Vorklassik - Frühklassik - eine ungeliebte Epoche ?

  • Zitat

    Original von musicophil
    Gibt es auch einen Thread über Sinfoniae Concertante?


    Nein. Es gibt lediglich drei Einzelwerkbesprechungen:


    Haydn, Joseph: Sinfonia Concertante B-Dur Hob. I:105
    Mozart: Sinfonia Concertante Es-Dur KV 364
    Von Mozart oder doch nicht? Sinfonia concertante KV 297b


    Es ist auch m. E. sehr schwierig, die Sinfonia concertante als Gattung zu definieren, da es sie m. E. niemals richtig gab - ist sie doch ein Mittelding zwischen Sinfonie und (Solo-) Konzert: Beim einen Komponisten mehr Sinfonie, beim anderen mehr Konzert (Mozart z.B.) - letztlich enthalten auch die Serenaden Mozarts meistens eine 'Concertante' im Mittelteil (vide). Worin liegt nun satzbautechnisch z.B. der Unterschied zwischen Mozarts KV 364 und Beethovens Tripelkonzert? Welche Unterschiede (außer der Besetzung des Soloapparates) kann man denn an beiden Werken ausmachen? Was ist mit der Concertone KV 186E (190)? Ist das nicht ein Doppelkonzert (wie m. E. KV 364) oder doch eher eine Concertante? Was überhaupt ist eine Concertone?


    Gedacht waren die Sinfonie Concertante tatsächlich zunächst als Sinfonien mit weniger bedeutungsvollen Soloeinlagen für die orchestereigenen besseren Solisten (oftmals Bläser, um diese zufrieden zu stellen). Daraus geworden sind m. E. eher Doppel-, Tripel- usw. -Konzerte. Sofern die Soloinstrumente dominieren (also das A und O des Werkes sind), würde ich das Werk stets als Konzert einstufen, z.B. Mozarts KV 364 (auch, wenn die offizielle Bezeichnung eine andere ist). Eine Unterscheidung zwischen Divertimento, Finalmusik und Cassation ist ähnlich schwierig (vide).


    Nur ein gelegentliches Zurschaustellen der Solistenkunst innerhalb einer eigentlichen Sinfonie wäre per definitio eine Sinfonia Concertante (z.B. Haydns 102. Sinfonie - allerdings halte ich das Cembalosolo im Finalsatz, welches zu früheren Zeiten sogar oftmals eliminiert wurde, nichtmal für ausreichend).


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Merci. Denn jetzt weiß ich, wie ich diese Werke von J.C. Bach einschätzen muß. Er hat ja mehrere komponiert.
    Das von Carl Stamitz ist dann eigentlich ein Doppelkonzert. Pleyel und Haydn muß ich mal wieder einhören.


    LG, Paul

  • Laut Tante Wiki habe ich nicht mal so Unrecht, wie ich bei meinem aus-dem-Bauch-Beitrag befürchtete. Hier wird jedoch argumentiert, daß sich erst im 19. Jahrhundert der Begriff des Doppel-, Tripel- usw. -Konzertes anstelle Sinfonia Concertante durchsetzte. Auch KV 190 (die Concertone) rechnet Wicki seltsamer Weise zu den Concerante. Dieser Begriffswandlung wiederspricht jedoch Mozarts eigenhändige Betitelung des leider unvollendeten Doppelkonzerts D-Dur KV 315f als Concerto per il Cembalo e Violino. Außerdem erwähnt er seine Arbeit daran brieflich (12.11.1778 ): [...] und da schreibe ich just an einem concert für clavier und violin [...].


    Die Vielzahl der Werke von Stamitz und J. Chr. Bach müßte man natürlich unter Zugrundelegen gewisser (z.T. noch zu definierender) Kriterien im Einzelfall überprüfen, um sie entsprechend als Concertante oder Konzert zu qualifizieren, denn die damaligen Gattungsbezeichnungen wurden ja auch eher nach der Dartmethode ermittelt...


    Die Frage wäre auch insgesamt, ob eher der 'Konzertton' oder der 'Sinfonieton' getroffen wurde, was recht subjektiv sein kann. Jedenfalls soll es sich ja um eine konzertante (mithin: konzerthafte!) Sinfonie handeln. Sinfonien sind aber drei- oder viersätzig (jenachdem, ob mit oder ohne Menuett). Viele so bezeichnete 'Concertante' weisen aber z. T. auch nur zwei Sätze auf.


    Übrigens gib es eine wunderbare von Gossec in D-Dur für Violine, Viola und Flöte, zusammengestoppelt aus dem Ballett 'Mirza'.


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Die explizit als "Sinfonia Concertante" bezeichneten Werke, die ich kenne (Haydn, Mozart, JC Bach), scheinen mir alle eher "Konzerte" zu sein. Zwei- oder Dreisätzigkeit, doppelte Exposition, Ritornell-Solo-Aufbau, Kadenzen usw.


    Wobei es natürlich noch Unterschiede gibt. Mozarts ist völlig klar ein Doppelkonzert f. Violine & Viola (dabei ein recht langes und gewichtiges), bei Haydns später konzertante ist das Konzertante schon organisch in sinfonische Entwicklungen eingebaut, wobei das Werk m.E. deutlich "leichter" ist als die 6 vorhergehenden Londoner Sinfonien und auch als die meisten von 82-92.


    Die (meist frühen) Sinfonien Haydns (z.B. Tageszeiten 6-8, 13, 31, 72) mit konzertanten Elementen werden seltsamerweise nie explizit als solche bezeichnet, obwohl sie der Idee, die man davon haben mag, viel eher entsprechen: Weitgehend reguläre Sinfonien, in denen in einigen Sätzen Soloinstrumente konzertant vorkommen.


    BTW gibt es eine gute und erhältliche Aufnahme einer Concertante für 4 Bläser von Danzi (ca. 1785, also keine Frühklassik)?


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Lange hatte ich geglaubt, dass die Opern von Hasse, Vinci, Porpora usw. nur der Stimmakrobatik verpflichtet sind - nein, sie folgen dieser neuen Strömung und sind wie alle Opern hochdramatisch und tief emotional.
    Heute sind die Opern von Händel uns meistens emotional näher.


    Bezogen auf Hasses "Cleofide", ist mir Händel in der Tat näher. Ich habe mir CD-Auszüge angetan, dann auch ein Live-Erlebnis in der Semperoper. Kurzum: Es hinterließ keinen bleibenden Eindruck. :stumm:
    Die Ouvertüre und das Finale gefielen mir allerdings. :beatnik:
    Mir wurde gesagt, "Cleofide" wäre sowas wie der Opernhit dieser Epoche gewesen (ob das stimmt, weiß ich nicht).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • na nicht ganz, sie hat zusammen mit Lottis Teofane in Deutschland den Boom für den neapolitanischen Stil ausgelöst.


    Der wirkliche Opernhit scheint Hasses "Artaserse" gewesen zu sein, eine der am häufigsten aufgeführten Opern.
    Es gibt dann auch ab London (Opera of Nobilty) eine zweite Version mit zusätzlichen Arien von Porpora und Broschi (Auszüge sind auf dem Farinelli Soundtrack - Rousset - und dem Farinelli Album - Jacobs - zu hören:




    ich hoffe sehr, dass diese Oper (vor allem die Version II) bald mal komplett auf CD erscheinen würde. Aber meist bekommt man die Opern von Hasse nur in Radiomitschnitten auf dem Schwarzmarkt :pfeif:


    Die Interpretationen sind dann auch meist leidlich, soviele Gesangsstar zu versammeln ist eben ein echtes Problem und damals wie Heute irrsinnig teuer.

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Ist da in Neapel simultan ein großer stilistischer Unterschied zwischen Buffa und Seria zu merken (um 1730)? Welche älteren Opern könnten ihre Spuren in den modernen Buffo-Opern hinterlassen haben?


    Was man in der Oper in Neapel so um 1720-1740 sang kann man auf dieser wunderbaren



    CD


    " Lava - Arien aus dem Neapel des 18.Jahrhundert "


    mit Simone Kermes (Sopran) und dem Ensemble Le Musiche Nove
    mit Arien von Pergolesi, Porpora, Vinci, Leo und
    J.A. Hasse geniesen.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Was man in der Oper in Neapel so um 1720-1740 sang kann man auf dieser wunderbaren CD [...] mit Arien von Pergolesi, Porpora, Vinci, Leo und J.A. Hasse geniesen.


    Aus der Zeit habe ich ohnehin ein paar vollständige Opern (z.B. von Pergolesi, Vinci und Hasse), von Porpora ein Oratorium, nur Leo ist mager mit einem Concerto vertreten ...


    Ich frage mich ja eher, was die Vorbilder sein könnten, die aus dem 17. Jahrhundert stammen sollten. Cavalli, Cesti und Stradella sind mir zwar auch bekannt aber nicht mit buffo-Opern, weshalb ich da keine Verbindung höre.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    ... nur Leo ist mager mit einem Concerto vertreten ...


    Lieber KSM,


    Du kannst Deine Menge Konzerte von Leo jedenfalls versiebenfachen mit dieser Doppel-CD.



    LG, Paul

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  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    nur Leo ist mager mit einem Concerto vertreten ...


    Vom Leo habe ich auch nicht viel zu bieten,
    paar Arien auf dieser



    CD über die "Opera buffa in Neapel".
    Auch darauf hörenswert ein "Concerto per cembalo e archi in do maggiore" des Komponisten Domenico Auletta ( 1723 - 1753 )


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Guten Tasg


    Zitat

    Original von Luis.Keuco


    Das mit der politischen Bedeutung jedes einzelnen Kleinfürstentums lassen wir mal beiseite. Ich meine aber mich erinnern zu können, dass eine Medici nach Baden verheiratet wurde (vll. war es auch Ludwigsburg, wäre dann nicht Baden, aber wie gesagt, nur gaaaanz dunkel).


    Bei den badischen und württembergischen Fürstentümer kenne ich micht nicht aus.
    Aber Kurfürst Johann-Wilhelm von der Pfalz zweite Gattin war eine geborene Medici.
    Kurfürstin Anna Maria Luisa von Toscana war eine kunstsinnige, Malerei und Musik liebende.
    manchmal verschwendungssüchtige Frau und für das hohe kulturelle Ansehen der damaligen Residenzstadt Düsseldorf mit veranwortlich.
    (Wegen der Zerstörung der kurpfälzer Kernlande im Pfälzer Erbfolgekrieg residierten die Kurfüsten von der Pfalz zeitweise in Düsseldorf).


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Hallo,


    eben habe ich dieses sehr interessanten und von Sachwissen nur so strotzende Thema gelesen.
    Mir ist die angesprochene Epoche sehr wichtig und ich höre gerne die Bachsöhne, den alten Stamitz sowie die angesprochenen Werke für Bläser - von den Friedrich-Komponisten bis hin zu den Böhmen.
    Natürlich bin ich blutige Laiin.
    Meine Frage gilt daher Wilhelm Friedemanns Sinfona in f-Dur, der "Dissonanten" (zwischen 1733 und 1749 angesetzt). Es wurde zu Beginn des Themas erwähnt, dass die Sinfoniker des angesprochenen Zeitraums nichts Neues erfunden hätten. Sind die ersten beiden Sätze der angesprochenen Sinfonie kein Beispiel für Originalität? Ich jedenfalls habe meine Ohren erstaunt geschüttelt, als ich sie zum ersten Mal aus meiner Bach-Söhne-Box fischte.



    Auf eine Antwort freut sich


    tukan

  • Als Sinfoniker hat Wilhelm Friedemann ja nicht gerade Welten bewegt. Diese Sinfonie ist die einzige größeren Ausmaßes, und die einzige, die nicht auch in anderem Zusammenhang als Kantatensinfonie Verwendung fand (wobei man das nicht gänzlich ausschließen kann). Wer den Namen "Dissonanzen-Sinfonie" erfunden hat, weiß ich nicht, vom Komponisten stammt er jedenfalls (wie in den meisten Fällen solcher griffiger Namen) nicht. Was da an Dissonanzen stattfindet, ist auch bei anderen Zeitgenossen zu hören.
    Ich finde das Werk ist ein etwas unentschossener Zwitter mit suitenhaften Elementen - das Menuett steht am Schluß, was ich sonst nirgendswo gehört habe (außer bei Papas 1. Brandenburgischem!). Am ehesten höre ich Vorläufer bei den reinen Streicherconcerti ohne Solisten von Vivaldi und anderen Italienern. Originell ist das schon, aber er selbst hat das offenbar nicht weiter verfolgt. (Viel ausgeprägter finde ich seine persönlichen Chrakteristika, die in dieser Sinfonie anklingen, in seinen Cembalokonzerten.)
    "dass die Sinfoniker des angesprochenen Zeitraums nichts Neues erfunden hätten" halte ich mit Verlaub für Blödsinn - ohne die Experimente dieser Generation hätte die Sinfonie Wiener Klassischen Typs gar nicht entstehen können, dgl. die Claviersonate oder das Streichquintett etc. pp. - da wurden doch die ganzen Standardgattungen erst erfunden, in diesem Zeitraum, und vom barocken basso continuo emanzipiert. Allerdings ging da auch eine gewisse Vielfalt variabler Formen und Besetzungen verloren.

  • Zitat

    Original von miguel54
    Als Sinfoniker hat Wilhelm Friedemann ja nicht gerade Welten bewegt. Diese Sinfonie ist die einzige größeren Ausmaßes, und die einzige, die nicht auch in anderem Zusammenhang als Kantatensinfonie Verwendung fand (wobei man das nicht gänzlich ausschließen kann). Wer den Namen "Dissonanzen-Sinfonie" erfunden hat, weiß ich nicht, vom Komponisten stammt er jedenfalls (wie in den meisten Fällen solcher griffiger Namen) nicht. Was da an Dissonanzen stattfindet, ist auch bei anderen Zeitgenossen zu hören.
    Ich finde das Werk ist ein etwas unentschossener Zwitter mit suitenhaften Elementen - das Menuett steht am Schluß, was ich sonst nirgendswo gehört habe (außer bei Papas 1. Brandenburgischem!).


    mehrere Händel-Concerti schließen ebenfalls mit einem Menuett-Satz. Ich habe außer Haydns 26 und 30 keine Beispiele, aber ich meine, daß ein Menuett als Schlußsatz in den 1760ern und noch später nicht selten gewesen wäre. In der Kammermusik, besonders in leichteren Genres wie Trio oder Klaviersonate kommt es noch beim späten Haydn (vorletzte Es-Dur-Sonate, etliche Trios) und frühen Beethoven (op.49,2) vor. Das sind allerdings durchweg 2-3sätzige Werke; das Menuett folgt gewöhnlich auf den langsamen Satz. Eine Haydn-Klaviersonate cis-moll hat allerdings ein Menuettfinale nach einem schnellen scherzando-Mittelsatz (und gar keinen langsamen Satz). So ein "nachklapperndes" Menuett entspricht allerdings in der Tat eher der Suite.


    :hello:


    JR


    Edit: die Haydn-Sonate ist Hob.16:36
    Explizit ein Menuett am Schluß haben Händels op.3,4a, op. 6,5 und op.7,3 (und die Feuerwerksmusik), immer nach lebhafteren Sätzen. Ich meine, es hätten sogar noch mehr Schlußsätze Menuettcharakter, aber das kann ich auf die Schnelle nicht überprüfen. Selbst hier wirkt es auf mich aber etwas seltsam, weil man eigentlich einen zügigeren Satz erwartet, normalerweise Gigue oder evtl. Bouree oder Gavotte (die nicht unbedingt schneller sind als ein Menuett, aber meist lebhafter wirken).

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  • Danke für die Ergänzung - da werde ich mal meine Händel-Aufnahmen durchsehen.
    Bei Friedemanns Sinfonie bleibt mir der Eindruck eines unfertigen - ich kann das nur so subjektiv fomulieren, denn obwohl ich es bei Händel sicher gehört habe, blieb es mir nicht als auffällig im Gedächtnis - daher rührte wohl meine Vermutung, es hätte selten ein Menuett am Ende gestanden. Bei Schoberts Sonaten gibt es das auch, oder Polonaisen, aber auch da wirkt es nicht unfertig - gekannt hat Friedemann die sicher nicht. Händels Concerti schon eher.

  • Das Menuett am Ende der Sinfonie gibt es ab der ersten Stunde - nämlich bei Sammartini.
    (Der natürlich auch abseits der Satzfolge der Beweis ist, dass die Sinfonie in den 1730er Jahren eine sehr moderne Musik voller Neuerungen war ...)

  • Hallo,


    es geht mir ja nicht um Wilhelm Friedemanns Qualität als Komponist oder um die Position des Menuettsatzes.
    Bitte nennt mr doch einmal Werke zwischen 1730 und 1745, die auch solche Dissonanzen haben. Ich kenne dieses Phänomen erst aus den kammermusikalischen Werken der Klassiker und in seltenen Fällen aus deren Orchesterwerken. Aber mir fehlt eben das breite musikalische Wissen. Was gab es da denn schon so?


    Grüße
    tukan

  • Hallo,


    ich kenne jetzt diese Sinfonie von Wilhelm Friedemann Bach nicht, aber zu der Zeit das auffälligste "Dissonanzen-Werk" sind "Les Élements" von Jean-Ferry Rébel, es entstammt den 1730er Jahren und ist noch ganz barock.


    Viel Chromatik und auch Dissonanzen sind im 17. Jahrhundert aber gar nicht so rar. Besonders bekannt sind dafür freilich Gesualdo, der stilistisch eher noch der Renaissance (Manierismus) zugeordnet werden kann, und der Purcell-Zeitgenosse John Blow (Venus and Adonis).


    Aber auch die Orgelmusik des 17. Jahrhunderts ist voller derartiger "Würze".


    Man könnte ebensogut Chromatik und Dissonanzen bei den Klassikern als barocke Reminiszenzen ansehen ...


    :hello:

  • Zitat

    Was gab es da denn schon so?


    z.B. Rameaus "Hippolyte et Aricie" damals war das Teil ein Kulturschock.


    überhaupt ist das Gesamt-Werk von Rameau in dieser Hinsicht ziemlich gewagt.

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  • ...muten schon etwas seltsam und irritierend an, finde ich. Ich empfinde solche Werke dann immer als nicht abgeschloßen und warte auf das knallige Finale :D


    Vanhals D-Dur-Sinfonie (D4) z.B. ist da besonders krass: viersätzig


    I Allegro moderato
    II Andante
    III Allegro
    IV Menuetto und Trio



    Und van Hall kann ja aufgrund seiner Lebensdaten (1739-1813) nicht unbedingt als Vorklassiker gelten - besagte Sinfonie entstand etwa 1779.


    Bei Haydn findet man das auch außerhalb der Klaviersonaten öfters, z.B. bei den Barytonoctetten, insbesondere bei Hob. X:4 G-Dur und Hob. X:10 D-Dur, jeweils als dritten und letzten Satz. Bei Hob. X:3 a-moll/A-Dur ist zwar der dritte (und letzte) Satz nicht als Menuett bezeichnet (Allegretto), ist aber m. E. dennoch eines - und zwar ein extrem nervtötendes mit gefühlten 25 Trios und A-Teil-Wiederholungen. Vermutlich ein Ulk...



    Bei Mozart findet man häufiger auch die Satzbezeichnung 'Tempo di Minuetto' - zwar ist der Satz an sich dann formell kein Menuett, aber zumindest rhythmisch und vom Tempo her durchaus als solches erkennbar (KV 190, III - 191, III - 219, III - 242, III - 246, III - 413, III usw.)


    Ich finde die Sätze in der Regel nicht sonderlich ansprechend - als Finalsatz sind sie mir (mit Ausnahme von 219, III) zu ruhig.


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Bei Haydn gibt es ab etwa 1770 hier anscheinend eine deutliche Trennung: Ein Menuett ist als Finale eines Sinfonie oder eines Streichquartetts (da kommt es auch vorher nicht vor und bei Sinfonien wie gesagt nur wenige Male) inakzeptabel, bei "leichteren" Gattungen wie Divertimenti, Klaviersonaten oder -trios aber durchaus möglich. Wobei es sich hier dann zunehmend wie bei Mozart um Sätze im Menuett-Tempo handelt, die etwas aufwendiger mit variierten Wiederholungen u.ä. gestaltet sind. (Bei Mozart scheint es nach KV 413 gar nicht mehr vorzukommen)
    Es folgt ja gewöhnlich auf auf einen langsamen Satz, den Kontrast finde ich normalerweise ausreichend, aber ganz befriedigend ist es einfach nicht, wenn man anderes gewohnt ist. Nach einem schnellen Satz wirkt es auf mich "nachklappernd" und uneffektiv, wundert mich, daß Vanhal so etwas noch so spät gemacht hat.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    (Bei Mozart scheint es nach KV 413 gar nicht mehr vorzukommen)


    Das war jetzt reiner Zufall... ich hab einfach nicht mehr weitergeblättert, da ich fand, es seien genügend Beispiele. Aber Du scheinst da Recht zu haben...


    Zitat

    wundert mich, daß Vanhal so etwas noch so spät gemacht hat.


    Aus der vagen Erinnerung meine ich, daß das Menuett plötzlich und unerwartet an den 'Finalsatz' angehängt ist... muß ich aber nochmals nachhören.


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Viel Chromatik und auch Dissonanzen sind im 17. Jahrhundert aber gar nicht so rar. Besonders bekannt sind dafür freilich Gesualdo, der stilistisch eher noch der Renaissance (Manierismus) zugeordnet werden kann, und der Purcell-Zeitgenosse John Blow (Venus and Adonis).


    [...]
    Man könnte ebensogut Chromatik und Dissonanzen bei den Klassikern als barocke Reminiszenzen ansehen ...


    :hello:


    Danke, Ksm für diesen Hinweis. Ich werde sehen, was meine CD-Regale an diesen Meistern bieten und mich entsprechend einhören.


    tukan

  • Ich habe nochmals nachgeforscht und kann die Herkunft des Namens "Dissonanzen-Sinfonie" für Wilhelm Friedemann Bachs Werk nicht erruieren. In keiner seriösen Quelle incl. der letzten Lexikonartikel und Beiheftartikel ist er erwähnt. Nur eine Einspielung, die von Hartmut Haenchen, benutzt ihn. Mit den Intentionen des Komponisten hat er sicher nichts zu tun, und mehr Dissonanzen als in anderen Werken der Zeit höre ich auch nicht.
    Diese später erfundenen Beinamen sind immer mit Vorsicht zu genießen ...

  • Hallo miguel,


    auf die von dir genannte Aufnahme beziehe ich mich tatsächlich.
    Den Namen habe ich aber auch in Konrad Beikirchers humorvollem Konzertführer gefunden, der dieser Sinfonie in der Tat eines von ca. 50 Kapiteln widmet.


    Grüße


    tukan

  • Wie heißt denn das Buch von Beikircher genau, und wie ist es so?


    Der Name Dissonanzen Sinfonie spukt auch in den Datenbanken vom Bielefelder Katalog herum, die gerade bei Friedemann Bach Fehleinträge produziert, weil Werke ohne Falck-Vereichnis-Nummern mit anderen mit Nummern in der gleichen Tonart verwechselt werden u. dgl. - der Katalog ist manchmal ein Graus ...


    Grüße
    Miguel

  • Den Beikircher kann man nicht als ernsthaften Konzertführer ansehen, er ist dafür gemacht, etwas tiefergelegt die breitere Masse an die klassische Musik heranzuführen. Teilweise reichlich klamaukig ist er in anderen Teilen auch wirklich unterhaltsam zu lesen und hat lustige Formulierungen für die Beurteilungen:
    So verleiht er zum Beispiel César Francks Symphonie d-moll "zwei Taktstöcke und ein Paar Gummistiefel, damit man in den Mäandern dieser Symphonie keine nassen Füße bekommt".


    Ansonsten sind bis auf wenige Ausnahmen in dieser zweibändigen Abhandlung (1: Andante spumante; 2 Scherzo furioso) bis auf Scelsis Anahit eigentlich nur die üblichenVerdächtigen und eben Friedemann.


    Grüße


    tukan

  • Diese schon länger vergriffene Doppel-CD, gebraucht oder als download jedoch problemlos erhältlich, bietet einen interessanten Querschnitt durch die "Wiener" Richtung (im Ggs. etwa zur "Mannheimer Schule") nicht nur der Vorklassik .Der Titel der Box ist etwas irreführend, da neben echten "Vorklassikern" wie Monn auch Zeitgenossen der Klassiker wie Vanhal und Salieri drauf sind. Angeblich waren es damals (ca. 1982) alles Ersteinspielungen. Ich überblicke nicht, inwiefern es von den Stücken inzwischen (HIPpe) Alternativen gibt (und bin auch zu faul das zu überprüfen). Nur die g-moll-Sinfonie von Vanhal ist wohl seither mehrfach aufgenommen worden.
    Interessant eine C-Dur-Sinfonie eines gewissen Anton Zimmermann, die noch in den 1930ern als ein Werk J. Haydns herausgegeben wurde. (Die Verbindung besteht wohl über einen Oboenvirtuosen (der auch etliche Soli erhält), der von Eisenstadt/ Eszterhazy nach Bratislava wechselte, wo Zimmermann angestellt war.)


    Zwar mit modernen Instrumenten, aber geschmackvoll und klangschön musiziert.



    Edit: Alfred hat natürlich recht. Das peinlichste ist, dass ich selbst durch die angekündigte Neuerscheinung vor gut einer Woche drauf gekommen war, dann aber mit Absicht, nämlich in der Hoffnung auf ein besseres Beiheft, aus Nostalgie für das klassische "Archiv"-Design und weil sie sogar gebraucht noch günstiger zu finden war, die Originalausgabe 2nd hand gekauft habe. Nur habe ich das anscheinend in den letzten Tagen vollkommen vergessen... Gehirn kaputt...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Danke Lieber Johannes,


    daß Du diesen Thread "wachgeküsst" hast, ich werde in den nächsten Tagen versuchen einige weitere Komponisten hier vorzustellen - nur kurz, weil die meisten irgendwann dann doch ihren eigenen Thread bekommen sollen. Aber als "Appetitanreger" eignet sich dieser Thread vorzüglich.



    Zitat

    Diese schon länger vergriffene Doppel-CD.......


    Die von Dir empfohlene Aufnahme gibt es seit wenigen Tagen als Budget-Version im Handel, und ich möchte sie an dieser Stelle hier zeigen:


    Zitat

    E. Kroher im Musikmarkt 1 / 84:"Was immer man von den Komponisten der Frühklassik hört, man kommt aus dem Staunen nicht heraus und fragt sich: Was ist das nur für eine Gegenwart, die gedankenlos einen Schatz negiert, aus dem jede einzelne Partitur auf den Programmen unserer Sinfoniekonzerte zur Entdeckung des Abends würde? Welcher Reichtum da vergessen wurde, macht die ..Archivproduktion exemplarisch deutlich.


    mit freundlichen Grüßen aus Wen
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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