Sergei Tanejew: Sinfonien Nr.1 - 4 und andere Orchesterwerke

  • Sergei Tanejew (1856 - 1915) war Schüler von Peter Tschaikowsky am Moskauer Konservatorium, mit dem ihn eine Lebenslange Freundschaft verband.
    Als Nachfolger von Tschaikowsky wurde er 1878 Professor für Harmonielehre und Instrumentation am Moskauer Konservatorium, 1881 zusätzlich Professor für Klavier und 1883 schließlich Professor für Komposition.


    Die Bekannheit und Popularität von seinem Lehrer hat er nie erreicht !?!


    Tanejew schrieb 4 Sinfonien:
    # Sinfonie Nr. 1 e-Moll (1873/74)
    # Sinfonie Nr. 2 B-Dur (1878, nur 3 Sätze vollendet)
    # Sinfonie Nr. 3 d-Moll (1884)
    # Sinfonie Nr. 4 c-Moll op.12 (1898..)


    Ich bin auch gespannt mehr über seine weiteren Orchesterwerke hier zu erfahren. Was gibt es sonst noch Erfahrenswertes ?




    *** Gestern hörte ich nach vielen Jahren wiedermal die Sinfonie Nr.4 (die IMO interessanteste Sinfonie mit einigen Ohrwurmthemen) - in der recht neuen Aufnahme mit Valery Polyansky:



    Staatliches SO der UDSSR / Valery Polyansky
    Chandos , 2003, DDD


    Die Interpretation war nicht schlecht, aber nach meiner Erinnerung auch nicht so ausgereift wie meine uralte LP mit Roshdestwensky (DG). Die Ecken und Kanten wurden nicht so richtig ausgespielt, der Klang war "chandostypisch", soweit OK, aber auch nicht ganz ausgereift (wie man es für 2003 erwarten würde).


    :hello: Wer kennt eine Aufnahme, die musikalisch höher punkten dürfte ???



    In den nächsten Tagen erwarte ich diese CD mit den mir noch unbekannten Sinfonien Nr. 1 + 3:



    Novosibirk Academic SO / Thomas Sanderling
    NAXOS, 2008, DDD


    ;) Mal sehen ob T.Sanderling mehr zu bieten hat.
    Meine Eindrücke dazu werde ich schildern (wenn ich es für lohnenswert halte).

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    Die Sanderling-Aufnahme ist unterwegs! ;)
    Ich habe leider keine Vergleiche aber mein Eindruck der Aufnahme ist recht positiv! Die Symphonien sind nicht spektakulär, aber "nette" Musik, die man gut hören kann!


    Beachtlich ist aus meiner Sicht die düstere, etwa 18minütige Ouvertüre zu seiner Oper "Oresteija".



    Sehr interessieren würde mich sein Klavierkonzert in Es-Dur, da ich mich bekanntlich für Klavierkonzert-Raritäten (insbesondere romantischer Natur) interessiere - vielleicht weiss Michael mehr?



    Es gehört nicht in diesen Thread (Orchesterwerke), aber wo wir bei Tanejew sind, muss ich immer an sein wohl berühmtestes Werk, das Klavierquintett in g-moll Op.30 denken. Leider habe ich keine Aufnahme aber mir wurde die Aufnahme unten (zusammen mit seinem Klaviertrio) empfohlen. Das Quintett ist ein ausgesprochen ausgewogenes Werk, welches im 1. und 3. Satz sehr düster und schwer, im 2. und 4. Satz jedoch herrlich leicht und beschwingt daher kommt, wenn ich mich recht erinnere. Die CD steht bei mir sehr weit oben auf der Wunschliste!



    LG
    Raphael

  • Zitat

    Original von raphaell
    Beachtlich ist aus meiner Sicht die düstere, etwa 18minütige Ouvertüre zu seiner Oper "Oresteija".




    Ja, die finde ich auch spannend - macht Lust auf mehr! Übrigens hat Chandos bei der 1992er Järvi-Aufnahme schlecht recherchiert von wegen "Premier recording" - meine Aufnahme mit Rozhdestvensky stammt von 1973. Und dauert nur 16 Minuten...
    Das Cover ist aber nirgends im Netz mehr zu finden.


    Ansonsten kenne ich nur etwas Kammermusik von Taneyev. Auch nicht schlecht.


    Grüße,
    Micha

  • Hallo,


    Ja, genau! Es gibt sogar eine Gesamtaufnahme der Oper - Der livemitschnitt aus Minsk wurde 1979 von der DGG auf Platte rausgegeben, wenn ich richtig informiert bin. Die Tonqualität soll aber dürftig sein. Damit wären wir schon bei mindestens 3 Einspielungen der Ouvertüre!


    :boese2:


    LG
    Raphael

  • Hallo Raphael,


    Deiner Einschätzung kann ich mich vorbehaltlos anschließen.

    Zitat

    Ich habe leider keine Vergleiche aber mein Eindruck der Aufnahme ist recht positiv! Die Symphonien sind nicht spektakulär, aber "nette" Musik, die man gut hören kann!


    Die Aufnahme der Sinfonien Nr.1 und 3 unter Thomas Sanderling ist gut. Eine andere Aufnahme braucht man nicht, da Sanderling alles was vorhanden ist (und das ist leider nicht gerade viel) aus den Werken herausholt.
    Leider nervt die Eigenschaft Tanejews ständig Passagen und Figuren zu wiederholen.
    An die Qualität der Sinfonie Nr.4 reichen die Vorläufer nicht heran.



    Eine der stärksten Aufnahmen der Sinfonie Nr.4 scheint mir immer noch Roshdestwensky/Grosses RSO Moskau ( DG) zu sein, wovon ich mich gestern (auf LP) überzeugt habe.



    Danke für den Hinweis auf die Ouvertüre Oresteija und sein KK. Wenn mir diese Werke mal in den Weg kommen, werde ich darauf achten.
    Aber ansonsten hat mich Tanejew bei meinen weiteren Kennenlernen, nach der Sinfonie Nr.4, nicht "vom Hocker gehauen".

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Die von Rafael genannte Oresteija-Ouvertüre op.6 liegt mir seit einigen Jahren auch in der Aufnahme mit Järvi / Philharmonia Orchestra (Chandos, 1990, DDD) vor.
    :thumbsup: Eine unheimlich starke energiegeladene Aufnahme, die keinesfalls den Wunsch nach einer anderen Aufnahme weckt. Ich hab aber eine andere Kopplung mit weiteren unbekannten Dichtungen von Glasunow - Das Meer (der Hammer!!), Liadow, Tormis u.a. vorliegen.
    Die Ouvertüre ist ein kraftvolles Stück mit Power nach der gleichnamigen Oper von 1887-1894 - Klasse Werk, TOP-Aufnahme !



    Als weiteres herausragendes Werk von Sergej Tanejew habe ich immer seine Sinfonie Nr.4 op.12 angesehen.
    Leider konnte ich auf CD nie die herausragende Roshdestwensky-Aufnahme, die ich "nur" auf DG-LP habe, bekommen. Die in Beitrag 1 abgebildete Polansky-Aufnahme (Chandos) hat mich nie ganz zufriedengestellt (reicht mir aber für die Sinfonie Nr.2).
    *** So lag es nun nach Jahren für mich als Swetlanow-Fan auf der Hand seine Aufnahme zu bestellen:



    WARNER, 1988


    Die Vierte ist noch um ein Stück (Scene Nr.2) aus Tempel des Apollon in Delphi erweitert.
    :thumbsup: Die Sinfonie Nr.4 und das Orchestzerstück ist erwartungsgemäss unter Swetlanow mit seinem Staatlichen SO der UDSSR der Hammer mit Spannung pur. Im Thread der eindrucksvollsten Schlusssätze wurde die Tanejew 4 bei Tamino bereits auch genannt. Swetlanow bleibt diesem Wahnsinnsfinale nichts schuldig ! Das ist Wahnsinn, wie Swetalnow es immer wieder versteht den Hörer mit dieser Gluthitze zu fesseln.


    Warner lässt immer offen ob es sich um Digital-oder Analogaufnahmen handelt. Da es eine russische Melodiya-Aufnahme von 1988 aus Moskau ist, könnte die noch analog aufgenommen sein. Egal - auch die erstklassige Klangqualität kann sich sehen und hören lassen.


    Mit der Verbindung erstklassige Interpretation, herausragenstes Tanejew-Werk und TOP-Klangtechnik bleibt für diese CD eine dicke Empfehlung.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Sergej Iwanowitsch Tanejew: Sinfonie Nr 1 in e-moll (1874)


    Dieser Thread interessante Thread versucht die Sinfonien des relativ unbekannten Komponisten TANEJEW in Erinnerung zu rufen , die übrigens – wie eigentlich nicht anders zu erwarten in keinem der gängigen Konzertführer zu finden sind. Dabei ist die Musik des Nicolai Rubinstein – Scjülers und Lieblingsschülers von Tschaikowskys durchaus hörenswert. Obwohl er immer ein wenig im Schatten des letzteren stand, nahm er dennoch in der russischen Musikszene der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine bedeutende Position ein – was allerdings im Westen in Vergessenheit geraten ist. Der Tonträgerindustrie und hier vorzugsweise Naxos ist es zu danken, dass wir nun seine Werke in ädiquaten Interpretationen auf Tonträger zu Gehör bekommen
    Tanejews erste Sinfonie wurde 1875, ein Jahr nach Vollendung der Partitur bei seinem Abschlußexamen mit der Goldmedaille im Fach Komposition ausgezeichnet. Trotz dieser hohen Einschätzung der Jury, verzichtete Tanejew darauf das Werk zu veröffentlichen.
    Er war sehr kritisch zu sich selbst – und veröffentlichte nur wenig, was vermutlicherweise seine heute geringen Bekanntheitsgrad erklärt
    Die erste Sinfonie ist ein uneitles Werk . Vor allem der erste Satz ist zwar angenehm zu hören, aber es fehlt (zumindest beim Ersthören) die plakative Attitüde, wie sie IMO beim späten Tschaikowsky zu finden ist.
    Der „plappernd –quirlige“ 2. Satz (Scherzo) ist hier schon ein anderes Kaliber und wartet mit einigen einprägsamen Stellen auf, die den Wiedererkennungswert der Sinfonie enorm steigern. Tanejew verwendet folkloreartiges Material und zitiert im - übrigens traumhaft klangschönen und extrovertierten - Finale das russische Volkslied “Ne lyod treshit“ („Es ist nicht das Eis das bricht“) Die Problematik ist, dass derartige Zitate sich vorzugweise an die Landsleute des Komponisten richten – und dem fremdem eher verschlossen bleiben, wenngleich dieses Thema später auch von Strawinsky in „Petruscka“ (Jahrmarktszenen – Tableau IV) verwendet wird.
    Die Sinfonie wurde offiziell erst 1948 uraufgeführt.


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    Siehe auch
    Wer war eigentlich dieser dieser Tanejew ?

    TAMRUSINFO

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dieser Thread interessante Thread versucht die Sinfonien des relativ unbekannten Komponisten TANEJEW in Erinnerung zu rufen , die übrigens – wie eigentlich nicht anders zu erwarten in keinem der gängigen Konzertführer zu finden sind.


    Im Reclams Konzertführer (17.Ausgabe) ist Tanejew erwähnt und das seine ersten Drei Sinfonien recht erfolglos waren:
    Die Nr. 1 als Prüfungsaufgabe am Moskauer Konservatorium; UA erst 1948 lange nach seinem Tode (Die Goldmedalie erhielt er für das Studienfach Komposition und nicht für diese Sinfonie alleine !)
    die Nr.2 blieb unvollendet; liegt aber heute auf CD mit Polyansky (Chandos) vor und wurde gewissenhaft rekonstuiert;
    die Nr.3 liegt heute in der Sanderling-Aufnahme vor;
    die von Tanejew einzige zu seine Lebzeiten veröffentlichte Sinfonie ist das kontrapunktische Lehrstück Nr.4 c-moll (1898).


    Mit der in Beitrag 1 und dieser CD ist man praktisch "tanejewsinfonisch" bedient:

    Chandos, 2002, DDD



    :thumbup: Auf diese spannende Swetlanow-Aufnahme für die Sinfonie Nr.4 c-moll op.12 sollte man nicht verzichten, denn es ist nicht nur die essentielle Tanejew-Sinfonie, sondern auch die essentielle Aufnahme für das Stück mit Hochspannung pur:
    = falsches Bild - es ist die #27
    Warner, 1988, ADD


    Das gleiche Positive würde für die Roshdestwensky-Aufnahme gelten, wenn diese noch greifbar wäre - ich habe die Aufnahme auf einer DG-LP mit dem Grossen RSO der UDSSR Moskau (DG/Melodiya, 1972).

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Diesen Thread hole ich heute zur Erinnerung mal nach oben.
    Schade, dass solche wirklich lohnenden russischen Meisterwerke in Vergessenheit geraten.


    Wer eine echt russische Sinfonie in einer megapackenden "noch russischeren" Hammeraufnahme hören will, der greife zu der im Vorbeitrag gezeigten Swetlanow-Aufnahme (WARNER; 1988) und lässt sich Spichwörtlich "von Hocker reissen":
    :angel: Gänsehaut pur in allen 4.Sätzen. Der Spannung wird abschliessend, nicht nur als Filler, in der Szene 2 Satz 3 beim Tempel des Apollon von Delphie gehalten.


    :!::thumbsup: Die Sinfonie Nr.4 ist Tanejew´s bestes und meistgespieltes Orchesterwerk. Die restlichen 3 Sinfonien (von insgesamt 4) würde ich eher nur als "ganz nett" bezeichenen ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich zitier mich mal selbst:


    Die vierte Symphonie von Sergej Taneyev dürfte eine der erfolgreichsten russischen Symphonien in der Tchaikovsky-Nachfolge sein. Und dies ist vermutlich die beste Aufnahme bisher. Die 1988 entstandene Aufnahme klingt zwar nicht mehr ganz up-to-date, aber die Svetlanov-Power muß man erst mal aufbringen.

    :thumbsup:

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner

  • Die Vierte von Taneyev - ich hörte sie soeben - ist in der Tat beeindruckend. "Beethovensche Wucht", war das, was mir zu Beginn des ersten Satzes einfiel. Ich besitze die Aufnahme mit dem Novosibirsk Academic Symphoniy Orchestra unter Thpmas Sanderling aus dem Jahre 2008. Ohne Vergleichsmöglichkeiten heranziehen zu können, wirkt auch diese Aufnahme sehr wuchtig und plakativ, was ich positiv verstanden haben möchte. Eigentlich fand ich keine Längen oder schwachen Stellen, der Finalsatz indes toppte alles vorergegangene. Eine Sinfonie, die in der Tat nicht in Vergessenheit geraten sollte.....

    mfg aus Wien
    Alfred

    clck 1796

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Soeben habe ich meinen Hörplatz verlassen. Gehört habe ich Tanejews Sinfonie Nr. 2 aus den Jahren 1875-78 , nur kurze Zeit nach der ersten Sinfonie begonnen, aber nie fertiggestellt. Einer der Gründe könnte gewesen sein, dass der erste Satz seinem Ex-Lehrer Nicolai Rubinstein nicht gefiel, Dennoch wurde dieser Satz gerade durch ihn im Rahmen einer Orchesterprobenaufführung am Moskauer Konservatorium uraufgeführt. Tanejew konnte diesen Teil der Sinfonie also in seiner orchestrierten Fassung hören, obwohl die Sinfonie noch gar nicht fertiggestellt war. Tschaikowsky, ebenfalls ein Lehrer Tanejews, meinte, er solle dem Urteil Rubinsteins nicht allzu viel Gewicht beimessen, dieser habe schon einmal ein Werk als „unspielbar“ und wertlos bezeichnet, dass dann aber erfolgreich war, und er habe es später oftmals gespielt (nämlich Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1.....)
    Tanajew aber war verunsichert – Er vollendete das Konzert nie. Es existierten lediglich der erste und der letzte Satz, ein weiterer war als „Roherntwurf“ vorhanden, ein vierter fehlt gänzlöich. Vladimit Blok hat es dann 1977 komplettiert – erst danach erlebte es seine Uraufführerung.
    Persönlich finde ich – hierin Tschaikowski folgend, der das Werk als „nicht mehr von einem Studenten, sondern einem reifen Komponisten“ ansah, dass der erste Satz durchaus geglückt und interessant ist, vor allem gegen Ende zu weist er einiege mitreißende Stellen auf.
    Mir ist eine Eigenart dieser Sinfonie aufgefallen; Sie verfügt über fanfarenartige, geradezu schmetternde Passagen voll Wucht und Strahlkraft, die dann unvermitterlt – aber völlig schlüssig in einschmeichelnd liebliche Passagen übergehen. Der zweite Satz ist offenbar von einem wahren Genie orchestriert worden, ich kann keinen Bruch feststellen (im Gegensatz zu machen Schubert Komplettierungen Newboults)
    Der Hammer ist aber wohl der dritte Satz, der mit einem Paukenwirbel beginnt und voller Drive und Wucht voraneilt. Dabei wirde er gelegentlich durch sanftere Passagen unterbrochen, die oft von den Bläsern dominiert werden. Da gibt es eingängige Themen, die immer wieder abgewandelt werden, vom lieblichen beginn zum Inferno, dann wieder beginnend und quasi mit sich selbst kommunizieren., effektvoll kontrastiert von schneidenden Posaunenstössen. Also – diese Sinfonie ist wunderbar – aber das Finale MUSS man gehört haben.
    Mir freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred



    *) Viele Details diese Textes sind inhaltlich dem Booklettext von Anastasia Belina entnommen, die ihn für Naxos verfasst hat.
    clck 274

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !