Kleine Klavierstücke der Moderne

  • Dieser Thread ist eher spontan entstanden, als geplant, aber oft sind es grade solche unstrukturierten Themen welche Impulse für andere, spezifischer Threads geben,
    Hier geht es darum, kleine Klavierstücke des 20. und meinetwegen auch 21, Jahrhunderts vorzustellen, welche man kennt und schätzt oder zumindest in der Sammlung hat.
    Welchen Sinn hat solch ein Thread ?
    Nun - auf diese Weise vermag ich beispielsweise herauszufinden, welche Komponisten dieses Genres ihr kennt, mögt - oder zumindestens respektiert. Auf diesem Fundament können dann weitere Themen aufgebaut werden.
    Aber man findet auch heraus wer NICHT genannt wird -und je nach Standpunkt wird man das dann respektieren - oder versuchen diesen Zustand zu ändern.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es gibt hier natürlich die umfangreichen, oft didaktisch orientierten Sammlungen Bartoks (Mikrokosmos, Für Kinder usw.)


    Ich möchte György Ligeti erwähnen. Sowohl seine Stücke aus den 1950er Jahren (Musica ricercata) als auch die Etüden aus den 1980ern sind ziemlich eingängig, mitunter etwas schräg, aber sicher auch für Hörer, die sonst mit neuerer Musik eher wenig anfangen können, gut anhörbar.



    Man findet einige davon mit unterschiedlichen Interpreten auf youtube (L'escalier du Diable, Der Zauberlehrling) Wegen ihrer Virtuosität sind einige davon wohl beliebte Zugaben.


    Sehr packend fand ich auch ein ziemlich neues Stück (Catenaires 2006) von Elliott Carter (der gestern seinen 101. Geburtstag feiern konnte), hier ein Radiomitschnitt der UK-Premiere.


    "http://www.youtube.com/watch?v=_m-cqwNnEII"


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ein unterschätztes Kleinod, geprägt von der Zweiten Wiener Schule, Schönberg-Schüler und zu Unrecht vollkommen in Vergessenheit geraten (vgl. auch hier: Nachfolger der Zweiten Wiener Schule):


    Nikos Skalkottas (geb. 08.03.1904 in Chalkida; gestorben 19.09.1949 in Athen)


    Seine 32 Klavierstücke halte ich für wahre Kleinodien des Genres und allemal einer genaueren Untersuchung wert. Ausserdem bieten sie dem Geist und der Seele Nahrung, wenn man sich denn auf atonale Musik einlassen möchte:


  • Oh, ich fürchte, ich kenne da ziemlich vieles, was ich sehr gerne habe, so als Kurzstueckmeister ...


    Aber gewissermaßen DER Klassiker des ganz frühen experimentellen Klavierstücks ist Henry Cowell (1897 - 1965), über den ich mir vorgenommen habe, nächste Woche endlich einen Thread zu starten, auch wenn ich nur wenig von ihm kenne - aber das hat es dafür in sich ...


    Seine Stücke dauern üblicherweise 2-5 Minuten und stehen für sich allein. Sie beschäftigen sich mit der Frage, wie man denn mit den Klängen, die entstehen, wenn man mit den Armen und Fäusten auf die Tasten haut, oder wenn man die Saiten mit dem Fingernagel entlangfährt, etwas Rechtes komponieren könne? Denn vor Cowell hat das niemand getan, man kann hier wirklich die ersten "Gehversuche" beobachten - und umso begeisternder ist es, was er da macht, verblüffend, wie sich die Elemente in ihrer rohen Art (eben die besagten "Effekte" und ein paar simple Melodiefetzen) verbinden - dass es eben nicht bloß irgendwie montierte Effekte bleiben, sondern dass er auf sein Material eingeht und eine ganz neue Art von Ergebnis bekommt, so richtig Komponieren von 0 an, ganz leicht verständlich (nicht so wie Haydn ...)
    ;)
    Dynamic Motion (1913)
    Anger Dance (1914)
    Aeolian Harp (1923)
    Banshee (1925)
    Tiger (1928 )


    und anderes ist hier:

    mit Steffen Schleiermacher am Klavier.


    :jubel:

  • Wenn es um kurze Stücke geht, darf der Name von Kurtág, György, nicht unerwähnt bleiben. Es gibt eine wunderschöne CD, wo er und seine Frau Marta Kurtág zusammen spielen, sie spielen kleine Stücke aus der Serie „Játékok” („Spiele”?) und auch zwei Stücke von Bach in der Bearbeitung von Kurtág („Aus tiefer Not schrei ich zu Dir” und „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit”, beide wirken in der Reihe der anderen Stücke einfach erschütternd).
    Die CD ist bei ECM erschienen, vgl. hier:


    http://www.ecmrecords.com/Cata…arch=%2BKurt%26aacute%3Bg


    Diese Stücke, die manchmal so kurz sind wie ein Seufzen, manchmal etwas länger, enthalten geheimnisvolle Zusammenhänge, die man nicht wissen, aber vielleicht fühlen oder unbewusst auf sich wirken lassen kann und man fühlt sich berührt. Dabei sind die Stücke auch irgendwie durchdacht, rationell, in ihrem Charakter nachvollziehbar, so wie das der jeweilige Titel eines jeden kleinen Stückes voraussagt. Ich habe mal gelesen, dass Kurtág in seinen Stücken auch viele Hinweise macht, Spiele mit Zahlen und Motiven, wie die postmodernen Schriftsteller, die in ihre Texte Zitate von vielen anderen Dichtern und Philosophen einfügen, ohne den Leser darauf unmittelbar aufmerksam zu machen.


    :hello: KP

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Schönbergs Klavierwerk findet Platz auf einer CD - das erweckt den Eindruck, als wäre ihm nicht wichtig gewesen, für das Klavier zu komponieren. Allerdings stehen die Klavierwerke an Schlüsselpositionen seines Schaffens:


    op. 11 Drei Klavierstücke (1909)


    läuten die atonale Musik ein. Es sind technisch ausgesprochen anspruchsvolle virtuose Stücke voll ungestümen Ausdrucks.


    op. 19 Sechs kleine Klavierstücke (1911)


    markieren den Höhepunkt der "aphoristischen Kürze" der Gattung Klavierstück (die Bezeichnung unter Hochkomma wird ja gerne zur Charakterisierung von Schönbergs Schüler Webern verwendet, welcher allerdings für Klavier nur die Variationen op. 27 geschrieben hat, die aber auch in diesen Thread gehören).


    op. 23 Fünf Klavierstücke (1920–1923)


    enthält dann mit dem finalen Walzer das erste veröffentlichte Zwölftonstück. Op. 23 als Höhepunkt des Schönbergschen Klavierschaffens anzusehen, ist eine Gepflogenheit, der ich mich gerne anschließe.


    op. 25 Suite für Klavier (1921–1923)


    spielt man lieber als op. 23, geht leichter ins Ohr, ist technisch weniger anspruchsvoll (obwohl immer noch schwierig genug!) - es ist die "neoklassizistischste" Reihe unter Schönbergs Klavierstück-Opera. Mehr Wiederholung gibt es bei Schönberg sonst nirgends - und vor allem hört man die hier auch sofort ...


    op. 33a & op. 33b Klavierstücke (1929 / 1931)


    runden dann Schönbergs Klavierwerk ab.


    Am bekanntesten ist wohl die Einspielung von Pollini:

  • Hallo,


    ich würde ja so gern auch die CD-Cover hier abbilden, aber wo bekommt man die her? Ich nehme ja nicht an, dass die jeder für sich zum Behufe extra einscannt...


    Wenn jemand mir einen Tip geben kann, vielen Dank!


    Also: kurze Stücke der Moderne:
    "Joguines musicals", gespielt von Silvia Vidal, Kompositionen von Lachenmann, Kurtág, Humet, Sofia Gubaidulina. (Ars Harmonica AH109).


    Was nicht fehlen darf: Scriabins Preludes. Da gibt es die Einspielung von Evgeny Zarafiants bei Naxos, 2 CDs, 50 Titel auf jeder (kurz genug, nicht?). Für mich nichts zum hintereinanderweg hören, aber sie rangieren bei mir unter den schönsten kurzen Klavierstücken. Und wenn wir bei schöner kurzer Klaviermusik sind, muss ich auch Federico Mompou, die "Musica callada" nennen, es gibt auch eine Aufnahme von ihm selbst eingespielt (1974). Und Manuel Garcia Morantes solo-Klavierwerk ...


    oder: "American Ultramodernists" (Steffen Schleiermacher, MDG) mit Stücken von Dane Rudyar, Ruth Crawford, Carl Ruggles, und den schon genannten Henry Cowell (die Crawford-Preludes gefallen mir am besten, und Rudhyar ist ein Thema für sich)


    ich habe überhaupt den Eindruck, dass Kürze ein wesentliches Stilmerkmal moderner Klaviermusik ist.


    Viele Grüsse zum Dreikönigstag

    Julius

  • Hallo Julius: zum Einfügen der Covers:


    1. es geht nur bei jpc und amazon und zwar so:


    2. [ jpc] Bestellnummmer [ /jpc] ohne Leertaste
    3. [ am]ASIN Nummer [/am ] alles ohne Leertaste.


    lg Michael


    Das ist die beste Methode; falls es aus irgendeinem Grunde so nicht funktionieren sollte, kann man alternativ über den Button "Bild einfügen" (7. von links über dem zu schreibenden Beitrag) die Grafikadresse eingeben. Oder per Hand: [ img] Grafikadresse [ /img] (wieder immer ohne Leerzeichen)

  • Zitat

    Original von Julius
    ich habe überhaupt den Eindruck, dass Kürze ein wesentliches Stilmerkmal moderner Klaviermusik ist.


    Hallo Julius,


    den Eindruck habe ich nicht wirklich, schließlich sind kurze Stücke für Tasteninstrumente im Barock reichlich zu finden, dann wieder in der Romantik. Und in der Moderne gibt es natürlich auch die große Form, etwa die Sonaten von Ives, Prokofieff oder Boulez und unzählige weniger bekannte Beispiele. Beim Pluralismus des 20. Jahrhunderts kann es ja auch gar kein gemeinschaftliches Stilmerkmal mehr geben.
    ;)

  • Aber Julius hat m.E. insofern recht, als dass es zumindest in einigen wesentlichen Strömungen und 'Schulen' des 20.Jahrhunderts zur musikalischen Anschauung gehörte, Musik von allem Überflüssigen zu befreien und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Bei der Zweiten Wiener Schule kann man das bis zum Extrem beobachten. Da gibt es Musikstücke, die nur wenige Sekunden lang sind.


    Das beschränkt sich aber nicht nur auf die Klaviermusik.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Aber die einzigen Gattungen, bei denen sich Schönberg durchwegs kurz fasst, sind Klavierwerke und a cappella-Chorwerke. Schon in der Kammermusik dominieren Großformen (Streichquartette, Bläserquintett). Bei Berg gibt es eher so etwas wie eine Phase mit kurzen Stücken (Altenberg-Lieder, Klarinetten-Stücke) aber später zieht er auch die größere Form vor (neben der Oper das Violinkonzert und das Kammerkonzert). Webern ist der einzige reine Miniaturen-Komponist. Bei Eisler findet sich auch alles, Skalkottas ebenso ...


    Gerade das Befreien vom "Überflüssigen" führt nicht zwingend zur kleinen Form.

  • Hallo,


    die kleine Metadiskussion hat mich an einen treffenden Satz erinnert:
    "Er sagt immer alles. Er hat es nie gelernt, dass man als Schriftsteller von zehn beabsichtigten Worten nur eines schreiben darf und nicht elf."
    (Ludwig Thoma über Ganghofer, Ludwig Reiners "Stilkunst" C.H. Beck 1943 entnommen)
    Ich finde, da hat Thoma auch gleich für die Musik mitgesprochen.


    Ich hatte nach meinem Kommentar


    Zitat

    ich habe überhaupt den Eindruck, dass Kürze ein wesentliches Stilmerkmal moderner Klaviermusik ist.


    dann mit einiger Verlegenheit an die Goldberg-Variationen, an Suiten etc. gedacht, und dann überlegt, ob es ein besonderes Gütemerkmal sei, wenn ein Stück kurz ist. Ich denke nicht, es hat nichts weiter zu sagen als dass es eben ein kurzes Stück ist. Vielleicht gibt es doch noch ein kleines potentielles Güte-Plus: Der Komponist hat es ja immerhin geschafft, sich kurzzufassen.


    So, jetzt aber Gute Nacht!
    Julius

    Julius

  • Die schönsten kleinen Klavierstücke des 20. Jahrhunderts sind für mich neben den bereits genannten kleineren Scriabin-Werken (Préludes, Poèmes, Etüden) die zahlreichen Miniaturen aus Sergej Prokofiews Feder. Etwa die berühmte "Suggestion diabolique" op. 4 Nr. 4 oder die "Visions fugitives" op. 22, welche ich 1979 live im Konzertsaal von Swjatoslaw Richter gehört habe. Diese Prokofiew-Werke gibt es auch vom Komponisten persönlich eingespielt



    Eine Fundgrube für lohnenswerte (kleine) Klavierstücke des 20. Jahrhunderts sind ferner die Ausgrabungen, die der Pianist Shura Cherkassky in seiner langen Laufbahn gemacht hat und die bis ins hohe Alter Eingang in seine Klavierabende und Schallplatten fanden. Toll sind zum Beispiel die "Five Studies" des 1936 geborenen britischen Komponisten Sir Richard Rodney Bennett, die Cherkassky 1968 bei den Salzburger Festspielen aufführte



    Gleiches gilt für die "Boogie Woogie-Etüde" von Morton Gould (Cherkasskys abschließende Zugabe im Carnegie Hall-Konzert vom 2. Dezember 1991 anlässlich seines 80. Geburtstags), das Klavierstück "Rush hour in Hong Kong" von Abram Chasins (welches Benno Moiseiwitsch ebenfalls eingespielt hat), den Klavierzyklus "Touches" von Leonard Bernstein oder die Lieblings-Zugabe von Cherkassky schlechthin: das Klavierstück "Kaleidoscope" op. 40/4, komponiert von seinem Lehrer und Förderer Josef Hofmann


    Einmal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Liebe Forianerinnen und Forianer,


    unter dem Titel "Kleine Klavierstücke der Moderne" möchte ich gerne für die Bagatellen I - XIII von Valentin Silvestrov werben.


    Vorsicht - tonale Musik des 21. Jahrhunderts, die auf den ersten Lausch nach dem letzten Stück des Pianisten vor der frühmorgendlichen Schließung einer schummrigen Pianobar klingen mag ...


    ... ich stelle die Frage,ob die Musik so simpel ist, wie sie vordergründig klingt oder ob da nicht doch Abgründe lauern ...



  • "Les Soirées de Nazelles" und "Improvisions" von Francis Poulenc kann ich zu diesem Thema auf alle Fälle empfehlen. Weiters nicht zu verachten sind die "Nocturnes" und viele kleinere Klavierschätze. Hier einfühlsam mit dem für Poulenc nötigen Humor und französischen Charme vorgetragen durch Pacal Rogé.


    Viele Grüsse
    Pianomania

    "Die Welt ward ihm Klavier. In Terzen, Quinten, Oktaven sprang sein Denken, Dur und Moll spannte sein Herz."
    Carl Sternheim

  • Banner Trailer Gelbe Rose

  • Obwohl Bortkiewicz (1877-1952) seine Musik anfangs des 20. Jahrhunderts geschrieben hat, sind seine "modernen" Werke stark rückblickend auf die spätromantische Gefühls- und Klangwelt eines Franz Liszt und vielleicht sogar eines Chopin :S . Besonders hörenswert für mich sind die "Lamentations and Consolations" Op. 17 und die "10 Preludes" Op. 33.


    Viele Grüsse
    Pianomania

    "Die Welt ward ihm Klavier. In Terzen, Quinten, Oktaven sprang sein Denken, Dur und Moll spannte sein Herz."
    Carl Sternheim

  • Bei den "Visions fugitives" stimme ich Dir zu.


    Ich habe die Aufnahme mit Oli Mustonen, zusammen mit Ludus Tonalis:


    Das Ludus Tonalis möchte ich im Rahmen dieses Threads auch noch hervorheben, geniale Sammlung von Klaviermusik und ein interessanter Einblick in Hindemiths Musiktheorie.