Brahms: Paganini-Variationen, op. 35. Welche Aufnahme ?

  • Liebe Taminoianer ,
    mich interessiert , wer sich von Euch mit diesem grossartigen Werk von Johannes Brahms näher befasst und und welche Aufnahmen Ihr besonders schätzt und warum ?
    Besten Dank für Eure Antworten !
    Herzliche grüsse


    Frank
    PS: Meine Lieblimngseinspielungen sind:
    > Benedetti - Michelangeli
    > Emi Gilels ( Live 1984 ; Japan )
    > Julius Katchen

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Sagitt meint:


    Katchen hat die Variationen zweimal eingespielt. Verfügbar ist nur noch die spätere Version, die damals bei der Decca erschien. 1959 bereits hatte er die Variationen für Columbia,England, eingespielt. Eine heute natürlich nicht mehr erhältliche Aufnahme, aber die bessere von beiden, weil transparenter im Spiel. Weniger Pedal läßt die Virtuosität besser heraustreten.
    Schade, dass so viele Virtuosen an diesen Variationen vorbeigehen. M.W. hat allerdings Cziffra sich darüber hergemacht- aber das Stück war für ihn nicht schwer genug- gescheitert.

  • ich finde die aufnahme von ugorski bei der dg nicht schlecht, kann sie aber nicht mit den anderen vergleichen ?(

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Brahms Paganini-Variationen kenne ich gut, mit Plattenaufnahmen dieser Variationen kenne ich mich leider nicht aus.


    Es ist ja überhaupt kurios, daß Brahms (!) Paganini-Variationen geschrieben hat.
    In einem Brief an Clara Schumann schreibt er:


    ...doch vielleicht hast du eine freie Stunde, die Sachen durchzuklimpern, und vielleicht noch eine, mir ein Wort zu schreiben, namentlich ob es einen ungefähren Sinn und Zweck hat, wenn ich die Variationen (2 Hefte) herausgebe.


    Wegen Brahms offensichtlich bewußt antivirtuoser Kompositionsweise sind die Stücke nicht wirklich angenehm zu spielen und auch die Relation zwischen Übaufwand und Effekt auf die Hörer ist nicht besonders günstig. Trotzdem findet sich hin und wieder ein Pianist, der die Plage auf sich nimmt... :stumm:


    Gruß
    Heinz

  • Lieber Sagitt ,


    richtig : Cziffra hat sich hochvirtuos eingespielt . Es ist eine der vielen facettenreichen Aufnahmen dieses Ausnahme-Virtuosen , der aber auch so herrlich Moart (!) , Rameau oder Lully spielen konnte.


    Danke für den Hinweis zum früheren Katchen . Deine Argumentation mit dem Pedalgebrauch ist zutreffend .


    Viele Grüsse


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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  • Lieber Heinz ,
    ich bin in meinem unordentlichen Archiv fündig geworden : Claudio Arrau hat sich dieser Plage unterzogen . Er spielt diese vertrackten 2 Bücher / Hefte sehr erdig und stellt den Gegenpol zu Cziffra oder Michelangeli dar .
    Da Du das Werk so gut kennst und auch Brahms Selbsteinschätzung parat hast : Kannst Du uns erklären , begründen ( oder widerlegen ! ) ob und warum es Sinn macht , Teile der beiden Hefte durcheinander zu bringen oder gar Stücke wegzulassen ? Ist das Deiner Meining nach werkgerecht oder doch eher unorganisch willkürlich ?
    Vielen Dank für Deine Mühen !
    Grüsse
    Frank :] :] :] :] :]

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Wie ich eben erst bemerke, hat Frank vor fast einem Monat eine Frage an mich gestellt. Sorry Frank, daß ich bisher nicht darauf reagiert habe, war keine Absicht.


    Aus der Tatsache, daß Brahms seine Paganini-Variationen in zwei Hefte verteilt hat, ergibt sich schonmal ein grundsätzliches Problem:
    sollen die beiden Teile überhaupt an einem Stück gespielt werden? Jeder der beiden Teile ist so aufgebaut, daß er mit dem (identischen) Paganini-Thema beginnt, worauf dann jeweils 14 Variationen folgen. Die vierzehnte Variation eines jeden Teils ist dabei ein großes Finale, sie ist wesentlich umfangreicher als die anderen Variationen und triumphiert mit besonderen Virtuoseneffekten auf (hier trifft meine Bemerkung von der antivirtuosen Kompositionsweise natürlich nicht zu).


    Eigentlich macht eine komplette Aufführung der beiden Hefte hintereinander keinen rechten Sinn. Der Spannungsverlauf des Ganzen ist dann ziemlich unlogisch. Daher könnte man schon auf den Gedanken kommen, die Variationen umzusortieren. Dann gibts aber immer noch das Problem mit den beiden Finali. Eine ziemlich vertrackte Geschichte, die man sich am besten erspart, indem nur entweder das 1.
    oder das zweite Heft spielt.


    Nette Grüße
    Heinz

  • Lieber Heinz ,
    von den vier verschiedenen Aufnahmen , die ich gut kenne ( Gilels , Michelangeli , Katchen , Duchable ) hält es jeder anders .
    Ich konnte auch in der Literatur nur finden , dass das "vermengen der beiden Bücher ebenso zulässig ist wie das eglassen einzelner Stücke . Allerdings nicht der schwierigsten Teile " .
    Michelangeli macht nun beides , was die innere Logik des Werkes o d e r der Werke nicht zwingender macht .
    Unter Zusammenfassung aller Gesichtspunkte bleibt meine Meinung :
    1. Jedes Heft sollte für sich und insgesamt gespielt werden ;
    2. Weglassen einzelner Teile der beiden Hefte ist durch nichts begründet , was Brahms uns hinterlassen hat ( eine ähnliche Situation finden wir übrigens auch inkonsequent bei Schumanns "Fantasiestücken" ) . DasWer käme auf den Gedanken , zB. den ersten Satz der 5ten von Beethoven oder den zweiten Satz seiner "Eroica" wegzulkassen , weil dieser Satz dem Dirigenten oder gar Orchester "nicht liegt , nicht gefällt" ) ?
    Danke für Deine Antwort und Grüsse nach Stuttgart
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Hallo Frank,


    ich würde mir von einer Pogorelich-Aufnahme der Paganini-Variationen sehr viel versprechen. Die Brahms Klavierstücke von ihm gefallen mir außerordentlich gut. Aber ich weiß, dir gefallen sie garnicht :wacky:


    So unterschiedlich können eben die Geschmäcker sein...


    Gruß
    Heinz

  • Lieber Heinz ,
    ich weiss nicht , ob und wie Pogorelich die Paganini-Variationen von Brahms spielen würde . ich habe I.Ps Ton im Ohr . Aber das ist etwas anderes als das Werk insgesamt zu hören .
    Ich würde , hätte ich einen Einfluss , von ihm etwa die Mondschien-Sonate , die Pathétique oder opus 110 sehr gerne hören . So wie viles von Scriabin .
    Pogorelich macht sich rar oder wird durch die Firmen zusammengestutzt.
    Sein Frankreich-Manager Monsieur Michel Glotz dürfte mehr darüber wissen .
    Adresse erhältlich unter http://www.musicaglotz.com .
    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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  • Gesucht und gefunden:


    wunderschön gespielte Paganini-Variationen von einem Pianisten der mittleren Generation. Keine Knochenarbeit, sondern eine sehr musikalische, farbige und fantasievolle Darstellung. Daß die 2CD-Box von Brillant Classics zu einem Schleuderpreis verscherbelt wird, freut einerseits den Geldbeutel, steht aber in krassem Kontrast zur Spitzenqualität der Aufnahme. (Hinweis an Frank: Die Paganini-Variationen werden vollständig und in der Original-Reihenfolge gespielt!).


    Wolfram Schmitt-Leonardy, Jahrgang 1967, ist Schüler von Alexander Sellier, Robert Leonardy, Adrian Aeschbacher, Michael Ponti und Bernd Glemser.

  • Lieber Heinz ,
    ich danke Dir sehr für diesen Hinweis .
    Es ist schade , dass dieser Künstler wohl kaum PR-Unterstützung hat .
    Dass er die Paganini-Variationen "richtig" in der Reihenfolge spielt , überzeugt mich schon bevor ich die Aufnahme gehört habe !
    Besten Dank , ein schönes Wochenende !
    Frank :hello: :hello:

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • hallo,


    live hörte ich die variationen, undzwar beide hefte, vor vielen jahren von dem kempff-schüler und brahms-spezialisten detlev kraus, robust und transparent. noch filigraner im anschlag empfinde ich arraus und duchables plattenaufnahmen, die neben arturo benedetti michelangelis mono-aufnahme IMO die beeindruckendsten interpretationen darstellen, da sie klang und struktur wunderbar vereinen.


    die aufnahme mit oppitz ist pianistisch exzellent, aber klangtechnisch zu direkt. weitere vor allem 'alla bravura'-interpretationen: julius katchen, der teenager dimitris sgouros und evgeny kissin.


    gruß, siamak

    Siamak

  • Hallo allerseits!
    Bin neu hier und grüße euch alle herzlich!


    Was Klaviermusik von Brahms betrifft - auch die Paganini-Variationen - kann ich nur wärmstens den leider viel zu wenig bekannten Dresdner Pianisten Peter Rösel empfehlen!
    Seine Gesamtaufnahme des Brahms`schen Solo-Klavierwerks auf 5 CDs bei Berlin Classics gehört klangtechnisch (Aufnahmen aus der Dresdner Lukaskirche aus den 70er Jahren) und interpretatorisch ganz weit nach oben.
    Seit ich Rösel (auch live mit dem 2. Brahms-Konzert) gehört habe, bleibt Oppitz bei mir im Regal stehen.


    Gruß!
    CRC

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

    2 Mal editiert, zuletzt von CRC ()

  • Hallo,


    weil wir gerade beim Fragen sind. Vor zwei, drei Jahrzehnten gab es für den gesamten Brahms eigentlich nur einen Namen - Julius Katchen. Danach kam lange nichts, und dann nur einzelne Superplatten (z.B. Gould oder Michelangeli). Wie wäre dies heute einzuschätzen?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Original von Theophilus
    weil wir gerade beim Fragen sind. Vor zwei, drei Jahrzehnten gab es für den gesamten Brahms eigentlich nur einen Namen - Julius Katchen. Danach kam lange nichts, und dann nur einzelne Superplatten (z.B. Gould oder Michelangeli). Wie wäre dies heute einzuschätzen?


    Ich als Nicht-Pianophiler halte die Box mit Katchen bei Decca für erstklassig. Danach kommt auch heute immer noch lange nichts (m.E. z.B. Opitz erst ziemlich lange dahinter). Aber ich bin bei dieser Musik gewiß noch weniger Experte als sonstwo. Die Gould-Aufnahme der späten Stücke ist auch sehr hörenswert (erstaunlich "ungouldsch" :D ), ebenso Rubinstein in der 3. und Richter in den beiden ersten Sonaten.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Sagitt meint:


    Diese Liste sollte unbedingt ergänzt werden. Zimerman hat die Sonaten grandios eingespielt,interessant-mindestens- Ugorski. Eine großartige Brahmsinterpretin ist Helene Grimaud ( leider hat sie uns in Bremen gerade ihre Interpretation des B-Dur Konzertes vorenthalten). In diese Reihe gehört ebenfalls Elisabeth Leonskaja oder auch Kissin.Sehr eindrucksvoll mit dem ersten Konzert und den Händelvariationen Bruno Leonardo Gelber.
    Katchen hat frühe Maßstäbe gesetzt, aber singulär,nicht erreichbar sind die Interpretationen nicht.
    Seine Aufnahmen der beiden Konzerte,vor allem das erste mit Monteux gehören allerdings auch zu den Topaufnahmen.

  • Hier ein interessanter Vergleich von 15 Pianisten, wie die Variation Nr. 14 aus Buch 1 meistern - oder auch nicht. Unbedingt den Schluss mit Lilya Zilberstein verpassen.



    Seit dem letzten Beitrag zu diesem Thread ist viel Zeit vergangen. Gibt es neue Favoriten der Variationen eurerseits?


    Was mich wundert beim Hören der Wiedergabe des Themas: Einige Pianisten spielen es sehr trocken und staccato, andere (wie Kissin und Zilberstein) lyrisch und ausschwingend. Abgesehen davon, dass mir letzteres deutlich mehr zusagt: Ist das im Notentext nicht festgelegt?


    Gutes Hören

    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Beim Abhören dieses interessanten Videos fiel mir wieder auf, was mir schon bei der ersten Begegnung mit dieser Musik Schwierigkeiten machte. Es scheinen mir sehr viele Noten für sehr wenig Musik zu sein :untertauch:. Bei aller Hochachtung vor Brahms, das scheint mir keines seiner wirklichen Meisterwerke zu sein. Variation 14 gibt natürlich nicht alles her ...


    Ich hatte meine ersten Aufnahme dieser Variationen auf Platte, noch von Tamás Vásáry gespielt. Meine Platte ist verstaut und ich finde die Einspielung nicht auf CD und kann leider auch das Cover nicht über discogs zur Verfügung stellen. Zum Unglück der Paganini Variationen waren auf dem Doppelalbum auch die Händel-Variationen desselben Komponisten und mein Interesse schlug sofort und dauerhaft um ... ;)


    Zwei Einspielungen zum Vergleich (Die Noten sind dabei!)


    Evgeny Kissin



    und György Cziffra, der zum etwas trockeneren Spiel neigt ...



    Neben den vollständigen Brahms-Einspielungen von Katchen, Rösel, Oppitz und Boyde gibt es noch eine jüngere von Geoffroy Couteau, einem Schüler von Béroff und Angelich. Ich habe aber bei allen diesen interessanten Projekten nicht den Eindruck, als wären die Paganini Variationen irgendwo einer der Höhepunkte der Einspielung gewesen ...



    Der Amerikaner Garrick Ohlsson fühlt sich Brahms auch stark verbunden und hat als erstes Album seines Vorhabens die Variationen eingespielt. Dieses Album sollte man auf jeden Fall auch einmal hören


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  • Beim Abhören dieses interessanten Videos fiel mir wieder auf, was mir schon bei der ersten Begegnung mit dieser Musik Schwierigkeiten machte. Es scheinen mir sehr viele Noten für sehr wenig Musik zu sein :untertauch: . Bei aller Hochachtung vor Brahms, das scheint mir keines seiner wirklichen Meisterwerke zu sein.

    Da bin ich allerdings entschieden anderer Meinung. Zum Verständnis der Paganini-Variationen muss man zuerst ihren Titel "Studien für Pianoforte" beachten, der sie von allen anderen Brahmsschen Variationszyklen unterscheidet. Klaviertechnische Aspekte sind hier deutlich in den Vordergrund gerückt: Doppelgriffe, Triller mit den Außenfingern, Übergreifen der Hände, Oktavpassagen einschließlich Oktavglissando, Terzenläufe und so weiter, alles das wird in einzelnen Variationen beispielhaft und mit manchmal fast kühler Strenge behandelt. Z.B. steigern die beiden ersten Doppelgriff-Variationen noch die herbe Strenge des Themas, indem sie dessen melodische und rhythmische Elemente nicht wie üblich erweitern sondern im Gegenteil ganz zugunsten der virtuosen Aussage verschwinden lassen. Das simple harmonische Gerüst ist das einzige, was diese Variationen noch mit dem Thema verbindet, allerdings mit einer bemerkenswerten und folgenreichen Ausnahme: Anstelle des verminderten Dreiklangs im viertletzten Takt des Themas (d-h-f) steht in beiden Variationen der Neapolitaner d-f-b. Dieses winzige Detail öffnet in den nächsten Variationen immer mehr harmonische Räume, die hier quasi erst erarbeitet werden müssen, statt von vornherein offenzustehen. Das ist ein auch bei Brahms einzigartiges Variationskonzept, das ganz aus dem extrem reduzierten "Material" des Paganinischen Themas abgeleitet ist. Man kann sogar sagen, dass diese "Studien" sich nicht nur mit dem Thema sondern mit Paganinis über-virtuoser Erscheinung insgesamt beschäftigen. Das zeigt sich neben der extremen Virtuosität auch daran, dass Brahms das Thema und einzelne Variationen im "Violinstil" gesetzt hat, also einstimmig, mit arpeggierten Akkorden, mit schnellen Wechseln von "Auf- und Abstrich" uws.. In diesen Variationen (z.B. Nr. 3 im ersten und Nr. 6 sowie 8-10 im zweiten Heft) sind es also nicht "sehr viele Noten" sondern, gemessen an den Möglichkeiten des Klaviers, sehr wenige. Mit der allmählichen Entwicklung der harmonischen Freiräume wächst ganz allmählich auch der lyrische Ausdrucksgehalt der Variationen, bleibt aber immer durch die "Paganini-Strenge" eingegrenzt. Z.B. folgt auf den endlich erreichten, und deshalb umso berührenderen Ruhepunkt der beiden Variationen 11 und 12 im ersten Heft sofort das finstere Scherzando der 13. (Oktav-)Variation, die auch harmonisch wieder ganz dem Thema folgt. Auch der herrliche Walzer im zweiten Heft (Nr. 4) und die frei schwingenden und nur noch am Rande mit dem Thema verbundenen Kantilenen der 12. Variation (2. Heft) bekommen jeweils sofort danach einen dunklen und strengen Kontrapunkt. Diese extremen und spannungsreichen Kontraste haben übrigens schon Clara Schumann irritiert, die die Variationen deshalb nicht öffentlich spielen wollte. Sie schrieb an Brahms: "Die Kombinationen sind zu überraschend, für den Laien das erstemal ungenießbar." Und: "Nicht 'mal der Musiker kann all den originellen Verzweigungen und pikanten Wendungen folgen, und wieviel mehr steht dann das Publikum davor wie vor Hieroglyphen."

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Noch zwei kurze Ergänzungen:

    Seit dem letzten Beitrag zu diesem Thread ist viel Zeit vergangen. Gibt es neue Favoriten der Variationen eurerseits?

    Neben der alten Katchen-Aufnahme kommt die von Kissin meinem Ideal am nächsten. Spieltechnisch zugleich mit virtuosem Risiko und absolut souverän, die lyrischen Variationen textgenau und frei. Besser geht's meines Erachtens kaum.


    Was mich wundert beim Hören der Wiedergabe des Themas: Einige Pianisten spielen es sehr trocken und staccato, andere (wie Kissin und Zilberstein) lyrisch und ausschwingend. Abgesehen davon, dass mir letzteres deutlich mehr zusagt: Ist das im Notentext nicht festgelegt?

    Tja, was ist da "festgelegt"? Es steht da zwar am Anfang eine Staccato-Achtel mit anschließender Sechzehntel-Pause, aber ob das eher eine "technische Notation" ist, bei der man (wie Kissin) trotz Pause Pedal nimmt, ober eine "klingende Notation", bei der wirklich die Pause als Stille hörbar sein soll, ist eine offene Frage. Um sie plausibel zu beantworten, könnte man z.B. überlegen, wie so etwas auf der Violine klingt, die ja keine Dämpfer hat und bei der insbesondere leere Saiten deshalb normalerweise (d.h. wenn sich nicht aktiv mit den Fingern abgedämpft werden) nachklingen. Oder man geht vom Klavierklang und dessen Möglichkeiten aus. Beides ist möglich, und alles dazwischen auch.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Danke für die sehr interessanten Ausführungen. Tatsächlich finde auch ich Kissins Darstellung am „sprechendsten“.


    Gutes Hören

    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Da bin ich allerdings entschieden anderer Meinung. Zum Verständnis der Paganini-Variationen muss man zuerst ihren Titel "Studien für Pianoforte" beachten, der sie von allen anderen Brahmsschen Variationszyklen unterscheidet. Klaviertechnische Aspekte sind hier deutlich in den Vordergrund gerückt: Doppelgriffe, Triller mit den Außenfingern, Übergreifen der Hände, Oktavpassagen einschließlich Oktavglissando, Terzenläufe und so weiter, alles das wird in einzelnen Variationen beispielhaft und mit manchmal fast kühler Strenge behandelt. Z.B. steigern die beiden ersten Doppelgriff-Variationen noch die herbe Strenge des Themas, indem sie dessen melodische und rhythmische Elemente nicht wie üblich erweitern sondern im Gegenteil ganz zugunsten der virtuosen Aussage verschwinden lassen. Das simple harmonische Gerüst ist das einzige, was diese Variationen noch mit dem Thema verbindet, allerdings mit einer bemerkenswerten und folgenreichen Ausnahme: Anstelle des verminderten Dreiklangs im viertletzten Takt des Themas (d-h-f) steht in beiden Variationen der Neapolitaner d-f-b. Dieses winzige Detail öffnet in den nächsten Variationen immer mehr harmonische Räume, die hier quasi erst erarbeitet werden müssen, statt von vornherein offenzustehen. Das ist ein auch bei Brahms einzigartiges Variationskonzept, das ganz aus dem extrem reduzierten "Material" des Paganinischen Themas abgeleitet ist. Man kann sogar sagen, dass diese "Studien" sich nicht nur mit dem Thema sondern mit Paganinis über-virtuoser Erscheinung insgesamt beschäftigen. Das zeigt sich neben der extremen Virtuosität auch daran, dass Brahms das Thema und einzelne Variationen im "Violinstil" gesetzt hat, also einstimmig, mit arpeggierten Akkorden, mit schnellen Wechseln von "Auf- und Abstrich" uws.. In diesen Variationen (z.B. Nr. 3 im ersten und Nr. 6 sowie 8-10 im zweiten Heft) sind es also nicht "sehr viele Noten" sondern, gemessen an den Möglichkeiten des Klaviers, sehr wenige. Mit der allmählichen Entwicklung der harmonischen Freiräume wächst ganz allmählich auch der lyrische Ausdrucksgehalt der Variationen, bleibt aber immer durch die "Paganini-Strenge" eingegrenzt. Z.B. folgt auf den endlich erreichten, und deshalb umso berührenderen Ruhepunkt der beiden Variationen 11 und 12 im ersten Heft sofort das finstere Scherzando der 13. (Oktav-)Variation, die auch harmonisch wieder ganz dem Thema folgt. Auch der herrliche Walzer im zweiten Heft (Nr. 4) und die frei schwingenden und nur noch am Rande mit dem Thema verbundenen Kantilenen der 12. Variation (2. Heft) bekommen jeweils sofort danach einen dunklen und strengen Kontrapunkt. Diese extremen und spannungsreichen Kontraste haben übrigens schon Clara Schumann irritiert, die die Variationen deshalb nicht öffentlich spielen wollte. Sie schrieb an Brahms: "Die Kombinationen sind zu überraschend, für den Laien das erstemal ungenießbar." Und: "Nicht 'mal der Musiker kann all den originellen Verzweigungen und pikanten Wendungen folgen, und wieviel mehr steht dann das Publikum davor wie vor Hieroglyphen."

    Auch ich möchte mich für die Erläuterungen bedanken. Sie erklären mir ziemlich genau meine Schwierigkeiten. Auf der anderen Seite geben sie eben auch den Hinweis, wie ich die Variationen besser hören kann. Das zweite Heft gefiel mir von Anfang an besser. Das lag natürlich daran, dass ich die Entwicklung dieser Variationen nicht verstanden hatte.


    Ich habe mir mit Deinem Text noch einmal Ohlssons Einspielung angehört und war verblüfft, was man "mit der richtigen Einstellung" heraushören kann. Die Assoziation mit der Violine ist auch ausgesprochen hilfreich!