Was hat Euch zeitgenössische Musik zu bieten ?

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Und jetzt komme ich mit meiner bösen Theorie ins Spiel: Wo, wenn nicht am Schreibtisch, überlegt sich ein Komponist, was er schreibt? (Bitte jetzt keine Anekdoten, wonach jener immer im Kaffeehaus und dieser immer unterm Lindenbaum etc.)


    Am Klavier? Unterm Lindenbaum?
    :baby:

    Zitat

    Nur: Wie entstand der Übergang, die Idee, atonal zu komponieren? Was waren die Beweggründe? Einflüsse von außen (zB Fernost)? Die Übertragung der anderen Kunststile in die Musik (zB Ornamentik des Jugendstils)?


    Nö, das kam wohl schon "von innen". Wenn es Dich interessiert, höre Dir vielleicht Schönbergs 2. Streichquartett an.

    Zitat

    Das Genie Schubert musste sich mit Musikunterricht für adlige Kinder über Wasser halten. Das Genie Schönberg wurde auf Einladung R. Strauss' Professor am Konservatorium und Lehrer von Webern und Berg.


    Zeitweise hielt sich das Genie Schönberg als Pianist in Stummfilmkinos über Wasser.

  • Zitat

    Zeitweise hielt sich das Genie Schönberg als Pianist in Stummfilmkinos über Wasser.


    Und in der Emigration lebte er als Professor in Nachbarschaft zu Thomas Mann.
    Außerdem: War das mit den Stummfilmkinos nicht, bevor er Komponist wurde bzw seine Ausbildung zum Komponisten begann?

  • Ich weiß es nicht so genau.
    Jedenfalls wird man heute als moderner Komponist nicht fetter als im Barock.
    Die Berufsaussichten sind - schätze ich - eher deutlich schlechter.


    Schubert ist einfach zu jung gestorben, der Erfolg seiner Werke kam dann recht schnell.

  • Jetzt bin ich ein bisschen enttäuscht.


    Und ein bisschen beleidigt :(. Ich wollte ja nicht irgendwelche Komponisten miteinander vergleichen, sondern konkret die Spitze. Die Zahl der verhungerten Komponisten ist sicherlich hoch.


    Was soll denn aber "von innen" bedeuten? Ich setze mich hin und sage: Ach, heute mal atonal?

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Ich wollte ja nicht irgendwelche Komponisten miteinander vergleichen, sondern konkret die Spitze. Die Zahl der verhungerten Komponisten ist sicherlich hoch.


    Das funktioniert nicht. 10 Komponisten pro Jahrhundert sind zu wenig für statistische Aussagen.

    Zitat

    Was soll denn aber "von innen" bedeuten? Ich setze mich hin und sage: Ach, heute mal atonal?


    Von innerhalb der europäischen Musikentwicklung. Die Harmonik war so zugespitzt und halb-aufgelöst, dass die Idee, sie mal ganz aufzulösen, einfach naheliegend war. Vor allem, wenn man bemerkte, dass manche Passagen, die bereits entstanden waren BEVOR man sich hinsetzte und sagte: "Heut' mach ich mal", eigentlich nichts "tonales" mehr an sich hatten (siehe Schönberg Pelleas und Melisande, ein tonales Stück: die schmerzvollen lauten dissonanten Partien eher gegen Ende).


    1913 schrieb Leo Ornstein, ohne davon zu wissen, dass in Europa bereits die Atonalität "erfunden" war, einen lärmenden Cluster-Tanz für Klavier. Die Atonalität "lag in der Luft".

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco


    Zum Klangbild: Ist das dem Hörer zu verübeln? Das ist (Entschuldigung, aber wieder Malerei) wie beim Übergang Picassos zum Abstrakten. Die frühen Perioden seines Schaffens (blau, rosa) waren gegenständlich und naturalistisch, dann kam die Entwicklung zu Kubismus, Surrealismus und der allgemeinen Abstraktion der Formen. Und wie oft kommt es vor, dass Leute in einer Ausstellung vor einem Bild stehen und fragen, warum er so "häßlich" gemalt hat, er konnte es doch "besser", als er noch die Menschen und Dinge so darstellte, dass man sie unschwer erkennen konnte und die Perspektive eindeutig war.
    Gilt übrigens auch für Maler wie Franz Marc.
    Übertragen zB auf Schönberg heisst das: Er konnte doch "schön" komponieren, warum dann also dieses "schiefe Gequäke"?


    Ich halte es für wenig aussichtsreich ständig die Perspektive des dümmsten anzunehmenden Rezipienten einzunehmen. Selbst wenn zweifellos erhebliche Unterschiede zwischen Verklärte Nacht und dem Streichtrio bestehen, so gibt es m.E. sehr wenige "naive" Hörer, denen Verklärte Nacht spontan gefällt, die aber spätere Werke Schönbergs auch nach längerer Beschäftigung abstoßend finden werden. Wer überhaupt Verklärte Nacht oder Gurrelieder goutieren kann, ist selten ein "naiver" Hörer, er muß zumindest an Tristan-Harmonik schon akklimatisiert sein.
    Ich habe von durchaus erfahrenen Hörern in Webforen schon gelesen, daß Schönbergs Kammersinfonien unanhörbare 12-Tonmusik seien (sie sind im Gegenteil, wenn auch waghalsig, tonal!).
    Ein Teil hat also überhaupt keine Ahnung und klassifiziert einfach, was nicht gefällt, mit einem halbverstandenen unpassenden Begriff ab. Der andere Teil wird auch nicht alles mögen, aber wer sich ein bißchen (hörend, nicht intellektuell) mit den Werken befaßt, der muß irgendwann einsehen, daß es Schritte sind, die von Wagner, Mahler, Brahms, Reger und frühen Schönberg zur Atonalität usw. führen, keine gigantischen Sprünge.


    (Und ich finde wieder, daß der Malerei-Vergleich nichts bringt. Franz Marc, Macke und Kandinsky hängen heute in jedem Wartezimmer. Dort erklingt aber nicht mal Beethoven, geschweige denn Mahler oder Berg)


    Zitat


    Nur: Wie entstand der Übergang, die Idee, atonal zu komponieren? Was waren die Beweggründe? Einflüsse von außen (zB Fernost)? Die Übertragung der anderen Kunststile in die Musik (zB Ornamentik des Jugendstils)?


    Lies es halt in einer Musikgeschichte nach, wenn Du es genau wissen willst. Es finden sich auch Informationen im Forum. Mit Fernost hat das überhaupt nichts zu tun (das war Debussy, der das Gamelan-Ensemble auf der Weltausstellung gehört hatte). Ich halte auch, ungeachtet der Analogien, für unwahrscheinlich, daß etwas aus einer anderen Kunst übertragen wurde.


    Es kommt aus dem "Innern" der musikalischen Entwicklung des 19. Jhds., der zunehmenden Emanzipation der Dissonanz. Schon im Tristan-Vorspiel wird, was regulär als Dissonanz gelten müßte, "auflösend" empfunden, weil die vorhergehenden Klänge eben noch dissonanter sind. In exotisierender Musik wie bei Rimsky, später Debussy entdeckt man Dissonanzen als "Farbwerte", die also keine Funktion im Tonsatz mehr haben. Auf dieser Basis ist eine noch weitergehende Auflösung der Funktionsharmonik naheliegend.


    Zugleich wurden Verfahren der Durchführung durch motivische Aufspaltung, der Variation und der (zyklischen) Vereinheitlichung durch werkübergreifende Themen auf die Spitze getrieben. Das ist etwa die Ahnenreihe: Bach-Haydn-Beethoven-Brahms. Aufgrund dieser Tradition stellten Schönberg u.a. außerordentliche Anforderungen an die "organische Einheit" eines Kunstwerkes: Jede Note sollte möglichst schlüssig aus wenigen Grundmotiven o.ä. abgeleitet sein. Um derartige Ideale zu erfüllen, war die freie Atonalität aber "zu frei". Es war schwierig, längere Stücke zu schreiben, die die geforderte Geschlossenheit aufwiesen. (Es gab freilich zwischendurch sicher auch eine Neigung zum "offenen", fragmentarischen Kunstwerk). Ein Ausweg, diese "konservative" Linie zu erfüllen, war die 12Tonmethode. Eine andere die von Berg in Wozzeck angewandte, der Rückgriff auf alte Formen, bei atonaler Harmonik. Der gesamte Neoklassizismus geht ähnlich vor, nur das eben mehr von der traditionellen Harmonik übrigbleibt, die freilich mit irregulären Dissonanzen, Bitonaliät usw. gespickt wird. (Wird bei Strawinskys Werken der 1920-30er Jahre recht deutlich.)


    Zitat


    Es heisst ja 2. Wiener "Schule". Spielt bei ihrer Entstehung und der Verbreitung ihres "Lehrplans" die Verwissenschaftlichung , die intellektuelle Professionalisierung des Musikbetriebs, die Verbreiterung der Basis der Künste durch ein anwachsendes Blidungsbürgertum mit entsprechenden finanziellen Ressourcen nicht eine große Rolle?


    es heißt auch "Venezianische" (um 1600) oder "Mannheimer" (um 1750) Schule. Das Konservatorium haben die Franzosen nach der Revolution erfunden, es hat sich im 19. Jhd. ausgebreitet. Vielleicht war das eine Vorbedingung, aber sie hatte schon zwei Generationen vorher eingesetzt.


    Zitat


    Hat man als deutscher Professor aber nicht nur mehr Zeit und mehr Ruhe, sich mit Komposition auch wissenschaftlich, theoretisch zu befassen, als als freischaffender Künstler, der um die Bezahlung seines nächsten Mahles fürchten muss?


    Vielleicht. Es hat Schubert aber nicht am radikalen Komponieren gehindert, auch wenn seine letzten beiden Sinfonien nicht aufgeführt wurde und selbst sein Freundeskreis die "Winterreise" befremdet aufgenommen hat.


    Gewiß kann man alle möglichen sozialen Bedingungen nennen und sehen, wie wichtig die vielleicht sind. Ich bin aber der Ansicht, daß man alle Phänomene und historischen Entwicklungen erstmal versuchen sollte, "internalistisch" zu verstehen, als Reaktionen auf vorhergehende Entwicklungen, Spannungen und Problemstellungen innerhalb der jeweiligen Disziplin. Erst wenn man das getan hat, sollte man sich außerhalb umsehen, was es sonst noch für Faktoren geben könnte.

    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich halte es für wenig aussichtsreich ständig die Perspektive des dümmsten anzunehmenden Rezipienten einzunehmen. Selbst wenn zweifellos erhebliche Unterschiede zwischen Verklärte Nacht und dem Streichtrio bestehen, so gibt es m.E. sehr wenige "naive" Hörer, denen Verklärte Nacht spontan gefällt, die aber spätere Werke Schönbergs auch nach längerer Beschäftigung abstoßend finden werden. Wer überhaupt Verklärte Nacht oder Gurrelieder goutieren kann, ist selten ein "naiver" Hörer, er muß zumindest an Tristan-Harmonik schon akklimatisiert sein.


    Andererseits ist jedem sowohl die Verklärte-Nacht-Harmonik als auch atonale und elektronische Klanglichkeit als Untermalung im Kino wohl vertraut. Eigentlich sind auch alle Pop-Musik-Hörer das gewohnt und bei der passenden Szene im Film stört das auch keinen.


    Hat Ligetis Atmosphère mehr oder weniger begeisterte Hörer als die Verklärte Nacht? Keine Ahnung.


    Wie gesagt, ich kenne Leute, die besonders gerne in Neue-Musik-Konzerte gehen und keinerlei musiktheoretischen Hintergrund haben. Es geht auch ohne lange Beschäftigung.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Andererseits ist jedem sowohl die Verklärte-Nacht-Harmonik als auch atonale und elektronische Klanglichkeit als Untermalung im Kino wohl vertraut. Eigentlich sind auch alle Pop-Musik-Hörer das gewohnt und bei der passenden Szene im Film stört das auch keinen.


    Ja, als Untermalung wird erstaunlicherweise sehr viel akzeptiert, was sonst nicht angehört würde (geht mir ähnlich, sonst müßte man in vielen Filmen rausrennen oder erbrechen... ;))


    Zitat


    Hat Ligetis Atmosphère mehr oder weniger begeisterte Hörer als die Verklärte Nacht? Keine Ahnung.


    auch keine Ahnung. Ich vermute Verklärte Nacht hat ein paar mehr, weil der "kundige, aber konservative" Hörer wohl eher VN begegnen dürfte und Spätestromantik ist ja ziemlich populär. Es mag aber auch Hörer geben, die sonst kaum Klassik hören, den Ligeti aus dem Film kennen. Wieviele, keine Ahnung?


    Zitat


    Wie gesagt, ich kenne Leute, die besonders gerne in Neue-Musik-Konzerte gehen und keinerlei musiktheoretischen Hintergrund haben. Es geht auch ohne lange Beschäftigung.


    Ja klar. Mir ging es eher darum, daß man bei Schönberg in der Praxis das "Picasso-Argument" ("der konnte doch malen, warum schmiert er auf einmal sowas zusammen, wo die Nase an der falschen Stelle ist") eher selten hört. Es mag einen "naiven" Hörer geben, dem zufällig Verklärte Nacht gefällt, der aber das Klavierkonzert scheußlich findet. Zufällige, spontane Reaktionen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, daß sie unsystematisch und unbegründet sind :D


    Derjenige, der Schönbergs spätere Werke kategorisch ablehnt, wird aber vermutlich Verklärte Nacht eben noch tolerieren, es jedoch kaum zum Lieblingsstück wählen.


    JR

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    (Bob Dylan)


  • Was zeitgenössische Musik zu bieten hat?
    Die Antwort gibt Fazil Say mit seinem Violinkonzert von 2008.
    So klingt Musik von heute,die von der Geigerin Kopatchinskaja gespielt wird.
    Was hat diese Musik zu bieten?
    Sie ist ein Abbild der heutigen Gesellschaft in Europa,die unter dem Einfluß der orientalischen Kultur geraten ist.Das Violinkonzert bietet auch nicht mehr oder weniger als Violinkonzerte anderer Zeitepochen.Ich finde es äußert unterhaltsam, nicht langweilig.Es macht Spaß.
    Wer sich traut,sich auf zeitgenössische Musik einzulassen,sollte hinhören.


    Fazil Say erhielt 2001 den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik,Patricia Kopatchinskaja wird demnächst unter Philippe Herreweghe Werke von Beethoven einspielen.

    mfG
    Michael

  • Danke, Schneewittchen. :jubel:


    Fazil Say und seine Zusammenarbeit mit Kopatchinskaja sind ein gutes Bsp. Mal die andere CD der beiden gehört, ua mit Ravel?


    Da erkenne ich mal eine Entwicklungslinie vom späten 19. zum 21. Jht.
    Und weil Say ein anerkannter klassischer Künstler ist, ist das sofort E und nicht U.


    Lieber KSM, sag mal selber: Wenn ich mir die letzten Beiträge in diesem Thread durchlese, was haben die mit dem Thema "Was hat Euch zeitgenössische Musik zu bieten?" zu tun? :rolleyes:
    Ja ja, wirst sicher wieder eine schlaue Antwort finden :boese2:.


    Jetzt sind wir ja plötzlich beim Klang: Ist Klang nicht das Wesentliche bei der Musik?
    Und da kommen wir auch wieder zum Anspruch:


    Zitat

    Ich halte es für wenig aussichtsreich ständig die Perspektive des dümmsten anzunehmenden Rezipienten einzunehmen.


    Doch, weil der bei der Psycho-Filmusik (mit sägenden Geigen) als Untermalung der Handlung auch in einem Konzert anders auf die Musik reagiert (weil ihm bekannt) als wenn das eine genuin komponierte Musik ohne Bezug zu einem Filmklassiker wäre.


    Es hat nämlich sehr wohl etwas damit zu tun, welche Anforderungen der Hörer an die Musik stellt. Wenn der Durchschnittshörer "Klassische Musik" liest, dann assoziiert er eben nicht Ligeti, Kodaly oder Kurtag, sondern Beethoven und Brahms.


    Die Erklärung des Konzepts (KSM :hello:) wird eben doch wichtiger in vielen Bereichen der modernen E-Musik. Neulich hat Nagano vor der Aufführung von Messiaens Des canyons aux étoiles das Werk erklärt und auf Messiaens Farbassoziationen zu Klängen verwiesen. Das hilft beim Hören schon.
    Das hilft zwar auch bei Beethoven oder Brahms, aber der "dumme" Rezipient hört beim einen eben Musik und beim anderen die klangliche Umsetzung von Bildern, also auch eine Art Filmmusik, nur mit einem inneren Film.


    Der Malerei.Vergleich bringt sehr wohl was, weil Musik und Malerei viele Interaktionen haben und die Künstler sich oftmals austauschten. Die Jugendstil-Musik ohne die Jugendstil-Gemälde und -Fassaden wäre wenig verständlich.


    Eine letzte Korrektur: Bei meinem Hinweis auf Fernost dachte ich zB an Mahlers Lied von der Erde, was durchaus schon Klangmotive der "Neuzeit" beinhaltet und auf altchinesischen Gedichten beruht.

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  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Die Jugendstil-Musik ohne die Jugendstil-Gemälde und -Fassaden wäre wenig verständlich.


    Dem möchte ich widersprechen. Schon allein, weil es keine so eindeutige "Jugendstil-Musik" gibt. Und - sollten Zemlinksy und Szymanowsky gemeint sein - helfen dem unbeholfenen Hörer dabei die Malerei Klimts oder die Gebäude Guimards, Hortas oder anderer?


    Auch habe ich nicht dem Eindruck, dass Dir etwa Yves Klein viel bei der Beschäftigung mit John Cage hilft oder Jackson Pollock bei Karlheinz Stockhausen, oder was auch immer für (mehr oder wenige fragwürdige) Parallelen man da ziehen mag.


    Oder - bestes Beispiel: Kandinsky - Schönberg.

  • Ich habe kein großes Interesse an Musik, die irgendwie mit Bildern zusammenhängt. Die Kulturhistoriker mögen hier zu recht Zusammenhänge sehen oder ziehen (Paul Klee ist auch einer mit "musikalischen Titeln" und einer musikalischen Ausbildung), aber auf mein Hören von Musik hat das überhaupt keinen Einfluß.


    Ich hätte wohl nichts dagegen, mich bei entsprechender Gelegenheit auf ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk der Avantgarde einzulassen, aber ein Großteil der Musik, selbst der 2. Hälfte des 20. Jhds. fällt m.E. nicht in diesen Bereich.


    Bei Schönberg, Strawinsky usw. muß die Musik für sich allein sprechen, selbst wenn es Ballette sind.


    Mag sein, daß ich das einseitig sehe, aber ich halte die These, daß man hier die unterschiedlichen Künste zusammenbringen müßte, für nicht haltbar (und ich kann den Klimt auf Covern von Beethoven über Mahler bis Berg schon nicht mehr sehen :wacky: )


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Da wird von euch jetzt aber der enge Zusammenhang der Kunstrichtungen, gerade zu Ende des 19.Jhts und Beginn des 20., unterschätzt und ausgeblendet. Man kann eine Kunstform nicht völlig losgelöst sehen von den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen. Warum heisst es Barock? Haben da die Musik, das höfische Leben und die bildenden Künste nichts miteinander zu tun?
    Und für die aufkeimende Moderne gilt das ebenso, gerade in Wien zur Jht.-Wende 19/20. Auf dem 20c-Stück ist die Wiener Secession. Wofür steht die? Und (Achtung!) befruchteten die Intellektuellenzirkel nicht gegenseitig? Was ist denn mit Mahler und seiner Bekanntschaft mit Klimt und Schiele? Kein Zusammenhang?
    Und bei tatsächlich revolutionären Künstlern wie Pollock wäre ich im Hinblick auf ihre Wirkung auf zeitgenössische Musiker/Komponisten sehr zurückhaltend, eine Werkbeeinflussung zu verneinen.
    Was ist denn mit Warhol? Mit "Pop"-Art? Kein Zusammenhang mit "Pop"-Musik, reiner Zufall?
    Da wären wir doch wieder bei der schönen Vorstellung, der Komponist sei ein in sich gekehrtes Genie, allein im Komponistenstübchen, wo er sich fernab der Welt tolle Gedanken zur Musik macht und auf wunderbare Melodien kommt und nichts mit der Welt zu tun hat. Das gilt vielleicht für Mahlers berüchtigte Sommerferien in Toblach, wo er 4 Wochen vor sich hin komponierte, um dann in den Hexenkessel Wiener Staatsoper zurückzukehren.


    Und wo ich schon in Fahrt bin: Was ist denn mit Schuberts Liedern? Hat der etwa seine eigenen Gedichte vertont? Oder wurde er mit der Vertonung von Gedichten von Goethe oder Müller beauftragt?


    Will mir ja keiner zustimmen, dass Intellektualität bzw Professionalisierung und Theoretisierung in der Musik zu Mitte des 19. Jhts. eingesetzt haben. Aber nun wird allen Künstlern die Avantgarde, die Intellektualität, die Auseinandersetzung mit ihrer und der früheren Zeit abgesprochen. Das kann sicherlich nicht richtig sein.


    Beste Grüße
    L

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Da wird von euch jetzt aber der enge Zusammenhang der Kunstrichtungen, gerade zu Ende des 19.Jhts und Beginn des 20., unterschätzt und ausgeblendet. Man kann eine Kunstform nicht völlig losgelöst sehen von den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen.


    Du hast wohl nicht so genau gelesen, was ich geschrieben habe.
    Ich glaube nur nicht, dass es notwendig ist, einen Zugang zum einen zu haben, um einen zum anderen zu haben - dafür sind ohnehin Heerscharen von Klassikfreunden der Beweis, die nicht ins Museum gehen.
    Und Du bist auch ein Beweis dafür, da ich davon ausgehe, dass Du zwar Pollock und Klein magst, nicht aber Stockhausen und Cage.


    Ich denke, dass Du auch bezüglich JR eine Position bekämpfst, die er nie vertreten hat.

  • Es geht hier, wenn ich die Diskussion richtig verstanden habe, um zwei verschiedene Dinge.


    Die Kunstwerke eines Zeitalters bilden zusammen die gegebene Epoche, es ist nicht möglich, etwas da herauszureißen und zu sagen, das steht allein für sich. (Das hat auch keiner von Euch gesagt). Deshalb ist es nicht möglich, dass ein heutiger Künstler etwa im Stil von Mozart oder Brahms komponiert. Genauso unmöglich ist auch, dass in unseren Tagen ein Barock-Schloss gebaut wird (nur nachgebaut). Die Kunstwerke (Musik und Malerei, Theater und Videoinstallation usw.) schaffen zusammen die Epoche und sie werden wohl auch zusammen wahrgenommen, auch wenn die Zusammenhänge nicht notwendig bewusst sind.


    Andererseits ist es durchaus möglich, dass man ein Kunstwerk subjektiv, für sich wahrnimmt und erlebt, ohne dabei andere Erlebnisse mit wachzurufen. (Das hat auch niemand bezweifelt.) Deshalb ist es möglich, dass ein Mozart-Stück als Grundlage zur Gefühlswelt aus einer ganz anderen Zeit dient, wie das mit dem Film Elvira Madigan in den siebziger Jahren der Fall war. Die Filmmusik war der zweite Satz aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 - damals konnte man diese Musik immer wieder hören, diese Musik war von der "Stimmung" her besonders rührend und passte zu der tragischen Liebesgeschichte des schwedischen Paares aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Wahl war ein Volltreffer.


    Ich glaube, ich habe nichts Neues gesagt.
    Trotzdem ist das eine gute Diskussion - macht so weiter!


    Alles Gute
    :hello:

  • Ich habe das nicht sehr differenziert formuliert, sicher sind viele der Hinweise von Luis richtig. Es gibt potentiell unendlich viele Aspekte, die alle zum Verständnis beitragen könnte. Ich will auch keinem wehren, solche Querverbindungen zu ziehen. Aber ich sehe die Gefahr, daß man Abhängigkeiten statt oft loser und vielschichtiger wechselseitiger Zusammenhänge postuliert.


    Z.B. wurde im Forum schon mehrfach die Parallele zwischen der Entwicklung zur abstrakten Malerei und zur atonalen bzw. dann 12-Tonmusik vertreten. Mag ja was dran sein. Ich finde es nicht besonders erhellend, da Musik seit je abstrakt gewesen ist und der "musikalische Expressionismus" ja andererseits den (emotionalen) Ausdruck im Namen führt.


    Wirklich irreführend fand ich schon immer das Label des "Impressionismus" für z.B. Debussy. Das hatte nämlich meine spontanen Reaktionen "Klangwolke" bestätigt und mir die Musik eher versperrt.


    Bevor man unterschiedliche Ebenen verknüpft, muß man erstmal mit der hauptsächlich interessierenden, der musikalischen zurande kommen. Es ist naheliegend, daß man, wenn dies schwerfällt, ausweicht, Krücken sucht, und Verbindungen knüpft. Aber dann kommt es m.E. oft zu eher fragwürdigen, letztlich nicht sehr plausibeln (oder zufälligen) Parallelen.
    Überdies muß man bedenken, daß die unterschiedlichen Künste historisch nicht völlig synchron laufen und daß die Gemeinsamkeiten, die man finden mag, oft wenig erhellend sind. Man zieht die Parallele Schiller-Beethoven, obwohl Schiller schon 1805 starb, als viele der wichtigsten Werke Beethovens noch gar nicht geschrieben waren. Weist man auf die Gleichzeitigkeit von Mozart, Kant und dem Marquis de Sade hin, dürfte man bei vielen Mozartianern eher auf Befremden stoßen. usw.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Johannes Roehl:


    Zu Debussy nur soviel: Wenn du dir mal einen schönen Bildband über Impressionismus kaufst oder aus dem Regal holst und dann mal dazu Debussy hörst, wir der Zusammenhang weit deutlicher und löst sich von der abstrakten "Klangwolke". Besonders geeignet sind zB die Bilder Monets aus London mit ihrer nebligen Stimmung oder die Gartenbilder mit den Seerosen.
    Dort erkennt man den Übergang des gegenständlichen eindrucks zur Loslösung vom Objekt recht schön. Man weiß, was die Bilder darstellen sollen, aber die Linien, die eine Struktur für das Auge bilden sollen, fehlen.


    Zu Debussy noch etwas in dem Zusammenhang. Er wird ja auch von Marcel Proust in der Suche nach der verlorenen Zeit porträtiert (in der Figur des Vinteuil, in der auch Fauré, Saint Saens und dandere Zeitgenossen aufgehen). Auch hier zeigt sich die gegenseitige Abhängigkeit und Beeinflussung der Künste.


    Es ist selbstverständlich richtig, nicht alles in einer Kunstepoche Entstehende über einen Kamm zu scheren. Man kann ja auch nicht Bach und Händel in einen Topf werfen.
    Mozart und de Sade finde ich weniger gegensätzlich als Mozart und Kant. Wobei: rein vom Ansatz her sind sie auch nicht so verschieden, überlegt man sich Mozarts Themen in seinen großen Opern, seine Freimaurerei etc. Das ist von Kant ja nun nicht gleich Kilometer entfernt. Ob es dazu schon Doktorabeiten gibt? "Der kategorische Imperativ im Schaffen Mozarts"?


    Zitat

    Deshalb ist es nicht möglich, dass ein heutiger Künstler etwa im Stil von Mozart oder Brahms komponiert.


    Doch, im Stil schon. Aber nicht im Epochengefüge.

  • "Zeitgenössisch" ist zunächst einmal "I bähh pfui" - keine Musik, sondern vor allem Krach.


    Wenn man sich dann allerdings einige Zeitgenossen anschaut, die nicht Fluxus sind, oder irgendein Happening verbunden mit einer irgendwie scheinbar politisch oder sonstwie geprägten inhaltslosen Schwachsinns-Aussage veranstalten, sondern sich tatsächlich auf MUSIK konzentrieren, gibt es doch schon so einige, die erwähnenswert sind:


    - Pärt: hat tolle Musik geschrieben (z.B. Spiegel im Spiegel)
    - Penderecki (Polnisches Requiem: gewöhnungsbedürftig, aber "cool")
    - Rutter: schafft es locker, Banales mit Großartigem zu verbinden
    - Leo Brouwer: phantastische Gitarrenstücke
    - Urmask Sisask (Baltic Voices, unglaublich intensive Chor-Kompositionen)


    um nur mal einige zu nennen.

  • Mir persönlich gibt auch Musik von Rautavaara einiges. Durch seine Symphonien habe ich mich schon durchgearbeitet, und die sind es allemal wert, dass man sich intensiver mit ihnen befasst. Die sprechen meine Seele an, nicht nur meinen Intellekt oder mein politisches Verständnis!

  • Bei zeitgenössischer Musik ist der ganze soziomorphe und historische Background bekannt.
    Wenn man "zeitgenössisch" etwas weiter fasst, also beispielsweise auf meine bis jetzt absolvierte Lebensspanne bezieht, dann wird mir dadurch eine völlig neue Herangehensweise an ein Werk ermöglicht, die ich bei älterer Musik nicht habe.
    Nimmt man ein Werk aus den 70ern des vorigen Jahrhunderts, dann weiß ich eben, was da politisch und gesellschaftlich rund um dieses herum so alles los war, ja mehr noch, ich weiß wie in dieser Zeit selbst drauf war.
    Und ist dieses Musikstück noch so atonal, wirft man einen Blick auf sein historisches Umfeld (und was im damaligen musikalischen Mainstream so alles geboten war), dann hört es sich doch auf einmal ganz anders an.


    Dieses kennen und selbst erlebt haben des Hintergrundes zeitgenössischer Musik macht für mich wenigstens den besonderen Reiz von ihr aus.


    Viele Grüße
    John Doe

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