Wann ist Musik eigentlich "zeitgemäß" - wann "modern"?

  • Als nur sehr unregelmäßiger Benutzer des Forums, der mit der Suchfunktion auch öfter seine Schwierigkeiten hat, weiß ich jetzt mal wieder nicht, ob meine Frage schon in einem anderen Strang behandelt wurde. Sollte das der Fall sein, würde ich die Moderation bitten, meinen Post entweder in den entsprechenden Strang zu verlegen, oder gleich in diesen hier -Was hat Euch zeitgenössische Musik zu bieten?- in dem ich ursprünglich antworten wollte, und der mir nun auch als Aufhänger dienen muss.
    (Ich versuche, es kurz zu machen und hoffe, die Kurve noch zu kriegen.)


    Jedenfalls wollte ich auf die Frage, was zeitgenössische Musik denn eigentlich zu bieten habe, zuerst mich selbst zitieren, da ich über Mahlers Zehnte mal geschrieben habe, dass sie wie ein musikalischer Schwamm funktionieren würde, und man sich nach einer guten Interpretation gereinigt fühle und "jeder depressiv-verwegene Schmutz in einem" erstmal aufgesaugt sei und entfernt.
    Und im Grunde, das wäre dann mein Punkt gewesen, ist es genau dieser Effekt, den mir "zeitgenössische Musik" eben bietet, und der bei Boulez z.B., bei Nono, bei Lachenmann, bei Rihm usw. noch viel stärker ist als bei Herrn Mahler. (Auch deswegen, weil die Reinigungswirkung von Pli Selon Pli vorallem auch quälende Aggressionen mit einschließt.)


    Natürlich durfte aber dann der Hinweis nicht fehlen, dass ich "zeitgenössisch" und "modern" in dem gleich unwissenschaftlichen, eigentlich völlig polemischen Sinne verwende wie ihre Gegner - das heißt, dass ich zwar die Wertung umkehre, aber es in mir auch immer denkt, dass das Klavierkonzert von Schoenberg (1942) viel "moderner" ist, viel "zeitgenössischer" als das "Tirol Concerto" Philip Glass' (2000).


    Ich will jetzt freilich nicht sagen, dass es im Gegenteil sehr "wissenschaftlich" wäre, die Modernität eines Werkes schlicht an dessen Entstehungsdatum fest zu machen...
    (Oder will ich das sagen? Jedenfalls wäre das eine der Streitfragen, um die es hier gehen sollten.)
    ...sondern dass der Effekt, den ich suchen und den ich einer Musik finde, die ich dann als zeitgenössisch, als modern usf. bezeichne, präziser nicht in derjenigen Musik zu finden ist, die "zeitgenössisch" ist, sondern in Musik, die von den Gegner des Zeitgenössischen schlicht als Krach bezeichnet wird - but you don't have to call it music, if the term shocks you.


    Wie auch immer: die Frage sollte nun also lauten, wann Musik (wann Kunst an sich) denn eigentlich modern ist und wann sie nicht nur zeitgenössich, sondern zeitgemäß ist.


    Ich vermute, dass diese -vielleicht etwas unscharfe Frage- drei verschiedenen "Fraktionen" sich positionieren lässt:
    Die erste verwirft nicht nur die Relevanz des Entstehungsdatums, sondern auch die Vorstellung, dass veränderte gesellschaftliche Bedingungen maßgeblichen Einfluß auf die Beantwortung haben - stattdessen sei zumindest die Essenz einiger menschlicher Gegebenheiten (Liebe, Krankheit, Tod usw.) unabhängig von den gesellschaftlichen Bedingungen und insofern könne auch die sensible Freude eines Figaro z.B. die Menschen aller Zeiten bewegen, erreichen und be-reichern - große Musik könne also insofern immer "zeitgemäß" sein.


    Die zweite Fraktion könnte...
    auch ausgehend von einem Bild des Menschen, der als größenßteils oder sogar völlig "leeres Blatt" zur Welt komme, das von der jeweiligen Kultur dann bis in's Intimsten hinein beschriftet werde
    ...betonen, dass die Veränderung dieser gesellschaftlichen Umstände insofern auch die Wahrnehmung eines Kunstwerks so entscheidend beeinfluße, dass es "nach Auschwitz eigentlich barbarisch" sei, noch eine kleine Nachtmusik zu schreiben, zu hören; dass man die pastorale Unschuld irgendeines klassizistischen Quartetts ohnehin nicht mehr nachvollziehen könne und die vornehmste Aufgabe der Kunst ja auch gar nicht darin bestünde, dem Menschen die immer schreckliche Gegenwart erträglich(er) zu machen, sondern sie das Grauen auch grauenhaft abbilden müsse, damit der Hörer eben nicht in künstl(er)ische Paradiese flüchte, sondern Mut bekomme zur Revolution. :P
    [Derlei Beispiele gebe es noch viele: können die religiösen Analphabeten der Gegenwart eigentlich noch eine Matthäus-Passion verstehen? Findet man einen Zugang zur Zauberflöte, wenn man sie unter Berücksichtigung der Gender-Frage analysiert und zu dem Schluß kommt, dass dort schlimme Gedankenverbrechen lauern ("Nichts höheres als Mann und Frau", "Sie ist ein Weib, hat Weibersinn" usf.) von denen man sich permanent "distanzieren" muss, damit man von unseren politisch korrekten Gesinnungsgouvernanten nicht des Schlechtdenks wegen zum Volksfeind deklariert wird?]


    Die dritte Fraktion jedenfalls könnte betonen, dass klassische Musik eigentlich immer schon ein Minderheitenphänomen gewesen sei und dies in Zukunft auch bliebe.
    Damit wäre sie quasi (wie die Philosophie) immer zeitgemäß, aber auch immer unzeitgemäß. Jedenfalls in ihrer allgemeinen Form, die Frage nach spezifischen Werken bliebe noch unbeantwortet.
    (Ebenfalls variieren könnte dann auch die Reichweite, weil es freilich einen Unterschied macht, ob nur der alte Fritz den Bach gern' hört, oder nur der kleine Angestellte eines Museums, der sich in einem Umfeld von Liebhabern bewegt, deren Einfluß so gering ist wie der Einfluß derjenigen, die statt CDs halt Briefmarken sammeln.)


    ***


    Langweilig wie ich bin, finde ich selbst jedenfalls, dass in allen drei "Fraktionen" eine Wahrheit steckt. Und wie zu Beginn gesagt, wirkt Boulez etwa auf mich ja so wie ein Schwamm, der "negative Triebimpulse" aufsaugt, wegwischt, sodass man sich nach dem "Genuß" seiner Musik in einem Zustand der erleichterten Erschöpfung befindet.
    (Man müsste hier noch differenzieren zwischen der Wirkung seiner zweiten Klaviersonate, einem Stück wie Caminantes... Ayacucho von Nono oder der Hamletmaschine von Rihm.)
    Aber wie in der modernen Literatur z.B. auch, verlangt diese Musik eine gewissen Leidensfähigkeit und ein großes Durchhaltevermögen. Aber wer es schafft, ein Stück von Boulez oder einen Roman von Beckett wirklich durchzuhalten (auch wenn es manchmal weh tut) der wird meiner Erfahrung nach auch reich belohnt am Schluß.


    Ich wiederhole das nur deshalb, weil der Gegensatz zu dieser Schwammfunktion für mich in der Musik von Mozart zu finden ist, der mir auch als Argument für die "erste Fraktion" dienen soll. Denn seine großen Werken wirken auf mich jetzt eben nicht wie ein Schwamm, sondern wie ein Vergrößerungsglas meines jeweiligen Seelenzustands, und wenn ich etwa traurig bin, melancholisch und dann den Figaro höre, wirkt er auf mich auch immer so und mit einem immer völlig herzzereißendem Unterton. (Al fiero tormento / di questo momento / Quest' quell' anima appena / Resistere or sa...)


    Wenn ich im Gegensatz dazu fröhlich bin und gut gelaunt, dann hach: ja finde ich auf einmal, dass die Musik doch total heiter ist und wie verkomponierter Frühling.
    Insofern glaube ich also auch, dass Mozart oft viel weniger harmlos ist, als moderne Komponisten - denn es ist ja nicht immer nur angenehm, den eigenen Zustand intensiviert vor Augen geführt zu bekommen. Zuweilen erschrickt man dann über sich selbst...
    Jedenfalls: aus dieser Sicht heraus muss eben der angesprochene Figaro z.B. als (immer) zeitgemäß betrachtet werden.


    Trotzdem denke ich auch, dass Musik, um als zeitgemäß bezeichnet zu werden, die jeweilige Zeit eben reflektieren muss und Opern, für die das adelige Recht der ersten Nacht von Bedeutung ist, eigentlich nicht als zeitgemäß zu betrachten sind.
    (...und äh: nein, das ist jetzt kein Widerspruch, sondern Dialektik :P Bzw. die Trennung von Musik - Text. Wie auch immer.)


    Insofern glaube ich eigentlich und irgendwie ja auch, dass Stockhausen, Boulez und Nono schon lange nicht mehr zeitgemäß sind: das waren sie in den sechziger, siebziger Jahren. Zeitgemäß heute wäre der oft hollywoodeske und melancholische Minimalismus eines Arvo Pärt, der zudem noch von religiösen Motiven durchtränkt ist, die aber oft nur auf das "Credo" beschränkt sind oder auf Text gar verzichtet und wie im Film nur "Ohoooo Ahhaaaa Eeeheee" zu hören ist. Nicht zu vergleichen jedenfalls mit einer Bach'schen Kantate a la "Ich sehne mich nach meinem Tod."


    Ich kann mich bzgl. Pärt aber auch irren, weil ich mich nicht eingehend mit seiner Musik beschäftigt habe und es auch eine Weile her ist, dass ich CDs von ihm gehört habe. Trotzdem scheint er mir als Beispiel zu taugen - vorallem für eine allgemeine Tendenz in der Kulturszene, die man in gewisser Weise als "reaktionär" bezeichnen könnte: Gerhard Richter schimpft jetzt immer öfter über "das Häßliche", die Mozart-Statue von Lüpertz und malt stattdessen Kerzen, Landschaften; die Bilder von Norbert Bisky sehen so aus, als hätte Steven Spielberg versucht, Leni Riefenstahl nachzufilmen, jemand wie Martin Mosebach erhält den Büchner-Preis (man denke an seine Aussagen bzgl. moderner Kunst, Ästhetik in der "Häresie der Formlosigkeit"), der Daniel Kehlmann verschimpfte jüngst das Regietheater und schreibt schon, obgleich erst Mitte 30, einen Beststeller über zwei Intellektuelle aus dem 18. Jahrhundert. Wahrscheinlich auch der Typ, der schon mit Ende 20 eine Rotweinsammlung anlegt...


    Mein Problem wäre jetzt weniger das Reaktionäre (ich bin ich vielerlei Hinsicht ja selber einer), sondern dass man diese Beschreibung unbedingt in Anführungszeichen setzen muss, da ich oft den Eindruck habe, dass nicht an die großen Werke der Vergangenheit angeknüpft wird, sondern nur der hollywoodeske und vereinfachte Abglanz dieser Werke produziert wird (Gerhard Richter und die Essays Mosebach schätze ich aber sehr): ein melancholischer Unterton bei dem gleichzeitigen Optimismus, der uns ja allerorten auferlegt wird, damit die Konsumquote nicht einbricht - dann eingängige, vermeintlich klassische Formen und ein bisschen Weltflucht: alles einmal umrühren und wir haben das, was unserer Zeit vielleicht entspricht.


    Robert Spaemann, den ich wirklich sehr schätze, sagte einmal, dass sich die Philosophie vorallem auch mit dem beschäftige, was immer sei und dem, was auf sie zu komme, aber dass das eigentliche Witterungsorgan für künftige Zeiten eher die Kunst sei. Insofern deckt sich das ja mit diesem halbgare Pseudokonservatismus, den wir vielerorts ja beobachten können: Pseudokonversative, die nur deshalb von "Werten" faseln, weil sie als nützlich für das Wirtschaftswachstum verstanden werden und alle Werte, die dem Wirtschaftswachstum nicht dienlich sind (Religion, Geschlechterrollen usw.), sofort fallengelassen werden.


    Sö. Jetzt habe ich zwar ellenlang herumgeschrieben, bin öfter vom Thema abgekommen und noch häufiger in die Polemik verfallen, aber ich glaube, ich klicke jetzt trotzdem mal auf "Neues Thema erstellen." :untertauch:

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Äähhh Marc...
    ich habe mir das ganze nicht durchgelesen ( :baeh01:), aber will trotzdem was zur Frage sagen:
    Wann ist Musik zeitgemäß, wann modern?


    Tja sagen wir vorher, dass sich viele hier im Forum mit diesem Thema eher schwer tun :stumm:


    Für mich meinen beide Begriffe ein und dasselbe.
    "Modern" und "zeitgemäß" ist für mich die "Musik" die zeitlebens jeden Tag aus dem Radio dröhnt (wobei 95% davon Plunder ist).


    Natürlich kann man "modern" auch anders verstehen:
    Es gibt die "Moderne", also die "klassische Moderne" eine Epoche der Klassischen Musik.


    Nur wenn ich (persönlich) von "modern" spreche, meine ich aktuelles aus Radio und dergleichen.


    Ich glaube diese beiden Begriffe verwendet jeder etwas anders, eine allgemeine Definition halte ich also für ziemlich sinnlos... :wacky:
    Unnützes Diskutieren...


    Was sagst du? (PS: Antwort muss nicht so lang sein wie der obrige Beitrag :D)


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • modern [lateinisch]
    der augenblicklichen Mode, der Gegenwart, dem zeitgenössischen Denken entsprechend.



    zeitgemäß zeit|ge|mäß [Adj. , -er, am -esten] 1 einem geschichtlichen Zeitabschnitt gemäß
    2 der Gegenwart, der heutigen Zeit gemäß;
    quelle: wissen.de

  • Also synonym, interessant... Ich hatte unterschiedliche Konnotationen mit den beiden Worten.


    Mit 'modern' verbinde ich eher den nach vorne gerichteten Blick, zeitgemäß hat für mich etwas eher verharrendes, angepaßtes. Aber das ist ein Bauchgefühl und offenbar nicht vom Wörterbuch gedeckt...

  • Travinius, den feinen Unterschied sehe ich genau so!
    Während die "moderne" Musik aus dem Radio, die ich auch nicht anders als "Plunder" bezeichnen würde, ja noch einigermaßen melodisch klingt - von ein paar Ausnahmen abgesehen - klingt die "Zeitgenössische Musik" fast nur noch nach Getöse und Lärm! - Ich denke dabei an Henze und...der Name fällt mir nicht mehr ein! Habe ihn verdrängt! Jedenfalls ist es der Komponist mit den 4 Helikoptern.
    Schrecklich! - Einfach nur schrecklich!


    "...Du Stolz und Pracht, gute Nacht..." (Bach)


    Hemiole :hello:

  • Zitat

    Original von Melisma
    Ich denke dabei an Henze und...der Name fällt mir nicht mehr ein! Habe ihn verdrängt! Jedenfalls ist es der Komponist mit den 4 Helikoptern.


    Tut mir echt leid, dass ich den Erfolg deiner Verdrängung nun zunichte machen muss, aber du meinst natürlich Karlheinz Stockhausen. :P


    ...übrigens habe ich mit einigen Werken von Henze auch sehr große Probleme: vorallem mit seinem Stück (über) "Das Ende einer Welt." Hier liegt das Problem für mich darin, dass Henze eine humorvolle und ironische Geschichte mit einer Musik ausdrücken will, die meiner Meinung nach nicht mit humorvoller Ironie in Einklang zu bringen ist.
    Auf der CD, die ich davon habe, ist das Stück gekoppelt mit einer Vertonung von Kafkas Landarzt, die ich ganz großartig finde. Diese "zeitgenössische Musik" taugt also für meinen Geschmack nur für einen sehr begrenzen Gefühlsradius - für Schmerzen, Trauer, kafkaeske Leere, die Darstellung einer kalten, langsamen und unerbitterlichen Welt.


    Ein Grenzfall ist vielleicht die "Elegie für junge Liebende", von der ich immer denke, dass sie auch Thomas Bernhard hätte schreiben können, der ja selbst eine ganz eigene Form des Humors hatte -- aber ansonsten sind meiner Meinung nach die größten Werke der Moderne vorallem solche, die sich eben mit Katastrophen u.dgl. beschäftigen: der Überlebende aus Warschau, der Threnos für die Opfer von Hiroshima, das Requiem für einen jungen Dichter ... die Tragödie des Hörens?
    Hm, nein, eigentlich nicht: Nono, gerade sein Spätwerk, hat überhaupt eine fast schon meditative Wirkung, die durch die Untebrechung fortissimoster Tuttipassagen allerdings eine Anspannung erzeugt, die meine Atmung auf merkwürdige Weise beeinflußt und sie mir überhaupt erst bewußt macht: Konzentration, Anspannung, das Meer und das Vergessen. Natur und nur eine Kielspur im Meer ... wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Was machen wir denn jetzt mit der Fragestellung, wenn man "modern" und "zeitgemäß" als Synonyme sehen muss?


    Lieber Marc, hast du eine Idee, wie du deine Frage umformulieren könntest? Oder wollen wir einfach mal auf die kruden Ideen (fast) zeitgenössischer Künstler einhauen?

  • Die Fragestellung müsste zwischen MODISCH - und MODERN differenzeren.
    Ich frage mich nur, ob es in der Kunst überhaupt "Modernität" gibt, ob nicht alles dem Zeitgeist entsprechend sowieso als "modisch" eingestuft werden müsste.
    Wo ist nun der Unterschied ?
    Darüber werden vermutlich die Ansichten auseinandergehen, aber ich würde sagen, daß "modisch" etwas vollkommen wilkürliches ist, vom momentanen "Zeitgeist" bestimmt, jedoch nicht von irgendwelchen technischen Gegebenheiten.
    In den 70 er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es eine Nostalgiewelle.
    Ich beleuchtete daraufhin einige meiner Wohnräume (Bar, Schlafzimmer) mit Kohlenfadenlampen, welce ein wachskerzenähnliches Licht - bei hohem Stromverbrauch und kurzer Lebensdauer der Lampe - abgaben. Das war modisch - modern war es indes nicht.


    Ich bezweifle ob man künstlerische und gesellschaflicht Richtungen überhaupt unter den Begriff "modern" einstufen kann. Modernität hat etwas mit (messbarem) "Fortschritt" zu tun.
    Einen messbaren Fortschrit in der Musik gibt es indes nicht - sonst würde man implizit erklären, daß beispielsweise Henze oder Stockhausen gegenüber Mozart ein Fortschrit wären. Ein Gedanke bei dem es mir vor Entsetzen eiskalt den Rücken hinunterläuft.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Was machen wir denn jetzt mit der Fragestellung, wenn man "modern" und "zeitgemäß" als Synonyme sehen muss?


    Lieber Marc, hast du eine Idee, wie du deine Frage umformulieren könntest?


    Mit der Verwendung des zweiten Adjektivs wollte ich gar nicht andeuten, dass eine Differenz zwischen "zeitgemäß" und "modern" bestehen muss - nur habe ich mich zunächst gegen den Begriff des "Zeitgenössischen" gesträubt, weil er nahelegen würde, schlicht zu sagen, dass zeitgenössisch das ist, was von Zeitgenossen kommt.
    Und das ginge an meiner Fragestellung vorbei, bzw. es wäre eine mögliche Antwort.


    Also habe ich stattdessen "zeitgemäß" verwendet. Den Begriff fand ich zwar passender, aber sehr gängig ist er nicht gerade. Also noch schnell das "modern" drangehängt, damit ungefähr klar ist, was ich meine.

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Dem Ansatz von Alfred Schmidt folgend, wäre die Frage also hinsichtlich modern vs modisch zu deuten.
    Da ist der Unterschied klar: Modern ist etwas Neues, modisch das einem Trend folgende.
    Modern stellt eine Neuerung dar, modisch nur das Aufschnappen einer Idee und dessen Weiterführung und Verbreitung, aber nicht im Sinne von Originalität (s. zB die 80er-Modetrends oder die von Alfred Schmidt beschriebenen Lampen).


    Wann ist Musik modern? Eine gute, eine schwere Frage. Man kann ja von Vivaldi bis Mahler immer etwas in der Musik finden, das auch die heutige Zeit vorweg nimmt. Damit ist auch Barock-Musik modern.
    Sieht man das Ganze enger zeitbezogen, dann ist Musik modern, wenn sie den gesellschaftlichen Rahmen reflektiert und weiterführt, eine Richtung aufzeigt, avantgardistisch ist.
    Schostakowitsch ist hier vielleicht ein gutes Beispiel. Trotz der Verwendung hergebrachter Mittel wie eines "Standardorchesters" oder eines Streichquartetts gelang es ihm, seine Musik als Ausdrucksmittel seines Seelenzustandes und der gesellschaftlichen Situation zu verwenden und es den Zuhörern verständlich zu machen. Das ist modern.
    Stockhausens Hubschrauber sind dagegen zunächst einmal allenfalls technisch modern, aber erst im Kontext der gesamten Symphonie erschließt sich, ob hier etwas Modernes gezeigt wird oder ob man nur einen modischen Trend setzen oder verfolgen will.
    Problematisch ist die Interaktion mit dem Publikum. Hat der Komponist einen Stil gefunden, der beim Publikum ankommt, besteht die Gefahr, dass er seine Schaffenkraft verlangsamt oder auf einer bestimmten Entwicklungsstufe stehen bleibt.
    In der Popmusik ist sowas typisch: 1. Album große Überraschung, 2. Album großer Durchbruch, 3. Album großer Mainstream, aber schon nicht mehr originell. Danach, angetrieben von der Industrie und viel PR, wird die Band durch die Mühle gedreht, bis der Zusammenbruch kommt und evtl der künstlerische Neuanfang, wobei nie mehr der vorherige Status erreicht wird.


    Modernität ist vielfach nur in der retrospektiven Betrachtung erkennbar. Der Riesenschritt ist doch eher selten, auch, um das Publikum nicht vor den Kopf zu stoßen. Dabei ist in der Musik als Kunst für das Ohr auch der marginale Entwicklungsschritt manchmal überdeutlich. Modern bedeutet aber immer irgendwo erneuernd, originell.


    Gerade im Bereich der zeitgenössischen Musik (s. zB Musica viva) zeigt sich, dass die großen Neuerungssprünge eher rar, die Anwendung moderner Mittel (Computertechnik, Atonalität, Klanginseln) weit verbreitet ist. Vieles klingt sehr ähnlich, man entdeckt nichts. Dann kann man, um bei der ursprünglichen Frage zu bleiben, wohl von zeitgemäßer Musik sprechen.

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  • "modern" im engeren Sinne bezeichnet in der Kulturgeschichte eine bestimmte Epoche, die um den 1. Weltkrieg herum beginnt und bis in die 60er Jahre (?) reicht. Danach kommt die Postmoderne oder so. Wobei freilich viele Komponisten nach wie vor "modern" schreiben...


    "Zeitgenössisch" würde ich wie Marc rein deskriptiv sehen: Karl Jenkins oder Filmscores sind ebenso zeitgenössisch wie Boulez.


    "Zeitgemäß" ist dagegen ein wertender Begriff, meistens ja auf das angewendet, was nicht mehr zeitgemäß sei.


    Dennoch verstehe ich den Unterschied, auf den oben abgezielt wird, nicht recht. Zumal als Kriterium nur äußerst subjektive Reaktionen (abreagieren, reinwaschen usw.) verwendet werden. Damit kommt man m.E. nicht weit.


    Wer ein breites Spektrum neuerer Musik nur als angemessene Vertonung von Ekel, Brutalität usw. wahrnimmt, geht ebenso fehl wie der, der sämtliche Renaissancepolyphonie als ätherisch-meditativ hört. Ich habe freilich überhaupt keinen systematischen Überblick über Musik der letzten 50 Jahre. aber ich habe vor einigen Woche mal zwei meiner Ligeti-CDs (und auch ein paar seiner Werke auf youtube) gehört. Es mag auch brutale Werke von ihm geben. Aber "Atmospheres", "Lontano", das Horntrio oder die Klavieretüden sind alles andere als das. Die beiden Orchesterwerke sind rein klangbestimmt, man ist beinahe versucht zu sagen reiner Wohlklang, so wird es allerdings nicht jeder empfinden. Aber jedenfalls keine unangenehmen Klänge, sondern ätherisch, "spacige" Entfaltungen.


    Es gibt m.E. in fast jeder Epoche Musik sehr unterschiedlicher Stimmung. Wer anderes wahrnimmt, hat Nachholbedarf, da er entweder nur einen zu kleinen Ausschnitt kennengelernt oder die Musik noch nicht ansatzweise erfaßt hat.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    die Anwendung moderner Mittel (Computertechnik, Atonalität, Klanginseln) weit verbreitet ist.


    Atonalität als "modernes Mittel" ist ein guter Witz.
    :hahahaha:

    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es gibt m.E. in fast jeder Epoche Musik sehr unterschiedlicher Stimmung. Wer anderes wahrnimmt, hat Nachholbedarf, da er entweder nur einen zu kleinen Ausschnitt kennengelernt oder die Musik noch nicht ansatzweise erfaßt hat.


    Herrlich. So schön arrogant das "noch nicht ansatzweise".
    :jubel:

  • Zitat

    Original von Marc
    Ich vermute, dass diese -vielleicht etwas unscharfe Frage- drei verschiedenen "Fraktionen" sich positionieren lässt


    Bei den drei Fraktionen finde ich weder mich noch die anderen hier herumpostenden Leute so recht getroffen.


    Ich sehe das Vokabular wesentlich einfacher.


    "modern" ist immer abhängig vom Entstehungsdatum. Manchmal sind Komponisten mit 20-30 relativ modern (zumindest so halbwegs "auf der Höhe der Zeit") und im hohen Alter, wenn sie etwa noch genauso komponieren, altmodisch.


    Dabei sehe ich "modern" aber immer im Hinblick auf etwa maximal ein Jahrhundert. Gesualdo als "modern" zu sehen, weil 300 Jahre später etwas entfernt Ähnliches in der Harmonik passierte, finde ich eher irreführend. Auch bei Beethoven ist die Modernität vor allem sinnvoll im Vergleich zu seinen Zeitgenossen zu sehen und dann im Hinblick auf die Entwicklung bis Mahler - zu Schostakowitsch oder Rihm zu schielen, halte ich dann für nicht mehr sehr erfolgsversprechend.



    "zeitgemäß" ist für mich eine abgeschwächte Variante von "modern".


    "modisch" und "zeittypisch" ist dann wieder etwas Anderes. "zeitlos" gibt es gar nicht. "zeitgenössisch" heißt nur gegenwärtig oder zeitnah zur Gegenwart, und das sind auch "Stilkopien" von Werken alter Meister und Fälschungen historischer Werke. Ich verwende den Begriff "zeitgenössisch" überhaupt nicht, ich sage dann lieber "aus den letzten 20 Jahren" oder ähnliches Konkretes.


    "vorwegnehmen" ist ein an sich schon verfälschender Begriff. Wenn etwas "vorweggenommen" wird, dann ist es schon zum Zeitpunkt der "Vorwegnahme" da. Wenn, dann läßt sich irgendein konkreter Aspekt "vorwegnehmen", aber keine Zeit ("Musik, die die heutige Zeit vorwegnimmt" ist Unsinn).


    "Neuerungssprünge" gibt es nicht, nur Schritte, unter denen aber manche deutlicher und die meisten sehr schwer einzugrenzen sind. Man nenne einen "Neuerungssprung" und der Kenner des Umfelds wird beweisen können, dass das ein Irrtum war.


    "Fortschritt" gibt es in der Kunst keinen. "messbar" ist auch nichts (außer irgendwelche irrelevanten äußerlichen Daten).


    Soweit mein Wort zum Dienstag.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Dennoch verstehe ich den Unterschied, auf den oben abgezielt wird, nicht recht. Zumal als Kriterium nur äußerst subjektive Reaktionen (abreagieren, reinwaschen usw.) verwendet werden. Damit kommt man m.E. nicht weit.


    Du verstehst ihn deshalb nicht, weil ich (als Verfasser des Eingangsposts) ihn nicht verstehe, bzw. nicht in der Lage bin, eine sagen wir halbwegs "musikwissenschaftliche" Definition vorzunehmen, um diese wiederum halbwegs wissenschaftlich abzugrenzen. Also ich müsste z.B. selbst erstmal googlen, um jemand den Unterschied zwischen Zwölftonmusik und Atonalität zu erklären.


    Die Länge des Beitrags sollte also auch nicht den enthaltenen Fragecharakter überdecken. Ansonsten besteht bei dem Versuch, die ohnehin schwer greifbare Musik dann noch anhand von Beispielen und emotionalen Wirkungen etc. zu beschreiben, natürlich die Gefahr, dass man sich zusehr an einigen dieser Wendungen aufhängt.


    Es geht mir also nicht nur um Brutalität, Ekel und Aggression, sondern um ein größeres Spektrum an sich negativer, nachdenklicher, melancholischer Gefühle - zu denen ich Messiaens Betrachtungen über das Jenseits ebenso zählen würde, wie den Charakter der Vingt Regards. Messiaen finde ich übrigens auch deshalb interessant, weil es bei ihm so eine offenkundige Gleichzeitigkeit von Modernismus und von Katholizismus gibt. (Eine Religion übrigens, in der das Leiden ohnehin einen großen Stellenwert hat.)


    Ligeti hingegen gehört dann erwartungsgemäß nicht gerade zu meinen Lieblingskomponisten. Natürlich hat er einzelne Werke geschrieben, die meine "These" in Gefahr bringen könnten, das Klavierkonzert z.B., oder das Doppelkonzert für Flöte und Oboe, aber Atmospheres, Lontano, Lux Aeterna: würdest du sagen, dass das diese Stücke eine positive Stimmung vermitteln? Also ätherisch, spacig, wohlklang usw. stehen für mich nicht im Widerspruch zu dem "Negativen" - ansonsten müsste ich wohl auch Messiaen aus der Liste meiner Favoriten streichen.


    Was für mich allerdings in einem Widerspruch zu stehen scheint, ist "Moderne" und so etwas Verkitschtes, Simples ... Minimalistisches vielleicht. Deswegen habe ich auch meinen Beitrag von vorhin noch editiert, weil zwischen "zeitgemäß" und "modern" keine Differenz bestehen muss, aber je nach Zuschreibung eine Differenz bestehen kann und das, was zeitgemäß ist, nicht modern seien muss, sondern - du sagst es: eben "Postmodern", der aber natürlich wie viele dieser Postbegriffe (Postfeminismus, Postmarxismus, 'Poststrukturalismus', Postsäkularismus...) oft mehr Fragen als Antworten aufwirft.


    Ansonsten finde ich die "schöne Arroganz", die den KSM hier so erfreut, naturgemäß jetzt nicht so verneigenswert, und das weniger wegen dem Angriff auf mich, als schlicht wegen der Tatsache, dass ich ermüdet bin von dem Vorwurf, ein Nicht-Gefallen sei auf ein Nicht-Erfassen zurückzuführen. Jedenfalls wird natürlich versucht, unterschiedliche Stimmungen zu vermitteln, aber ich für meinen Teil muss nunmal sagen, dass mich eben nur ein begrenzter Teil dieser Stimmungen hier anspricht.


    Zurück :hello:: Marc

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Zitat

    Original von Marc
    Was für mich allerdings in einem Widerspruch zu stehen scheint, ist "Moderne" und so etwas Verkitschtes, Simples ... Minimalistisches vielleicht.


    "verkitscht", "simpel" und "minimalistisch" sind jetzt aber extrem unterschiedliche Kategorien.


    Urteile bezüglich "Kitsch" will ich keine fällen. Es gab Zeiten, wo ich späten Boulez ziemlich kitschig fand.


    Ist "Simplizität" gleich "Einfachheit"? Ist "Kompliziertheit" gleich "Komplexität"?


    Nein.


    Strenger Minimalismus wie Reich bis 1970 oder Pärt im reinen "Tintinnabuli"-Stil hat vielleicht Einfachheit, ist aber nicht simpel. Ob die Einfachheit der Anlage weit weg ist von der Anlage von Stockhausens "Gruppen" oder anderen sehr kompliziert klingenden Werken, ist ohne detaillierte Analyse erstmal unklar. Ob die "Kontakte" (Stockhausen) in ihrer etwas schwülstigen spätseriellen Atmosphäre oder das minimalistische radikal-konsequente "Piano-Phase" (Reich) moderner ist, ist auch eine gute Frage.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Es gab Zeiten, wo ich späten Boulez ziemlich kitschig fand.


    Hm. Zum Beispiel?

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Ist ja schon wieder die übliche Bagasche beinander. :hello:


    @KSM: Was ist denn mit der Atonalität als modernes Stilmittel wieder falsch? Damit schließe ich doch nicht aus, dass es sie früher nicht gegeben hat. Es geht doch um die Kombination der Stilmittel miteinander. Oder hatte Mahler für seine 7. auch schon einen Computer :stumm:?


    Ansonsten: Wollen wir Marc nicht helfen, das an sich interessante Thema mal ein wenig zu konkrteisieren? Der arme Mann verzweifelt ja schon an sich selber:


    Zitat

    Du verstehst ihn deshalb nicht, weil ich (als Verfasser des Eingangsposts) ihn nicht verstehe, bzw. nicht in der Lage bin, eine sagen wir halbwegs "musikwissenschaftliche" Definition vorzunehmen, um diese wiederum halbwegs wissenschaftlich abzugrenzen.


    Noch eine kleine Anmerkung, lieber Marc:

    Zitat

    Katholizismus gibt. (Eine Religion übrigens, in der das Leiden ohnehin einen großen Stellenwert hat.)


    Das gilt eher für die Protestanten. Für die Katholiken ist Ostern der höchste Feiertag, wegen der Wiederauferstehung.
    Für die Protestanten ist Karfreitag der höchste Feiertag, weil Jesus die Sünden der Menschen auf sich geladen und für sie gestorben ist.
    Ich will jetzt nich zu sehr in der Religion herumgraben, hat auch mit dem Thema nichts zu tun.
    Messiaens Glaube drückt sich in einem Urvertrauen in die Rechtmäßigkeit des Handelns aus, da Gott den Weg bahnt. S. zB Quatuor pour le fin du temps, das in Kriegsgefangenschaft entstand.


    Ich finde außerdem, dass Ordnung bei der Themenbearbeitung walten sollte. Nicht-Gefallen, Nicht-Erfassen und Nicht-Interesse sind drei völlig verschiedene Punkte, die sich nur schwer vereinen lassen.


    Kritik an einer Kunstrichtung aus der Basis des Nicht-Gefallens heraus zu äußern, ist unergiebig, da nicht widerlegbar.
    Andererseits kann ich mich nicht damit abfinden, wenn jemand, der Kritik an einer bestimmten Sache äußert, als nicht ausreichend intellektueller Rezipient ("Nicht-Erfasser") abgetan wird. Man kann sich mit Kunst lang auseinander setzen und sie trotzdem nicht gut finden.
    Wenn man an einer Kunstrichtung oder Epoche schlicht nicht interessiert ist, kann man über sie meist wenig sagen, würde aber auch nicht über sie diskutieren.


    Zitat

    "Moderne" und so etwas Verkitschtes, Simples ... Minimalistisches vielleicht


    Darin erkenne ich allerdings keine Problematik. Ist Kitsch nicht modern? Sind Schlichtheit, Simplizität nicht modern?

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    @KSM: Was ist denn mit der Atonalität als modernes Stilmittel wieder falsch?


    Du hast es in Hinblick auf zeitgenössische (also gegenwärtige) Musik formuliert.
    Das wäre so, als würde man bei Brahms die Funktionsharmonik als modernes Stilmittel ansehen.

  • Zitat

    Original von Marc


    Hm. Zum Beispiel?


    Diese Trompeten-Einwürfe in Répons. Das war für mich Hollywood pur.
    Und all dieser virtuose Wohlklang ...


    Aber ich denke, heute sehe ich das anders. Trotzdem muss ich jetzt Répons nicht unbedingt haben.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Der arme Mann verzweifelt ja schon an sich selber.


    :D Ach, ich meinte das gar nicht so verzweifelt - aber wenn man nicht in der Lage ist, eine halbwegs wissenschaftliche Analyse vorzunehmen und auf ein entsprechendes Vokabular zurückgreifen kann, dann muss man eben versuchen, sich mit anderen Mitteln zu helfen - was, vermute ich, ein Gutteil der hiesigen Foristen ebenso tun.


    Zitat

    Kritik an einer Kunstrichtung aus der Basis des Nicht-Gefallens heraus zu äußern, ist unergiebig, da nicht widerlegbar.


    Das ist halt auch ein weites Feld, schon die Frage, inwiefern eine wirklich objektive Begründung und eine gleiche "Widerlegung" im Feld der Kunst denn möglich ist, inwiefern es überhaupt nötig ist, so eine "Möglichkeit der Widerlegung" einzubauen, wenn es nicht um Theoriebildung u.dgl. geht, sondern um den Ausdruck dessen - was, nunja: gefällt oder nicht. Man muss dann halt versuchen (s.o.) das Nicht-Gefallen irgendwie in Worte zu fassen, was natürlich oft sehr schwer ist und dazu einlädt, ein Vokabular zu verwenden, das dann entweder abgenutzt ist oder Anlaß zu den eigentlichen Diskussionen gibt. :D

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

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  • ...unsereiner (für die klass.Musik des vergangenen Jhrdt`s mehrheitlich NICHT unverständlich, ärgerlich oder weit schlimmeres ist)
    - unsereiner ist ja manches gewohnt...


    In meiner Jugend war es fast schon etwas Mode (und auf Dauer eher langweilig :D), gesagt zu bekommen,
    daß man wohl etwas "gehirnkrank" sein müsse, um "sowas" zu mögen...



    Ich hab mich auch dran gewöhnt, begeistert von mich prägenden Opern- und Konzerterlebnissen zu erzählen/zu schreiben...


    (Fortners "Bluthochzeit" unter Horres`Regie, ca. 87/88 in Duisburg)
    (Dessaus "Verurteilung des Lukullus" unter Hilsdorfs`Regie, ca. 96/98 in Essen)
    (Ustvolskayas "Komposition I.-III." mit dem Schönberg-Ensemble Amsterdam, ca. 94 in Witten)
    (Boulez`2.Klaviersonate mit der unglaublichen Tamara Stefanovich, `04 in Duisburg)


    ....und damit bestenfalls auf Unverständnis oder Ratlosigkeit zu stoßen
    FLASCHENPOST eben (S. auch mein Beitrag über besagtes Adorno-Zitat, das ich ja als ProfilText verwendet habe)



    Manchmal mag ich aber auch nicht mehr - z.B. bei einer derartigen Undifferenziertheit...................
    Wenn München nicht gar so weit weg wäre, würde ich Melisma an einen neutralen Ort ihrer Wahl bitten
    - und falls ich ihr nicht unheimlich bin :P, hören wir dann bei mir einige Minütchen von Henzes "Shakespeare-Studien für Gitarre solo"
    und von seiner "Elegie für junge Liebende"
    "Lärm und Getöse" ? TSSSSSSSSSSSS


    Angenommen ich schriebe über München
    "Nichts als fesche Dirndl, Löwenbräu-Gedudel und altes Bier"
    ;)



    AN DIE EXZELLENZEN ADMINISTRATORES ET MODERATORES
    ... für obiges gibt es PN`s schon wahr schon wahr
    - aber ich denke (mal wieder) nicht zuletzt an unsre anonymen Mitleser, die mitunter mgl.erweise fix querlesen
    und eher nur die knappen bzw. leichter zu erfassenden Beiträge erfassen
    DIE mögen so eine Undifferenziertheit wie die hier von mir bekrittelte bittschön nicht übernehmen....
    - ALSO lassen wirs stehn ja? :)


    micha gubaimann

  • Zitat

    Original von Marc


    Du verstehst ihn deshalb nicht, weil ich (als Verfasser des Eingangsposts) ihn nicht verstehe, bzw. nicht in der Lage bin, eine sagen wir halbwegs "musikwissenschaftliche" Definition vorzunehmen, um diese wiederum halbwegs wissenschaftlich abzugrenzen. Also ich müsste z.B. selbst erstmal googlen, um jemand den Unterschied zwischen Zwölftonmusik und Atonalität zu erklären.



    Den mußt Du nicht erklären, den kann ja jeder selbst nachlesen. Ich fürchte aber, ich habe immer noch nicht recht verstanden, worauf es hinaus soll. Du stellst eine gewisse kathartische Wirkung bei einigen Werken fest. So weit, so gut. Jetzt soll diese Wirkung irgendwie als Hinweis auf Zeitgemäßheit gegenüber bloßem Zeitgenössischsein genommen werden? Oder nur in den 1960er Jahren?


    Zitat


    Es geht mir also nicht nur um Brutalität, Ekel und Aggression, sondern um ein größeres Spektrum an sich negativer, nachdenklicher, melancholischer Gefühle - zu denen ich Messiaens Betrachtungen über das Jenseits ebenso zählen würde, wie den Charakter der Vingt Regards. Messiaen finde ich übrigens auch deshalb interessant, weil es bei ihm so eine offenkundige Gleichzeitigkeit von Modernismus und von Katholizismus gibt.



    Nun sehe ich Melancholie und Nachdenklichkeit nicht als an sich negatives. Und ich sehe die Dominanz "negativer Emotionen (welcher auch immer) in der neuen Musik nur sehr bedingt. Es mag Richtungen geben, auf die es zutrifft. Messiaen m.E. aber ganz und gar nicht. Das im Gefangenlager entstandene Quatuor... enthält sehr "positive" Musik (spontan fallen mir die Sätze mit Violine u. Cello solo ein, auch der "Abgrund der Vögel", es ist m.E. keine schreckliche Apokalypse.


    Zitat


    aber Atmospheres, Lontano, Lux Aeterna: würdest du sagen, dass das diese Stücke eine positive Stimmung vermitteln? Also ätherisch, spacig, wohlklang usw. stehen für mich nicht im Widerspruch zu dem "Negativen" - ansonsten müsste ich wohl auch Messiaen aus der Liste meiner Favoriten streichen.


    Ich finde es schwierig, diese emotionale Charakterisierung überhaupt nachzuvollziehen. Es mag ebenfalls einseitig sein, aber sich sehe diese Stücke eher als "abstrakte Klangfantasien", nicht besonders expressiv. (Boulez' Klaviersonaten kenne ich zu schlecht, ebenso seine anderen Werke, obwohl ich einige auf CD besitze, aber auch hier wären mir das "Negative" nicht eingefallen.


    Zitat


    Ansonsten finde ich die "schöne Arroganz", die den KSM hier so erfreut, naturgemäß jetzt nicht so verneigenswert, und das weniger wegen dem Angriff auf mich, als schlicht wegen der Tatsache, dass ich ermüdet bin von dem Vorwurf, ein Nicht-Gefallen sei auf ein Nicht-Erfassen zurückzuführen.


    Ich wollte weder arrogant sein noch dich angreifen. Dennoch bin ich der Überzeugung, daß wer solche Charakterisierungen vornimmt, entweder einen einseitigen Ausschnitt kennt oder sich eben noch nicht genügend auf eine Klangsprache eingestimmt hat (und ich nehme mich selbst hier keineswegs aus!) Wie gesagt, kenne ich die Musik der letzten 50 Jahre zu bruchstückhaft; es mag daher sein, daß mich die verkehrten Beispiele in ähnlicher Weise wie Dich einseitig beeinflußt haben. Aber auch bei der Musik des Expressionismus oder der 12-Tonmusik liest man oft, die sei nur tauglich, Verzweiflung usw. auszudrücken. Das ist m.E. einfach falsch. Man hört unaufgelöste Dissonanzen, die man bei anderer Musik mit bestimmten Emotionen verknüpft hat und meint nun, daß müsse hier auch so sein. Es kann so sein, es gibt sicher emotional äußerst angespannte Werke, aber auch eher spielerische (1. Satz der Lyr. Suite oder diese Klaviersuite mit Barockformen von Schönberg).


    Zitat


    Jedenfalls wird natürlich versucht, unterschiedliche Stimmungen zu vermitteln, aber ich für meinen Teil muss nunmal sagen, dass mich eben nur ein begrenzter Teil dieser Stimmungen hier anspricht.


    Unbenommen. Man wird sich hüten, Dir vorzuschreiben, was Dich anspricht. Ich würde mich aber aus dem Fenster lehnen und behaupten, daß etliche Stücke wie die o.g. von Ligeti (oder auch Stockhausens "Gruppen", was ich aber nur ein- oder zweimal gehört habe und nicht behaupten kann zu kennen) nicht naheliegenderweise als Ausdruck von Emotion erfaßt werden müssen.
    (Damit will ich keineswegs abstreiten, daß Du etliche der von Dir genannten Stücke, Nono usw., sehr richtig, auch in ihrem emotionalen Ausdruck erfaßt hast; mir schien hier aber eine unzulässige Verallgemeinerung vorzuliegen.)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)