Darf Oper kitschig sein ?

  • Darf oper kitschig sein ?
    Oder ist das ein Tabubruch ?
    Ich stelle diese Frage obwohl ich die Antwort natürlch auch schon parat habe - aber ich verrate sie nicht - weil ich Euch den Spaß nicht verderben möchte.


    Wo beginnt Oper überhaupt kitschig zu werden ?
    MUSS Oper vielleicht sogar kitschig sein ?
    Ist es vielleich schon Kitsch wenn jemans mit eimen Dolch im Herzen SINGT, bevor er publikumswirksam ins Jenseits purzelt ?
    Eine Heldenarie - wirksam vorgetragen, ist das kitschig, pathetisch oder beeindruckend.


    Was ist erlaubt, was störend und was lächerlich...?


    Solte man jeglichen Kitsch aus der Oper entfernen ??


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn man als Gegenpart die heute so oft praktizierte nackte "Sachlichkeit" nimmt, dann sind mir kitschige Inszenierungen viel lieber.


    Ich freu mich schon auf eine Renaissance alter Opern mit Rauschebart, Speer und behörntem Helm...


    Oder einen wabbelbäuchigen Osmin...


    Oder einen federkleideten Papageno...


    Oder einen majestätischen Holländer...


    Oder einen geisterhaften Samuel...


    Oder wirklich pausbäckige Hänsel und Gretel...


    TBC ....

  • Lieber Alfred,


    beziehst Du den Kitsch auf das Sujet "Oper" oder auf die Aufführungspraxis?
    Und was ist Kitsch eigentlich?


    Kitsch sind für mich nicht einfach nur die pausbäckigen Engelchen und gurrenden Täublein. Das kann in Zusammenhang mit anderen Komponenten durchaus Kunst sein. Ich verurteile aber das Regietheater als Kitsch der übelsten und billigsten Sorte, weil es genau die Wirkung berechnet und das auf plakativste Weise.


    Viele Grüße,
    Knuspi

  • Natürlich darf Oper kitschig sein, da es keine Instanz gibt, die vorschreibt, wie Oper zu sein hat. Das heißt aber auch im Gegenschluss, dass Oper nicht kitschig sein muss. Davon abgesehen hat jeder wohl so seine eigene Art von Definition für Kitsch und auch in dieser Beziehung gilt für mich: Leben und leben lassen. Für mich persönlich ist Kitsch alles, was beim durchschnittlichen Betrachter/Zuhörer auf einfachstem Weg vor allem darauf abzielt, uneigentliche, minderwertige Gefühle wie Sentimentalität zu erzeugen. In der Musik etwa die im Bereich des sog. "Crossover" nicht zufällig so beliebten Tränendrücker wie das Gounodsche "Ave Maria" oder Francks "Panis angelicus", bei denen die zumeist "kongeniale" Vortragsweise nicht unwesentlich zum ästhetischen Missvergnügen beiträgt. Wobei Kitsch in Form einer bewusst ironisierten Kolportage oder als camp durchaus wieder künstlerischen Wert bekommen kann. Ich stelle mir gerade so vor, dass man etwa Kienzls "Evangelimann" sehr hübsch in dieser Richtung verhackstücken könnte :D ....


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Originaltext Knusperhexe:

    Zitat

    Kitsch sind für mich nicht einfach nur die pausbäckigen Engelchen und gurrenden Täublein. Das kann in Zusammenhang mit anderen Komponenten durchaus Kunst sein. Ich verurteile aber das Regietheater als Kitsch der übelsten und billigsten Sorte, weil es genau die Wirkung berechnet und das auf plakativste Weise.


    Liebe Knusperhexe, ich schließe mich Deiner Meinung voll und ganz an! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    Mit lieben Grüßen,
    Diotima. :hello:

  • Zitat

    Ich verurteile aber das Regietheater als Kitsch der übelsten und billigsten Sorte, weil es genau die Wirkung berechnet und das auf plakativste Weise.


    Nein ich sehe Regietheater, oder besser gesagt "Verfremdungstheater" nicht als Kitsch an - Im Gegenteil.


    Kitsch kan man ja auch(beinahe ) wertungsfrei betrachten.
    Ich versuche mal ene Definition.


    Kitsch ist unechte Kunst, idealerweise leicht übertrieben, aber stets gefällig und eingängig, hinterlässt bei oberflächlicher Betrachtung durchaus positive Eindrücke und vermag -das sollte man nicht vergessen, durchaus echte Gefühle beim geeigneten Empfänger auszulösen.


    Verfremdungstheater ist hingegen mehrheitlich ekelhaft und kalt, bzw wird es von einem großen Teil des Publikums so empfunden.


    Die berechnete Wirkung tritt ja in den meisten fällen nicht ein, es sei den, sie bestand darin die Abonnenten zu vergraulen.


    Zurück zum Thema:
    Ich meine, Kitsch ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Oper, und eigentlich aller Kunst. Es eist lediglich eine Dosierungsfrage.
    Bizet emfand das Auftrittslied Escamillos in "Carmen" durchaus als Kitsch - das Opernpublikum nach ihm war durchwegs anderer Meinung.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich setzte Kitsch - durchaus fragwürdig, aber auch nicht gänzlich daneben - mal mit Sentimentalität gleich...


    - da fällt mir die Unterscheidung ein, die Schiller (fragt mich bitte nicht, wo) zwischen Sentimentalität und Naivität vorgenommen hat:
    - - - Naivität enthält Natürlichkeit, Sentimentalität sucht sie - - -


    Im Buddhismus (bin ich halt nun mal ;)) zählt, wenn ich mich jetzt nicht sehr irre, Sentimentalität geradezu zu den "negativen Emotionen"...


    Kitsch/Sentimentalität ist imo eine Verschwendung guter Talente und eine Veräppelei des zahlenden Publikums !


    KLARO das ist die Theorie / die (auch Opern-)Praxis ist so unkomplex nicht...
    ...wäre wohl dann Thema für eine ganze Doktorarbeit......


    Der Komponist wird ja wohl Sentimentalität streifen dürfen
    (gibts imo selbst im letzten Jhdt, z.B. kleine Teile der Szene "Marie blättert in der Bibel" im "Wozzeck"),
    wenn im Einklang mit (Teilen) der Psyche der grade dargestellten Figur (was der Regisseur aber wohl besser nicht nochmal verdoppelt)
    Das Fingerspitzengefühl der Regie dürfte jedenfalls bei socher Teilzeit-Sentimentalität besonders gefordert sein...


    at last
    Mit Knuspis Hass aufs Regietheater kann ich schon gut leben (ich hoffe, er auch ;))
    - es als KITSCH zu bezeichnen halte ich allerdings für abenteuerlich.


    Tschö wa -
    mike

  • Es gibt offenbar objektiven Kitsch, wie die Gartenlaube, und Dinge, die gegen die Intention der Verfasser als kitschig empfunden werden.


    Möglicherweise empfand Bizet seinerzeit die Anbiederung an den Publikumsgeschmack, das Spanische Kolorit, die zündende Melodik als seinen hohen künstlerischn Idealen nicht ganz gemäß.


    Wir heute würden dagegen eine Carmen-Aufführung immer dann kitschig finden, wenn das ganze zu sehr an einen biederen deutschen Fasching (statt an Sevilla) erinnert.


    Kitsch wirkt ausschließlich unfreiwillg komisch und funktioniert daher bloß im sentimentalen, melodramatischen und tragischen Genre.


    Der am meisten unter Kitschverdacht stehende Opern-Komponist dürfte der Puccini von Bohème, Butterfly, Fanciulla, Agelica und Rondine sein. Die Bohème ist ja geradezu die Apotheose des Sentimentalen, aber in einer Weise erhöht und durchleuchtet, daß man das Ergebnis nicht mehr in den Genre-Sack stecken kann.


    Auf ganz andere Weise kann Wagner, gerade als Textdichter, im tragischen Fach Heiterkeit erregen. Sein unterschwelliger Sprachwitz, vor allem aber seine Musik vehindern indessen ein Umkippen des Effekts ins Lächerliche.


    Sehr stark zeitgebundene Sujets, wie der Fidelio, wirken auf den unvorbereiteten Hörer von heute bisweilen recht seltsam. Wenn man sich näher mit einem Werk befaßt, verschwindet dieses Befremden, und es kommt einem alles ganz natürlich vor, wie Hölderlin, wenn man verliebt ist.


    In der erzählenden Literatur (z.B. durch die Gruppe 47) fiel der Generalverdacht über den "hohen Ton" viel leichter als für die Bühne. Ein gut gebautes Drama wie die Tosca wirkt heute genau so hinreißend wie zur Zeit der Duse; das schockierend Grenzverletzende daran lauert aber noch immer in den Kulissen. Ist die Tosca kitschig, weil sie reißerisch ist; oder weil sie - in der Titelfigur - die Kunst zum unbewußten Werkzeug der Revolution macht? - In totalitären Systemen nimmt man den Gehalt von Bühnenwerken mit einem anderen Sensorium auf als bei uns Bildungsbürgern.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

    Einmal editiert, zuletzt von farinelli ()

  • Zitat

    Original von diotima
    Originaltext Knusperhexe:


    Liebe Knusperhexe, ich schließe mich Deiner Meinung voll und ganz an! :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    Mit lieben Grüßen,
    Diotima. :hello:


    Liebe Diotima,


    als ich den Wiesbadener Freischütz besuchte und dort der Chor in KZ-Kleidung singen musste, meinte meine Begleiterin: "Übler Sozialkitsch!" Und recht hat sie. Zumal sie als KZ-Überlebende das wohl auch sehr genau bewerten kann. Wir waren beide abgestoßen von den "betroffenen" Pausengesprächen, die ganz political correct seufzten - und nebenbei den Sekt schlürften. Ähnlich habe ich das beim Kölner Samson epfunden, wo Massenvergewaltigungen dem Publikum vorschrieben: "Jetzt sei betroffen." Wir fanden das Ganze lächerlich, ärgerten uns, dass wir auf Grund des Geschreis nicht mehr die Musik hören konnten und haben uns geschworen, dass wir uns nicht vor den politsichen Karren spannen lassen werden.


    Viele Grüße,


    Knuspi

  • Originaltext: Knusperhexe

    Zitat

    Liebe Diotima, als ich den Wiesbadener Freischütz besuchte und dort der Chor in KZ-Kleidung singen musste, meinte meine Begleiterin: "Übler Sozialkitsch!" Und recht hat sie. Zumal sie als KZ-Überlebende das wohl auch sehr genau bewerten kann. Wir waren beide abgestoßen von den "betroffenen" Pausengesprächen, die ganz political correct seufzten - und nebenbei den Sekt schlürften. Ähnlich habe ich das beim Kölner Samson epfunden, wo Massenvergewaltigungen dem Publikum vorschrieben: "Jetzt sei betroffen." Wir fanden das Ganze lächerlich, ärgerten uns, dass wir auf Grund des Geschreis nicht mehr die Musik hören konnten und haben uns geschworen, dass wir uns nicht vor den politsichen Karren spannen lassen werden. Viele Grüße, Knuspi


    Genau das ist es, lieber Knusperhexe,
    was mir den Gang in die Oper verleidet hat! Gerade auch die Samson-Aufführung in Köln - Massenvergewaltigungen - Ausgeburten profiliersüchtiger Regisseure! Allein bei dem Gedanke wird mir schon übel. Und dafür muss ich nicht noch Geld ausgeben.
    Dir wünsche ich einen guten Start in die neue Woche!
    Mit lieben Grüßen,
    Diotima.

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  • Zitat

    Original von diotima
    Allein bei dem Gedanke wird mir schon übel. Und dafür muss ich nicht noch Geld ausgeben.


    Liebe Diotima,


    wir spenden das Geld jetzt immer, anstelle damit das Regietheater zu unterstützen.


    Auch Dir einen guten Wochenstart!


    LG,
    Knuspi

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    ...
    Wobei Kitsch in Form einer bewusst ironisierten Kolportage oder als camp durchaus wieder künstlerischen Wert bekommen kann. Ich stelle mir gerade so vor, dass man etwa Kienzls "Evangelimann" sehr hübsch in dieser Richtung verhackstücken könnte :D ....
    ...


    Ich wüsste nicht wie. Das bekannte Lied aus dieser Oper kann man - aus dem Zusammenhang gerissen - durchaus in Kitsch-Nähe bringen, vielleicht sogar kitschig darbieten. Aber die gesamte Oper ist für mich alles andere als Kitsch, ganz im Gegenteil. Das ist einer der tragischsten Stoffe der Opernliteratur und die Oper viel besser als ihr Ruf, oder besser gesagt, da ja das Werk ohnehin kaum einer kennt, viel besser als die etwas rührselige Predigt erwarten lässt.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • "Kienzls Operndichtung liegt die gleichnamige Erzählung in der Sammlung Wiener Sittenbilder "Aus den Papieren eines Polizeikommissars" von Leopold Florian Meißner zugrunde.
    Der Schauplatz der wahren Begebenheit Göttweig an der Donau wird sowohl bei Meißner und bei Kienzl St. Othmar genannt."
    Zitiert aus dtv Handbuch der Oper - Rudolf Kloiber

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Man konnte auch die Brandstelle mit Sicherheit bis in die 1960er Jahre sehen. Marcel Prawy hat einen Plan mit der Stelle, wo man die Grundmauern des Stadls sehen konnte, im Evangelimann-Programmheft der Wiener Volksoper aus den 60er Jahren gezeigt.


    Leider sind die Programmhefte aus diesen Jahren bei mir nicht mehr vorhanden.


    Liebe Grüße -


    vom Operngernhörer :hello:

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Ähnlich habe ich das beim Kölner Samson epfunden, wo Massenvergewaltigungen dem Publikum vorschrieben: "Jetzt sei betroffen." Wir fanden das Ganze lächerlich, ärgerten uns, dass wir auf Grund des Geschreis nicht mehr die Musik hören konnten und haben uns geschworen, dass wir uns nicht vor den politsichen Karren spannen lassen werden.


    Viele Grüße,


    Knuspi


    Und wie soll man sich jetzt die Umsetzung dieses Schwurs vorstellen?


    :hello:
    Gerd

  • Hallo,


    die Gattung Oper ist sehr kitschempfänglich. Diven-Kult, Puder, Schminke, Perücken, Klatschpausen, auftrumpfende Musik, all das gehört dazu.


    Ich persönlich mag das überhaupt nicht, und meine Begeisterung für Wagner steht im Schatten der Kitschabneigung :(.


    Aber, was eine Wagner-Oper an Glückseligkeit bringt, das schaffen meine beiden anderen Lieblingskomponisten Bach und Beethoven nicht. Außer vielleicht der erste Satz von Beethovens 9. Sinfonie.


    Viele Grüße,
    Olli

  • Für mich ist Kitsch schlichtweg falsches Gefühl :kotz: und insofern bietet die Oper überall Kitsch und überall auch keinen. Selbst sehr anfällige Opern, wie z.B. die Bohème werden zum großen Drama, wenn es den Beteiligten, v.a. den Sängern und dem Dirigenten gelingt, das Echte an diesem Werk darzustellen.
    Nebenbei, ich liebe guten Kitsch :jubel: (erspart mir die Definition, das hängt auch von der Laune ab) und habe nichts dagegen, ihn auch in der Oper zu finden.
    Lieber eine Portion übertriebenes Gefühl, als verklemmte Langeweile.
    :angel: Gustav

  • Kitsch kann was Schlimmes sein, aber übertriebene Ästhetik manchmal leider auch. Beides sollte man nicht übertreiben.
    Wenn der Evangelimann gut gesungen wird, dann kann es eigentlich nicht kitschig sein.
    Es ist wohl besser, zu Tränen gerührt in der Oper zu sitzen als wütend.