Hallo Wulf,
ZitatOriginal von Wulf
hier gehen wir völlig konform und ich denke, Edwin mit Sicherheit auch.
Allerdings hat dieser aber nicht an Brahms Thron gerüttelt, indem er die gattungsspezifischen Paremeter wie thematische Entwicklung, Ökonomie der Mittel etc. in Abrede stellte, sondern das Fehlen IMO ganz offensichtlich gattungsunabhängiger Parameter bemängelte: Farbe und Phantasie. Letzteres, obwohl schwer greifbar, hat man wohl schon zu allen Zeiten und von allen Werkgattungen gefordert, ob Messe, Madrigal, Sonate, Symphonie, StrQ etc.
dass die Trennung von technischen und künstlerischen Parametern nicht eindeutig möglich ist, hat Johannes - wie ich finde - überzeugend dargelegt. Was ist ein kontrapunktisches Kunststück wert, wenn es ohne Phantasie geschieht? Ich kriege bei zahlreichen "Fugati", die völlig unmotiviert in irgendwelchen Kompositionen auftauchen, schier die Krise, obwohl sie "technisch" sauber gemacht sind (Beispiele: Webers Klarinettenquintett, Tschaikowskys Klaviertrio und viele mehr). Schau Dir dagegen mal das zweite Thema des ersten Satzes von Brahms' Es-Dur-Klarinettensonate an: Da wird die linke Hand des Klaviers im Quintkanon zur Klarinetten-Stimme geführt, während die rechte Hand die Umkehrung dieser Stimme andeutet. Das ist eine kontrapunktische Meisterleistung, von der jeder Theorielehrer begeistert wäre, aber was sagt das schon? Einzigartig wird die Stelle dadurch, dass die beiden Instrumente dabei in einen unglaublich zärtlichen, ausdrucksvollen Dialog treten, dass der Rhythmus so raffiniert gestaltet ist, dass sich immer wieder ein Innehalten, ein gegenseitiges Zuhören und aufeinander Reagieren ergibt. Das ist eines der schönsten und phantasievollsten Themen, die ich kenne. Wenn Edwin - oder jemand anderer - dies alles nicht wahrnimmt, kann ich ihm außer dem Kanon etc. nichts beweisen. Aber da komme ich wieder zu der weiter oben beschriebenen Bedeutung der Majorität: Wenn über viele Jahrzehnte hinweg die große Mehrheit der Menschen, die sich mit der Materie intensiv beschäftigen, darin übereinstimmt, dass Brahms' Musik sehr wohl farbig, phantasievoll, ausdrucksstark ist, ich das alles aber nicht finden könnte, dann würde ich die Ursache dafür bei mir suchen (nebenbei bemerkt: Nur so habe ich die Bemerkung am Anfang der Diskussion gemeint, die Edwin etwas gegen mich aufgebracht hat und für die ich mich wegen ihrer Missverständlichkeit hiermit noch einmal entschuldige.) . Mir persönlich reicht es sogar, wenn mir einzelne Personen, deren Urteil ich vertraue, versichern, dass an einer Sache etwas dran ist; umgekehrt reicht es mir aber nie, wenn mir dieselben Personen versichern, dass an an einer Sache nichts dran sei, weil ich eben zu oft schon erlebt habe, dass nicht jeder für alles empfänglich ist. Insofern sehe ich da keine Symmetrie. Ich habe über weite Strecken ähnliche Probleme mit Wagner, finde den Parsifal offen gestanden vor allem langweilig, kann mit diesem ganzen "raunenden" Tonfall wenig anfangen, usw.. Ich muss gestehen, dass mich das auch mal dazu verführt hat, Despektierliches über Wagner zu sagen. Heute kann ich nur noch eins sagen: Ich kann damit - leider - wenig anfangen.
Viele Grüße,
Christian