TSCHAIKOWSKY, Peter I.: Sinfonie Nr 6 in h-moll op 74 "Pathetique"

  • Lieber Holger,


    die ERATO-13CD-Box (und die BRILLANT_10CD-BOX) mit den Mrawinsky-Aufnahmen habe ich natürlich auch; denn dass sind beides wichtige Meilensteine des Dirigenten Mrawinsky, dessen Einzelaufnahmen sonst wesentlich teurer geworden wären.
    Diese Mrawinsky-Aufnahmen sind natürlich technisch nicht immer von der besten Qualität und es ist so manche historische MONO-Aufnahme in den Boxen enthalten, wo man sich besonders bei Brillant fragen muss, warum man soetwas veröffentlichen muss --- aber auch so manches herausragendes dabei !


    Dazu gehört natürlich auch die Aufnahme der Tschaikowsky-Sinfonie Nr.6 (Aufnahme von 10/1982), die ich auch sehr schätze; nebenbei ... der Hammer ist aber auch Francesca da Rimini von 11/1981 von den Tschaikowsky-Werken bei ERATO. Mehr Wahnsinn und Sidehitze hat selbst Swetlanow dabei nicht drauf.
    Bei der technischen Melodiya-Aufnahmequalität aus der Zeit - bei Mrawinsky fast immer LIVE - kann man eben nicht mehr erwarten und da kann es auch mal (die von Dir erwähnten) Aussetzer geben. Ich habe aber jetzt nicht auf der ERATO_CD nachgehört ... vermute aber, dass es nicht an der CD liegt, sondern an den Aufnahmeumständen.



    ZU Karajan:
    Ich kann Deine erwähnten Einschränkungen der Karajan-Aufnahme (DG, 1964) aus Deiner Sicht schon verstehen, doch bin ich von dieser so geprägt (war auch (trotz Swetlanow) meine Erstaufnahme bereits auf DG-LP), dass ich es genau so als Richtig empfinde und mir so total gefällt. Den Megakontrast zum Satzanfang, den ich zudem mit Karajan genial gut und gar nicht langweilig empfinde; und wenn Karajan dann in der Durchführung voll dramatisch aufdreht finde ich das voll angemessen ... und der 3.Satz gehört für meinen Geschmack zu einem der Bestgehörten dieses "Hammerscherzos".
    Ich finde auch die Zeitproportionen mit Karajan ideal: 18:53 - 7:59 - 8:44 - 9:19.


    :thumbup: Diese 1964er-Aufnahme ist allen Späteren auf EMI und DG überlegen; auch der Aufnahme die in der Tschaikowsky-Sinfonien _ GA aus den 70ern enthalten ist !
    Für meinen Geschmack fällt Karajan dann in der letzten Aufnahme mit den Wiener PH (DG) ganz ab ... irgendwie in alterweise Langeweile (CD wurde unlängst bereits vor vielen Jahren weitergegeben) !


    :angel: Aber diese CD ist ein Schatz:




    DG, 1964, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich habe aber jetzt nicht auf der ERATO_CD nachgehört ... vermute aber, dass es nicht an der CD liegt, sondern an den Aufnahmeumständen.

    Lieber Wolfgang,


    wärest Du so nett, mal nachzuhören? Das würde ich beruhigen. :) Ich glaube das geht los im 1. Satz ab 10 Minuten (ich habe 11:57 in Erinnerung), da ist der erste Aussetzer! "Francesca da Rimini" hatte ich von ihm schon auf einer Einzelveröffentlichung - das finde ich auch stark! Ich glaube auch, dass die 1964iger Aufnahme Karajans stärkste ist. Da müsste ich dann auch nochmals vergleichen. :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    habe heute den 1. und 3.Satz gehört ... da ist bei meiner ERATO-CD (=CD 5) kein Aussetzer vorhanden !


    :angel: Aber die Int ist schon verdammte Spitzenklasse, mit welcher unglaublichen Intensität er die Steigerungen raushaut, dass die Mikrophone fast übersteuern. So einen russischen Sound kann man auch nur mit einem russ.Orchester - hier der Leningrader PH hin bekommen - fabelhaft !


    :!: Mir gefallen diese in Leningrad aufgenommenen LIVE-Aufnahmen der Sinfonie Nr.6 auf ERATO besser als die von Mrawinsky in Wien mit der Leningrader PH (DG,1960) aufgenommenen.
    Besonders gilt das auch für die Sinfonie Nr.5 von 03/1983 auf ERATO-CD 4 (sowie auch für die Aufnahme der Fünften in der Brillant-Box von 11/1982), die ich Beide der bekannten DG-Aufnahme (DG_Doppel-CD mit den Sinf.4-6) von 1960 eindeutig vorziehe ... diese ist mir zu übertrieben in ihren Details seziert, was dem Werk die Spannung nimmt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • habe heute den 1. und 3.Satz gehört ... da ist bei meiner ERATO-CD (=CD 5) kein Aussetzer vorhanden !


    :angel: Aber die Int ist schon verdammte Spitzenklasse, mit welcher unglaublichen Intensität er die Steigerungen raushaut, dass die Mikrophone fast übersteuern. So einen russischen Sound kann man auch nur mit einem russ.Orchester - hier der Leningrader PH hin bekommen - fabelhaft !

    Lieber Wolfgang,


    herzlichen Dank! Ich habe heute den Kopfhörer genommen. Am Lautsprecher liegt es also nicht. Bei meinem Marantz geht bei 9:57 (1. Satz) das Licht aus, die Laserabtastung fällt komplett aus. Dann habe ich den Technics-Billigplayer genommen - und es gibt keinen Aussetzer! Die Stelle hört aber auch wirklich gefährlich übersteuert an. Der Marantz-Wandler streikt da - das ist bisher noch nie vorgekommen. Bin mal gespannt, was die AVM-Elektronik macht! Ich finde die Aufnahme auch fabelhaft - habe sie aber nicht intensiv verglichen mit der Studioaufnahme.

    :!: Mir gefallen diese in Leningrad aufgenommenen LIVE-Aufnahmen der Sinfonie Nr.6 auf ERATO besser als die von Mrawinsky in Wien mit der Leningrader PH (DG,1960) aufgenommenen.
    Besonders gilt das auch für die Sinfonie Nr.5 von 03/1983 auf ERATO-CD 4 (sowie auch für die Aufnahme der Fünften in der Brillant-Box von 11/1982), die ich Beide der bekannten DG-Aufnahme (DG_Doppel-CD mit den Sinf.4-6) von 1960 eindeutig vorziehe ... diese ist mir zu übertrieben in ihren Details seziert, was dem Werk die Spannung nimmt.

    Ein Live-Konzert ist eben scheinbar doch etwas anderes als eine sterile Studioatmosphäre, es ist vielleicht so, dass der Perfektionist Mrawinsky im Konzert einfach spontaner und zwangloser ist. Die 5. habe ich noch gar nicht gehört. Ich bin jetzt wirklich gespannt, nachdem, was Du schreibst! Welche Brillant-Box meinst Du? Die habe ich nicht. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Eine sehr tiefgründige und überzeugende Interpretation legte 1972 der primär als Geiger bekannte David Oistrach bei einem Gastauftritt als Dirigent mit den Berliner Philharmonikern vor. Interessant ist besonders der Vergleich mit den Aufnahmen des damaligen "Chefs". Oistrach schlägt relativ ähnliche Zeitmaße an: 20:03 - 8:01 - 8:40 - 11:18, lässt sich in den Außensätzen etwas mehr Zeit als Karajan.


    Es wundert mich doch sehr, dass hier ein Name noch nicht genannt wurde, der mir diese Komposition schmackhaft gemacht hat: Kurt Masur mit dem Gewandhausorchester.
    Habe ebenfalls die Aufnahme mit Oistrach … doch die Aufnahme mit Masur ziehe ich Oistrach eindeutig vor. Schon alleine wie Masur den ersten Satz interpretiert – einfach genial!



    Mit der Karajan-Aufnahme konnte ich bis heute nicht warm werden … :baeh01:


    Die Spielzeiten der Masur-Aufnahme:
    1). 18:06
    2). 07:32
    3). 08:29
    4). 09:46

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Diese 1964er-Aufnahme ist allen Späteren auf EMI und DG überlegen

    Lieber Wolfgang,


    leider kenne ich die 1964er Karajan-Aufnahme nicht, ich habe die jüngere von 1977 (aus der GA) und die letzte mit den Wiener Philharmonikern. Deine Beurteilung dieser Aufnahme deckt sich voll mit meinen Eindrücken, sie ist entbehrlich.


    Es gibt aber eine frühere, die ich ganz großartig finde:



    oder die neuere Ausgabe:



    mit dem Philharmonia Orchestra London (Aufnahme: 5/1955 & 6/1956, Kingsway Hall, London, Stereo).
    Die Spielzeiten sind wie folgt: 1. Satz 19.10 / 2. 8.24 / 3. 9.09 / 4. 9.34 min.


    Vielleicht kennst Du die Aufnahme?


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Es gibt aber eine frühere, die ich ganz großartig finde:
    ...
    mit dem Philharmonia Orchestra London (Aufnahme: 5/1955 & 6/1956, Kingsway Hall, London, Stereo).
    Die Spielzeiten sind wie folgt: 1. Satz 19.10 / 2. 8.24 / 3. 9.09 / 4. 9.34 min.


    Vielleicht kennst Du die Aufnahme?


    Lieber Nemorino,


    die Philharmonia Orchestra-Aufnahmen mit Karajan sind oftmals schon etwas ganz besonderes im Vergleich zu seinen späteren Aufnahmen ... und einfach von jugendlichen Elan besessen, der sich später in "Karajan-Niveau" wandelte (positiv gemeint). Beste Beispiele sind die Sibelius-Sinfonien Nr. 2 und 5 mit dem Philharmonia Orchestra (EMI), die den Späteren auf EMI und DG auch überlegen sind.


    Die von Dir abgebildete EMI-Aufnahme kenne ich nicht; und glaube Dir gerne dass diese von der Int TOP ist.
    Nun will ich es nicht übertreiben mit weiteren Neukäufen, denn meine Präferenz für die Tschaikowsky-Sinfonien liegt eindeutig bei Swetlanow´s beiden GA (Melodiya, 1967) und (WARNER, 1993). Wie ich dieser Tage durch Holger angeregt, dann auch wieder gehört habe auch Mrawinsky (ERATO; 11/1982) für die Sinfonie Nr.6 ... was für ein Wahnsinn mit echt russischer Seele wird dort präsentiert ... mehr Ausdruckskraft geht nicht. :hail:



    Ich habe von den Tschaikowsky-Sinfonien neben den genannten mit Swetlanow noch die GA mit Karajan (DG, 77) und Bernstein (SONY) + seine späten sehr breiten Einzelaufnahmen der Nr. 4 und 6 (DG); sowie die ausgezeichnete Ormandy-GA (SONY) und nicht zu vergessen die Hammeraufnahmen der Sinfonien Nr. 4 - 6 mit Solti / CSO (Decca); dann Nr. 4 -6 mit Mrawinsky (DG), wobei ich die Mrawinsky-Aufnahmen auf ERATO und Brillant diesen auf DG vorziehe; als Einzelaufnahmen der Pathetique die kürzlich hier besprochene mit Oistrach und Karajan (DG, 64).
    Das sind die CD´s, die mehr als ausreichen sollten und die ich auch behalte ... alles andere ist bereits abgesetzt und mir nicht mehr der Rede wert.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es herrscht ja offenbar selten gesehene Einigkeit, dass es sich bei der 1964er DG-Einspielung mit den Berliner Philharmonikern um Karajans beste Interpretation der "Pathétique" handelt. Angeregt durch nemorino habe ich nun via Spotify in die fast ein Jahrzehnt ältere Philharmonia-Aufnahme von 1955/56 hineingehört, zu Vergleichszwecken in den dritten Satz (den ich da immer zuallererst heranziehe – ähnlich wie Wolfgang). Man merkt im Direktvergleich schon, welche Fortschritte die Stereophonie in diesen paar Jahren machte, auch wenn die EMI-Aufnahme für dieses enorme Alter wirklich gut klingt. Ich würde auch konstatieren, dass die Interpretation 1955/56 viel ähnlicher ist wie 1964 als wir es durch Karajans spätere Aufnahmen aus Berlin (EMI, DG) und Wien (DG) kennen. Der Vollständigkeit halber sei auch darauf verwiesen, dass es tatsächlich noch zwei weitere Einspielungen dieses Werkes unter seinem Dirigat gibt, zum einen 1948 mit den Wiener Philharmonikern (EMI) und 1939 mit den Berliner Philharmonikern (DG). Beide liegen selbstverständlich nur in Mono vor und dienen wohl letztlich primär zum Nachvollziehen seiner Entwicklung, hat man doch bei Tschaikowskis Sechster die fast einmalige Möglichkeit, diesen Dirigenten in Interpretationen aus jedem Jahrzehnt von den 1930er bis 1980er Jahren zu erleben. Um es kurz zu machen: Die '64er Aufnahme stößt auch die von '55/56 m. E. nicht vom Throne, ich würde sie aber allen späteren vorziehen. Die EMI-Aufnahme von 1971 leidet an einem unsäglich verwaschenen Klangbild, der sie für mich fast unbrauchbar erscheinen lässt. Die DG-Aufnahme von 1976 aus Berlin halte ich für recht belanglos, noch mehr die DG-Aufnahme aus Wien von 1984. Das waren lasche Aufgüsse, die man sich hätte schenken können und die wohl mit zum eher negativen Karajan-Bild der Spätzeit beitrugen. Wie feurig er dagegen 1964 sein konnte, ist schon fast unglaublich, wenn man nur diese späten Interpretationen kennt. Fast hört man hier noch den alten Furtwängler-Klang des Orchesters. Ganz anders als in den geglätteten Darbietungen der 70er und 80er Jahre lässt Karajan hier noch die Pauken richtig knallen und das Blech sehr deftig zu Werke gehen. Diese Aufnahme gehört zweifellos zu den besten der "Pathétique" und darf auch mit Fug und Recht zu den überzeugendsten Einspielungen Karajans gerechnet werden. Tatsächlich hat sie m. M. n. dieselbe Klasse wie Furtwänglers 1951er Darbietung aus Kairo – und das will etwas heißen. Der Vollständigkeit halber verweise ich noch auf einen Mitschnitt, den DG Japan 1988 anfertigte, als Karajan zum letzten Male mit den Berliner Philharmonikern in Fernost gastierte. Es handelt sich um seine letzte Beschäftigung mit dem Werk, das er beinahe 50 Jahre zuvor zum ersten Male einspielte. Es muss ihm sehr viel bedeutet haben.



    51nndxWBfOL.jpg


    DG, 1939



    EMI, 1948



    EMI, 1955/56




    DG, 1964



    EMI, 1971




    DG, 1976



    DG, 1984


    51bo4TBBGcL.jpg


    DG, 1988 (live)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nun will ich es nicht übertreiben mit weiteren Neukäufen

    Lieber Wolfgang,


    das kann ich gut verstehen! Mir geht es ganz ähnlich, es stapeln sich die Neukäufe, es muss unbedingt ein neues Regal her, aber wohin damit? Ich habe schon fast alle meine LPs ausgelagert und auch eine Menge Bücher, doch das alles reicht immer noch nicht. Meine Frau fragte bereits, wann ich sie wohl "auslagern" würde! (eine Option, über die ich nachdenken werde :D ).

    Im Ernst: man kann einfach nicht alles haben, und den Vorsatz, meine Käufe einzuschränken, habe ich schon x-mal gefaßt, aber mindestens genauso oft gebrochen.
    Die Tschaikowsky-Sinfonien mit Swetlanov und Mrawinsky habe ich auch, allerdings "nur" die von 1956 (mono) und 1960 (Stereo), beide DGG (die auf ERATO fehlen). Was die "Pathétique" angeht, so noch sicher ein Dutzend weitere. Und man muß es ja nicht nur unterbringen, man will es auch hören, und da wären wir beim nächsten Problem …..


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Die DG-Aufnahme von 1976 aus Berlin halte ich für recht belanglos

    Lieber Joseph II.,


    zunächst danke für die Einstellung aller Karajan-Versionen von Tschaikowskys Nr. 6. Wie mir scheint, hat er sich wohl kaum mit einem anderen Werk (von einigen Beethoven-, Brahms- und Bruckners) abgesehen, so intensiv und lebenslang auseinander gesetzt. Das zeugt von einer großen Wertschätzung.


    Manchmal ist es gut, wenn man auf alte Kritiken zurückgreifen kann. Über die Karajan-Aufnahme vom Mai 1976



    schrieb Horst Koegler in HiFiStereophonie 1978 u.a. folgendes: " …. zwar kann man Karajans neue Pathétique nicht als 'parfümierten' Plüsch abtun, doch die eher herbe Aftershave-Note seines Remake, die Distanziertheit haben zu einer emotionalen Ausnüchterung geführt, die ich alles andere als Tschaikowsky-gemäß finde. Keine mir bekannte Aufnahme steht ihrem russisch-zaristischen Geist, ihrem homoerotischen Gefühlsklima und ihrem St. Petersburger Lokalkolorit so fern wie diese. Dadurch verselbständigt sich die Virtuosität, die hier nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist, am auffallendsten im Scherzo, dessen Staccati und Pizzicati ein einziges Pointenfeuerwerk sind. Wenn ich auch zugeben muß, noch nie die Progression der Soloklarinette im Adagio mosso des Kopfsatzes vom einfachen piano zum sechsfachen (!) pianissimo so differenziert gehört und den unmittelbar anschließenden Fortissimo-Schlag des Allegro vivo so schockartig empfunden zu haben …."
    Die Aufnahme habe ich, leider kann ich sie nicht mit der 1964er Version vergleichen, lediglich mit der EMI-Produktion von 1955/56 und der späten Wiener Aufnahme von 1984 (die man getrost vergessen kann).
    Klangtechnisch ist die 1976er Aufnahme hervorragend, da kommt die Vorgängerin von 1955 natürlich nicht mit. "Russisch-zaristischen Geist" kann ich nicht ausmachen, und für "homoerotisches Gefühlsklima" fehlt mir die Gabe des Nachempfindens. In summa würde ich sagen, die Aufnahme ist ein Klangerlebnis, aber ansonsten bietet sie nichts Neues, weder zu Karajan noch zum Werk selbst. Grundsätzlich ziehe ich den Karajan der 60er fast immer dem der 70er, erst recht der 80er Jahre vor. Es gibt Ausnahmen; spontan fällt mir das Mozart-Requiem von 1975 (mit Tomowa-Sintow, Baltsa etc.) ein, sowie seine letzten Bruckner-Aufnahmen aus Wien 1988/89.


    LG, Nemorino


    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner


  • Ich finde Celibidaches Aufnahme, nachdem ich sie heute gehört habe, absolut unverzichtbar! Einmal macht Celibidache spürbar, dass diese Symphonie mehr ist als ein virtuoser Reißer und hochdramatischer "Aufputscher". Man realisiert, dass das wirklich große Symphonik in der Tradition der Symphonik von Beethoven, Brahms und Bruckner ist. Wie Celibidache die symphonischen Entwicklungen aufzeigt, ist exemplarisch. Dazu gelingt ihm aber eine wirklich tiefschürfende, hochexpressive Aufnahme, welche Tschaikowsky keineswegs in Überlängen zerdehnt und ihm die Dramatik raubt. Im Gegenteil: Schon die Einleitung ist beklemmend: die liegenden Töne werden zu beklemmender Ermattung eines Daniederliegenden und er versteht es in der Exposition und Durchführung, die dramatischen Höhepunkte zu Ereignissen werden zu lassen. Der Höhepunkt der Durchführung wird gerade deshalb, weil Celi den Satz nicht durchhastet, zum beängstigenden "Zusammenbruch" eines Paradoxes höchster Dynamik, die erstarrt (wie in Scriabins 7. Sonate, wo im Delirium die Musik im Fortissimo-Ausbruch zugleich totenstarr wird). Zur Dramatik tragen auch Celis kluge Tempowechsel bei, welche die dramatische Belebung der Musik wo erforderlich unterstreichen. Und wie im folgenden Scherzo-Satz im Trio die Paukenschläge bohrend insistierend zum Freudschen Wiederholungszwang werden, zum "Todestrieb", so hat man das einfach noch nie gehört. Dramaturgisch klug, dass Celi das vorgezogene Finale nicht virtuos überreht, sondern messerscharf charakterisiert und eher symphonisch abstrakt nimmt. So steuert alles auf den einen und einzigen Höhepunkt dieser "Finalsymphonie" zu, die diesen Namen in Celis Interpretation wirklich verdient: Im Finale erst brechen die großen dramatischen Kontraste mit größter Heftigkeit auf, eine Agonie nicht als Dahindämmern, sondern heftigster Kampf mit dem darauf folgenden entkräftendem Zusammenbruch. Ich finde, diese Interpretation ist eine der einsamen Höhepunkte in Celis Discographie. Ich traf mal einen Dirigenten, der sagte zu mir: Bei Celibidache habe ich die 6. Tschaikowsky überhaupt erst zum ersten Mal "richtig" gehört. Es ist in der Tat richtig: Wenn es darum geht, zu zeigen, dass Tschaikowsky nicht nur populär ist, sondern ein monumentaler Klassiker in Sachen Symphonik, dann kommt man an Celi nicht vorbei. :) :) :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Keine mir bekannte Aufnahme steht ihrem russisch-zaristischen Geist, ihrem homoerotischen Gefühlsklima und ihrem St. Petersburger Lokalkolorit so fern wie diese.

    Das sind wirklich Stilblüten, lieber Nemorino - so einen Quatsch habe ich wirklich noch nicht gelesen! :D :D :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wirklich köstlich. Zu gerne wüsste ich, in welcher Aufnahme des Werkes Horst Koegler dann einen "russisch-zaristischen Geist" und ein "homoerotisches Gefühlsklima" herausgehört hat.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • schrieb Horst Koegler in HiFiStereophonie 1978 u.a. folgendes: " …. zwar kann man Karajans neue Pathétique nicht als 'parfümierten' Plüsch abtun, doch die eher herbe Aftershave-Note seines Remake, die Distanziertheit haben zu einer emotionalen Ausnüchterung geführt, die ich alles andere als Tschaikowsky-gemäß finde. Keine mir bekannte Aufnahme steht ihrem russisch-zaristischen Geist, ihrem homoerotischen Gefühlsklima und ihrem St. Petersburger Lokalkolorit so fern wie diese. Dadurch verselbständigt sich die Virtuosität, die hier nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist, am auffallendsten im Scherzo, dessen Staccati und Pizzicati ein einziges Pointenfeuerwerk sind. Wenn ich auch zugeben muß, noch nie die Progression der Soloklarinette im Adagio mosso des Kopfsatzes vom einfachen piano zum sechsfachen (!) pianissimo so differenziert gehört und den unmittelbar anschließenden Fortissimo-Schlag des Allegro vivo so schockartig empfunden zu haben …."


    Lieber nemorino, ist das DER Koegler? Der Ballett-Koegler? Der war doch eigentlich ein sehr geistreicher Mann.


    Fettug im Zitat stammt von mir, um den Namen hervorzuheben.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wirklich köstlich. Zu gerne wüsste ich, in welcher Aufnahme des Werkes Horst Koegler dann einen "russisch-zaristischen Geist" und ein "homoerotisches Gefühlsklima" herausgehört hat.

    Köstlich ist ja auch das "St. Petersburger Lokalkolorit". Er meint offenbar, die russische Hauptstadt sei eine "Schwulenhochburg" gewesen und Tschaikowsky Musik von einem Schwulen für Schwule. Und anscheinend ist für ihn Mrawinsky, der Träger des Lenin-Ordens, ein Zarist und sein Leningrader Orchester, das bekanntlich ein Kind der russischen Revolution ist, ebenfalls zaristisches Russland und schwul oder beides. Nach dem Motto: "In Berlin haben wir Karajan, und das ist ein richtiger deutscher Mann! Endlich klingt dieser Schwule Tschaikowsky mal richtig männlich und nicht mehr dekadent nach zaristisch-schwulem Russland!" Das wäre wirklich ein toller Beitrag fürs Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten. Er kommt leider vier Jahrzehnte zu früh! :D


    Für mich jedenfalls sind sämtliche Karajan-Aufnahmen der 6. Tschaikowsky verzichtbar. Die 1964iger ist noch die beste - nur den Sinn des Kopfsatzes, das Entscheidende - die Rolle der Form- und Bewegungsdynamik - hat er schlicht verkannt. Da ahnt man nicht einmal, was Tschaikowsky hier mit Chopins revolutionärer Sonate op. 35 zu tun hat. Da kann man die Durchführung so knallig dirigieren wie man will, es ändert nichts daran. Wenn etwas "zaristisch" klingt (wenn man diesen unsinnigen Faden denn aufnehmen wollte), dann die Exposition bei Karajan, nämlich so wenig revolutionär, den Status Quo betonend, eine schöne heile Welt, wo alle Steine wohlgefügt sind und nichts aus den Fugen gerät.


    Schöne Grüße
    Holger

  • ist das DER Koegler? Der Ballett-Koegler?

    Lieber Rüdiger,


    ich denke, das ist er. Nur ist er mir als "Ballett-Koegler" nicht bekannt, da ich mich für Ballett (außer der Musik) noch nie ernsthaft interessiert habe.
    Koegler war in den 70/80er Jahren einer der Redakteure der damals angesehenen Musikzeitschrift "HiFi Stereophonie", die von dem Musikwissenschafter Karl Breh herausgegeben wurde. Namhafte Kritiker gehörten zu den Autoren, wie Alfred Beaujean, Ingo Harden, Hans-Klaus Jungheinrich, Jürgen Kesting, Wolf Rosenberg u. Ulrich Schreiber. Die Zeitschrift war neben FonoForum die angesehenste auf dem Gebiet der Klassik. Leider mußte sie ca. Ende der 1980er Jahre ihr Erscheinen einstellen.


    Das sind wirklich Stilblüten, lieber Nemorino - so einen Quatsch habe ich wirklich noch nicht gelesen!

    Lieber Holger,


    zum Glück stammen sie nicht von mir - ich habe sie nur zitiert :D ! Ehrlich gesagt, auch mir ist schleierhaft, was der Autor dieser Zeilen damit gemeint haben kann. Ich habe die Kritik auch deshalb hier eingestellt, weil ich auf die Reaktion gespannt war. Doch zur Ehrenrettung Koeglers will ich sagen, daß seine Kritik, die ich nur auszugsweise wiedergegeben habe, keineswegs als Lob für Karajan verstanden werden soll, und darum zitiere ich jetzt noch die von mir ausgelassenen Sätze: "Karajans Tschaikowsky bleibt auch bei seinem dritten Schallplattenanlauf problematisch..... Kein noch so brillantes Orchesterspiel und keine noch so hochglanzpolierte Aufnahmetechnik (kann Karajans Defizite) wettmachen." Leider können wir Koegler nicht mehr befragen, was er sich damals gedacht hat, er starb 2012 in Stuttgart.

    Wenn ich heute Tschaikowskys Pathétique hören will (was selten der Fall ist), greife ich fast immer zu Mrawinskys Aufnahme von 1960 (DGG) oder zu Markevitch (Philips).


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ehrlich gesagt, auch mir ist schleierhaft, was der Autor dieser Zeilen damit gemeint haben kann. Ich habe die Kritik auch deshalb hier eingestellt, weil ich auf die Reaktion gespannt war. Doch zur Ehrenrettung Koeglers will ich sagen, daß seine Kritik, die ich nur auszugsweise wiedergegeben habe, keineswegs als Lob für Karajan verstanden werden soll, und darum zitiere ich jetzt noch die von mir ausgelassenen Sätze: "Karajans Tschaikowsky bleibt auch bei seinem dritten Schallplattenanlauf problematisch..... Kein noch so brillantes Orchesterspiel und keine noch so hochglanzpolierte Aufnahmetechnik (kann Karajans Defizite) wettmachen." Leider können wir Koegler nicht mehr befragen, was er sich damals gedacht hat, er starb 2012 in Stuttgart.

    Ja, lieber Nemorino, ich nehme an, für diese Sätze wird er auch damals Kritik bekommen haben. Mir fiel im Bus ein, vielleicht hat er an Bernstein gedacht. Bei den "Deutschen" gilt Tschaikowsky ja nicht selten als slavisch weichlich und wenn das dann noch der homosexuelle Bernstein sehr sentimental dirigiert und der Kritiker Koegler mit der Bernstein-Aufnahme sozialisiert wurde, dann kommt es eventuell zu so einer Verdichtung. Und vielleicht dachte der Ballett-Experte Koegler bei Tschaikowsky auch an zu viele homosexuelle Balletttänzer in Schwanensee und Dornröschen ... :D :D :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Koegler war in den 70/80er Jahren einer der Redakteure der damals angesehenen Musikzeitschrift "HiFi Stereophonie", die von dem Musikwissenschafter Karl Breh herausgegeben wurde. Namhafte Kritiker gehörten zu den Autoren, wie Alfred Beaujean, Ingo Harden, Hans-Klaus Jungheinrich, Jürgen Kesting, Wolf Rosenberg u. Ulrich Schreiber. Die Zeitschrift war neben FonoForum die angesehenste auf dem Gebiet der Klassik. Leider mußte sie ca. Ende der 1980er Jahre ihr Erscheinen einstellen.


    Dann lag ich wohl richtig, lieber Nemorino. Koegler hat auch ein Buch über John Neumeier geschrieben, das ich mal in den Händen hatte. Auch mich interessiert Ballett auf der Bühne nur am Rande, ich erinnere mich aber an packende Aufführungen, die ich nie vergessen werde. Dazu gehört auch die getanzte Version der "Matthäuspassion" durch Neumeier. Die hier so barsch abgetanen Äußergungen Koeglers zur Karajanschen "Pathetique", die vierzig Jahre alt sind, ("Das wäre wirklich ein toller Beitrag fürs Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten.") hätte ich zumindest mal hinterfragt. Was könnte dahinter stecken? Was will uns Kogeler sagen? Von welcher Postion aus sind seine auch für mich verwunderlichen Bemerkungen getroffen? Welcher Wissenstand über Tschaikowskis Biographie liegt hier zugrunde? Schlägt am Ende der sehr freie Roman von Klaus Mann zu stark durch? Sattdessen eine sehr hämische Attacke von Holger, die ich so nicht erwartet hätte und die auch nicht dem Bild entspricht, das ich von ihm habe :hello: : "Köstlich ist ja auch das ,St. Petersburger Lokalkolorit'. Er meint offenbar, die russische Hauptstadt sei eine ,Schwulenhochburg' gewesen und Tschaikowsky Musik von einem Schwulen für Schwule. Und anscheinend ist für ihn Mrawinsky, der Träger des Lenin-Ordens, ein Zarist und sein Leningrader Orchester, das bekanntlich ein Kind der russischen Revolution ist, ebenfalls zaristisches Russland und schwul oder beides. Nach dem Motto: ,In Berlin haben wir Karajan, und das ist ein richtiger deutscher Mann! Endlich klingt dieser Schwule Tschaikowsky mal richtig männlich und nicht mehr dekadent nach zaristisch-schwulem Russland!'"


    Erinnern wir uns. In Russland kam 2015 ein neuer Film über TschaIkowski nicht zustande, weil der Kreml nicht wahrhaben will, dass der bedeutendeste Komponist des Landes homosexuell gewesen ist. Der Regisseur Kirill Serebrennikow steht derzeit - wenn auch ursächlkich nicht wegen dieses Projektes - unter Hausarrest. Ich bin davon überzeugt, dass Tschaikowskis Werke immer auch unter seinen sehr schwierigen persölichen Lebensumständen gesehen und gehört werden können. Wie hätte er sich sonst äußern sollen über sich als durch seine Musik. Sie nur unter rein musikalischen Gesichtspunkten zu deuten, reicht nach meiner Auffassung nicht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger,


    ich denke, wir sollten die Sache nicht zu hoch hängen. Erstens ist diese Kritik inzwischen 40 Jahre alt, der Verfasser lebt nicht mehr, kann also selber nicht Stellung beziehen, und deshalb werden uns Spekulationen aller Art nicht weiter bringen.
    Ich muß allerdings sagen, daß die Kritik von Horst Koegler bereits damals bei ihrem Erscheinen Ratlosigkeit ausgelöst hat. Wie kann man in einem Musikstück, gar einer Sinfonie, und erst recht in der Interpretation des Werks "homoerotisches Gefühlsklima" wahrnehmen, oder "St. Petersburger Lokalkolorit"? Das ist für mich genauso schleierhaft wie wenn jemand aus der Darbietung eines Musikwerks nazistische Gedanken des Interpreten herauslesen will, wie das ja immer wieder bei bestimmten Künstlern versucht wird.


    Klar ist für mich aber, daß Koegler mit Karajans 1976er Auslegung der Pathétique nicht einverstanden war (es war übrigens bereits sein fünfter Schallplattenanlauf, nicht sein dritter, wie Koegler meint). Vorausgegangen waren die Aufnahmen von 1939 (Berlin), 1948 (Wien), 1955/56 (London) und 1964 (Berlin), wie es Joseph überzeugend dargelegt hat.



    Das könnte, muss aber nicht das Motiv des Schreibers gewesen sein. Wie gesagt, es wird uns ein Rätsel bleiben …..

    Wenn ich heute Tschaikowskys Pathétique hören will (was selten der Fall ist), greife ich fast immer zu Mrawinskys Aufnahme von 1960 (DGG) oder zu Markevitch (Philips)


    Da muss ich noch eine Ergänzung anbringen: Im Rahmen der Fricsay-Gesamtausgabe (vorher bereits einmal in der Box "Ferenc Fricsay, a life in music)



    oder hier:


    71LDFYel74L._SL300_.jpg


    legte die DGG eine Stereo-Aufnahme der "Pathétique" mit Ferenc Fricsay und dem RSO Berlin vor, aufgezeichnet in Berlin im September 1959, die der Dirigent nicht zur Veröffentlichung freigegeben hatte. Er bestand auf einigen Nachbesserungen, die aber wegen der fortschreitenden Krankheit Fricsays und seinem frühzeitigen Tod am 19.2.1963 nicht mehr realisiert werden konnten.
    Diese Aufnahme halte ich ebenfalls für besonders wertvoll, sie ist ein Spätzeugnis des Dirigenten und eine seiner raren Stereo-Produktionen. Die "Ferenc-Fricsay-Gesellschaft" hatte übrigens ihr Plazet zur Freigabe gegeben). Interessant ist auch der Vergleich mit der ebenfalls gepriesenen Erstaufnahme der Sinfonie durch Fricsay aus dem Jahr 1953 mit den Berliner Philharmonikern (DGG), die erheblich raschere Tempi aufweist.


    LG, Nemorino




    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Danke für diesen wichtigen Hinweis, lieber nemorino. Diese Einspielung war mir bisher überhaupt nicht geläufig.


    Die von Dir nun genannte Stereoaufnahme mit dem RSO Berlin von 1959 gibt es auch einzeln:



    Ich habe vom Dirigenten Fricsay zwar die drei späten Symphonien von Tschaikowski vorliegen, aber die "Pathétique" mit den Berliner Philharmonikern lediglich in Mono (und auch deswegen Ewigkeiten nicht mehr gehört):


    51u3lpBbIML.jpg


    61paNvkdecL._SL300_.jpg



    Aufnahme: Jesus-Christus-Kirche, Berlin, Juli 1953 (Mono)


    Und es gibt sogar noch eine dritte "Pathétique" dieses Dirigenten, diesmal live mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks:



    Aufnahme: Herkulessaal der Münchner Residenz, 24. November 1960 (Mono)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Rüdiger,


    ich denke, wir sollten die Sache nicht zu hoch hängen.


    Das hatte ich auch nicht vor, lieber nemorino. Ich wollte nur eine Anmerkung zu den völlig verquasten Einlassungen von Holger zu einem von Dir eingestellten Zitat anbringen, sonst nichts.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Keine mir bekannte Aufnahme steht ihrem russisch-zaristischen Geist, ihrem homoerotischen Gefühlsklima und ihrem St. Petersburger Lokalkolorit so fern wie diese.

    Das wr die Äußerung:

    Die hier so barsch abgetanen Äußergungen Koeglers zur Karajanschen "Pathetique", die vierzig Jahre alt sind, ("Das wäre wirklich ein toller Beitrag fürs Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten.") hätte ich zumindest mal hinterfragt. Was könnte dahinter stecken? Was will uns Kogeler sagen? Von welcher Postion aus sind seine auch für mich verwunderlichen Bemerkungen getroffen? Welcher Wissenstand über Tschaikowskis Biographie liegt hier zugrunde? Schlägt am Ende der sehr freie Roman von Klaus Mann zu stark durch? Sattdessen eine sehr hämische Attacke von Holger, die ich so nicht erwartet hätte und die auch nicht dem Bild entspricht, das ich von ihm habe

    Ich habe auch nur Vermutungen angestellt, lieber Rüdiger, und dahinter steht eine doch diskriminierende Sicht auf Tschaikowsky, die ja auch nicht von ungefähr kommt. Besonders die "intellektuellen" Kritiker in der Zeit damals haben alle Adorno gelesen. Und Adorno schätzt Tschaikowsky ganz und gar nicht; er habe noch große Gefühle mit billigen Schlagermelodien portraitiert, ist bei Adorno zu lesen. Aus der Koegler-Äußerung hört man heraus: Endlich kommt einer (Karajan) und holt Tschaikowsky aus diesem unsäglichen Milieu heraus. Das Authentische, Russische bei Tschaikoswky wird eindeutig abgewertet als irgendwie minderwertig. D.h. die Grundeinstellung zu diesem Komponisten verrät eine schon negative Wertung in der Folge von Adorno. Das wird dann noch mit der Homosexualität unterstrichen, offenbar ein persönliches Vorurteil des Rezensenten. Und ausgerechnet die 6. soll Ausdruck des "zaristischen Russlands" sein? Was soll denn das alles bedeuten? Wenn man eine so vorurteilsbelastete Kritik schreibt, dann darf man sich auch über die Reaktionen darauf nicht wundern. Satire eingeschlossen.

    Koegler hat auch ein Buch über John Neumeier geschrieben, das ich mal in den Händen hatte.

    Dann liege ich vielleicht mit meiner Vermutung ja doch nicht so ganz falsch:

    Und vielleicht dachte der Ballett-Experte Koegler bei Tschaikowsky auch an zu viele homosexuelle Balletttänzer in Schwanensee und Dornröschen ...

    Erinnern wir uns. In Russland kam 2015 ein neuer Film über TschaIkowski nicht zustande, weil der Kreml nicht wahrhaben will, dass der bedeutendeste Komponist des Landes homosexuell gewesen ist. Der Regisseur Kirill Serebrennikow steht derzeit - wenn auch ursächlkich nicht wegen dieses Projektes - unter Hausarrest.

    Das ist natürlich schlimm!

    Wie kann man in einem Musikstück, gar einer Sinfonie, und erst recht in der Interpretation des Werks "homoerotisches Gefühlsklima" wahrnehmen, oder "St. Petersburger Lokalkolorit"? Das ist für mich genauso schleierhaft wie wenn jemand aus der Darbietung eines Musikwerks nazistische Gedanken des Interpreten herauslesen will, wie das ja immer wieder bei bestimmten Künstlern versucht wird.

    Für mich auch, lieber Nemorino. Da ist es wirklich angemessen, Eduard Hanslick zu zitieren. Das ist "Außermusikalisches", was nun wirklich nicht zu dem gehört, was man als zur Musik gehörend wahrnehmen kann. Genauso wenig, wie Musik männliche oder weibliche Gefühle ausdrücken kann, kann sie Homoerotisches ausdrücken. Was ist denn an Bernsteins Dirigierstil etwa typisch homoerotisch bitteschön oder am Vortragsstil der Pianistin Monique Haas typisch weiblich? Das ist alles einfach nur Projektion und völliger Quatsch.

    egte die DGG eine Stereo-Aufnahme der "Pathétique" mit Ferenc Fricsay und dem RSO Berlin vor, aufgezeichnet in Berlin im September 1959, die der Dirigent nicht zur Veröffentlichung freigegeben hatte. Er bestand auf einigen Nachbesserungen, die aber wegen der fortschreitenden Krankheit Fricsays und seinem frühzeitigen Tod am 19.2.1963 nicht mehr realisiert werden konnten.
    Diese Aufnahme halte ich ebenfalls für besonders wertvoll, sie ist ein Spätzeugnis des Dirigenten und eine seiner raren Stereo-Produktionen. Die "Ferenc-Fricsay-Gesellschaft" hatte übrigens ihr Plazet zur Freigabe gegeben). Interessant ist auch der Vergleich mit der ebenfalls gepriesenen Erstaufnahme der Sinfonie durch Fricsay aus dem Jahr 1953 mit den Berliner Philharmonikern (DGG), die erheblich raschere Tempi aufweist.

    Die Aufnahme habe ich auch - in der Friscay-Box. Ich finde diese Friscay-Interpretation sehr spannend - weil sie in ihrer epischen Anlage so anders ist als alle anderen. Die ältere Aufnahme kenne ich nicht. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Und Adorno schätzt Tschaikowsky ganz und gar nicht


    Lieber Holger,


    Adornos Schriften über Musik haben eine ganze Generation von Musikfreunden beeinflußt, und so wird es auch bei Horst Koegler gewesen sein. Tschaikowsky ist ohnehin vielen Klassikfreunden suspekt, aus diversen Gründen. Ulrich Schreiber sagt dazu in seinem Schallplattenführer: "Einer ungeheuren Anhängerschaft in der gesamten an Musik interessierten Welt (wobei viele Tschaikowsky-Fans an kaum einer anderen Musik als der ihres Idols Interesse haben) steht eine feste Front von (oft intellektuellen) Musikfreunden gegenüber, die in Tschaikowsky einen absoluten Tiefpunkt der Musik des 19. Jahrhunderts sehen".
    Adorno war einer der Propheten, die an Tschaikowsky kein gutes Haar ließen. Ähnlich ging es übrigens Sibelius. Adornos Verdikt: "Finnland ist berühmt als das Land der tausend Seen, und Sibelius' Sinfonien als die Musik der tausend Löcher" hat dazu geführt, daß Sibelius im deutschsprachigen Raum in den 1960/70er Jahren so gut wie tot war, gottlob hat sich das inzwischen wieder grundlegend gewandelt.
    Ganz sicher käme eine Musikkritik wie die Koeglers von 1974 heute nicht mehr in eine Fachzeitschrift.


    Dank übrigens an Joseph II. für die Einstellung des Cover der Einzelausgabe von Fricsays später Pathétique-Aufnahme. Das war mir nicht bekannt, daß es die auch einzeln gibt. Sehr schön übrigens das Foto des Dirigenten auf dem Titelblatt.

    Die Aufnahme habe ich auch - in der Friscay-Box. Ich finde diese Friscay-Interpretation sehr spannend - weil sie in ihrer epischen Anlage so anders ist als alle anderen. Die ältere Aufnahme kenne ich nicht.

    Ich habe beide, und es ist spannend, anhand der beiden "Pathétique"-Versionen zu beobachten, wie sehr sich Fricsays Tschaikowsky-Bild zwischen 1953 und 1959 gewandelt hat.
    Hier zum Vergleich die Tempoangaben beider Aufnahmen:
    1953: 1. Satz 17.22 / 2. 7.48 / 3. 7.50 / 4. 9.14 Min.
    1959: 1. Satz 21.18 / 2. 9.20 / 3. 8.55 / 4. 11.04 Min.
    Fricsay geht in seiner Spätaufnahme längst nicht so weit wie Bernstein in seiner späten Version mit dem New York PO (DGG), aber gegenüber seiner Auslegung von 1953 fällt doch die schier epische Breite auf, mit der er 6 Jahre später zu Werke geht. Sie ist auch detailreicher als ihre Vorgängerin. Mich persönlich beeindruckt die späte Aufnahme weit mehr, von der viel besseren klanglichen Realisation durch die Stereotechnik ganz abgesehen.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Zu Adorno äußere ich mich mittlerweile ungern. Nur soviel: Nur weil ein Unsinn von einem großen Philosophen verzapft wird, wird er noch lange nicht bedeutsam. Bezeichnenderweise beschäftigt sich kaum ein Mensch mit Adornos eigenen Kompositionen, während Tschaikowski und Sibelius zurecht ihren Siegeszug in aller Welt angetreten haben. Ob da der bloße Neidfaktor, dass angebliche "Kitsch"- und "Blut-und-Boden"-Komponisten weit erfolgreicher waren als er selbst, philosophisch unterbaut wurde, überlasse ich den Experten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nur soviel: Nur weil ein Unsinn von einem großen Philosophen verzapft wird, wird er noch lange nicht bedeutsam.


    Lieber Joseph II.,


    da sagst Du ein wahres Wort! Anders ausgedrückt: Irrtümer der Großen entpuppen sich oft als große Irrtümer.


    LG, Nemorino :hello:

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ulrich Schreiber sagt dazu in seinem Schallplattenführer: "Einer ungeheuren Anhängerschaft in der gesamten an Musik interessierten Welt (wobei viele Tschaikowsky-Fans an kaum einer anderen Musik als der ihres Idols Interesse haben) steht eine feste Front von (oft intellektuellen) Musikfreunden gegenüber, die in Tschaikowsky einen absoluten Tiefpunkt der Musik des 19. Jahrhunderts sehen".
    Adorno war einer der Propheten, die an Tschaikowsky kein gutes Haar ließen. Ähnlich ging es übrigens Sibelius. Adornos Verdikt: "Finnland ist berühmt als das Land der tausend Seen, und Sibelius' Sinfonien als die Musik der tausend Löcher" hat dazu geführt, daß Sibelius im deutschsprachigen Raum in den 1960/70er Jahren so gut wie tot war, gottlob hat sich das inzwischen wieder grundlegend gewandelt.

    Adorno, lieber Nemorino, ist hier im Grunde eine Fortsetzung des Kritikstils aus dem 19. Jhd, der ästhetisch wertend war von einem definitierten Standpunkt aus was richtig und falsch ist und und damit dogmatisch - berühmtestes Beispiel: Eduard Hanslick. Aber im 20. Jhd. mit seinen so unterschiedlichen Strömungen kann man so Kritiken endgültig nicht mehr schreiben, das ist einfach anachronistisch. Das belegt Adorno mit solchen krassen Fehleinschätzungen - Schostakowitsch hat er ja auch völlig verkannt. Sibelius ist nun wirklich ein hoch origineller und bedeutender Symphoniker, der musikgeschichtlich seinen festen Platz hat und nicht wegzudenken ist.

    Ich habe beide, und es ist spannend, anhand der beiden "Pathétique"-Versionen zu beobachten, wie sehr sich Fricsays Tschaikowsky-Bild zwischen 1953 und 1959 gewandelt hat.
    Hier zum Vergleich die Tempoangaben beider Aufnahmen:
    1953: 1. Satz 17.22 / 2. 7.48 / 3. 7.50 / 4. 9.14 Min.
    1959: 1. Satz 21.18 / 2. 9.20 / 3. 8.55 / 4. 11.04 Min.

    Da wäre es interessant zu erfahren, wie Friscay zu diesem Wandel gekommen ist.

    Bezeichnenderweise beschäftigt sich kaum ein Mensch mit Adornos eigenen Kompositionen, während Tschaikowski und Sibelius zurecht ihren Siegeszug in aller Welt angetreten haben. Ob da der bloße Neidfaktor, dass angebliche "Kitsch"- und "Blut-und-Boden"-Komponisten weit erfolgreicher waren als er selbst, philosophisch unterbaut wurde, überlasse ich den Experten.

    Adorno selbst hat sich nie als ein Komponist betrachtet, der irgendeine Bedeutung hatte, lieber Joseph. Das Komponieren war für ihn eine Nebentätigkeit. Ich habe von ihm mal von den Düsseldrofer Symphonikern in der Tonhalle vorgetragen einige instrumentierte Stücke aus Schumanns "Album für die Jugend" gehört. Das wr sehr schön.


    Einen schönen Sonntag wünscht
    Holger

  • Da wäre es interessant zu erfahren, wie Friscay zu diesem Wandel gekommen ist.


    Lieber Holger,


    da sind sich die Auguren ziemlich einig: Im Herbst 1958 erkrankte Ferenc Fricsay schwer, bei ihm wurde ein Magenkarzinom festgestellt. In der Folge wurde er zweimal operiert, konnte aber fast ein Jahr lang seinen Dirigentenberuf nicht ausüben. Man führt die auffällige Veränderung in Fricsays Dirigierpraxis auf diesen Einschnitt zurück. Er äußerte sich vor allem in wesentlich verlangsamten Tempi, was vor allem an Werken festzumachen ist, die er mehrfach aufgenommen hat, so z.B. den Mozart-Sinfonien Nr. 29 & 41.
    Auffällig sind auch die breiten Tempi bei seinen späten Beethoven-Aufnahmen, den Sinfonien Nr. 3, 5 & 7, die aus seinen letzten Lebensjahren stammen und bereits in Stereo vorliegen. Die hat er zwar nur einmal im Studio aufgezeichnet, doch nehmen sie, im Gegensatz zu den Aufnahmen seiner meisten Zeitgenossen, fast Furtwänglersche Dimensionen an, während sich die Frühaufnahmen der Sinfonien Nr. 1 & 8 von 1953 durch forsche Tempi und große Lebendigkeit auszeichnen.


    Im Dezember 1961 erkrankte Fricsay erneut schwer und mußte seine umfassende Arbeit als Chefdirigent des Radio-Symphonie-Orchesters Berlin endgültig beenden. Dadurch ist auch sein geplanter Beethoven-Zyklus unvollendet geblieben; nur die Sinfonien 3, 5, 7 & 9 liegen vor, dazu die frühen Mono-Produktionen von Nr. 1 u. 8, die aber auch durch Neuaufnahmen in Stereo ersetzt werden sollten. Am 20. Februar 1963 erlag der Dirigent seiner schweren Krankheit, nur 49 Jahre alt.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Wenn ich heute Tschaikowskys Pathétique hören will (was selten der Fall ist), greife ich fast immer zu Mrawinskys Aufnahme von 1960 (DGG) oder zu Markevitch (Philips).


    (Hervorhebung von mir)


    Das kann ich nur allzu gut verstehen. Der Markevitch-Zyklus mit dem London Symphony Orchestra ist definitiv einer der besten auf dem Markt - bis zum heutigen Tage. Er ist vielleicht der am russischsten klingende mit einem westlichen Orchester. Ich war seinerzeit sehr angetan von diesen Einspielungen, die ich aus eigentlich unverständlichen Gründen viel zu selten auflege, was auch daran liegen dürfte, dass ich mittlerweile die Qual der Wahl habe bei Tschaikowski. Wie Markevitch das Scherzo nimmt, hat mich damals besonders beeindruckt. Er spielt den gewaltigen Höhepunkt des Marsches derart fulminant und detailreich (Blechbläser!), dass einem der Atem stockt. Als außerordentlich gelungen habe ich immer empfunden, dass er an dieser Stelle dann auch breiter wird und das Tempo genial zurücknimmt, was den Effekt noch ungleich verstärkt. Wahrlich eine der ganz großen Aufnahmen der "Pathétique"!$




    Ich bilde ganz bewusst die alten Philips-Ausgaben ab, da auf der Neuauflage von Newton Rezensionen zufolge irgendetwas mit der Pressung nicht in Ordnung sein soll.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • da sind sich die Auguren ziemlich einig: Im Herbst 1958 erkrankte Ferenc Fricsay schwer, bei ihm wurde ein Magenkarzinom festgestellt. In der Folge wurde er zweimal operiert, konnte aber fast ein Jahr lang seinen Dirigentenberuf nicht ausüben. Man führt die auffällige Veränderung in Fricsays Dirigierpraxis auf diesen Einschnitt zurück.

    Das leuchtet mir ein, lieber Nemorio! Tragisch!

    Das kann ich nur allzu gut verstehen. Der Markevitch-Zyklus mit dem London Symphony Orchestra ist definitiv einer der besten auf dem Markt - bis zum heutigen Tage. Er ist vielleicht der am russischsten klingende mit einem westlichen Orchester.

    Ist das die Aufnahme der 6., die auch hier drin ist, lieber Joseph?



    Schöne Grüße
    Holger

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose