben vielen anderen zum Beispiel Dietrich Fischer-Dieskau (in "Johannes Brahms: Leben und Lieder"), der Brahms als Liederkomponisten auf eine Höhe mit Schubert und Wolf stellt. Aber der hat wahrscheinlich keine Ahnung von Singstimmenführung..


    Wenn ich mir anhöre, wie Fischer-Dieskau singt, könnte ich durchaus auf die Idee kommen.
    Allerdings ist Fischer-Dieskau in seinen Schriften höchst seltsam. Das Wolf-Buch etwa strotzt von, nennen wir es euphemistisch, "Eigenwilligkeiten" und manch musikwissenschaftlich unhaltbaren Behauptungen.
    Aber wenn wir schon dabei sind, nicht aus eigenen Erkenntnissen zu schöpfen: De la Motte hat in einem Vergleich Beethoven-Schubert wunderbar nachgewiesen, was die grundlegenden Mankos von Beethovens Melodik sind.


    Außerdem muß ich Dir jetzt in einem Punkt pro Brahms Recht geben (grauenhafter Gedanke :D :D :D ): Die Textwahl bei den Liedern. Es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Standpunkte: Die einen komponieren (fast ausschließlich) Literatur, die anderen komponieren mit Absicht keine nach herkömmlichem Verständnis literarisch hochstehende Texte. (Die Ausnahme war wohl Richard Strauss - er glaubte, Literatur zu komponieren, und komponierte Gartenlaube.) Man kann keinem Komponisten aus der Textwahl allein einen Vorwurf machen. Nur: Es sollte meiner Meinung nach aus der Textwahl eine ästetische Verbindlichkeit abgeleitet werden können. Bei Brahms klingen fast alle Lieder unabhängig von ihrem Inhalt nach zwei Grundtypen, denen sie folgen: Ernsteres Genre, aufgelichtetes Genre. Wirklich spezifisch à la Schumann oder Schubert sind nur die wenigsten. Mit dem Wort konnte Brahms einfach nicht umgehen, seine Lieder sind "abstrakte" Klavierstücke mit Singstimme. Einige wenige Perlen gibt es, aber faszinierend ist für mich keine davon.
    :hello:

    ...

  • Es gibt hier eigentlich nicht mehr soviel hinzuzufügen, zumal andere viel besser spezifische Stellen erläutern können.


    Es ist richtig, daß ein Klischee nicht falsch sein muß. Aber wenn es sich eindeutig aus seinerzeitig verfeindeten Schulen und der entsprechenden wechselseitigen Polemik ergibt und seither dutzendmale widerlegt wurde, ist es ziemlich wahrscheinlich. Insbesondere ist es uninteressant, weil altbekannt. Interessante Kritik läßt mich ja neue Aspekte wahrnehmen. Die Wiederholung des Klischees will mir dagegen etwas nahelegen, was mir rein hörend noch nie eingeleuchtet hat. Da finde ich tatsächlich die noch absurdere Polemik Goulds gegenüber Mozart und Beethoven noch erhellender...


    Was mir an Edwins Kritik hochgradig unschlüssig erscheint, ist folgendes: Die Aspekte, bei denen niemand Brahms Meisterschaft absprechen kann wie Tonsatz, Kontrapunkt, Variationskunst, motivische Entwicklung und Arbeit, werden als bloße "Technik" abgehandelt, die keiner Phantasie bei der Anwendung bedarf (ziemlich sicher falsch). Die Aspekte, bei denen man vielleicht (auch entgegen dem Votum namhafter Experten) Defizite aufweisen kann wie Instrumentation, Klangfarben und Schreiben für Sänger sind aber anscheinend nicht "bloße Technik" (sonst hätte ein braver Kärrner wie Brahms sie wohl gemeistert), sondern zeigen Unfähigkeit und Mangel an Phantasie. Nicht sehr einleuchtend, oder?
    Ohne mich in der Technik auszukennen scheint es mir auch, daß "melodische Qualität" ein wesentlich subjektiverer Bereich ist als Kontrapunkt. Das wird dadurch bekräftigt, daß etliche "naive" (und nichtnaive) Hörer hier mehrmals die "schönen Melodien" Brahms' als Faszinationsquelle angeführt haben und zur Klanglichkeit wurden ja ebenfalls schon zig Beispiele genannt.


    Abgesehen davon, daß der Anteil an Orchestermusik im Schaffen von Brahms vergleichsweise gering ist, auch wenn das natürlich durch das Gewicht der Werke wieder ausgeglichen wird, geht es hauptsächlich um einen Aspekt, den der farbigen Instrumentation. Und hier darf Brahms weder diesem Aspekt vergleichsweise geringes Gewicht einräumen noch darf er (was er offenbar tat) "gedeckte Farben" bevorzugen und gewisse Effekte äußerlich finden. Natürlich hat Brahms' Musik "Effekt"; gewiß kann man nicht leicht sagen, was als "billiger Effekt" empfunden wird und was nicht. In dem Zitat ging es angeblich um den Einsatz der Harfe in einem Stück, insbesondere an einer bestimmten Stelle. In dem Kontext soll Brahms gesagt haben, die Harfe müsse dann aber von Beginn an spielen, damit es "ja keinen Effekt mache". "Effekt" in dem negativen Sinne ist für mich ziemlich viel von Tschaikowsky, was wie Zirkuskapelle klingt oder z.B. auch das Ende der Akademischen Festouverture. Etwas wie die "Tinnitus-stelle" am Ende von Smetanas erstem Quartett hätte Brahms vermutlich ebenfalls als nicht vom Ganzen her motivierten Aspekt abgelehnt.


    Ich verstehe nicht genug von Musiktheorie, um die Behauptung zu widerlegen, nach der Brahms "objektive" Fehler bei Instrumentation oder in der Klanglichkeit gemacht habe. Komischerweise ist das hunderten oder tausenden von anderen Komponisten und Musikern, die Brahms gar als Vorbild nahmen oder seine Musik jedenfalls mit Hingabe musizieren, nicht aufgefallen. Da es beim Klang aber ums Klingen geht, erlaube ich mir die Beurteilung hörend, ohne irgendwelche theoretischen Kenntnisse der Instrumentationstechnik. Und da hört sich Brahms, ungeachtet der unbestrittenen Vorliebe für gedeckte Farben, kein bißchen "braun" oder "grau in grau" an. So hat für mich z.B. jeder Satz der 4. Sinfonie eine eigene "Farbe". Im Finale ist die Klangfarbe ganz klar auch eine Dimension der Variation, wenn z.B. eine der ersten Variationen wie ein dumpfes Grummeln wirkt und später werden die Instrumente allerdings m.E. eben auch "symbolisch" eingesetzt: die an barocke Figuren erinnernde Flötenstelle oder die Posaunen.
    Werke wie das Horntrio oder das Klarinettenquintett zeigen überdies sehr deutlich, daß auch in der Kammermusik Klanglichkeit bei Brahms keineswegs eine bloß nachgeordnete Rolle spielt.


    Wenn Brahms eine Art Beethoven oder Schumann-Epigone gewesen wäre, wäre außerdem kaum erklärlich, daß sein Stil der etwas jüngeren Generation, sofern sie aus dem mitteleuropäischen verbindlich erschien und nicht Beethovens. Das waren anscheinend alles Deppen, der junge Strauss, Zemlinsky oder Schönberg, daß sie sich anfangs stilistisch an Brahms hielten und nicht an Draeseke...


    Es geht in diesem "Faszination"-Thread ja nicht um eine neutrale musikhistorische Beurteilung. Aber wenn man die vornehmen wollte, so scheint mir ziemlich klar, daß es gegenüber Brahms in seiner Zeit in der Sinfonik höchstens von Bruckner (und ohne ihn abzuwerten, halte ich für offensichtlich, daß der gegenüber der brahmsischen Ausdrucks und Formenvielfaltvon grandioser Einseitigkeit ist) einiges gleichwertige gibt, vielleicht noch zwei, drei Werke Dvoraks u.a. (Francks Sinfonie erfüllt m.E. einige der angeblichen Mängel Brahms' viel deutlicher als dessen Sinfonien...), im Solokonzert eigentlich gar nichts. In der Kammermusik wieder nur wenige Werke Dvoraks, vielleicht noch Francks Violinsonate, Borodins Quartette, evtl. auch Smetanas und gern noch ein paar mehr Einzelwerke. Aber nicht einmal die Vorgänger Schumann und Mendelssohn haben hier ein so konsistent hochklassiges Oeuvre hinterlassen. Die Klaviermusik ist vielleicht nicht ganz so zentral wie die Werke Chopins, Schumanns, Liszts, aber auch nicht weit dahinter. Die Lieder halte ich für unterschätzt, sie allerdings nicht in der Klasse Schuberts und Schumanns. Die Chormusik wage ich nicht zu beurteilen, aber BBB u.a. haben sich da ja anderswo schon mal geäußert. Ist freilich auch keine Gattung, die in dieser Zeit eine große Rolle spielte.


    Das Deutsche Requiem gefällt mir persönlich besser als Verdis oder Bruckners geistliche Werke mit Orchester. Selbst wenn hier, angesichts einer Trauermusik ja kaum verwunderlich, einige Sätze in sehr gedeckten Farben gehalten sind, so zeigt aber z.B. der zweite Satz wie überzeugend Brahms Klangfarben einsetzen konnte: Der fahle Beginn ohne Violinen, dann die (Effekt!) Stellen mit "Morgenregen und Abendregen und die Fanfaren bei "Des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit" usw.
    Die bei der Premiere verunglückte Stelle im 3. Satz ist wieder durch eine symbolische Haltung erklärlich: Bei "Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand" sollte der Orgelpunkt quasi die "Hand Gottes" darstellen, aber Posaunen und Pauken (oder wer alles noch spielt) übertönten die Chorfuge.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Das kann ich mir nicht vorstellen - höchstens in Österreich, aber auch dort schwerlich.
    Aber es kommt wohl drauf an, was eine "Gemeinde" in diesem Zusammenhang sein soll.
    ?( ;)


    Ja, der Unterschied ist, daß Brahms, anders als Bruckner, Mahler, einige andere, besonders aber natürlich Wagner nicht zur "Gemeindenbildung" tendiert. Wenn Edwin nicht da ist, polarisiert er eigentlich nicht groß, daher braucht man auch keine Gemeinde ;)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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