Klassik bewusst hören - gewusst wie

Hallo zweiterbass,

versuch es mal mit Radio Swiss Classic, die haben einen eigenen Flashplayer und die spielen ganze Stücke, wenn auch manchmal nur die Sätze.

Die Konzertbesucher werden immer älter. In dreißig Jahren sind sie ausgestorben, laut Statistik. Leere Konzertsääle sind vorprogrammiert, ich sehe schon, wie die Finanzverwalter sich die Hände reiben und ganze Orchester schließen, das Geld dann für den Straßenbau verwenden können.

In Zürich wird dagegen vorgegangen, dort wird zuerst ein klassisches Konzert geboten und hinterher, Discoabend. Die jungen Leute kommen!

Die Zeiten haben sich geändert. Auch wenn es manche hier nicht wahrhaben wollen.

Klassik-Radio ist ein Berieselungssender, nichts weiter. Von dem dortigen (miserablen) Programm kann man nicht auf die Hörbedürfnisse echter Musikfreunde schließen. Und dass diese aussterben, glaube ich nicht. Künftige Konzertbesucher werden idealerweise bereits im Elternhaus und in der Schule an klassische Musik herangeführt - und sie springen durchaus hierauf an. Im Talentkurs Musik, den unsere 7-jährige Tochter an ihrer Grundschule besucht, werden gerade die "Bilder einer Ausstellung" von Mussorgsky durchgenommen. Dazu gibt es ein schönes kindgerechtes Buch

und schon ist das Interesse an diesem Werk da. Zuvor wurde in diesem Kurs eine Klaviersonate von Haydn besprochen - und sofort bat unsere Kleine darum, ob wir ihr eine CD mit dieser Sonate für ihr Kinderzimmer brennen könnten. Glücklicherweise hatte ich sie in meinem Bestand (sogar in einer Swjatoslaw Richter-Interpretation). Meine Freundin tat ein Übriges, besorgte sich die Noten und spielte ihr die Sonate auf dem Klavier vor. So muss das gehen mit der Heranführung junger Menschen an Musik - und die Idee von den Sinfoniekonzerten mit anschließendem Chillen bei Discomusik, von welcher Thomas (Sternberg) berichtet hat, ist ja auch nicht schlecht. Die alljährlichen Waldbühnen-Konzerte der Berliner Philharmoniker im Freien (man kann sich Wolldecken unde Picknickkörbe mitbringen) ziehen übrigens scharenweise ganz junge Leute sowie junge Familien an. Keine Spur von überaltertem Publikum. Auch bei den "in door"-Konzerten der Berliner Philharmoniker kann nach meinen Beobachtungen nicht davon die Rede sein, dass der Altersdurchschnitt zu hoch ist. Gerade auf den nicht ganz so teuren Plätzen hinter dem Orchester sieht man zahlreiche junge bzw. jedenfalls noch nicht in der Lebensmitte befindliche Menschen.

Zu Mahlers Fünfter noch ein Wort: wenn die Leute, wie Thomas (Pape) geschrieben hat, nur wegen des Adagiettos in ein Konzert mit diesem Werk gehen - was ist denn so schlecht daran? Das bedeutet doch nicht, dass sie während der anderen Sätze herumlärmen oder nach dem Adagietto den Saal verlassen. Sondern sie möchten das Adagietto mal "live" hören: und staunen vielleicht nicht schlecht, wie gut der Rest der Sinfonie ist.

Dem kann ich nur voll zustimmen, lieber Swjatoslaw. Auch ich habe in meiner langjaehrigen Zeit als Musiklehrer ımmer wieder versucht, die Kinder an die klassische Musik heranzuführen und so den einen oder anderen Schüler gehabt, der an einer meiner Doubletten interessiert war.

Übrıgens schöne Grüsse aus dem heute leider verregneten Alanya in der Türkei, aber morgen früh geht es ja zurück ins sonnige Deutschland.

Liebe Grüsse

Willi

Die Motivation für den Konzertbesuch hat mit dem thread nichts zu tun, und ist im Grunde auch zweitrangig. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass jemand wegen des Adagietto eine teure Konzertkarte kauft. Aber vielleicht hat das Stück aus dem Film oder von einem Sampler das Interesse geweckt? Dann kann es so laufen, wie Sviatoslav meint.

Abgesehen davon ist es auch kein neues Phänomen, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen ins Konzert/Theater/Oper gehen. Schon bei Ovid heißt es, dass sie ins Theater gehen, nicht nur um zu sehen, sondern um gesehen zu werden. Paradoxerweise könnte die sinkende "äußerliche" Relevanz von klassischer Musik sogar dazu führen, dass mehr Menschen aus ernsthaftem Interesse ins Konzert gehen, statt nur, um Pelz und Juwelen der Gattin auszuführen.

(Georg Kreisler: "Auch Herr Blau weiß genau, warum er hier ist, nämlich wegen seiner Frau")