Generalprobe Liebestrank Nationaltheater München

  • Generalprobe Liebestrank Nationaltheater München
    Handlung in meiner Interpretation:
    Ein im Sein einfach strukturierter junger Mann (Nemorino) mit ganz großem Herzen, arm und ungeschicktem naivem Auftreten (mit einer Prise Parzival) liebt eine reiche, schöne Tochter aus gutem Hause (Adina – ein Prise Carmen), die sich für besonders intellektuell hält und in anmaßendem Sendungsbewusstsein der Dorfgemeinschaft auch Auszüge der Geschichte von Tristan und Isolde vorträgt, dies durchaus überheblich und zickig, „ich bin ja so schön, so gescheit und so reich, selbsternannte (unfertige) Prophetin.
    Nemorino überschlägt sich vor Verlangen, und verliert fast den Verstand , statt sich zum normalen Erwachsenen zu emanzipieren, der Adina mit normalen bürgerlichen Avancen umwerben könnte.
    Dafür taucht nun der Offizier Belcore auf. Völlig integriert in die nötige gesellschaftliche Anpassung, um hier seine sichere Existenz in aller Dekadenz aufzubauen. Spiegelbild einer Gesellschaft die Status, Reputation und Wertigkeit in enger Normierung und reiner Äußerlichkeiten sieht, er kommt, hinterläßt Eindruck, und Zack Zack, dann gehört ihm auch die schönste und reichste Partie als Frau. Ein auch musikalisch vorgestelltes Individuum ohne jede Tiefe, der es versteht zu funktionieren und Erfolge zu generieren.
    Also bisher: der völlig abseits stehende Nemorino (Plebeszit), der die Welt noch nicht so richtig verstanden hat , naiv und plump durch die Welt läuft- und seiner Liebe zu Adina ausgeliefert ist, ohne einen Weg zu finden. Dann die völlig diesseitige Adina (High Society), die durch ihre Attitüde jenseits bzw. über der Gesellschaft stehen will. Nun der Vertreter des „wahren „ Bürgertums“ der kreuzbrave Belcore, der sich aber in Montur(in eine Rolle) schmeißen kann, den üblichen gesellschaftlichen Normen entspricht , in diesen als Offizier aufgeht, absolut konform, brav und unauffällilg ist, es sei denn, er agiert in seiner Paradeuniform, dann geht er in seiner internalisierten Rolle als fescher Bursch auf, und traut sich was (für mich ein unangenehmer Vertreter, wie z. B. Bankangestellte in gewissen Positionen, die mit sanktioniertem Status/ Position jeden Humanismus und Eigenverantwortung verloren haben- Radfahrer- nach untern treten , nach oben ducken).
    Und dann kommt einer der es gut versteht: ambitionierte gesellschaftliche Anpassung mit allen krummen Touren dieser Welt, ohne sich erwischen zu lassen. Dulcamara (wie z. B. Kezal) betrügt mit charmantem Augenzwinkern, gefällt, kommt an, - entspricht eigentlich einer verkommenen Welt, die uns umgibt, weil im letztlich jedes Mittel zu ökonomischer Optimierung seiner selbst recht ist, und da ist er hemmungs- und gewissenlos – insbesondere wenn er an gutgläubige (Glaubende) gerät, da läuft er in seiner Asozialität zu Hochform auf, eigentlich der Repräsentant unserer Wirtschaftsmechanismen, die allein schon durch die Werbung belegt sind. Und alle fallen auf ihn rein. Wahrhaftigkeit, Tugendhaftigkeit, Vertrauen, Ehrlichkeit, Hilfesuche (alles Nemorino) werden gewissen- und rücksichtslos mit substanzlosen Gegenwerten zu Geld gemacht. An heutigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Verhältnissen gemessen, ist er noch nicht mal asozial – er ist zwar verkommen – aber normal – weil er unseren Normierungen entspricht – solange er sich nicht erwischen lässt – und dass geschieht ja nicht(s. Politik). Wie im wirklichen Leben – die kleinen Fische werden geschlachtet – die großen erhalten Gratifikationen (s. Bankenkrisen). Die menschlichen Beziehungen sind ausgehöhlt.
    Und hier kann ich im Liebestrank die Chance der Menschen interpretieren. Da gibt es einen aufrechten, unverstandenen, nichtverstehenden Menschen mit großer Sehnsucht – eine über der Gesellschaft stehen wollende Unschuld aus Unkenntnis wahrer Verhältnisse (dies ist ihre Naivität),und diese beiden finden zueinander in Liebe , also in einer höheren Bestimmung. Der Weg dorthin geschieht noch dazu mit tradierten gesellschaftlichen Mitteln, Nemorino verfällt den trügerischen Angeboten des Dulcamara um daraus wahre Erkenntnisse zu schöpfen und das (deus ex Machina) geschieht tatsächlich. Adina erkennt ihre Liebe aus der gesellschaftlichen Akzeptanz, als das Gerücht herumgeht, Nemorino sei reich geworden und somit von allen Frauen begehrt wird. Dies macht beide frei von allen Normierungen um sich einer erhöhten Ebene (der Liebe) zu ergeben.
    Dulcamara (ganz besonders widerlich), hat noch nichts verstanden, sondern erwägt sogar tatsächlicher Segensbringer zu sein, um sich selbst legalisieren zu können. Bleibt damit ein Hemmschuh für die Menschheit. Hat sich also noch negativer entwickelt, er ist „ das Damoklesschwert der Menschheit.
    Belcore bleibt unverrückbarer, unveränderbarer Garant einer noch nicht zu Bewußtheit und menschlicher Liebe aufgestiegenen Gesellschaft. Erstarrt in Konventionen.
    Dies kann man leicht und luftig in Donizettis Liebestrank an sein Publikum senden. Es muss nicht inhaltsschwer vermittelt werden, sondern kann einfach leicht aber handlungsimmanent sein. Mman kann natürlich auch andere Deutungen verfolgen, wenn sie sich schlüssig aus Handlung und Musik ergeben. In München geschah in dieser Hinsicht eigentlich nichts.
    Gehört habe ich vieles davon, von Donizetti kongenial aufgebaut, umgesetzt vom Ensemble gut, aber nicht Weltklasse. Der Nemorino schiebt in der Höhe, die ganz junge Adina hat schon jetzt zeitweise mehr als gutes Vibrato und schreit gern mal. Belcore singt ordentlich. Dulcamara ist so ein richtiger Hund, kann mit dem Publikum kokettieren, seine Charge abliefern, sahnt wirklich gut ab – aber singt n. m. E. mit dem Vorschlaghammer – hat eine geschickte Ökonomie und läßt sich auf dramaturgische Dinge nur bedingt ein, wie auch alle anderen. Auch die Gianetta macht schon auf (zu) große Stimme und spielt sich einen Wolf. Das Dirigat war auch ordentlich, ein feines Auflösen, ziseliert im dynamischen Miteinander der Musik in den Instrumenten habe ich nicht gefunden. Ein Klangteppich der bezaubert – wäre schön – und gibt es auch – leider hier nicht.
    Und die Inszenierung war für mich schlechtes Schultheater: Um das Publikum wohl einzunehmen, war das Bühnenbild traditionell, sehr gut geeignet für eine Cavalleria. Kostüme, Ausstattung: keine Verfremdung in Richtung sogen. Regietheater Wobei der Begriff auch Quatsch ist, es gibt keine Aufführung ohne Regie – gute oder schlechte - gemeint ist damit ja wohl der oft auftretende Deutungsquatsch, vorbei an Dramaturgie und Musik eines genialen Werkes) eigentlich ist doch alles möglich, es muss nur gut sein, stimmen.
    An werkinterpretativer Deutung habe nichts erfahren, ein Riesenausrutscher war die Belcore-Truppe, die als US – GI- in Nahkampf-Montur auftrat, tatsächlich in der Buffa das Bühnenpersonal real mit Maschinengewehren bedrohte, wirkte schon albern. Auch ein Notar wurde für mich inszenatorisch desolat blutig zusammengeschlagen auf die Bühne geschleppt – das alles gehörte in ein anderes Stück. Dann gab es noch ein wenig Science-Fiction im Dulcamara_Auftritt, ein netter Gag, verdrängte aber die inszenatorischen Möglichkeiten, wenn man den Typ/Charakter beleuchten will, so wurde er auch ob der Darstellung des Sängers zu Knallcharge.
    Und aus den Kindertagen des Operninszenierung: Die Sänger, alle und immer, kamen geschwind an die Rampe, ganz an die Rampe und sangen konzertant ihre Arien. Auch dialogische Szenen mit dem Chor waren so angelegt. Solist an der Rampe – Chor dahinter.
    Eine Ausnahme. Nemorino: Una Furtiva Lagrima . der arme Sänger musste mühselig auf eine Laterne klettern und hing dort singend. Wird wohl bei der ersten Umbesetzung untergehen.
    Peinlich sind div. Tanzszenen,in denen man den Agierenden mitleidlos ihr Unvermögen erhalten hat – es wirkt peinlich – auch mit Laientänzern die halt gut singen, kann man adäquate Lösungen erarbeiten.
    Der ganze Abend ist in Nummernfolge schlecht arrangiert, man steht halt, möglichst nah am Orchestergraben. Jeder scheint halt irgendetwas zu machen, eine zusammenführende Personenregie gibt es nicht und schon gar kein Inszenierungskonzept. Eine schlechte Drollerie ohne Tiefgang, kein Musiktheater mit Deutungsanspruch.
    Aber - Donizettis Liebestrank hält wohl eine Menge aus, das Publikum in der GP hat mit viel Schlussbeifall reagiert. Ich bin auf die Premiere gespannt

  • Danke für den Vorbericht von der Generalprobe, ein Bericht, der jeden Ballonfahrer vor Neid erblassen läßt (nichts als heiße Luft! :stumm:)


    Na ja, ein bisschen mehr info hätte es schon sein dürfen!
    "L'elisir d'amore" ist die erste Opernregie von David Bösch, der bisher u. a. am Hamburger Thalia-Theater arbeitete. Auch am Dirigentenpult steht ein Newcomer: Juraj Valcuha, der die Stimmen von Nino Machaidze und Giuseppe Filianoti, Fabio Maria Capitanucci und Ambrogio Maestri mit dem Bayerischen Staatsorchester zu koordinieren hat. Immerhin ist Ambrogio Maestri ebenfalls ein Weltstar und ein gesuchter "Falstaff" an den großen Bühnen.
    Wohl einer Stadt wie München, die einen solchen "Liebestrank" auf dem Spielplan hat! Ein paar Bildchen gibt es hier.


    LG


    :pfeif: :pfeif:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Opernfreund
    Eine schlechte Drollerie ohne Tiefgang, kein Musiktheater mit Deutungsanspruch.


    Wenn Du etwas anderes erwartet hast, bist Du allerdings echt in die falsche Oper gegangen...


    :pfeif:
    M.

  • ich danke für die nachhaltigen vorgenannten Ausführungen zu meiner Besprechenung, insbesondere für das große Kompliment des Herrn Kral, der mit großartiger Kinderstube meine Bemerkungen geradezu in den ätherischen Raum unserer Athmospäre, in unser aller lebensnotwendigstes Elementl., der Luft rückt.
    Getragen von großer Sachkenntnis im Erleben eben dieser Aufführung gelingt es ihm, ein Resüme in aller intellektueller Brillianz kurz und zacking abzugeben. Ich habe heiße Luft produziert!!!!
    Seine Detailkenntnis ist unschlagbar, zumal er auf Startheater aufmerksam machen kann, die dem Gesamtkunstwerk Oper nur allerheiligste Qualität in jeder Hinsicht auferlegt. Wir wissen, doch spätestens seit Pavarotti, dass ein toller Sänger alle dramaturgischen Fragwürdigkeiten elemeniert. Dass das Gesamtkunstwerk mit der eindimensionalen Leistung eines Gesangs (auch wenn ich nichts gehört habe) immer großartist zu sein hat, alle anderen Kommentaren sind Nestbeschmutzung.


    Und selbstverständlich, verehrter Herr Mengelberg, darf ich in einer Musiktheateraufführung kein schlüssiges Erzählen einer Geschiichte erwarten.Warum sollte man Ansprüche haben? Ich begrülße Sie im Wolkenkukucksheim.