Ich nehm mir mal die Freiheit, ein Posting von Medard in diesen Thread rüber zu kopieren:
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G. Mahler: 6. Symphonie
Leningrader Philharmonie, Leitung: Kirill Kondraschin
Heute erhalten, gerade erstmals gehört. Ersteindruck: das gnadenlose Gehetze im Kopfsatz gefällt mir absolut nicht. Jeder Ansatz von Expression kommt bei dieser mechanistischen Kombinatinon aus Sowjetmacht + Elektrifizierung unter die Räder. Irgendwo im Forum ist zu lesen, die Einspielung sei außerordentlich. Ist fraglos nicht falsch: sie ist zumindest außerordentlich schnell. Na und dann? Nach dem Kopfsatz war ich leider schon nicht mehr offen für »Neues«...
Bekommt demnächst eine zweite Chance...
Und dazu zwei Postings aus diesem Thread von Edwin und Peter zur gleichen Aufnahme:
ZitatOriginal von Edwin Baumgartner
Die andere Extremeinspielung ist Kyrill Kondraschin: Seine 6. ist von einer derartigen Hysterie geprägt, dass man förmlich erschrickt: Der atemlos vorangepeitschte Marsch im ersten Satz erinnert mich an einen verzweifelt im Kreis laufenden Menschen, der keine Hoffnung auf ein Entkommen hat. Die Verzweiflungsschreie der Trompeten im letzten Satz sind einzigartig, das Zerbröckeln am Schluss beklemmend wie nichts sonst. Eine Aufnahme, die den Zuhörer niederschmettert.
ZitatOriginal von petemonova
Zuerst hatte ich mir also den Kondrashin angehört. Und das mit Abbados Aufnahme im Gehör. Und da dachte ich, größer kann doch ein Interpretationsunterschied nicht sein. Kondrashin wirbelt das Stück nur so auf, es entstehen überall Ecken und Kanten, man fühlt sich nie richtig wohl, man kommt nie richtig zur Ruhe.
Mir hat das nicht so sehr zugesagt. Ein großer Minuspunkt in der Aufnahme mit den Leningrader Philharmonikern ist zudem, dass Kondrashin im ersten Satz die Exposition nicht wiederholt. Das hat bei mir diesen Eindruck des Vorwärtseilenden und -schreitenden mächtig verstärkt.
Sehr interessant, weil das alles meine zutiefst gespaltene Meinung zur Kondrashin-Aufnahme widerspiegelt: manchmal werde ich im ersten Satz regelrecht fortgespült, manchmal höre ich die Einspielung mit wachsender Skepsis angesichts dieser Schostakowisierung Mahlers ("Sowjetmacht + Elektrifizierung" trifft's auch nicht schlecht).
Der Gegenpol ist die Barbirolli-Aufnahme mit einem enorm langsamen ersten Satz - bei dem, wie Ben oben schrieb, jede Baßnote des Marschthemas "wie ein Axthieb" klingt und in der das Auseinanderfallen der Musik schon im ersten und nicht erst im letzten Satz hörbar wird.
Das Tempo ist dabei nicht alles, aber die Diskrepanz fällt schon auf. Mir scheint, dass Mahler mit seiner Satzüberschrift "Heftig, aber markig" (bzw. Allegro energico, ma non troppo) selbst einen Zwiespalt kennzeichnet, der auf die inneren Sprengkräfte der Musik verweist. Man kann's eben "heftig" bzw. "allegro energico" machen wie Kondrashin, oder "markig" wie Barbirolli - oder das "aber" als Aufforderung zum Tempokompromiss begreifen wie mach anderer Dirigent. Ich kann mich nicht für eine Version entscheiden, alle drei scheinen mir legitim und auf ihre Art auch faszinierend zu sein.
Viele Grüße
Bernd