Die Substanz des Substanzbegriffs

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    Original von rappy


    Substanz in der Musik - das wäre erst noch zu definieren ;) Laut Hanslick gibt es keine Substanz außer - ich formuliers mal so: die Töne und deren Platz im Gesamtkunstwerk.


    Super Stichwort. Vielen Dank, rappy, denn genau zu diesem Thema wollte ich bereits vor Tagen einen thread ins Leben rufen.


    Also: was ist das eigentlich? Substanz? Ich meine, für viele an Klassik und Romantik geschulte Hörer ist es vermutlich eine in die Musik transzendierte Dialektik, ein Dialog, ein Wettstreit - Musik muss menschliche Kommunikation abbilden - sei es ein Dia- oder ein Monolog. Das ist sicher eine Definition.
    Aber ist es die einzige? Oder gibt es eurer Ansicht nach andere Zugänge zum Substanz-Begriff??


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf


    Super Stichwort. Vielen Dank, rappy, denn genau zu diesem Thema wollte ich bereits vor Tagen einen thread ins Leben rufen.


    Also: was ist das eigentlich? Substanz? Ich meine, für viele an Klassik und Romantik geschulte Hörer ist es vermutlich eine in die Musik transzendierte Dialektik, ein Dialog, ein Wettstreit - Musik muss menschliche Kommunikation abbilden - sei es ein Dia- oder ein Monolog. Das ist sicher eine Definition.
    Aber ist es die einzige? Oder gibt es eurer Ansicht nach andere Zugänge zum Substanz-Begriff??


    Substanz ist das, was Eigenschaften aufweist, ohne selbst eine Eigenschaft zu sein und unverändert Veränderungen überdauert... Viele, angefangen mit Hume (oder schon etwas vorher Nagarjuna oder überhaupt die meisten Buddhisten) meinen, es gäbe nichts Substantielles... der Substanzbegriff sei leer (und auch die Leere hat keine Substanz :))


    Aber darum ging es ja wohl hier weniger. ;)


    Hanslicks Formulierung ist meiner Erinnerung nach, Musik sei "tönend bewegte Form". Ich erinnere mich vage, daß Hanslicks Position oft auch verkürzt wiedergegeben wird, aber die übliche Lesart ist ja, daß er sich damit gegen Musik als Darstellung von Außermusikalischem wendet. Es gibt also einen gegliederten Verlauf von Tönen, aber eben keinen außermusikalischen "Inhalt" dieser Form. Das wäre die Form-Inhalt-Unterscheidung freilich nur auf einer Ebene. Man kann weiterhin Material und Form unterscheiden, also ob jemand aus ein paar Intervallen, Akkorden, Melodien ein Menuett oder eine Fuge komponiert.


    Oft wird musikalische Substanz so verstanden, daß damit die Strukturen gemeint sind, die z.B. bei einer Klavierfassung erhalten bleiben. Deswegen ist Bach so wahnsinnig substantiell, weil die Musik alle Transkriptionen übersteht (ebenso La Paloma). Das lehnt sich offenbar an die von mir ganz oben erwähnte traditionelle philosophische Kategorie an, ist in der Musik aber m.E. problematisch. Denn es ist ja gar nicht ausgemacht, daß Klangfarben (auch wenn sie nicht die überragende Bedeutung haben müssen, die Edwin ihnen zuschreibt) nichts Substantielles beitragen. Es kommt eben auf die Musik an. Das aber nur zu Klärung, es ist wohl nicht das, was Du oder Rappy meinen.


    Was immer Hanslick genau meint, er hat wohl recht, wenn er darauf hinweist, daß es bei Musik nicht so einfach auf einen außermusikalischen Inhalt ankommen kann. Der Inhalt muß so eng mit der musikalischen "Darstellung" verbunden sein, daß er sich nur so darstellen läßt und nicht anders. Deswegen wird es eben schwierig, die Unterscheidung Inhalt-Darstellung überhaupt aufrechtzuerhalten. Andererseits scheint es auch zu kurz gegriffen, diese Aussage rein technisch zu verstehen, Musik als eine Ansammlung von Tönen, Harmonien, Rhythmen, Frequenzen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich bin da noch zu keiner endgültigen Meinung gekommen, würde gerne den Hanslick unterschreiben, aber dann bekommt man im 20. Jahrhundert ein Problem (kann man ihm natürlich nicht vorwerfen).


    Ich werfe aber mal ein paar Thesen Hanslicks in den Raum, um die Diskussion anzuregen. ;)



    Viel Spaß beim Zerreißen :D

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould