Hallo!
Heute jährt sich der Todestag Joseph Haydns zum zweihundertsten Mal. Was kann es da passenderes geben als einen Thread über eine Haydn-Symphonie?
Zur Trauersymphonie gibt es die (wohl namensgebende) Anekdote, dass Haydn angeblich gewünscht hat, das feierliche Adagio zu seinem eigenen Begräbnis zu spielen. Nehmen wir diese Anekdote also zum Anlass, uns am zweihundertsten Todestag des Meisters mit diesem Werk zu beschäftigen!
Die Seite Haydn107.com gibt als Erstehungsdatum 1770 oder 1771 an, womit die e-moll-Symphonie real Haydns fünfzigste wäre. Zeitnah komponierte Haydn demnach die Symphonien 42, 43 ("Merkur") und die ebenfalls in Moll stehende 52. Die Symphonie ist mit zwei Oboen, zwei Hörnern, Fagott und Streichern besetzt.
Der erste Satz (Allegro con brio, e-moll, 4/4-Takt) beginnt mit einem schroffen Vierton-Signalmotiv in Forte, dem in zaghaftem Piano eine Legato-Figur antwortet. Der Nachsatz des Themas bleibt jedoch schon nach einigen Takten pianissimo in einer Generalpause stecken, und wieder meldet sich das Viertonmotiv; dieses Mal antwortet eine Seufzerfigur und deren trübsinnige Begleitung durch das erste Horn.
Die folgende Überleitungspassage liefert zwei neue Motive: Zunächst ein Motiv aus ab- und aufsteigenden Sechzehnteln und vier repetierten Achteln und später ein Motiv bestehend aus einer Sechzehntelkette gefolgt von drei Staccatovierteln. Diese werden sequenziert und kontrapunktisch immer dichter werdend mit aus dem Viertonmotiv abgeleiteten Figuren verarbeitet, wobei die Stimmung sich schnell aufhellt und während der kontrapunktischen Passagen teilweise fast triumphierend, danach ziemlich heiter wirkt. Die Exposition verbleibt bis zu ihrem Ende in Durgefilden, und nach einer typischen Schlussfloskel führt eine liegenbleibende Passage ähnlich des Nachsatzes des Hauptthemas in die Wiederholung der Exposition bzw. in die Durchführung.
Das Viertonmotiv gibt auch zu dieser den Startschuss. Es wird dabei zweimal ängstlich in piano von einem veränderten Legato-Motiv beantwortet. Der Nachsatz hellt hier kurzfristig deutlich auf, und diesmal findet er eine Fortsetzung im ersten Überleitungsmotiv.
Nach einem weiteren Auftreten des Viertonmotivs beginnen erste Violinen und Celli auf der einen und Oboen und die restlichen Streicher auf der anderen Seite damit, sich das Überleitungsmotiv zunächst zuzuwerfen, und nach einer kurzen Unisonopassage verdichtet Haydn den Satz, indem er das Überleitungsmotiv zunächst mit synkopischen Tonrepetitionen in den Mittellagen und dann, auf seine erste Hälfte gestaucht, mit Orgelpunkten in den Bläsern und später Sechzehntelketten in den ersten Violinen kontrapunktiert. Die aufgebaute Spannung entlädt sich fortissimo in absteigenden Sechzehntelketten, die direkt in die Reprise überleiten. Großartig, was für eine phänomenale dramatische Wirkung Haydn hier mit einfachen Mitteln erreicht!
In der Reprise ist wenig beim alten geblieben, und sie ist wesentlich dunklerer Stimmung als die Exposition. Der Nachsatz des Themas wird mit düsteren Sforzati angereichert und leitet sofort zu den Seufzerfiguren weiter, nun von bedrohlichen Achtelrepetitionen begleitet. Die komplette kontrapunktische Passage, die in der Exposition so befreiende Wirkung hatte, fällt nun weg, und der Rest des Expositionsmaterials ist nun nach Moll gewendet. In der Schlussgruppe folgt ein letztes, mühsames Sforzati-Aufbäumen, das sich aber erfolglos in einer Fermate verfängt, und nun leitet eine Engführung des Viertonmotivs den fatalistischen Schluss ein, trostlos endend in drei leeren e-Moll-Akkorden.
Es geht wenig heiter weiter: An zweiter Stelle folgt, in Haydns Streichquartetten dieser Zeit durchaus üblich, bei seinen Symphonien aber eine Seltenheit, das Menuett (Menuetto: Allegretto (Canone in diaspason), e-moll). Im Menuett-Teil handelt es sich um einen um einen Takt (zwischenzeitlich, bei der "Menuett-Reprise", zwei Takte) versetzten Oktavkanon zwischen den Oberstimmen und den tiefen Streichern, nicht so bewegt wie das "Hexenmenuett" aus dem Streichquartett op. 76,2, sondern eher von schwermütigem Gestus. Das ruhige, im wesentlichen homophone Trio in E-Dur kontrastiert diesen wirkungsvoll.
Das folgende Adagio (E-Dur, 2/4-Takt) ist ein Sonatensatz ohne Durchführung (die Reprise enthällt allerdings durchführende Passagen) von feierlichem, höchstens leicht melancholischem Charakter. Nur die Reprise streift zu ihrem Beginn dunklere Regionen. Die Streicher spielen diesen Satz con sordino, und wie in vielen anderen langsamen Sätzen der Sturm-und-Drang-Symphonien sind die Bläser über weite Strecken nicht beteiligt, werden dann aber wieder sehr schön eingesetzt.
Das getragene Thema wird zunächst von den Streichern vorgestellt und von diesen dann etwas bewegter variiert wiederholt. Die darauffolgende Passage bringt das erste Mal die Bläser in einer wunderschönen Passage ins Spiel, in der sie Material des Hauptthemas über einer triolischen Begleitung der Violinen rekombinieren - die Zeit scheint hier für einen Moment stillzustehen. Eine kurze Streicherpassage leitet über zu einem zweiten Thema, das von einen Oktavsprung nach oben langsam wieder absteigt und dann in triolische Sechzehntelketten mündet. Unter dem Einsatz der Bläser wird die Exposition beendet.
In der Reprise leitet das Hauptthema im Nachsatz weiter in eine neue, durchführende Passage, die mit trauriger Melancholie erfüllt ist. Umso heller erstrahlt dann aber die Wiederkehr der Bläserpassage, in der die Hörner höchste Höhen erklimmen! Auch die folgende Passage ist verändert und wieder dunkler gefärbt und erreicht unter Mitwirkung der Bläser einen dramatischen Höhepunkt fortissimo in einer Tonrepetion und fallenden Figur und danach noch einmal forte in einer fallenden Figur der ersten Violinen.
Das zweite Thema führt den Satz nun zu einem ruhigen Ende.
Die Symphonie wird beschlossen von einem furiosen Final-Presto (e-moll, 4/4-Takt, alla breve), einem Satz, der durch die permanente Präsenz des Hauptthemas bzw. seines Rhythmusses eine außergewöhnliche Konzentration erreicht, in dieser Form wohl einzigartig zu seiner Zeit.
Das Thema, das durch seine characteristischen Staccato-Viertel sehr schroff wirkt, wird zunächst forte im Unisono von den Streichern vorgetragen. Es folgt eine Wiederholung, diesmal in Piano und ohne die Staccato-Anweisungen. Nach einer ausdrucksvoll ansteigenden Figur in den oberen Stimmen dreht Haydn das Thema in einem Doppelkanon zwischen ersten Violinen und Celli mit einer und zweiten Violinen und Violen mit einer anderen abgeleiteten Figur durch den Wolf. Allerhöchste Konzentration! Es folgt eine Passage mit Staccatovierteln und eine mit mit Sforzati verstärkten Achtelketten, bis die Exposition im Piano verklingt.
Die Durchführung beginnt mit einer modulierenden Passage über den Vordersatz des Hauptthemas, um dann mit Hilfe von Tremoli der Violinen zu verdichten. Nun folgt im Piano ein Kanon über eins der Themen des Doppelkanons aus der Exposition, eine Passage atemloser Hast; Haydn ergänzt, wieder Forte, die restlichen Stimmen, und mit der Wiederherstellung des Doppelkanons sind wir in der Reprise, das Hauptthema wird ausgelassen. Absolute Konzentration auch in der Form!
Der Rest der Reprise folgt analog zur Exposition, bevor eine stürmische Coda, nun wieder mit direkter Beteiligung des Hauptthemas, die Symphonie zu einem düsteren Ende führt. Ein grandioser Satz!
Insgesamt eine großartige Symphonie, die mit ihren Kühnheiten, ihrer Dichte und ihrem Kontrastreichtum nichts schuldig bleibt. Alle, denen Haydn zu leicht scheint, sollten sich einmal dieses Werk zu Gemüte führen!
Gruß,
Frank