Regietheater - letzte verbliebene Schrumpfform linker Ideologie ?

  • Zitat

    Aber das Verändern historischer Stücke stösst bei mir auf radikalen Widerstand - und bei andern auch.



    aber ist das nicht einfach ein Phänomen nur unserer Zeit ?



    alle klassischen Epen, wie sie bei Ovid oder Homer zu finden waren, wurden von späteren Künstlern völlig neu interpretiert, bearbeitet neugeschrieben.
    Die Dramen von Sophokles wurden auch bearbeitet usw.


    Racine wurde von Schiller überarbeitet - die Liste ist so lange wie die Kunstgeschichte.





    Oder ein anderes Beispiel:


    was ist mit der Bearbeitung !! des Orfeo von Gluck durch Berlioz?
    Nach den hier vorgebrachten Kriterien ist das ja eigentlich Gotteslästerung ;)


    dann ist übrigens auch das Spielen von barocker Musik auf modernen Instrumenten eine Verfälschung, ganz besonders wenn man statt einem Cembalo einen Flügel verwendet :D



    Ich freue mich jedenfalls schon mal auf eine Neuvertonung von Wagners "Ring" :D:D:D - denn zu einer frühmittelalterlichen Sage passt nun wirklich keine romantische Musik.


    :untertauch:

  • Zitat

    Original von der Lullist
    was ist mit der Bearbeitung !! des Orfeo von Gluck durch Berlioz?
    Nach den hier vorgebrachten Kriterien ist das ja eigentlich Gotteslästerung ;)


    'türlich. Wozu sollte die Bearbeitung auch gut sein?


    Zitat

    dann ist übrigens auch das Spielen von barocker Musik auf modernen Instrumenten eine Verfälschung, ganz besonders wenn man statt einem Cembalo einen Flügel verwendet :D


    :yes:


    Aber als Bearbeitung für meine Bearbeitungssammlung lasse ich natürlich beides durchgehen. :lips:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von der Lullist


    aber ist das nicht einfach ein Phänomen nur unserer Zeit ?


    Wenn etwas komplett Neues geschaffen wird, kann ich da nichts Schlimmes dran finden:


    Aus "Der Widerspenstigen Zähmung" wurde das das Musical "Kiss me Kate", aus "Romeo und Julia" die "westside Story" und aus Pygmalion "My fair lady".


    Wogegen ich mich wehre, ist dieses unselige Verfremden eines Stückes, die Mißachtung der Librettoangaben hinsichtlich Zeit und Raum.

  • @ Zwischenrufer2
    Was gibt es für einen Grund Brecht noch zu spielen, bzw., wenn er ein so schlechter Dramatiker, wie Theatertheoretiker wäre, würde er schon lange nicht mehr aufgeführt.
    P.s. wie ist seine Aufführungsstatistik :baeh01:

    Einmal editiert, zuletzt von m.joho ()

  • Zitat

    Wenn etwas komplett Neues geschaffen wird, kann ich da nichts Schlimmes dran finden:



    ja das ist eben der Punkt, Kunst ist immer etwas völlig neues.


    Vielleicht sollte man deshalb solche neuen Inszenierungen nicht als "Verfälschung" herabwürdigen, sondern als etwas neues begreifen.


    Denn ab wann gilt es denn, dass etwas neues geschaffen wurde?



    Hat Varesco mit seinem Idomeneo Libretto etwas neues geschaffen, oder hat er das erstklassige Danchet Libretto nur verfälscht ?


    Hat Shakespear den Epos Piramus und Tisbe verfälscht, weil er die abstrakten mytholgischen Personen zu Menschen seiner Zeit machte ?





    Das Problem - und das haben alle Menschen - ist die Sehnsucht ständig etwas zu konservieren, etwas zu erhalten.


    Aber so funktioniert die Welt nicht, das ist gegen die Natur des Universums - alles ist vergänglich und wird stets durch etwas anderes ersetzt - warum sollte die Kunst da eine Ausnahme sein ?


    Das ist eigentlich die Grausamkeit des Lebens - der Mensch kann mit dem Wesen der Welt nicht glücklich werden, weil wir uns etwas anderes wünschen.



    Ich denke das die Intention bei den meisten Inszenierungen nur jene ist, das Stück für ein Heutiges Publik direkte, verständlicher, glaubhafter zu machen.


    Deshalb wäre eine konsequente Historisierung eben erstmal ungeheuer fremd, weil da eine Ästhetik verwendet werden muss, die ein Großteil des Publikums vielleicht gar nicht begreifen und erfassen kann.


    Ich erinnere mich nur an so seltsame Kritiken die hier gepostet wurden, da schrieben irgendwelche Zeitungsfritzen, dass sie der Handlung nicht folgen konnten (mehr als 3 Personen) und in meisten Fällen wurden dann auch noch die Textbücher als minderwertig abgetan.


    Würde man solchen Leuten dann eine so "abstrakte Oper" vorsetzen, dann würden sie gar nichts mehr verstehen.


    Ich sehe deshalb diese zeitgemäßen Inszenierungen als Übersetzung.



    Auf mich wirken auch alle Inszenierungen die älter als 10 Jahre sind unsäglich altbacken - so was brauche ich nicht nochmal aufkochen.
    Da gibt es soviel andere Möglichkeiten.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    ja das ist eben der Punkt, Kunst ist immer etwas völlig neues.


    Vielleicht sollte man deshalb solche neuen Inszenierungen nicht als "Verfälschung" herabwürdigen, sondern als etwas neues begreifen.


    Denn ab wann gilt es denn, dass etwas neues geschaffen wurde?


    Wenn es entsprechend gekennzeichnet ist? Z.B. Peter Sellars 'Idomeneo' mit Musik von W. A. Mozart - oder so ähnlich jedenfalls... Varesco hat ja auch nicht 'Danchet' über 'seinen' Idomeneo gekritzelt... ich schätze, ansonsten wäre auch die Hölle los gewesen :D


    Im Prinzip finde ich Deine Betrachtungsweise ganz okay - nur finde ich, daß man Kunst als solche nicht objektivieren kann, denn etwas als Kunst zu definieren ist bereits eine Bewertung und damit subjektiv.


    Zitat


    Das ist eigentlich die Grausamkeit des Lebens - der Mensch kann mit dem Wesen der Welt nicht glücklich werden, weil wir uns etwas anderes wünschen.


    Erfasst. Ich bin unglücklich.

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Deshalb wäre eine konsequente Historisierung eben erstmal ungeheuer fremd, weil da eine Ästhetik verwendet werden muss, die ein Großteil des Publikums vielleicht gar nicht begreifen und erfassen kann.


    Wenn man unbgebildete Typen mit Bussen ins Theater karrt - dann mag das stimmen.


    Aber es interessiert mich nicht, wenn jemand blöd ist - deswegen werde ich meinen Sprach- und Lebensstil noch lange nicht anpassen -Kunst (mit Ausnahme der des 20. und 21. Jahrhunderts) ist elitär - und so sollte es auch bleiben.


    Früher waren nur unterprivilegierte Schichten blöd.
    Heute haben es viele blöde in die Vorstandsetagen geschafft - der Teufel weiß warum. Aber was gibt es schöneres, zuzusehen wie solche Megaverdiener sich in der Gesellschaft tapsig und unsicher benehmen und an jeder Ecke Bildungslücken aufweisen, die sie noch dazu präpotent zu kaschieren versuchen - was sie noch jämmerlicher und erbärmlicher erscheinen lässt.
    Wegen solcher Plebejer lass ich mir doch nicht meine Opern kaputtmachen....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Basti


    "Werke so aufführen, wie der Dichter/der Komponist es wollte"- ja, aber wie soll das denn aussehen? Es gehört sicherlich auch zu den Absichten eines Komponisten, sein Werk unsterblich zu wissen, für alle Generationen interessant.


    Das denke ich auch, aber gibt es auch Belege dafür, dass Textautoren und Komponisten sich gewünscht haben, dass ihre Werke in einen anderen zeitlichen Kontext hineinadaptiert werden, mit erfundenen Gegenwartsbezügen und möglichst noch mit kontrastierenden Neu-Dialogen des Regisseurs?


    Zitat

    Will man nun jungen Leuten eine alte Oper näherbringen, wäre es mithin der Super-GAU, dort die sprichwörtlichen "Helden in Strumpfhosen" auflaufen zu lassen.


    Nach deiner Logik dürfte auch ein junges Publikum dann auch kein Interesse an zeitgetreu ausgestatteten Historienfilmen wie Gladiator, Troja, King Arthur usw. finden. Mein Eindruck ist ein anderer. Wobei ich sagen muss, dass mir (ironischerweise) "Titus" von Julie Taymor besser als letztgenannte Filme gefällt, der ein bisschen in Richtung Regietheater geht (allerdings weniger platt).


    Zitat

    Kehlmann, über den der stern treffend bemerkte: "Daniel Kehlmann nervt. Er ist 33, sieht aus wie 20 und schreibt, als wäre er 80", hat von Regietheater und Inszenierungen allgemein wahrscheinlich ungefähr so viel Ahnung wie Dieter Bohlen von den Fruchtbarkeitszyklen einer Galapagos-Schildkröte.


    Solange man dem Gegner nicht mehr als sinnfreie Polemik entgegenzusetzen hat, geht's ja noch. Der "Stern" sollte sich lieber überlegen, warum ein 33-Jähriger und nicht ein 80-Jähriger solches von sich gibt.


    Zitat

    In einem anderen Thread wurde die Frage gestellt, wie man jungen Leuten am besten Wagner näherbringt. Alfred meinte: "mit einer traditionellen Inszenierung des 'Fliegenden Holländers'". Muss sich da aber nicht jeder Jugendliche meines Alters (ich bin 15, und viel früher sollte man wohl auch nicht mit dem Nahebringen Wagners anfangen, solange kein eigenes Interesse sichtbar wird) in seiner Ablehnung für Wagner im Speziellen oder gar die Oper an sich bestätigt fühlen, wenn er dort Daland mit Käpt'n-Iglo-Bart und ungruselige Untote bewundern darf oder besser muss, wenn er nicht gerade zu der von Mutti abhängigen Fraktion mit Stock im Ar..., bis zum Anschlag hochgezogener Hose und dementsprechend nichtliberalem Geist zählt?


    Warum eigentlich so unflätig gegen andere, die nicht deine Einstellung vertreten? Das klingt nach jemandem, der argumentativ mit dem Rücken zur Wand steht und nicht nach einem "liberalen Geist".


    Zitat

    Warum müssen sie überhaupt schwimmen? Ach ja, "weil's da steht". Wenn am Ende der Götterdämmerung die Anweisung wäre: "Brünnhilde reitet ins Feuer, die Zuschauer rennen hinterher", würdet ihr die dann befolgen? Als Staubi müsste man das ja machen. Wäre ja werktreu.


    Du vermischst hier einfach - weil es der Polemik eben dienlich ist - die Frage danach, ob man etwas umsetzen kann und die Frage, ob man etwas umsetzen soll. Natürlich kann man die Sängerin der Brünnhilde nicht auf der Bühne verbrennen, das heißt aber sicher nicht, dass auf einmal sämtliche Anweisungen keinen Pfifferling mehr wert sind.


    Zitat

    Regie darf alles. Regie muss alles. Eine Inszenierung kann, aber muss einem Werk nicht "dienen". Das Dienen heißt aber: Das Werk in die jeweilige Zeit zu den jeweiligen Menschen zu transponieren, damit die aus diesem Werk etwas fürs Leben lernen können.


    Oper ist keine Schule. Ich gehe nicht in Opern, ins Kino usw., um mich erziehen zu lassen. Immer dieser Spruch "Oper ist zum Denken, zum Lernen usw. da", vielleicht kriegt der Zuschauer dazu noch leichte Schläge mit dem Rohrstock auf die ausgestreckte Hand?


    Zitat

    Wer das nicht will, der soll sich seine ollen Kamellen auf Video ansehen oder einen alten Ritterfilm gucken. Altmodische Inszenierungen sind keine Inszenierungen, sondern der krampfhafte Versuch, eine unwiederbringliche Zeit auf die Bühne zu stemmen, weil man es ja angeblich nur so machen darf. Deshalb möchte ich auch sagen, dass es nicht die Leute des Regietheaters sind, die sagen: "So und nicht anders!"


    Nach Lektüre dieses Beitrags erstaunt mich diese Behauptung nun aber doch.


    Zitat

    sondern vielmehr die des verkrampften, verschlossenen und dummen Staubtheaters.


    Alles klar...

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Wenn man unbgebildete Typen mit Bussen ins Theater karrt - dann mag das stimmen.


    Aber es interessiert mich nicht, wenn jemand blöd ist - deswegen werde ich meinen Sprach- und Lebensstil noch lange nicht anpassen -Kunst (mit Ausnahme der des 20. und 21. Jahrhunderts) ist elitär - und so sollte es auch bleiben.


    Früher waren nur unterprivilegierte Schichten blöd.
    Heute haben es viele blöde in die Vorstandsetagen geschafft - der Teufel weiß warum. Aber was gibt es schöneres, zuzusehen wie solche Megaverdiener sich in der Gesellschaft tapsig und unsicher benehmen und an jeder Ecke Bildungslücken aufweisen, die sie noch dazu präpotent zu kaschieren versuchen - was sie noch jämmerlicher und erbärmlicher erscheinen lässt.
    Wegen solcher Plebejer lass ich mir doch nicht meine Opern kaputtmachen....


    Genial! :hahahaha: :jubel:


    Wie sagt man hier manchmal so schön: verdoppeln!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Draugur
    [...]


    2:1 :D

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Hat Shakespeare den Stoff "Pyramus und Thisbe" verfälscht, weil er die abstrakten mythologischen Personen zu Menschen seiner Zeit machte?


    Nein. Diese Frage hat aber auch nichts mit Regietheater zu tun. Shakespeare hat immerhin einen völlig neuen Text verfasst.


    Zitat

    Original von der Lullist
    Vielleicht sollte man deshalb solche neuen Inszenierungen nicht als "Verfälschung" herabwürdigen, sondern als etwas neues begreifen.
    Denn ab wann gilt es denn, dass etwas neues geschaffen wurde?


    In diesen Fällen m.E. sicher nicht. Das "Neue" beschränkt sich in dem Fall auf ein paar Einfälle, konstruierte Bezüge, evtl. hinzugefügte Dialoge. Wer etwas Neues schaffen will, soll sich hinsetzen und eigenen Werke verfassen, nicht seine Einfälle in ein Repertoirewerk hineinzwängen und sie unter dessen großem Namen dem Publikum unterjubeln.


    Zitat

    Das Problem - und das haben alle Menschen - ist die Sehnsucht ständig etwas zu konservieren, etwas zu erhalten.
    Aber so funktioniert die Welt nicht, das ist gegen die Natur des Universums - alles ist vergänglich und wird stets durch etwas anderes ersetzt - warum sollte die Kunst da eine Ausnahme sein ?


    Das mag ja sein, aber dann verstehe ich nicht, warum die Opern des 17.-19. Jhs. so oft gespielt werden.


    Zitat

    Ich denke das die Intention bei den meisten Inszenierungen nur jene ist, das Stück für ein heutiges Publikum direkter, verständlicher, glaubhafter zu machen.


    So ein Publikum müsste aber permanent gedanklich ausblenden, dass das Stück nicht aus der Gegenwart stammt. Ich verstehe auch nach wie vor nicht, warum man ständig von der nervigen Gegenwart ausgehen muss und sich nicht mal mit vergangenen Epochen beschäftigen kann? Mich interessiert der historische Hintergrund von Opern des 17.-19. Jahrhunderts viel mehr als irgendwelche vom Regisseur an den Haaren herbeigezogene Gegenwartsbezüge, die ich meist sowieso nicht ernstnehmen kann. Ich habe nichts gegen Opernaufführungen mit Anspruch - d.h. für mich jedoch eine ausführliche wissenschaftlich fundierte Einführung in den stoffgeschichtlichen Hintergrund, die Entstehungsumstände usw. Wozu gibt es Dramaturgen?


    Ich verstehe nicht, warum einige steif und fest darauf beharren, eine Inszenierung müsste einem die Illusion vorgaukeln, eine Oper oder ein Drama aus einem vergangenen Jahrhundert beziehe sich auf die Gegenwart. Ich kann das einfach nicht ernst nehmen. Entweder ich konzentriere mich auf die originalen geschichtlichen Bezüge und inszeniere das ganze historisch, oder ich fasse eine Geschichte als zeitlos auf und inszeniere sie mehr oder weniger abstrakt.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von m.joho
    @ Zwischenrufer2
    Was gibt es für einen Grund Brecht noch zu spielen, bzw., wenn er ein so schlechter Dramatiker, wie Theatertheoretiker wäre, würde er schon lange nicht mehr aufgeführt.
    P.s. wie ist seine Aufführungsstatistik :baeh01:


    @ m.joho
    Im September 2008 gab es auf Arte eine Abstimmung zu der Frage nach dem größten europäischen Dramatiker. Die ersten fünf Plätze wurden belegt von:
    1. Shakespeare
    2. Schiller
    3. Molière
    4. Brecht :yes:
    5. Goethe
    Vielleicht kann Dir das bei der Beantwortung Deiner Frage eine Hilfe sein.


    :hello:


    Gerd

  • Zitat

    Im September 2008 gab es auf Arte eine Abstimmung zu der Frage nach dem größten europäischen Dramatiker.


    War das das gleich Publikum, welches bei einer Abstimmung, wie Beethovens 3. Sinfonie denn nun hieße , zu 40 % mit "Erotica" stimmte (Die anderen Alternativen waren "Eroica" und "Exotica")


    Was ein Regisseur in Zukunft allles darf und was nicht, das wird in Zukunft das Publikum, die Sponsoren und die intendanz bestimmen.


    Vielleicht wird sich wieder jemand daran erinneren, daß der Regisseur eigentlich ein besserer Soufleur ist, ein Handwerker und nicht notwendigerweise ein Künstler - vermutlich kommen ohne allzuviele Eingriffe von fremder Hand die Stücke störungsfreier auf die Bühne, etwas weniger "liberal", dafür "naturbelassen"


    Bei diesem Thread (es gibt einen anderen) geht es ja nicht darum um PRO oder KONTRA Regietheater zu diskutieren (wiewohl es dennoch getan wird) sondern um die Frage, ob die Totenglocke des "Regietheaters" schon geläutet hat - und wann die Beerdigung sein wird.
    Daß das eigentlich ALLE Parteien glauben zeigen die heftigen Reaktionen.
    Jetzt darüber zu diskutieren, was denn "Regietheater" nun sei, mit Sophismen und Spitzfindigkeiten ist lediglich der Versuch eines Ablenkungsmanövers. Die Gegner (und sie sind in der Mehrzahl) wissen GANZ GENAU was sie damit meinen - und sie werden alle Anstrengungen unternehmen, daß derlei von den Spielplänen verschwindet. Das Donnergrollen im Hintergrund ist schon zu hören und es ist kein Theaterdonner sondern der eines richtigen, alles vernichtenden Gewitters.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Wenn man unbgebildete Typen mit Bussen ins Theater karrt - dann mag das stimmen.


    Aber es interessiert mich nicht, wenn jemand blöd ist - deswegen werde ich meinen Sprach- und Lebensstil noch lange nicht anpassen -Kunst (mit Ausnahme der des 20. und 21. Jahrhunderts) ist elitär - und so sollte es auch bleiben.


    da irrst Du Dich, es ist genau anders herum, die Heutige Kunst ist elitär.
    (versuche mal als Künstler in einen Kunstverein zu kommen, oder an eine Galerie....)


    Oder besuche mal eine Ausstellung in Düsseldorf (...)


    Zitat

    Früher waren nur unterprivilegierte Schichten blöd.


    blöd sind Menschen generell egal aus welcher Schicht und Zeit, wäre dem nicht so, dann gäbe es mindestens seit dem 30jährigen Krieg keine Kriege mehr und Geld wäre nicht so wichtig...


    Was die Bildung anbelangt, wäre ich vorsichtig aus unserer Epoche auf frühere Zeiten von oben herab zu blicken.


    Im 17. Jahrhundert verstanden es die Köche Eis zu machen, ohne komplizierte Maschine.
    Die schwierigsten Berechnungen wurden ohne PC gemacht.



    Zitat

    Heute haben es viele blöde in die Vorstandsetagen geschafft - der Teufel weiß warum. Aber was gibt es schöneres, zuzusehen wie solche Megaverdiener sich in der Gesellschaft tapsig und unsicher benehmen und an jeder Ecke Bildungslücken aufweisen, die sie noch dazu präpotent zu kaschieren versuchen - was sie noch jämmerlicher und erbärmlicher erscheinen lässt.


    die Wirtschaftskrise ist auch in Wien angekommen :D


    Dieses Volk hat aber Dank der Revolution von 1789 nun die kulturelle Führung - selbst Schuld.


    Diese Leute begreifen Kunst auch nicht als etwas erhabenes, sondern als profane Wertanlage.


    Zitat

    Das mag ja sein, aber dann verstehe ich nicht, warum die Opern des 17.-19. Jhs. so oft gespielt werden.


    das habe ich ja versucht damit zu sagen, es ist einmal des Bedürfnis etwas zu konservieren.
    Zum anderen ist die Interpretation der Opern der ersten 200 Jahre in unserer Zeit ja gerade keine Reproduktion (weil unmöglich) sondern diese Interpretation ist eigentlich ein wunderbares Ideal - man schöpft aus dem Vergagenen und interpretiert es für seine Epoche neu - ich begreife HIP als eine Strömung der Neuen Musik.


    Zitat

    So ein Publikum müsste aber permanent gedanklich ausblenden, dass das Stück nicht aus der Gegenwart stammt.


    wieso, darum geht es doch gar nicht.


    Zitat

    Ich verstehe auch nach wie vor nicht, warum man ständig von der nervigen Gegenwart ausgehen muss und sich nicht mal mit vergangenen Epochen beschäftigen kann? Mich interessiert der historische Hintergrund von Opern des 17.-19. Jahrhunderts viel mehr als irgendwelche vom Regisseur an den Haaren herbeigezogene Gegenwartsbezüge, die ich meist sowieso nicht ernstnehmen kann.


    Es ist wohl so, dass dieses historische Interesse (das ich auch hätte) bei dem größten Teil des Publikums nicht vorhanden ist.
    Den Künstlern (ebenso mir) wird auf den Akademien eingetrichtet, dass wenn man alten Kram benutzt einen Gegenwartsbezug herstellen muss, sonst fliegt man raus.
    Ein Dogma, dessen Begründung man mir schuldig blieb....


    Zitat

    Ich habe nichts gegen Opernaufführungen mit Anspruch - d.h. für mich jedoch eine ausführliche wissenschaftlich fundierte Einführung in den stoffgeschichtlichen Hintergrund, die Entstehungsumstände usw. Wozu gibt es Dramaturgen?


    die meisten lesen sich das doch eh nicht durch...


    Zitat

    Ich verstehe nicht, warum einige steif und fest darauf beharren, eine Inszenierung müsste einem die Illusion vorgaukeln, eine Oper oder ein Drama aus einem vergangenen Jahrhundert beziehe sich auf die Gegenwart.


    Ein weiteres Dogma - Kunst muss ewig Gültigkeit haben.
    Es ist wichtig, dass ein Stück / Kunstwerk immer aktuell bleibt.



    Ich finde das ziemlich fragwürdig, weil für mich ja alles an Kunst aktuell ist, wärend ich es erlebe.
    Zum anderen definiert jede Generation für sich völlig neu, was Kunst ist.
    Ich halte Fluxus z.B. mittlerweile für den rößten Blödsinn der gesamten Kunstgeschichte.


    Zitat

    Ich kann das einfach nicht ernst nehmen. Entweder ich konzentriere mich auf die originalen geschichtlichen Bezüge und inszeniere das ganze historisch, oder ich fasse eine Geschichte als zeitlos auf und inszeniere sie mehr oder weniger abstrakt.


    ja genau das sind ja die beiden Wege die zur Verfügung stehen.
    Allerdings lässt der abstrakte Weg, einfach mehr Spielraum.
    Denn der streng historische ist ja vorgegeben.


    Daher wundert es mich nicht, welchen Weg die meisten Künstler einschlagen.



    Das gleiche gibt es ja in der Kunst.
    Entweder Du machst zeitgenössische Kunst oder aber Du endest als Blumen und Landschaftsmaler.


    Gegenständliches ist absolut out (die Leipziger Schule wird fast nirgends in der BRD ernst genommen, aber die Amerikaner haben den Kram ohne Ende gekauft)


    Wir an der Akademie haben einer bestimmten Ästhetik zu folgen, die eben in den 60er Jahren definiert wurde, da unsere Professoren in dieser Zeit selbst lernten und geprägt wurden.
    Erfüllt man diese Erwartungshaltung nicht, dann kann man seine Koffer packen.
    Auf den Akademien für Darstellende Kunst ist das nicht viel anders.


    Deshalb bin ich doch sehr froh in einem Monat endlich da raus zu kommen :D

  • Noch eine Ergänzung:



    es gibt noch einen ganz profanen Grund warum solche historisierenden Inszenierungen nicht gemacht werden.


    Das Geld.
    In vielen Fällen schiebt man den Minimalismus vor, weil kein Geld da ist um Kostüme oder Kulissen anzuschaffen.



    Ich selbst war ja mal in der Situation etwas zu inszenieren.
    Aber da weder das Theater noch sonst eine Stelle in der Lage war mit angemessenen Kostümen und Perücken (vor allem auch die Menge) auszuhelfen, musste man sich Angebote bei Kostümschneidern und Perückenmachern einholen.


    Die Kosten explodierten, hundertausende von Euros hätte das gekostet.
    Denn da nur sehr, sehr wenige Schneider es wirklich verstehen wirklich authentische Kostüme herzustellen, sind die Preise dafür auch exorbitant.
    Das liegt auch zum teil am Material.




    Ein Freund von mir sollte "Les Fêtes d'Hébée" von Rameau inszenieren und hatte gerade mal ein Budget von knapp 10.000 Euro


    davon mussten Kostüme gemacht werden, Perücken und Kulissen, die Gage für eingekaufte Tänzer und Sänger incl.


    Wie hast Du das gemacht ? fragte ich ihn.


    Na zum Glück gibt es Polen, meinte er nur.



    Solange man Intendanten / Kulturdezernenten hat - die sind nämlich das Problem - die weder etwas von Musik noch von Kunst verstehen, solange in den Kulturämtern und im Kulturmanagement Leute sitzen, denen das ganze am A**** vorbei geht, mit der Einstellung: "Hauptsache es kostet nichts und bringt meinen Arbeitsplatz nicht in Gefahr"
    solange wird sich nichts ändern.



    Auf die Regisseure und Künstler zu shimpfen ist einfach, packt lieber das problem bei der Wurzel.
    Wenn mehr Geld da ist, dann kann man auch mehr machen, so einfach ist das.

  • Zuerst einmal gehöre ich keiner angeblichen oder wirklichen ideologischen Seite an.


    Ich erlebte für mich unverständliche, ärgerliche, großartige, inspirierende Inszenierungen ‚moderner’ Regisseure. Betrachte ich die Geschichte des Theaters und der Oper so hat sie immer eine Entwicklung genommen, über viele Epochen ohne Bühnentechnik, bis ins spektakuläre barocke Ausstattungstheater und hin zum bühnenbildlosen reinen Personentheater, es gibt so viele Spielformen.


    Wie war das doch gleich wieder mit Händel in London, er hat sich immer wieder neu erfunden und weiterentwickelt. Ich durfte eine der faszinierendsten Inszenierungen aktualisierender Regie in Innsbruck erleben, es muss Mitte der 90er Jahre gewesen sein, als Rene Jacobs eine Cesti-Oper machte. Er hatte, meine ich, einen französischen Regisseur betraut, und der begeisterte mich, vor allem aufgrund einer Menge erhellender Ideen und der Personenführung. Gerade Letztere ist für mich ein Qualitätskriterium des ‚Regietheaters’, und diese geht häufig unter in Klamauk und Unsinn.


    Ist deshalb per se ein Ansatz völlig unsinnig, ideologisch, der andere Ausdruck von Bildung, Intelligenz und Richtigkeit? Das lässt sich in meinen Augen nicht an sich klären. Gibt es wirklich einen Menschen dessen gesamte Wahrnehmung ausschließlich in schwarz–weiß funktioniert? Welchen -ismus müssten wir darin finden? Bestenfalls Verstocktheit doch, selbst diese ließe sich noch deuten als Standhaftigkeit der letzten, der besseren Bastion?


    Sicher man könnte über konservative und progressive Haltungen diskutieren, doch geht es hier wirklich darum? Anders gefragt, spielt nicht immer die ureigene Komplexität eines jeden die entscheidende Rolle, meine Erfahrungen, meine Urteile, meine Haltungen? Mag sein, dass persönlicher Groll in Kehlmanns Rede eine gewisse Rolle spielt und die Exponiertheit der Möglichkeiten dazu beiträgt, mag ebenso das ganze ein lauteres Anliegen verfolgen, dass Verwirrung stattfindet, Unverständnis auch, bei jedem wird ein anderes Wahrnehmungs- und Motivgemenge zum Urteil führen. Sind Killerargumente der jeweiligen Seite von 'Restauration' bis 'Untergang der Bildung' wirklich erhellend oder machen sie Sinn ?


    Spielen und spiegeln nicht im öffentlichen und halböffentlichen Raum diese Diskussionen und die Leidenschaftlichkeit ihrer geführten Klingen die Dramen der Bühnen wieder? Es geht um Interessen, Macht, Geld, Ranküne, manchmal sogar um Kabale, immer auch um Gefühle, vielfach um verletzte, um innerste Motive auch, um Ängste, Recht und anderes. Das Leben. Je nachdem an welcher Stelle im Getriebe, welche Rolle eingenommen oder zugewiesen, fallen die Bewertungen. Verstrickt darin lässt sich – niemals vielleicht – da eine letztliche Antwort, gar die richtige finden?


    Es wurden nicht einmal die Begriffe, die Kategorien noch die Kriterien geklärt. Die Frage nach dem Ästhetischen, dem Fortschritt, dem Kreativen, dem Miteinander wurden nicht gestellt? Was ist Regie, Theater, Regietheater und Theaterregie? Welches Unwort, denn wo geht Theater ohne Regie über die Bühne? Ich könnte Fragentürme in den Himmel bauen – doch wozu? Sich auszutauschen finde ich anregend – als reinen Diskussionsbeitrag finde ich die Rede interessant, bringt sie in dieser Intensität doch eine Auseinandersetzung, bezieht sie Stellung. Bleibt für mich persönlich ein, der Schwabe sagt, ‚Gschmäckle’ ob der unterschwelligen Larmoyanz, die sich ein wenig heroisch stilisierend schmollend ins Kämmerlein zurückzieht.


    Die Auseinandersetzung, die Anregung, das Angestoßen-Werden, die intellektuelle Bereicherung ebenso wie das einfach Schöne, das ‚Romantische’, das was mich schwelgerisch entschweben lässt sind für mich in allen Facetten nötig und erwünscht. Dass es wie im richtigen Leben in schöner Regelmäßigkeit (es lebe das Phrasenschwein) zu Ausrutschern, vermeintlichen Entgleisungen, gar Unfällen, ebenso zu Kitsch und Krempel kommt, liegt nicht nur in der Natur des Lebens und des Menschen. Nein, es ist mE zwingend notwendig, wenn wir keine sterile Gleichmacherei, Vereinnahmung oder sogar zensorische Gleichschaltung erreichen wollen. Anzustreben wäre sicherlich Respekt, gegenseitige Wertschätzung, Stil und Benimm, denn geht es nicht letzlich um Entwicklung, Freude, Fühlen, Erleben und so vieles mehr, doch vermutlich um eines nicht 'Krieg'. Wo führt das hin, wenn jeder jeden, zumindest die Andersdenkenden als Feind betrachtet und beständig unter Beschuß nimmt, persönlich entspricht das nicht meiner Vorstellung von Persönlichkeit und Bildung.


    So ende ich mit einem Zitat von Kurt Tucholsky: „Die von damals hatten vieles noch nicht. Aber wir haben vieles nicht mehr.“


    PS: Wie sehr unterscheiden sich unsere Diskussionen um ökonomische, gesellschaftliche, politische, soziale u. a. Rahmenbedingungen von denen anderer Jahre, Epochen, Zeitalter?

    BECK ohne MESSER
    "Jeder Mensch ist eine Melodie. Lieben heißt: sie innehaben." (Franz Werfel)

  • der Lullist schreibt:


    Zitat

    ...ich begreife HIP als eine Strömung der Neuen Musik.


    Wunderbar auf den Punkt gebracht! Besser kann man es vermutlich nicht ausdrücken.

    BECK ohne MESSER
    "Jeder Mensch ist eine Melodie. Lieben heißt: sie innehaben." (Franz Werfel)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    War das das gleich Publikum, welches bei einer Abstimmung, wie Beethovens 3. Sinfonie denn nun hieße , zu 40 % mit "Erotica" stimmte (Die anderen Alternativen waren "Eroica" und "Exotica")


    Lieber Alfred, die von Dir erwähnte Abstimmung kenne ich nicht. Vielleicht wurde sie ja von der Bildzeitung durchgeführt. ?(


    :hello:


    Gerd

  • Zitat

    Lieber Alfred, die von Dir erwähnte Abstimmung kenne ich nicht. Vielleicht wurde sie ja von der Bildzeitung durchgeführt.


    Definitiv nicht.


    Ich erinnere mich nur dunkel.
    Es war die Frasge bei einem Fernsehquiz, wo der Kandidat das Publikum zu Hilfe rufen konnte ....


    Aber das bleibt sich gleich. Ich wollte nur sanft andeuten, daß die Nominierung von Brecht VOR Goethe keine Aussagekraft hat, allenfalls ließe sich daraus die Vermutung ableiten, daß diese Abstimmung bei einem Pensionisten-Kaffekränzchen der Kommunistischen Partei Saarbrücken (oder einer vergleichbaren Stadt innerhalb Europas) stattgefunden hat....


    Es liegt mir ferne (ohne höhnischen Unterton diesmal) die Bedeutung Brechts in Frage zu stellen - aber da gibt es schon noch ein gutes Dutzend an Diichtern der Weltliteratur, die ich VOR ihn reihen würde - aber schon wieder bin ich Dir auf den Leim gegangen und bin vom Thema abgekommen, dessen Message in aller Kürze lautet.


    Das Regietheater ist liegt im Sterben
    Das Publikum macht Mauer dagegen
    Die Politiik hat nicht mehr genug Einfluß
    es künstlich durch Subventionen am Leben zu erhalten
    Auf die Müllhalde der Theatergeschichte damit


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Zwischenrufer2


    Lieber Alfred, die von Dir erwähnte Abstimmung kenne ich nicht. Vielleicht wurde sie ja von der Bildzeitung durchgeführt. ?(


    Klingt eher nach "Wer wird Millionär?"


    (ich fand den Witz schon im Zauberberg fad)


    Die Unterstellung, Regisseure hätten keine Ahnung und aus historischer oder musikalischer Unkenntnis Fehler machten, halte ich weitgehend für verfehlt. Das mag auf Einzelfälle wie Dörrie oder Schlingensief, bei denen man streiten kann, was sie in der Oper verloren haben, zutreffen. Es trifft auf Leute wie Flimm oder Konwitschny sicher nicht zu. Die haben mehr Ahnung von Musik, Theater, Kulturgeschichte als 99% der Zuschauer oder der Teilnehmer dieses Forums. Denen teilweise anscheinend ja nicht mal klar ist, was der Lullist oben freundlicherweise ausgeführt hat, nämlich daß "Aktualisierungen" in der Theatergeschichte die Regel waren. (Und daß "Regietheater" sich natürlich nicht in "Aktualisierungen" erschöpft). Auf die Widersinnigkeit des Ausdrucks wurde weiter oben schon hingewiesen. Der Gegensatz zum "Regie-Theater" wäre nichts Konservatives (auch da gäbe es Regie), sondern eher "Kollektiv-" oder "Improvisationstheater" oder was weiß ich, da möchte ich die Entrüstung erst hören...)
    Shakespeare, Moliere, Mozart oder Goethe hätten wenig Verständnis für die heutige konservative Haltung gezeigt (Gags, wie sie Mozart mit Schikaneder trieb, sorgten heute vermutlich bei der konservativen Fraktion für Entrüstung). Wer anderen Ignoranz vorwirft, selbst aber, anstatt sich zu informieren, nur die eigenen alten Vorurteile pflegt, darf sich nicht wundern, wenn dem Diskussionsgegner irgendwann die Geduld ausgeht.


    Kehlmann hat sich wohl inzwischen noch mal in einem Interview differenzierter geäußert. Ich glaube, er hat im Grunde schlicht keine Ahnung und knüpfte ja auch weitgehend nur an Klischees an, nicht an konkrete Inszenierungen.
    Warum ich das in diesem Falle problematisch finde: Weil Kehlmann einen Bestseller gelandet hat, in dem er sich in ganz ähnlicher Weise "parasitär" an historischen Figuren abarbeitet (Gauss und Humboldt), sie mit modernen Klischees überzieht und obendrein anscheinend sogar zu faul war, gewisse Dinge bei Mathematikern oder Wissenschaftshistorikern ordentlich zu recherchieren. (Kenne das Buch selbst nicht, aber das entnehme ich zuverlässigen Rezensionen.)


    Eben die Freiheit, die er sich hier nimmt, streitet er den Regisseuren ab...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Müllhalde, Spaghetti, Installation
    vs. Weihrauch und Fichtennadelaroma
    sind hoffe ich nicht die einzigen
    Maßstäbe aktueller Theaterregie?


    In sonst üblichen Grabenkämpfen innerhalb des Kulturbetriebs einiger Städte, allen voran Wien, Berlin, et al. kenne ich mich nicht aus, lese eben immer wieder darüber.


    Ob es den Mythos des 'Goldenen Zeitalters' wohl doch gibt?


    Auf die Idee Brecht dermaßen aufzuwerten, dass er weit vor Goethe stünde (der beileibe nicht mein Hausautor ist) - gibt es das in großem Umfang? Können Diskussionen - ohne aggressive Polemik nicht bereichern?

    BECK ohne MESSER
    "Jeder Mensch ist eine Melodie. Lieben heißt: sie innehaben." (Franz Werfel)

  • Hallo JR,


    gut gebrüllt, ich denke inhaltlich ist weder zu Kehlmann noch zur Theaterregie viel hinzuzufügen.


    Ohne Übung, Experiment, Humor, Satire, kleinen Budgetübungen (Ausbildungsstudios) wäre die Kulturlandschaft längst verödet. Nicht alles muss gefallen, doch alles was nicht gefällt zu verdammen???

    BECK ohne MESSER
    "Jeder Mensch ist eine Melodie. Lieben heißt: sie innehaben." (Franz Werfel)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Shakespeare, Moliere, Mozart oder Goethe hätten wenig Verständnis für die heutige konservative Haltung gezeigt


    Toll, was du alles weißt :D


    Zitat

    Warum ich das in diesem Falle problematisch finde: Weil Kehlmann einen Bestseller gelandet hat, in dem er sich in ganz ähnlicher Weise "parasitär" an historischen Figuren abarbeitet (Gauss und Humboldt), sie mit modernen Klischees überzieht und obendrein anscheinend sogar zu faul war, gewisse Dinge bei Mathematikern oder Wissenschaftshistorikern ordentlich zu recherchieren. (Kenne das Buch selbst nicht, aber das entnehme ich zuverlässigen Rezensionen.)


    Eben die Freiheit, die er sich hier nimmt, streitet er den Regisseuren ab...


    Ein Regisseur ist kein Romanautor, eine Inszenierung ist kein Roman. Das ist ein Äpfel-Birnen-Vergleich. Eine Regietheater-Inszenierung bedient sich eines Werks und wird unter dem Werktitel präsentiert (doppelt praktisch, man hat ein wehrloses jahrhundertealtes Arbeitsmaterial, kann damit machen, was man will, und das ganze auch noch unter einem populären Namen verkaufen). Das ist was anderes, als wenn sich Herr Regisseur xy hinsetzt und einen Roman verfasst, in dem er dann mit den Figuren der Wagnerschen, Mozartschen, [...] Opern (oder welchen Figuren auch immer) machen kann, was er will. Das kann er von mir aus machen, soviel er lustig ist...

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Ein Regisseur ist kein Romanautor


    ja und ?


    Das wird Heute völlig anders gesehen, ein Künstler in unserer Zeit ist meist in mehreren Fächern präsent.
    Daher kann es sehr gut sein das ein Regisseur sogar Maler, Bildhauer, Schneider oder eben auch Autor sein kann.


    Das ist genau das Problem in diesem Land, man darf in seinem eigenen Beruf nicht über den Tellerrand heraus.
    Wenn man mehr kann als erwünscht, ist man per se gefährlich :wacky:


    Ich würde mich niemals wieder festlegen und sagen, ich bin Maler, oder Regisseur, allenfalls würde ich mich als Künstler bezeichnen - mehr aber auch nicht.




    Übrigens habe ich noch ein hübsches Beispiel - das wirklich auf den "Müllhaufen" geworfen wurde:


    The Tempest von Shakespear, oder dessen Bearbeitung.


    dieses Stück wurde das ganze 17. Jahrhundert bearbeitet, Textpassagen gestrichen, neue hinzugefügt.
    Nichtmal die Musik wurde beibehalten, sondern ebefalls alle paar Jahre ausgetauscht.


    Das ist kein Einzelfall, nur ein relativ bekanntes Stück.
    Und eines der erfolgreichsten !!!! Bühnenstücke des 17. Jahrhunderts.


    Diese Bearbeitung übrigens, wurde lange als "bestes Werk" von Henry Purcell betitelt.
    Dann stellte sich heraus, das die Bühnenmusik von Matthew Locke und einer Handvoll weiterer Komponisten stammte - und man fand weiterer Partizuren, die völlig anders waren.
    Und aufeinmal war Purcells bestes Werk in der Ablage "A"



    Da kann man sich wirklich nur an den Kopf fassen. :no::no::no:



    "Regietheater" oder wie jene "Verfremdungen" genannt werden ist eine Werkgetreue Inszenierung, allein deshalb schon, weil man es immer schon so gemacht hat.
    Das muss man leider einsehen.



    Francois Francoeur und Francois Rebel haben auch einige Opern Lullys bearbeitet, neue Tänze und ganze Passagen neu verfasst (auch den Text) sowie veraltete Passagen gestrichen, Bühnenbilder und Kostüme wurden der neuen Zeit angeglichen, selbst die Instrumentierung !! der Partitur wurde modernisiert.



    "Regietheater" vom Feinsten aus dem 18. Jahrhundert. :beatnik:


    Solche Eingriffe in ein Werk zu tätigen würde sich doch Heute niemand mehr trauen, das was Heute gemacht wird ist dagegen doch konkreeete Kindergarten :D

  • Zitat

    Original von der Lullist


    ja und ?


    Das wird Heute völlig anders gesehen, ein Künstler in unserer Zeit ist meist in mehreren Fächern präsent.
    Daher kann es sehr gut sein das ein Regisseur sogar Maler, Bildhauer, Schneider oder eben auch Autor sein kann.


    Etwas geändert dann: der Regisseur ist nicht der Librettist des Werkes.

  • Zitat

    Original von der Lullist


    ja und ?


    Das ist genau das Problem in diesem Land, man darf in seinem eigenen Beruf nicht über den Tellerrand heraus.


    Wieso gerade in diesem Land? Hier haben wir doch die omnipotenten Regisseure. Außerdem kann ein Regisseur von mir aus nebenbei so viele eigenen Dramen schreiben, Opern komponieren und diese dann für die Aufführung beliebig umschreiben, wie er will. Falls das jemand sehen will...


    Zitat

    "Regietheater" oder wie jene "Verfremdungen" genannt werden ist eine Werkgetreue Inszenierung, allein deshalb schon, weil man es immer schon so gemacht hat.
    Das muss man leider einsehen.
    Francois Francoeur und Francois Rebel haben auch einige Opern Lullys bearbeitet, neue Tänze und ganze Passagen neu verfasst (auch den Text) sowie veraltete Passagen gestrichen, Bühnenbilder und Kostüme wurden der neuen Zeit angeglichen, selbst die Instrumentierung !! der Partitur wurde modernisiert.
    "Regietheater" vom Feinsten aus dem 18. Jahrhundert.
    Solche Eingriffe in ein Werk zu tätigen würde sich doch Heute niemand mehr trauen, das was Heute gemacht wird ist dagegen doch konkreeete Kindergarten


    Den Befürwortern konservativer Inszenierungen wird vorgeworfen, dass sie den Regiestil der 50er Jahre proklamieren, und das Regietheater wird mit den (fragwürdigen) Aufführungspraktiken der Barockzeit gerechtfertigt? Das finde ich ein wenig paradox.


    Deiner Feststellung, dass das, was heute gemacht wird, Kindergarten ist, will ich jedoch nicht widersprechen ;)

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    der Regisseur ist nicht der Librettist des Werkes.



    das war auch früher so, da haben Ballettmeister, Bühnenbaumeister und "Dekorateure" für die Inszenierung gesorgt.


    Zitat

    Den Befürwortern konservativer Inszenierungen wird vorgeworfen, dass sie den Regiestil der 50er Jahre proklamieren, und das Regietheater wird mit den (fragwürdigen) Aufführungspraktiken der Barockzeit gerechtfertigt? Das finde ich ein wenig paradox.



    nö wieso, das ist ja gerade der Witz bei dieser ganzen Sache.


    Das "Moderne" ist eigentlich das Traditionelle.... :wacky:

  • Natürlich kann man ein Werk (speziell die Oper, was nichts anderes bedeutet :baby: ) nicht immer gleich aufführen; selbst dann nicht, wenn man es wollte... Gegen Gageinlagen mit aktuellem Bezug habe ich auch nichts einzuwenden, dadurch wird aber die Inszenierung sehr zeitgebunden und muß jede Saison sogar aktualisiert werden, weil sonst niemand mehr kapiert, was der Gag eigentlich sollte... und erklärte Gags sind nunmal... naja...


    Es geht ja primär darum, daß beispielsweise die benutzte Kleidung für mich keinen aktuellen Bezug herstellt, denn wer läuft heute in geballter Form so rum wie beispielsweise im Salzburger 'Mithridates'? (Der hat mir dennoch überaus gut gefallen, aber das Musikalische überwog dennoch deutlich dem Optischen). Ganz normale Straßenkleidung von H&M, C&A, StreetOne, S.Oliver und wie sie alle heißen würde ich durchaus akzeptieren - aber das schaut dann doch eben eher nach einer Probe ohne Kostüme aus, was m. E. nicht Sinn der Sache ist. Oper soll ablenken, Fantasiekostüme sind sehr angenehm, man soll ja in eine andere (möglichst angenehme!) Welt eintauchen, um den Alltag zu vergessen...


    ~ ~ ~


    Zum Thema: Karlsruhe hatte dieses Jahr anlässlich der alljährlichen Händelfestspiele erstmals im Betonbunker namens 'Badisches Staatstheater' (dieses Ding ist schon peinlich anzuschauen, wenn man den Titel ernst nimmt) eine Oper des Jubilars urHIP präsentiert: d.h. nicht nur das Orchester spielte in historisch informierter Form, sondern auch die Bühnenbilder waren handgemalt (pro Akt 3 Szenenbilder, insgesamt also 9 Stück!), mitten auf dem Schlachtfeld hingen die mit echten Kerzen bestückten Kronleuchter mitten in der Szene, es gab z.T. bewegliche Utensilien auf der Bühne, Brücken, Flüsse, Wolken, Vögel... etc. pp. - die Inszenierung soll im kommenden Jahr auf Wanderschaft gehen und weitere Menschen beglücken. Es war schon sehr beeindruckend und auch ein großer Erfolg. Ob aber damit sämtliche hässliche Inszenierungen verdrängt werden können, glaube ich eher nicht. Aber diese Art von Theater macht dann doch endlich wieder Spaß, dadurch eben, daß sie beeindruckt und entzückt und man ständig Neues zu sehen bekommt!


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    diese Art von Theater macht dann doch endlich wieder Spaß, dadurch eben, daß sie beeindruckt und entzückt und man ständig Neues zu sehen bekommt!


    Und genau das ist es, worauf es seit numehr 400 Jahren Operngeschichte ankommt.


    Im besten Fall ist es auch noch etwas intellektuelles Vergnügen.



    Aber, und das sage ich auch nochmal mit aller Entschiedenheit, ein Teil des Regietheaters wie auch der bildenden Kunst setzt nur auf völlig abgelutschte Provokation:


    Sex - Blut - Nazis


    auf sowas habe ich auch keinen Bock - weil es einfach abgeschmackt ist, das ist genauso altbacken wie alle Inszenierungen die älter als 10 Jahre sind.


    Ich fordere ganz einfach Phantasie ohne Grenzen - aber mit Qualität.
    Dann ist mir alles Recht.


    P.S.


    der Salzburger Mitridate war schon toll.
    Besonders gut haben mir da eben auch die Zitate aus der Oper des 18. Jh. gefallen, wie z.B. das erste Kostüm des Mitridate - oder dieser seltsame Spiegelraum, das hatte schon was.


    Ich hab es zwar nict verstanden was das sollte, aber es war einfach toll, weil irrsinnig schöne Bilder entstanden sind.


    Ich sehe mir die DVD ziemlich oft an - und bin jedes mal wieder davon gefangen.

  • Das Wort "Regietheater" - es wird immer wieder drauf herumgehämmert was es bedeutet und was nicht - ist ähnlich unwissenschaftliech wie der Ausdruck Hysterie, was sich von der Gebärmutter ableitet, weil hysterische Phänomene ursprünglich in erster Linie bei Frauen beobachtet wurden. Dennoch weiß jeder was unter Hysterie gemeint ist.


    Das Theater und auch die Oper hat sicher viele Irrwege inter sich, das "Rampentheater, das Da Capo Theater -und wie die Modeausdrücke von einst alle hiessen.
    Unter Zeffirelli (und Gesistesvervandten) gab es jedoch den absoluten Höhepunkt der Operngeschichte - und zu diesem Standard wollen viele zurück.
    Und keiine Macht der Welt wird verhindern, daß dieses eintritt.
    die Weichen sind schon gestellt.


    Herrn Kehlman hat die Regietheaterlobby bereits ins Visier genommen und versucht ihn fertigzumachen. Egal ob das gelingt oder nicht, er hat eine Lawine ins Rollengebracht die niemand mehr aufhalten wird.
    Im Gegenteil: einige Anhänger des regietheaters werden ihren Hals wenden um ihren gutdotieren Posten zu behalten, und erklären sie hätten das Regietheater immer schon mit kritischen Augern betrachtet......



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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