Regietheater - letzte verbliebene Schrumpfform linker Ideologie ?

  • Zitat

    Das Theater und auch die Oper hat sicher viele Irrwege inter sich, das "Rampentheater, das Da Capo Theater -und wie die Modeausdrücke von einst alle hiessen.
    Unter Zeffirelli (und Gesistesvervandten) gab es jedoch den absoluten Höhepunkt der Operngeschichte - und zu diesem Standard wollen viele zurück.
    Und keiine Macht der Welt wird verhindern, daß dieses eintritt.
    die Weichen sind schon gestellt.



    aber wer kann behauptet er hätte sämtlichen Formen des Theaters gesehen um darüber urteilen zu können ?


    Das antike Theater kann man nicht rekonstruieren, die Comedia dell'Arte ist auch nur teilweise bekannt, weil improvisiert wurde.


    Das Barocktheater wird gerade erst wieder erforscht.



    das Zeffirelli den Höhepunkt der Operninszenierung darstellt möchte ich für meinen Teil allerdings vehement abstreiten.
    Selbst wenn man nur illustriert, kann man das durchaus noch besser machen.


    Deshalb: nicht nachmachen, sondern besser machen !



    P.S. was nichts daran ändert, dass die Inszenierungen von Zeffirelli durchaus beeindruckend sind - zumindest die Bühnenbilder.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Das Theater und auch die Oper hat sicher viele Irrwege inter sich, das "Rampentheater, das Da Capo Theater -und wie die Modeausdrücke von einst alle hiessen.


    Daß dies Irrwege sind bzw. (eher) waren, glaube ich nicht. Es war Zeitgeschmack.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Ein mir persönlich bekannter Intendant sagt dasselbe. Wir stünden vor einer Wende und die alten Zeiten würden wiederkommen... Ich kann das irgendwie nicht glauben, so sehr ich's auch möchte.


    Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen???? Schön wär's!

  • Pace, meine Lieben, aber das ist ein so schöner Streit, da muß ich auch noch was zu sagen düfen.


    Zum einen behaupte ich, daß das Regietheater weit vor Marx, nämlich mit Faust II erfunden wurde. Ein miserables Drama, gedankenüberfrachtet, ein Graus fürs Abonnementpublikum, und kaum auf die Bühne zu bringen (nicht mal dem Gründgens ist das überzeugend gelungen).


    Dann wieder ist mir einsichtig, daß die Auswüchse der tiefsten, bissigsten, ja respektlosesten Kritik oft einer uneingestandenen Liebe und Faszination für ein Werk entspringen. Beispiel: Nietzsches Verhältnis zu Wagner. - Gewiß kann man die Partitur bloß demutsvoll und sozusagen pedantisch dirigieren; aber der Rezipient bedarf, zumal bei Wagner, aller Freiheit über den Stoff - da endet gleichsam die vorschreibende Gewalt des Komponisten, und die Suggestion seiner Musik übernimmt das Ruder.


    Ist nicht bereits die Zauberflöte ein schönes Beispiel für eine nicht buchstabengetreu aufführbare, offene, die Imagination herausfordernde Phantasie-Schöpfung?


    Ich habe denen nichts zu entgegnen, die eine bestimmte "penetrante" Form à rebours politisierender Einstudierungen hier an den Pranger stellen. Den hierzulande seit dem Mauerfall in gewissen Regierungskreisen opportunen Tenor, mit Marx sei es nun endgültig vorbei, finde ich als geistesgeschichtlich gebildeter Mensch einfach ridikül. - Was mich allerdings frappiert, ist daß niemand so recht von der Verzauberung durch eine Bühnenanordnung spricht, die doch um so größer wird, je märchenhafter, unwahrscheinlicher, überraschender die Bilder gefunden werden.


    Ich habe seinerzeit eine Hampe-Inszenieung vom Tristan gesehen, solide konservativ; unvergeßlich blieb mir das Schlußbild: Die Bühne verdunkelt, Tristan in Isoldes Schoß in Pietà-Anordnung (wohl von Wagners Assunta-Vergleich inspiriert) - sie werden von einer unsichtbaren Vorrichtung in die Höhe geschoben, wo nun ein Sternenhimmel flimmert. - Dieser Liebetod war entschieden das Abgeschmackteste, was ich auf Bühnen erleben durfte.


    Wenn Waltraud Meier als Isolde in Mailand im Laufe des Liebestodes ein dünner Blutfaden von der Schläfe rinnt, so steht davon nichts in der Bühnenanweisung; aber es ist ein so zwingender, erschütternder, großartiger Einfall, der gar nichts mit Minnesang und Mittelalter zu tun hat, aber eine Sterbende zeigt und zeichnet und damit den Preis, den sie bezahlt.


    Ähnlich zwingend fand ich, soweit ich mir davon ein Urteil bilden konnte, das inzestuöse Ballett, das Mußbach in Dresden aus Salomés Schleiertanz formte. Das ist ja auch so eine Oper für Sandalenfilm-Fans (wer möchte wirklich beschwören zu wissen, wie man damals gekleidet ging?)


    Ich behaupte übrigens, den Brüdern in Apoll entgegenrufend, daß das Regietheater Ausdruck einer bürgerlichen Geistigkeit und Kritik ist, die das Theater lebendiger erhält als die immer schon subventionierten Abonnentenplätze, besetzt von Liebhabern "intelligenter amerikanischer Serien".

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat

    Original von farinelli


    Ich habe seinerzeit eine Hampe-Inszenieung vom Tristan gesehen, solide konservativ; unvergeßlich blieb mir das Schlußbild: Die Bühne verdunkelt, Tristan in Isoldes Schoß in Pietà-Anordnung (wohl von Wagners Assunta-Vergleich inspiriert) - sie werden von einer unsichtbaren Vorrichtung in die Höhe geschoben, wo nun ein Sternenhimmel flimmert. - Dieser Liebetod war entschieden das Abgeschmackteste, was ich auf Bühnen erleben durfte.


    Ich habe diese Inszenierung geliebt!!!!!!
    Ich habe kein Abonnement!
    Und ich liebe auch keine amerikanischen Serien - allerdings alte amerikanische Spielfilme.

  • Ich kann hier als Bühnenzeuge nicht mitreden - nur als utube-Archivist. Da der Name im Thread öfter genannt wurde, habe ich mir denn also mal Zeffirellis berühmten Traviata-Film näher angeschaut, sempre libera.


    Die Kamera verfolgt die Sängerin durch eine Flucht von Räumen, realen, unwahrscheinlich weitläufigen Palaissälen mit hohen Plafonds, vorgestellt als Violettas Domizil nach dem Fest.


    Die Szenerie ertrinkt im Dekor, es gibt Tafelaufsätze wie aus einem Kirchenschatz, Fauteuils, kostbare Portièren, Teppiche, ein Kaminfeuer, ein großes Medaillonbildnis der Violetta, vergoldete Wandvertäfelungen, Trauben von Kugelleuchten, Trumeauspiegel, Flambeaus etc.


    Violetta stürzt durch die Säle auf die abgespeiste Tafel zu und nimmt, ehe sie "sempre libera" anstimmt, wie zur Selbstermutigung einen Schluck Champangner, den sie sich in den geschliffenen Kelch gießt. Später rekelt sie sich, weiter ausschenkend und trinkend, auf dem Damasttischtuch, in einer gerüschten Spitzenmatinée, mit offenem Haar, oder wirbelt auf dem Parkett herum.


    Mir scheint, je akribischer der inszeniert Raum die reale Situation auszubuchstabieren sucht, desto absurder erscheint einem eine singende Frau in diesem Kontext - eine mühsam belebte Statistin der Requisite, deren timing - hier Mutwillen, hier Begeisterung, hier Trunkenheit - von der Textur der Arie zerdehnt scheint, quasi eine Zeitlupenufnahme des Beschwingten, was durch das Raumvolumen und die darin zurückzulegenden Distanzen noch verstärkt wird.


    Der Bruch mit den Gesetzen des Theaters ist umso fataler, als der ganze Aufwand das Ergebnis desto enttäuschender macht. - Man vergleiche bei utube z.B. die Georghiu in dieser Arie - auf der Bühne, in einem dezent stilisierten etwas ausgestellten weißen Ballkleid, vor einer nur angedeuteten Salonkulisse - hier wird alles zur Spannung, zum Schmelz, zur Erregung, obwohl Violetta eher bloß dasteht und ein paar schöne Gesten macht. Weniger ist oft mehr, und Verdis Musik erzählt anderes als ein Interieur (unfreiwillig erinnert Zeffirelli, läßt man den Ton weg, an eine Verfilmung der Bovary).


    Die Befürworter der Klassischen Inszenierungskunst möchten doch einmal näher das Verhältnis von suggestiv-symbolischer, andeutungsweiser Ausstattung zum offenbar präferierten 1:1-Nachbau innerhalb der "realistischen" Auffassung bestimmen - meine These gleich vorweg: Ohne Unwirklichkeit kein Realismus, ohne Auslassung keine Vollständigkeit, ohne Stilisierung kein Bühneneffekt. Wer das Theater zum Kino erniedrigt, gibt die großen Meisterwerke der Lächerlichkeit preis.

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    Einmal editiert, zuletzt von farinelli ()

  • Ich bin hier von Farinelli so weit entfernt wie unsere beiden Avatare zum User Farinelle entfernt sind. (und das soll keine Kritiik sein-lediglich eine Bestandaufnahme)
    Indes gibt es zuminderstens EINEN Berührungspunkt.


    Ich bin NICHT der Meinung, daß Theater stilkisiert werden sollte, das war grade in Mode als ich die ersten Operninszenierungen im Fernsehen sa - und ich habe es schon mit 17 abgelehnt, weil ich PERFEKTE Illusion geboten haben wollte.


    Die Kunst des Ausstatters besteht IMO darin, auf der Bühne eines Opernhauses die Illusion der Realität entstehen zu lassen, die Imitation der Wirklichkeit so zu übertreiben - aber niicht ein Quentchen mehr - daß sie glaubwürdig wird.


    D´accord gehe ich mit Farinelli insoweit, daß ich die Auffassung vertrete, Oper sollte nicht verfilmt werden. Es ist keine Kunst, beispielsweise einen Film in Venedig zu drehen - die Schwierigkeit besteht daran, das Venedig eines anderen Jahrhunderts so auf die Bühne zu bringen, daß die Illusion perfekt ist und die Beengtheit des Raumes vergessen wird.


    Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch Freilichtaufführungen eher eine Absage erteilen, Die Dimensionen sind zu groß, die Akustik ist besch ..eiden und das Operngefühl möchte sich einfach nicht einstellen..


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von farinelli
    Ich kann hier als Bühnenzeuge nicht mitreden - nur als utube-Archivist. Da der Name im Thread öfter genannt wurde, habe ich mir denn also mal Zeffirellis berühmten Traviata-Film näher angeschaut, sempre libera.


    Tristan ist auf Youtube? Muss ich gleich noch mal recherchieren. Freude! Diese schöne Inszenierung wurde ja wie alles Konservative von dem Monsterintendanten Krämer verschrottet bzw. verkauft - und rumms schnellten die Besucherzahlen in den Keller


    Zur Traviata: Zeffirelli überhöht das Lebensgefühl der Belle Epoque, die einem im Dekor ertrinken lies (wobei ich ja diese Epoche sehr mag und mir endlich einen Kindertraum erfüllt habe und ein Gründerzeitbuffet mit Säulchen und Türmchen gekauft habe, aber das nur am Rande) Zeffirelli bildet keine real existierenden Räume - WOBEI ICH DAS ABER AUCH NICHT FALSCH FINDEN WÜRDE - nach: Wo gab es im Historismus transparente Räume? Letztendlich zeigt er nichts anderes als Violettas im Libretto verankerten Wunsch, sich durch Lebensgenuss zu betäuben - nur, dass ihre Rechnung nicht aufgeht. Auch das zeigt Zeffitrelli, indem er sie in einigen Darstellungen winzig klein in überdimensionierten Räumen hilflos versinken lässt.


    Ich gebe zu, dass mir einiges auch too much ist, wie z.B. die flatternden Täubchen. Doch das stört mich weniger, als die blöde Uhr oder das langweilige Sofa in dieser gähnend langweiligen Salzburger Inszenierung. Mir ging es genau umgekehrt zu Ihnen: Hier empfand ich das Singen als absolut unpassend.



    Zitat

    Original von farinelliDie Befürworter der Klassischen Inszenierungskunst möchten doch einmal näher das Verhältnis von suggestiv-symbolischer, andeutungsweiser Ausstattung zum offenbar präferierten 1:1-Nachbau innerhalb der "realistischen" Auffassung bestimmen - meine These gleich vorweg: Ohne Unwirklichkeit kein Realismus, ohne Auslassung keine Vollständigkeit, ohne Stilisierung kein Bühneneffekt. Wer das Theater zum Kino erniedrigt, gibt die großen Meisterwerke der Lächerlichkeit preis.


    Das ist jetzt echt harter Tobak und degradiert unser Regieverständnis mal wieder. Ich frage mich immer, woher die Regietheateranhänger ihr überragendes Selbstverständnis hernehmen. Wenn ich jetzt wollte, ich könnte ganz fies zurückschießen. Aber nur so viel: Lächerlich ist das Regietheater, weil es nicht mehr das Werk in das Zentrum des Interesses stellt sondern die eigene Interpretation und die ist oftmals ausgesprochen destruktiv angelegt.


    Eine Frage: Wieviele nicht verfremdete Inszenierungen haben Sie überhaupt live gesehen und welche?

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Ich frage mich immer, woher die Regietheateranhänger ihr überragendes Selbstverständnis hernehmen.


    Das gilt auch für ihre Gegner! :yes:



    :hello:


    Gerd

  • Henne oder Ei? :D


    Fakt ist, dass die Regietheaterjünger den "Krieg" angefangen haben. Als die ersten derartigen Inszenierungen herauskamen waren sie als Provokation gedacht. Ich erinnere mich noch genau der Worte "das spießige Stadttheaterpublikum muss aufgerüttelt werden", "die alten Zöpfe gehören abgeschnitten", "Mief und Muff im Schauspielhaus den Kampf angesagt", "Nackedeis machen Omas Theater den Garaus" Ganz zu schweigen von den statements bestimmter Regisseure - und hierbei meine ich nicht nur mein Horrorerlebnis Hilsdorf, der bei einer Essener Premiere Hostien ins Publikum warf und den Hosenschlitz öffnete. Da muss man sich nicht wundern, wenn zurückgekläfft wird. Zumal es wirklich schon von einem recht klischeehaften Weltild zeugt, die Anhänger werktreuer Inszenierungen als dumm, spießig und unbelesen zu brandmarken.

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  • Verehrter Alfred Schmidt,


    ich will nicht verbohrt dastehen, auch nicht sagen, weil die Illusion en detail der Stilisierung bedarf, plädiere ich per se fürs Stilisierte.


    Ich habe sogar selbst sehr viel Sinn für eine stilgerechte Ausstattung. Es gibt da eine sehr schöne russische Verfilmung des Eugen Onegin, unter Roman Tikhomirov. Die Technik (Schauspieler mit Playback unterlegt, also lippensynchron) überzeugt nicht, obwohl der Soundtrack sehr gut ist. Aber die Milieuzeichnung ist bewundernswert. Der Ball anläßlich von Tatjanas Namenstagsfeier bringt das liebenswert-provinzielle Publikum durch eine Fülle von Typisierungen wundervoll heraus, ebeno wie den schon in Kostüm und Auftreten dazu kontrastierenden Onegin, ein perfekter Dandy.


    Auch die Briefszene hält dieses Niveau; es ist wirklich ein ländlich schlichtes Schlafzimmer in einem oberen Stockwerk, Tatjana trägt ein simples Nachthemd (nicht so einen mondänen Rüschengown wie z.B. René Fleming) und ist ein ganz junges, verträumtes Mädchen.


    So etwas auf der Bühne umzusetzen ist sehr schwierig (was natürlich kein Argument sein sollte). Auf Schritt und Tritt erkennt man eine sehr intelligente Figurenführung, jede Geste bindet die Figuren in die alltägliche Umgebung ein, und es ist das Verdienst der Regie, gerade hier ein wenig Understatement und Demut walten zu lassen (also keine Austattungsorgie, sondern subtiles Genre). - Ich habe etwas Vergleichbares erst ein einziges Mal auf der Bühne erlebt, Schnitzlers "Der einsame Weg" an der Berliner Schaubühne (sehr geschlossen, wenn auch, vielleicht stückbedingt, weniger natürlich, sondern auf morbid getrimmt).


    Wir stehen hier in der Tradition des Herzogs von Meiningen, und das heißt: der geschlossenen Ensembleleistung. Das dürfte heute, wie damals, die Ausnahme sein. Als Bühnenideal dennoch nicht ohne Berechtigung.

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  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Das ist jetzt echt harter Tobak und degradiert unser Regieverständnis mal wieder. Ich frage mich immer, woher die Regietheateranhänger ihr überragendes Selbstverständnis hernehmen. Wenn ich jetzt wollte, ich könnte ganz fies zurückschießen. Aber nur so viel: Lächerlich ist das Regietheater, weil es nicht mehr das Werk in das Zentrum des Interesses stellt sondern die eigene Interpretation und die ist oftmals ausgesprochen destruktiv angelegt.


    Eine Frage: Wieviele nicht verfremdete Inszenierungen haben Sie überhaupt live gesehen und welche?


    Ich muß mich, bitte um Pardon, sehr mißverständlich ausgedrückt haben. Gar nix wird degradiert. Ich hatte sagen wollen - Alfred Schmidt hat es ja etwas zurechtgerückt - auch in der Sphäre stilgerechter Illusion muß die Bühne auslassen, raffen, auf Bühnenmaßstab reduzieren - so daß ein Element von Symbolik, ein Meuble, das Pars pro toto für eine historische Ausstattung oder Epoche steht und daher ein surplus an Bedeutung auf sich lädt, immer mitgegeben ist. Ganz ganz harmlos meinte ich das.
    Ich bin auch beileibe kein Verfechter des schlecht verstandenen Regietheaters, sondern ein Sinnenmensch, der allerdings der Poesie eines Bühnenbilds jenseits historischer Wahrscheinlichkeit ihr Recht läßt.


    Ich entsinne mich z.B. einer Tosca an der Deutschen Oper, die ganz mustergültig klassisch inszeniert war, mit einem stupenden Morgendämmerungeffekt zu Beginn des dritten Akts.


    Ich gestehe, daß mich seinerzeit Patrice Chéreaus Bayreuther Ring sehr angesprochen hat, weil diese Art der Bildfindung der Wagnerschen Dramaturgie m.E. gerechter wird als eine "realistische" Auffassung der Bühnenaktionen. Das heißt natürlich nicht, daß von nun an in allen Wagneropern die Götter samtene Morgenröcke und Tournurenkleider tragen sollten (und in Mozart- und Händelopern jedermann Zopfperrücken und Reifröcke).

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  • Zitat

    Original von farinelli


    auch in der Sphäre stilgerechter Illusion muß die Bühne auslassen, raffen, auf Bühnenmaßstab reduzieren - so daß ein Element von Symbolik, ein Meuble, das Pars pro toto für eine historische Ausstattung oder Epoche steht und daher ein surplus an Bedeutung auf sich lädt, immer mitgegeben ist.


    Ich bin auch beileibe kein Verfechter des schlecht verstandenen Regietheaters, sondern ein Sinnenmensch, der allerdings der Poesie eines Bühnenbilds jenseits historischer Wahrscheinlichkeit ihr Recht läßt.


    Kann ich für mich auch in etwa so unterschreiben. Reduktion auf entscheidende funktionelle und/oder symbolträchtige Elemente des Bühnenbilds und der Requisiten finde ich auch einen sehr wichtigen Zug einer guten Inszenierung. Im Zweifelsfall würde lieber etwas weglassen als etwas unwichtiges mit dabeihaben wollen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von farinelli
    Ich habe sogar selbst sehr viel Sinn für eine stilgerechte Ausstattung. Es gibt da eine sehr schöne russische Verfilmung des Eugen Onegin, unter Roman Tikhomirov. Die Technik (Schauspieler mit Playback unterlegt, also lippensynchron) überzeugt nicht, obwohl der Soundtrack sehr gut ist. Aber die Milieuzeichnung ist bewundernswert. Der Ball anläßlich von Tatjanas Namenstagsfeier bringt das liebenswert-provinzielle Publikum durch eine Fülle von Typisierungen wundervoll heraus, ebeno wie den schon in Kostüm und Auftreten dazu kontrastierenden Onegin, ein perfekter Dandy.


    Auch die Briefszene hält dieses Niveau; es ist wirklich ein ländlich schlichtes Schlafzimmer in einem oberen Stockwerk, Tatjana trägt ein simples Nachthemd (nicht so einen mondänen Rüschengown wie z.B. René Fleming) und ist ein ganz junges, verträumtes Mädchen.


    So etwas auf der Bühne umzusetzen ist sehr schwierig (was natürlich kein Argument sein sollte). Auf Schritt und Tritt erkennt man eine sehr intelligente Figurenführung, jede Geste bindet die Figuren in die alltägliche Umgebung ein, und es ist das Verdienst der Regie, gerade hier ein wenig Understatement und Demut walten zu lassen (also keine Austattungsorgie, sondern subtiles Genre). - Ich habe etwas Vergleichbares erst ein einziges Mal auf der Bühne erlebt, Schnitzlers "Der einsame Weg" an der Berliner Schaubühne (sehr geschlossen, wenn auch, vielleicht stückbedingt, weniger natürlich, sondern auf morbid getrimmt).


    Diesse Verfilmung ist wirklich sehr gelungen. Vor allem auch dank des intensiven Spiels von Magda Vasaryova(, die später in die Politik gegangen ist).


    Ich habe eine wunderschöne Inszenierung am Bolschoi erleben dürfen - leider seit zwei Jahren verschrottet. Und eine ganz furchtbare Inszenierung sah ich in Düsseldorf!!! Mit einem Krähenchor, der städig herumwatschelte, asche auf tatjanas Haupt verteilte und ... vergessen wir<#s: Der schrott ist es nicht wert, noch mal dran zu denken.

  • Zitat

    Original von Draugur
    Kann ich für mich auch in etwa so unterschreiben. Reduktion auf entscheidende funktionelle und/oder symbolträchtige Elemente des Bühnenbilds und der Requisiten finde ich auch einen sehr wichtigen Zug einer guten Inszenierung. Im Zweifelsfall würde lieber etwas weglassen als etwas unwichtiges mit dabeihaben wollen.


    Kann ich ohne Abstriche unterschreiben!


    :hello:
    Gerd

  • Wo die "Staubis" das her nehmen? Alter ist kein Verdienst an sich, aber man hat den ganz natürlichen Vorteil das Bessere zu kennen...


  • Kann ich für mich auch in etwa so unterschreiben. Reduktion auf entscheidende funktionelle und/oder symbolträchtige Elemente des Bühnenbilds und der Requisiten finde ich auch einen sehr wichtigen Zug einer guten Inszenierung. Im Zweifelsfall würde lieber etwas weglassen als etwas unwichtiges mit dabeihaben wollen.


    Sorry, ich kann nach wie vor nix mit diesen massiv reduzierten, nur auf Lichtpunkte setzenden Inszenierungen, anfangen. Finde das ziemlich langweilig.

  • Sorry, ich kann nach wie vor nix mit diesen massiv reduzierten, nur auf Lichtpunkte setzenden Inszenierungen, anfangen. Finde das ziemlich langweilig.


    Da gebe ich Dir völlig recht, lieber Knuspi. Als schlechtes Beispiel nenne ich hier wiederholt die Salzburg- Traviata. Ein vom Sperrmüll weggefundenes Sofa und eine ausrangierte große Bahnhofsuhr hat nicht ansatzweise das Wort " Inszenierung " verdient.
    Herzlichst
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...


  • Da gebe ich Dir völlig recht, lieber Knuspi. Als schlechtes Beispiel nenne ich hier wiederholt die Salzburg- Traviata. Ein vom Sperrmüll weggefundenes Sofa und eine ausrangierte große Bahnhofsuhr hat nicht ansatzweise das Wort " Inszenierung " verdient.
    Herzlichst
    CHRISSY


    Leider hat das die Met nicht daran gehindert für diese Inszenierzng ihre herrliche und gar nicht alte Zeffirelli-Traviata wegzuwerfen.... :(:(:(

  • Es ist schon erstaunlich, wenn Leute, die das Natürlichste der Welt verlangen, nämlich dass die Kunstwerke, die von Opern-Komponisten in der Vergangenheit geschaffen wurden und als solche von den Opernhäusern proklamiert werden, auch die echten Werke sind, von den Initiatoren der verunstalteten Werke sofort in die rechte Ecke gestellt werden.

    Da hat sich ein Ratsherr in Hannover, in Zusammenhang mit dem desolaten Zustand der dortigen Inszenierungen, speziell mit Bezug auf den abscheulichen „Freischütz“ gegen das "German Trash Theater" gewandt und dem Kulturdezernenten empfohlen, dafür zu sorgen, dass die Schätze, die uns Dichter und Komponisten hinterlassen haben, lebendig bleiben und nicht ins Niveaulose und Beliebige gezogen werden.

    In einem offenen E-mail wendet sich daraufhin ein selbsternannter „Künstler“, der sich Voxibaer nennt und an diesem „Freischütz“ mitgearbeitet hat, an den Ratsherrn und empfiehlt ihm, sich aus der „Kunst“ herauszuhalten, so wie er sich aus der Politik heraushalte. Er stellt ihn in die politische Nähe zur AFD und bittet ihn, mit seinem (Entschuldigung, hier muss ich zitieren) „geistigen Dünnschiss“ keinen Druck auszuüben.

    Abgesehen davon, dass diese Ausdrucksweise ein bedeutendes Licht auf das Niveau des Schreibers wirft, ist der Mann sich wohl nicht bewusst, dass der Sponsor, von dem seine „Kunst“ abhängt und durch die er seinen Lebensunterhalt verdient, die deutsche Gesellschaft ist, die durch ihre Politiker vertreten wird. Wie wäre es, wenn dieser Sponsor für die Leistungen, die nicht das erwartete Niveau erreichen, sein Sponsoring streichen würde und die Herren allein von ihrer „Kunst“ leben müssten? Ob sie dann wohl weiterhin ihre „Kunst“ ausüben könnten?

    Nähers dazu siehe „Eine Mitteilung an meine Freunde Nr. 24“ unter www.marie-louise-gilles.de


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • ist der Mann sich wohl nicht bewusst, dass derSponsor, von dem seine „Kunst“ abhängt und durch die er seinenLebensunterhalt verdient, die deutsche Gesellschaft ist, die durch ihre Politiker vertreten wird.

    Genau. Die "deutsche Gesellschaft".

    Und aus dieser Gesellschaft haben zahlreiche Opernfreunde einfach ihr Recht wahrgenommen, diesen Freischütz zu besuchen, so dass die meisten Vorstellungen nach der Premiere ausverkauft waren und man gezwungnermaßen sehr frühzeitig Tickets dafür sich sichern musste. Opernfreunde wollten nämlich keinesfalls durch populistische Stammtischparolen eines amusischen Ratsherrn oder durch übliche repetetiv-dümmliche rt-phobe Allgemeinplätze sich bevormunden lassen.

  • Die Internetseite von Frau Doktor Gilles ist leider immer noch sehr unübersichtlich aufgebaut.


    Ihre "Mitteilungen" sind von der Textstruktur her unübersichtlich und leserundfreundlich gestaltet. Sie sollte sich da mal layouttechnisch beraten oder helfen lassen.


    Tipp : die von Gerhard angesprochene Auseinandersetzung des Politikers und die email-Antwort von "Voxi Baerenklau" vom Dezember 2015 finden sich, wenn man ganz weit nach unten scrollt, so etwa im sechsten/siebten Achtel der "Mitteilung Nr. 24".

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Da hat sich ein Ratsherrin Hannover, in Zusammenhang mit dem desolaten Zustand der dortigenInszenierungen, speziell mit Bezug auf den abscheulichen „Freischütz“gegen das "German Trash Theater" gewandt [...] In einem offenen E-mailwendet sich daraufhin ein selbsternannter „Künstler“, der sichVoxibaer nennt und an diesem „Freischütz“ mitgearbeitet hat, anden Ratsherrn [...]

    Hatten wir all das nicht schon das eine oder andere Mal? Immerhin stammt die Causa wohl aus 12/2015 und ist mithin schon über drei Jahre alt. Andererseits wäre es verständlich, wenn es Frau Gilles mangels Ordnung in ihrem Zettelkasten beizeiten an Überblick mangelt ... :no:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Die Internetseite von Frau Doktor Gilles ist leider immer noch sehr unübersichtlich aufgebaut.

    Lieber MDM,


    auch ich schließe mich Dir an. Ich erhalte die "Mitteilungen an meine Freunde" regelmäßig als Brief und kann mich damit wenigstens darüber informieren, daß es außerhalb der offiziellen Lobba des RT noch andere Meinungen gibt.


    Allerdings stelle auch ich mitunter ein ziemliches Durcheinander und mangelnde Übersichtlichkeit fest.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Nehmen wir doch mal ein wissenschaftliches Zitat.


    Zitiert man wortwörtlich, sprich in Anführungsstrichen, also... siehe Autor etc, so sind alle Buchstaben und Hervorhebungen, auch alle Fehler, genauso wiederzugeben, wie sie im Original stehen.


    Zitiert man dem Sinn nach, also...vgl. dazu z.B. Autor etc., muß man den Sinn korrekt wiedergeben, nicht aber den Wortlaut.


    In jedem Fall ist es irrelevant, ob der Text in Arial 12 oder Times Roman 14 dargestellt ist, ob er links oben oder rechts unten auf der Seite steht oder damit ein Absatz beginnt oder nicht.


    Überträgt man diese in der wissenschaftlichen Welt wohl ziemlich durchgängig gepflegten Usancen auf die Oper, darf man in einer werkgetreuen Inszenierung (wörtliches Zitat) weder Text noch Musik, weder Ort noch Zeit ändern. Irrelevant ist allenfalls, ob die Farbe des Kleider der Diva rot oder gelb ist und ob sie von links oder rechts auf die Bühne kommt, oder wieviele Kilo sie wiegt. Das ist dann die Oper Parsifal von Richard Wagner.


    Ändert man an den substantiellen Elementen etwas, zitiert man also nicht wörtlich, sondern nur dem Sinn nach, ist es die Oper Parsifal frei nach Richard Wagner.


    Das mag auch nett sein, sollte aber korrekt ausgewiesen werden.


    Was dann der "Sinn" der Oper ist, und ob dieser nicht völlig verbogen wurde, es also heißen müßte: in entfernter Anlehnung an, resp. nach einer Idee von Richard Wagner, ist dann eine weitere Frage.

  • Richard Wagner zum Fliegenden Holländer (Kavatine Eriks im 3. Akt):


    "Alles, was in diesem Stücke zu einer falschen Auffassung berechtigen dürfte, wie die Falsett-Stelle und die Schlusskadenz, bitte ich dringend zu ändern oder auszulassen."


    Wagner ging es um die Wirkung des Stückes - die "richtige" Wirkung - und die hatte den Vorrang vor einer unveränderten Aufführung. Wenn Wagner der Meinung war, dass die von ihm intendierte Wirkung nicht zu erzielen war mit dem von ihm in der Partitur und im Libretto Notierten, hat er die Aufführenden autorisiert, nach ihrem eigenen Gutdünken Veränderungen vorzunehmen. Wenn Regiesseure heute das tun, befinden sie sich da also ganz im Einklang mit Wagners Auffassung vom Sinn und Zweck einer Theateraufführung, die mit einem wissenschaftlichen Zitat nun wirklich nicht das Allergeringste gemeinsam hat.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das klingt ja auf den ersten Blick alles sehr charmant, aber ist es auch wirklich schlüssig? Mir scheint doch, dass eine Opernaufführung ebenso, wie übrigens ein symphonisches Konzert oder ein Kammermusikabend doch etwas wesentlich anderes ist, als der Versuch, den jeweiligen Notentext (oder das Libretto) zu zitieren.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber M-Mueller,


    volle Übereinstimmung. Wenn der Komponist nachträglich Teile seines Werkes geändert haben möchte, ist das völlig legitim. Eine Verunstaltung des Werkes ist es dagegen eindeutig für mich, wenn ein Regisseur das Werk eines Komponisten, der sich persönlich nicht mehr dagegen wehren kann, nach seiner Willkür mit einer anderen Handlung - bei einer Handlung, die dem Titel nach zeitlich und örtlich zuzuordnen ist (etwa Attila, die Trojaner, Don Carlos usw.) auch durch Veränderung von Ort und Zeit - überschmiert.

    Dann müsste zwangsläufig - wie von vielen hier schon mehrfach gefordert - die Ankündigung durch "frei nach", "in entfernter Anlehnung" oder "nach einer Idee von..." gekennzeichnet werden, damit jeder potenzielle Zuschauer auf Anhieb eindeutig erkennen kann, worauf er sich da einlässt.

    Dabei muss der Regisseur dann aber auch beachten, das der Text noch auf das passt, was er auf der Bühne darzustellen gedenkt, was oft auch noch nicht einmal der Fall ist.


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)