Die Academy of St. Martin in the Fields und Sir Neville Marriner sind für viele wohl Synonyme, obwohl das Orchester in vielen Aufnahmen auch von Iowna Brown, Kenneth Sillito oder von Solisten geleitet wird. Dennoch ist Sir Nevilles Name unzertrennlich mit dem von ihm gegründeten Orchester verbunden.
1959 wurde das Kammerorchester, ausgerichtet auf die Werke Händels, Bachs, Haydns, Mozarts, aber auch Beethovens, Schuberts u.a., in der Kirche St. Martin in the Fields am Trafalgar Square in London gegründet. Die Kirche wurde in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts von Gibbs erbaut. Der mittelalterliche Vorgängerbau wurde für dieses Vorhaben abgerissen. Als architektonische Besonderheit galt der in den Eingangsbereich eingebaute Turm.
Diese Kirche ist die Londoner Kirche des Königshauses – nahe gelegen am Buckingham Palace, der zu Ihrem Gemeindebezirk gehört. Gleichzeitig ist sie die Kirche der Admiralität und außerdem eine Kirche, in der soziale Projekte engagiert betrieben werden. Die Kirche St. Martin in the Fields hat eine besondere Bedeutung für das kulturelle Leben Londons. So war sie immer ein wichtiger Ort für Konzerte und Ausstellungen. Die Gründung der Academy of St. Martin in the Fields geht nicht zuletzt auf den Organisten der Kirche, John Churchill, zurück.
Von Mitte der sechziger bis Anfang der achtziger Jahre war die Academy of St. Martin in the Fields wohl eines der vorherrschenden Orchester für Musik der Zeit des Barock und der Klassik, mit einem vitalen und schlanken Orchesterklang eine echte Alternative zu von Riesenorchestern aufgeführten Mozartsinfonien. Mit der immer stärker werdenden Popularität der historisch informierten und instrumentalisierten Aufführungsweise verlor die Academy diese vorherrschende Stellung.
Zur Bekanntheit dieses Orchesters gehört auch die Tatsache, dass die Soundtracks zu berühmten Filmen wie Amadeus, Der englische Patient und Titanic von der Academy gespielt wurden.
Im Januar dieses Jahres berichtete Neville Marriner in einem Interview aus der Entstehungszeit und von den Besonderheiten „seines“ Orchesters. Einige Auszüge möchte ich hier bringen:
ZitatAlles anzeigenSir Neville Marriner, Sie haben vor 50 Jahren die Academy of St. Martin in the Fields gegründet. Stimmt es, dass die ersten Proben bei Ihnen zu Hause stattgefunden haben?
Marriner: Ja, wobei das ehrlich gesagt keine richtigen Proben waren, weil wir ja gar keine Konzerte geben wollten. Wir haben einfach nur zum Vergnügen gespielt. Wir hatten alle unsere verschiedenen Orchester-Jobs - ich spielte Geige im London Symphony Orchestra - und wollten privat ein anderes Repertoire spielen, mit ein bisschen mehr eigener, individueller Verantwortung. Ein gutes Dutzend Musiker hat sich also zwei, drei Mal pro Woche in meinem Haus getroffen und gespielt, nur aus Spaß. So ging das etwa zwei Jahre.
Und dann wollten Sie doch in die Öffentlichkeit?
Marriner: Unser Cembalist John Churchill war damals Organist in der Kirche St. Martin in the Fields und er fragte irgendwann: „Warum machen wir nicht ein Konzert in St. Martin? Irgendjemand wird nach den Gottesdiensten schon noch in der Kirche sein und zuhören“ (lacht). Also haben wir uns von ihm zu zwei, drei Konzerten überreden lassen. Zufälliger Weise hat uns dort dann eine Frau gehört, die gerade ein Pariser Verlagshaus gekauft hatte, Louise Dyer. Sie wollte, dass wir Einiges an Musik für sie aufnehmen und so hat eigentlich alles begonnen. Wir haben erste Aufnahmen für ihr Label L’Oiseau Lyre gemacht, kurz darauf zeigte Decca Interesse - und sobald die Platten um die Welt gingen wurden wir auch überallhin eingeladen.
Haben Sie mit dem Ensemble damals bestimmte musikalische Ziele verbunden?
Marriner: Uns hat vor allem die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts interessiert. Mit dem Musikwissenschaftler Thurston Dart haben wir gemeinsam einen praxisnahen Ansatz zur Interpretation Alter Musik entwickelt. Wir haben uns auf eine historische Spielweise eingelassen, die Musik aber gleichzeitig mit unseren Stradivaris, Guarneris etc. aufgeführt, anstatt historische Instrumente zu benutzen. Das war immer die Philosophie: Auf der einen Seite die Konventionen Alter Musik einzuhalten, aber auf der anderen Seite den eigenen Orchesterstil zu bewahren.
Und Demokratie? Besonders in der Anfangszeit soll es ja sehr demokratisch zugegangen sein.
Marriner: Die Academy ist auch heute noch sehr demokratisch. Die Musiker sind völlig frei, ihre Fragen zu stellen, Anmerkungen zu machen usw. Das ist schon etwas anders als bei einem großen Sinfonie-Orchester. Dort verhalten sich die Musiker gegenüber dem Dirigenten respektvoller, was den Umgang mit ihnen aber auch etwas schwieriger macht.
Ich bin mit den demokratischen Idealen bei uns eigentlich sehr zufrieden. Natürlich muss am Ende jemand eine Entscheidung fällen und das bin in der Regel ich. Aber es kommen so viele verschiedene Ideen zusammen, da mangelt es nicht an Auswahl.
…
Nun ist die Academy im Radio nahezu überpräsent – wie kam es eigentlich dazu?
Marriner: Wir haben einfach Glück gehabt. Als wir angefangen haben, aufzunehmen, war ein Großteil des Repertoires noch nie eingespielt worden. Es gab keine Komplettaufnahme der Mozart- oder der Haydn-Sinfonien, von den Brandenburgischen Konzerten gab es gerade mal ein oder zwei Aufnahmen – und die Plattenfirmen wollten damals unbedingt einen großen Katalog aufbauen. Das ging soweit, dass wir ein Hornkonzert von Mozart in der gleichen Woche zwei Mal aufgenommen haben, erst für die EMI und dann für Philips.
Und welche Rolle spielte der Orchesterklang?
Marriner: Die Qualitäten, nach denen wir als Musiker gesucht haben, waren Vitalität und Transparenz im Klang, auch eine gewisse Sauberkeit. Das passte offenbar gut für die Mikrofone und genauso ins Radio.
So weit. In diesem Thread gibt es die Möglichkeit, mustergültige Einspielungen und natürlich auch persönliche Lieblingsaufnahmen mit der Academy of St. Martin in the Fields vorzustellen.
Dabei wünsche ich viel Freude.
Freundliche Grüße, Andrew