15 Jahre "Winterreise" und "Die schöne Müllerin"

  • Wie von Agon vorgeschlagen eröffne ich den ersten "aktuellen Thread in Sachen "Schubert Liederzyklus"


    (Die "alten" Threads bleiben davon derzeit unbehelligt.)


    Welche Aufnahmen der "Winterreise", bzw der "Schönen Müllerein" der letzen 15 Jahre haben Euch am meisten beeindruckt ??


    Inwiefern hat sich der Stil geändert, wie beurteilt ihr die aktuellen Stimmen, bzw Aufnahmen ?


    Können die Aufnahmen mit Wunderlich, Fischer-Dieskau, Hanshotter, Hermann Preiy und Aksel Schiötz mithalten ?


    Und wenn ja - warum nicht :baeh01:



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    zahlreiche Aufnahmen danach haben für mich hohen Rang:


    z.B.
    Pregardien (2 x)
    Christine Schäfer
    Gerhaer
    Henschel (persönlich in Hannover erlebt, fantastisch)
    Bostridge (DVD-Film)
    Blochwitz



    Jonas Kaufmann und Florian Prey erreichen weder
    interpretatorisch noch gesanglich die von Dir erwähnten
    Interpreten.


    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich höre nur bei Christoph Pregardien den Ansatz einer eigenständigen Interpretation, aber die Gestaltungskraft eines Peter Anders, Hans Hotter, oder des jungen Fischer-Dieskau (Winterreise) erreicht er nicht.
    Die schöne Müllerin, gesungen von Axel Schiötz, Julius Patzak oder des jungen Fischer-Dieskau wird von Pregardien auch nicht erreicht. Viele der heutigen Interpreten haben eine sehr schöne Stimme, aber das reicht nicht aus, um mich als Zuhörer an der Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit, besonders der Winterreise teilnehmen zu lassen.



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Die Winterreise habe ich aufgrund dieses Threads heute erstmalig ganz gehört (bislang immer Auszüge). Vor dem Hintergrund von Herberts Einschätzung werde ich mir den ganzen Pregardien mal besorgen. Bei den Einzelstücken, die ich von ihm gehört habe hat mir in der Tat seine Stimmschönheit gefallen. Der junge FiDi (meine heutige Aufnahme mit Gerald Moore) hat eine unglaubliche Gestaltungskraft, die von Moore kongenial unterstützt wird.


    Bei der schönen Müllerin ziehe ich Peter Schreier FiDi vor. Allerdings in der netten Aufnahme mit Konrad Ragosnig an der Gitarre (oder war das Laute? Ich muss mal nachschauen).


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Eigenartigerweise empfinde ich die neuen Aufnahmen . soweit ich sie kenne und besitze - völlig anders als Herbert Henn.


    Ich empfand "alte Winterreisen" stets stimmlich schöner und weniger auf düster getrimmt. Heutige Aufnahmen - hier empfinde ich die Stimmen eher als spröde oder weinerlich oder..
    Jedoch wird auf den Ausdruck mehr Wert gelegt.



    Trauriger als Christian Gerhaher kann man die Winterreise meiner Meinung gar nicht interpretieren. Er nimmt dem Werk jedoch jede Klangschönheit, die sicher auch ein Apekt dieses Werkes ist (wer meine Aussage überprüfen will, der höre nur kurz mal in die Nr 5 "Der Lindenbaum" hinein. Gerhaher und sein Begleiter Gerold Huber brauchen für dieses Lied 5 Minuten und 22 Sekunden , das sind um 39 (!!) Sekunden mehr als Das Duo Matthias Goerne - Graham Johnson.


    Die Wiedergabe ist sperrig, melancholisch, schleppend und irgendwie fahl.
    Allerdings hat sie mich heute beim Hineinhören wesentlich mehr beeindruckt als beim Kauf vor einigen Jahren.
    Was beim flüchtigen Lesen als Verriss gewertet werden mag, ist nicht als solcher gedacht: Ich bin davon überzeugt, daß etliche -vor allem deutsche - Musikfreunde von dieser Deutung angetan sein werden.
    Das muss so sein immerhin har RCA die Aufnahme aus dem arte nova Segment in preislich höhere Gefilde geholt....
    Als Wiener (der natürlich nicht für alle Wiener sprechen kann und will) ziehe ich eine etwas auf Klangschönheit getrimmte Wiedergabe vor.
    Der dramatische Ausdruck darf meiner Meinung nach NIE die Melodik zerstören - allenfalls in Werken des 20. Jahhunderts - und die höre ich kaum :baeh01:


    Die meiner Meinung nach beste Aufnahme der Winterreies - nimmt man die 15 Jahres-Grenze als Maßstab ist jene von Görne - Johnson, welche 1996 für Hyperion entstand. Der Fairness sei gesagt, daß ich die Quasthoff - seit Jahren auf meiner Liste - nicht besitze und somit nicht zum Vergleich heranziehen konnte.




    Goerne gelingt mit geradeezu schlafwandlerischer Sicherheit der Spagat zwischen Dramatik und Melodik - zumindest aus meiner Sicht.
    Hier empfehle ich die Nr 11 "Frühlingstraum" Goerne kann meiner Meinung nach hier an die Großen Vorbilder der Vergangenheit anknüpfen und braucht keinen Vergleich zu scheuen.
    (übrigens gelingt diese Nummer - ich habe mich soeben davon überzeugt - auch Gerhaher vorzüglich)


    Die neuere Aufnahme mit Alfred Brendel für Decca kenne ich (noch) nicht, wäre aber ein interessanter Besprechungsobjekt.



    Der Beitrag ist etwas länger geworden als geplant, daher hebe ich mir mein Statement zu den neueren Aufnahmen der "schönen Müllerin" für ein andermal auf. Der Thread ist ja noch jung.....


    mfg aus Wien
    Alfred



    Ps:


    Thomas Pape:
    Ragossnig begleitet Schreier auf der Gitarre - jedoch stammt diese ETERNA Aufnahme aus dem Jahre 1992 - ist also ausserhalb des 15 Jahre-Rahmens. :hello:

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    hatte eine Meisterschaft, die schwer zu toppen ist. Man kann die Stimme nicht mögen, aber seine überragende Liedgestaltung in Frage stellen, wäre unsinnig.


    Er hat seit 1948 begonnen, da war er 23 und ein so perfekter Sänger, wie es die allermeisten niemals erreichen. Sehr gefühlvoll diese ganz frühen Aufnahmen, von ihm selbst später verworfen,zu gefühlvoll.
    Aber stimmlich war er bestens "drauf".


    Aus den letzten 15 Jahren fällt mir kaum eine Aufnahme ein, die ich grossartig finde, Goerne nehme ich aus, und auch Quasthoff. Wie der den Schwanengesang interpretiert, ist schon grossartig. Aber hier nicht Thema.


    Gestern hörte ich Werner Güra. Eine schöne Stimme, aber der Vergleich mit Protschka, Blochwitz ( beide nicht erhältlich) und auch Wunderlich fällt zu seinen Lasten aus.

  • Meine schönste Winterreise bleibt nach wie vor das Live-Konzert
    mit FiDi und Jörg Demus im Opernhaus Hannover.


    Das gleiche Konzert einige Jahre später im Stadeum in Stade
    mit Hermann Prey fiel deutlich ab.


    Quasthoff kann es nicht.


    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Für mich das besondere Erlebnis einer "Winterreise" war einer der letzten Liederabende von Kurt Moll im Prinzregenten-Theater in München. Der große Bassist zelebrierte in diesem "Abschiedskonzert" noch einmal die ganze Kraft seiner Gestaltung und alle Nuancierungen zu denen er mit seiner wundervollen Stimme fähig war. Ich gestehe, dass bei meiner Frau und mir genau wie bei vielen anderen Hörern beim "Leiermann" Tränen flossen. Ich bin immer sehr vorsichtig mit dem Prädikat ""die schönste Aufführung". Es war aber durch die Atmosphäre dieses Konzerts die ergreifendste, weil eine der glanzvollsten Karrieren zu Ende ging. Unvergesslich!
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich habe Christine Schäfer vor 2 oder 3 Jahren live im Herkulessaal erlebt und war von ihrer Interpretation wirklich hingerissen.
    Ich habe auch Dieskau und wohl noch eine Aufn. (cih verliere den Überblick über meine CDs :faint:), aber Schäfer singt halt so schön klar :lips: :jubel:.


    Bei der schönen Müllerin kann ich mich erinnern, dass ich die Güra-Aufn. habe, ich vermute, dass evtl. noch eine 2. Aufn. existiert ?(. Meiner Schwiegermutter habe ich ja Kaufmann geschenkt und er macht es nicht schlecht, ist halt kein ausgewiesener Lied-Sänger.
    Güra überzeugt mich nicht vollständig.
    Muss am Wochenede nochmal nachschauen, was ich so rumstehen habe...

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    ...
    Bei der schönen Müllerin ziehe ich Peter Schreier FiDi vor. Allerdings in der netten Aufnahme mit Konrad Ragosnig an der Gitarre (oder war das Laute? Ich muss mal nachschauen).
    ...


    Inselaufnahme!


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Mit besser oder schlechter ist das immer so eine Sache...
    In der Farbenlehre kennt man den Begriff "Simultankontrast", das heißt, eine Farbe verändert sich obwohl sie gleich bleibt, nämlich dann, wenn sie in eine andere Umgebung kommt.
    So wird wohl auch jede Musikaufnahme von den hörenden Personen abhängig sein, weil die Hörenden sowohl unterschiedlich als auch Stimmungen unterworfen sind. Eigentlich sollte man bei künstlerischen Betrachtungen Superlative außen vor lassen.
    Bei oberflächlicher Betrachtung meiner ca. fünfzig Winterreise-Interpretationen stelle ich objektiv folgendes fest:
    José van Dam ist auf seiner Reise am längsten unterwegs, nämlich 78:21; während mein stürmischster Wanderer, René Kollo, mit 65:14 durch das Werk eilt.
    Die meisten Winterreise-Aufnahmen der letzten 15 Jahre sind in der Regel recht ordentlich gesungen. Welche davon sollte man auf die "Insel" mitnehmen? Schwer zu sagen - die von Matthias Goerne wäre bestimmt mit dabei.
    Wichtige Aufnahmen der letzten 15 Jahre sind für mich jedoch Christoph Prégardien / Hans Zender (1999)
    Christian Elsner / Henschel Quartett
    Auf die Bostridge DVD kann ich persönlich verzichten.
    Zur schönen Müllerin:
    Eine Aufnahme von Peter Schreier ist recht interessant - auf einer Doppel-CD wird das Werk sowohl mit Klavier als auch mit Gitarrenbegleitung angeboten.

  • Im Rahmen des Threads habe ich mich natürlich auch mit Roman Trekel befasst - der hier ungerechterweise bis dato nicht erwähnt wurde.
    Bei dieser Gelegenheit wurde ich mit der Tatsache konfrontiert, daß es von diesem Sänger bereits ZWEI Aufnahmen dieses Werks - mit verschiedenen Pianisten -gibt


    "wozu, eine Neuaufnahme ? - das war mein erster Gedanke -"er hat das Werk ja ohnehin erst aufgenommen!!"


    Die Recherche ergab, daß "erst" immerhin bereits 12 Jahre waren - die Naxos Einspielung mit Ulrich Eisenlohr als Begleiter stammt aus dem Jahre 1998, das "Remake" mit Begleiter Oliver Pohl wurde 2007 bei Oehms -Classics veröffentlicht.


    Von Anfang an beschäftigte mich die Frage, wo denn die Unterschiede wären - weniger die Frage, welche denn "besser" sein - und ich möchte sagen: Sie sind gleichwertig - und für mich unverzichtbar.


    Dabei hatte es die Neuaufnahme naturgemäß schwer, da man zum einen von der älteren Aufnahme geprägt ist, und zum anderen auf Verschleisserscheinungen der Stimme achtet.


    Letzteres ist bei der Winterreise ohnedies schwierig auszumachen, da ja ein grellerer oder fahlerer Klang durch die jeweilige Interpretation durchaus angestrebt sein kann


    Die Neuaufnahme zeichnet sich schon zu Beginn durch wesentlich schnellere Tempi als ihr Vorgänger aus, was dem Werk einen etwas anderen Charakter verleiht, besonders ausgeprägt beim ersten Lied "Gute Nacht".


    Bei der Trekel/Eisenlohr Aufnahme, in weiterer Folge als WT1 (Winterreise-Trekel 1) bezeichnet überwiegt ein leicht melancholischer Grundton, die Winderreise Trekel/Pohl Einspielung ist eher das Portrait eines Gehetzten, Zerrissenen.


    Die Stimme ist inzwischen ein wenig gereift, desgleichen die Interpretation, welche bei WK die allerletzten Konzessionen an den "Schönklang" (sie waren schon bei WT1 nicht ausgeprägt) ausmerzt und einer dramatischen Wiedergabe des Zyklus den Vorzug gibt. Dies soll nicht bedeuten, daß es nicht auch betörent schöne Stellen gäbe.


    Wie alle im Leben ist alles eine Sache des Standpunkt des Betrachters, ob man die erste Aufnahme als optimal, und die zweite als "überinterpretiert" sehen soll - oder ob die zweite die erste an Ausdrucksstärke übertrifft und ihr der Vorzug zu geben sei.


    Ich habe an dieser Stelle des Textes etwas gemacht - was ich mir zu vermeiden vorgenommen habe - ich habe in die allte Philips Einspielung meines Leiblingssängers Hermann Prey hineingehört.


    Es ist ganz deutlich zu hören, daß vor allem in Bezug auf die Interpretation ein Stilwandel stattgefunden hat. Balsamischer Wohllaut kam aus den Lautsprechern, der dramatische Ausdruck war aus heutiger Sicht eher unterbelichtet. Prey sang für das Publikum seiner Zeit, Trekel für das heutige...


    Besonders erwähnenswert halte ich Interpretation der Nummer 24 "Der Leierkastenmann" in der Neuaufnahme. Hier ist alles irdische vom Helden des Zyklus abgefallen - stimmlos und doch stimmlich wunderschön, sehr zurückgenommen und doch eindringlich - vorzüglich ergänzt durch Oliver Pohls Klavierspiel, scheint sich die Handlung schon am Rande des Transzendentalen zu bewegen..


    Genug der Worte - sie sind nur eine Krücke bei der Beurteilung von Aufnahmen. Die beiden Coverbilder sind Links zu den jeweiligen Hörproben


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    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich komme nochmal auf den Simultankontrast (siehe oben) zurück.
    Vor einigen Jahren hörte ich die Winterreise, von Trekel gesungen, live und in ganz ungewöhnlichem Rahmen.
    Ulrich Eisenlohr führte an einem Tag alle drei Schubertzyklen unmittelbar hintereinander (mit drei verschiedenen Sängern) auf.
    Roman Trekel sang damals die Winterreise. Als ich Jahre später Trekel mit dem gleichen Zyklus nochmals in einer separaten Abendveranstaltung hörte, hatte das eine ganz andere Wirkung.


    Danke, für die zwei Hörbeispiele; es ist bestimmt kein Fehler beide Aufnahmen zu haben; es gibt wohl keine Diskussion darüber, dass die neuere Interpretation die "entrücktere" ist.

  • 49 Winterreisen sollten eigentlich genügen, aber nun ist die "Fünfzigste" hinzugekommen. Und was für eine. Trotz Greindl, Moll, Adam, Quasthoff, Weikl, Vogel und Rootering (alles tiefe Stimmen) nun Karl Ridderbusch. Nichts opernhaftes, hohe Töne mit halben Organ, Textverständlichkeit superb (Ende Lied Nr. 9) hoch und ganz verinnerlicht. Ich häte ihm eine solche Aufnahme nicht zugetraut und bin ganz begeistert.


    Sorry operus, das schmälert keinesfalls den von dir gewonnenen Eindruck von Moll im Live-Konzert, bei mir war es Dieskau im Opernhaus Hannover. Sternstunden ! Beim Leiermann hatte ich die Augen geschlossen.


    Liebe Grüße, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo! Lieber Winterreisensammler,
    zwar habe ich mehr als fünfzig Winterreisen im Regal, aber keine von Ridderbusch, wo kann man das erwerben?

  • Hallo Winterreise,


    lieber hart, die mit Ridderbusch ist ein Privatmitschnitt, den es leider nicht auf dem markt gibt.


    Aber es kommt noch schlimmer, jetzt ist die Einundfünfzigste dazu gekommen.


    Werner Hollweg, Roman Ortner, Hammerklavier. Das Klavier ist gewöhnungsbedürftig, aber zu verschmerzen. Hollweg verzaubert. Nach dem ersten Lohengrin aus Baden-Baden schrieb ein Kritiker über Vogts Lohengrin: bei der Gralserzählung entrückt er in himmlische Sphären. Bei Hollwegs Winterreise ist es nicht anders.
    Es handelt sich um eine WDR-Aufnahme, die es auf dem freien Markt leider nicht gibt. Hollweg konnte nicht nur Loewe-Balladen, sein Schubert ist Spitze. Jetzt bin ich überzeugt, dass Schubert, der selbst eine Tenorstimme hatte, diesen Zyklus auch für Tenor geschrieben hat, trotz Prey und Dieskau, die er ja nicht mehr kennen gelernt hat. Schade.


    Liebe Grüße,
    Bernward beim Lauschen der Winterreise in Burgdorf. Die Außentemperatur passt.


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Beim Anblick dessen, was ich hier lese, frage ich mich:
    Braucht ein Mensch denn mehr als fünf Aufnahmen der Winterreise? Braucht er wirklich zwanzig oder gar alle einundfünfzig, wenn ihn nicht insgeheim die Neugier oder die Sammelleidenschaft antreibt?
    Ich behaupte: Nein! Er braucht im Grunde nur eine einzige (gute!) Aufnahme und die Noten.


    Begründung:
    Wenn er sich, immer wieder einmal die Noten in der Hand, die Winterreise häufig genug gründlich angehört hat, dann kennt er sie in- und auswendig. Er hat jeden Takt und jede Note "drauf" (wie man heute so schön sagt).
    Wenn er über einen Friedhof läuft, dann wird es in ihm klingen: "Sind denn in diesem Hause...". Und begegnet ihm eine Krähe beim Spaziergang draußen auf dem Feld, dann hört er: "Krähe, wunderliches Tier ...".
    Wozu also, um alles in der Welt, einundfünzig Aufnahmen der Winterreise?


    Eine fiktive Geschichte.
    Ich besitze eine einzige Aufnahme der Winterreise, die von Christian Gerhaher und Gerold Huber. Ein Freund hat sie mir geschenkt, weil sie im Dreierpack mit der Müllerin und dem Schwangengesang so preisgünstig war (was er natürlich nicht eingestanden hat).
    Ich höre gerade den "Lindenbaum" und bin angetan von dieser gefühlvoll vorgetragenen, sehr kantabel und mit großer Ruhe gestalteten Interpretation.
    Am Anfang steht als Tempobezeichnung über den Noten zwar "Mäßig", aber dieses Tempo bei Gehaher kann man ja wohl unter dieser Vorgabe Schuberts durchgehen lassen.


    Einige Wochen später schenkt mir derselbe Freund eine zweite Aufnahme: Fischer-Dieskau und Hertha Klust, Berlin 1953. (Sie war wohl wieder preisgünstig!).
    Ich höre sie mir an und komme ins Grübeln.
    Vielleicht, denke ich, heißt "mäßig" doch etwas anderes. Irgendwie hat "Der Lindenbaum" bei diesem Fischer-Dieskau mehr Innenspannung, mehr musikalische Dichte, mehr Dynamik. Und das bekommt diesem Lied gar nicht schlecht.
    Der Mittelteil ist in seiner fast schroff drängenden Dynamik des Sich-Abwendens viel markanter gestaltet, und bei der dritten Strophe höre ich plötzlich, in anderem Ton gesungen, das musikalische Zitat der ersten.


    Zitat? Da fällt mir ein, dass ich mal vor längerer Zeit etwas gelesen habe über die Rolle des Zitats in Schuberts Musik. Er zitiert immer wieder einmal ganz bewusst Elemente der Volksmusik, um sie dem Hörer als Zeugen einer verlorenen Zeit bewusst zu machen. Einer Zeit, die man nur noch musikalisch beschwören und ihr dabei nachtrauern kann.


    Bei Gerhaher ist mir das gar nicht aufgefallen. Das breite Tempo (fast eine Minute mehr als bei Fischer-Dieskau), und der durchgehaltene, ein wenig sentimentale Einheitston der Interpretation überlagern die musikalische Struktur des Liedes und lassen nicht zum Ausdruck kommen, was an Schubert in ihm steckt.


    Also doch mehr als eine Aufnahme der Winterreise?
    Muss wohl sein!
    Aber bestimmt keine zwanzig. Und auf gar keinen Fall einundfünfzig!

  • Wer oder was ist denn eigentlich die Güra-Aufn. der "Schönen Müllerin"?


    Weiter oben habe ich so etwas gelesen.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Leider kann ich ja nicht Peter Schreiers schöne und mittlerweile günstig erhältliche Aufnahme mit dem Pianisten Schiff hier nennen, denn sie gehört ja nicht in den genannten Zeitrahmen.


    2002 herausgekommen ist aber diese, für mich auch sehr interessante Live-Einspielung:




    Goernes Timbre, seine Aussprache, seine Textgestaltung, usw.... mag ich sehr (wobei die Frage des Timbres ja im höchsten Grade vom persönlichen Geschmack abhängig ist)


    Brendels Klavierspiel ist für mich sehr vorbildlich, sowohl wenn es um die Tempi, als auch die kultivierte Klanglichkeit und alle anderen Ausdrucksparameter geht.



    Noch ein Wort zu Fischer-Dieskau:


    Wenn man den Thread so liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass FiDi als junger Sänger ganz fantastisch sang, und man das, was danach kam, eher vergessen könne.
    Natürlich ist das auch eine Geschmacksache, aber ich denke, dass man das auch anders hören und empfinden kann.


    Die Aufnahmen des reifen Fischer-Dieskau (Winterreise und Schwanengesang, der ja nicht hierher gehört) mit dem Pianisten Brendel finde ich von der Ausdruckskraft her nämlich als besonders gut gelungen, auch als Gesamtinterpretationen.
    Ich höre diese Lieder immer als Gesamtkunstwerke, bei denen mir die Klavierstimme genauso wichtig ist, wie der Gesangspart.
    Meinem Empfinden nach kann Fischer-Dieskau hier bereits einsetzende stimmliche Ermüdungserscheinungen durch eine gereifte und innerlich durchdrungene Interpretation ( dynamische Gestaltung der Gesangslinien und Aussprache des Textes) wettmachen.
    Die hervorragende Klavierspiel Brendels tut sein Übriges.


    Die Schöne Müllerin höre ich von ihm am liebsten in der Aufnahme mit Gerald Moore ( ist das dann der mittlere Fischer-Dieskau?)


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Helmut Hofmann,
    sicher - bei mehr als fünfzig Winterreisen ist schon auch etwas Sammelleidenschaft mit im Spiel...
    Aber wenn man Lied-Enthusiast ist, sollte man etwa ein Dutzend schon haben und natürlich auch hören, denn CDs haben ja einen anderen Status als Briefmarken.


    Meine ganz persönliche Auswahl wäre in etwa: Anders, Dieskau, Prey, Prégardien, Goerne, Holl... (wobei die Reihenfolge nicht wertend gemeint ist).


    Natürlich schätze ich auch die Einspielung von Gehaher und vielen anderen Interpreten.


    Neben der üblichen Klavierbegleitung, sollte auch eine Aufnahme mit Hammerklavier zu Gehör kommen.


    Auch die Winterreise mit Gitarrenbegleitung sollte man kennen (z.B. die Aufnahme mit dem Tenor Scot Weir/Folkwang Gitarren Duo).


    Die Version von Hans Zender ist so eigenständig, dass sie natürlich auch zu den "Muss"-Interpretationen zählt.


    Wie man sieht, ist es gar nicht so einfach, bescheiden zu bleiben...

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  • Zitat

    Original von hart
    Neben der üblichen Klavierbegleitung, sollte auch eine Aufnahme mit Hammerklavier zu Gehör kommen.


    Diese Einschätzung teile ich uneingeschränkt, bzw. würde sie fast sogar gerne umdrehen.


    Egal ob man HIP im Allgemeinen mag oder nicht, der fein-durchsichtige, vor allem aber sprödere-mechanischere Klang eines Hammerklaviers, spiegelt, bzw. teilt genau das Wesen der Musik in der Winterreise. Meines Erachtens klingt das sehr viel interessanter als der homogen-weiche Klang moderner Instrumente. Das essentiell sentimental-tragische Element kommt so viel schöner und deutlicher zum Tragen. Als Folge empfinde ich eine viel größere Ergriffenheit beim Hören.


    Allerdings hab hab bislang nicht-HIP Aufnahmen der Winterreise wenig intensiv gehört.


    Von dem, was ich bislang kenne ergreift mich die Einspielung mit Hans-Jörg Mammel und Artur Schoonderwoerd am Hammerflügel am meisten. Neben dem Klangaspekt des Hammerflügels ist Schoonderwoerd ein toller Pianist und gestaltet den Klavierpart sehr eindrücklich-interessant.


    Mammel hat zwar ein paar (wenige) leichte Schwächen bei den höchsten Tönen, aber angesichts des sonst wunderschönen, schnörkellosen Gesanges (was auch den Charakter der Musik besser unterstreicht), sind diese kaum der Rede wert.


    Wirklich wundervoll..


  • Von "Glockenton" lese ich:
    "Wenn man den Thread (also meinen letzten Beitrag hier) so liest, könnte man den Eindruck gewinnen, dass FiDi als junger Sänger ganz fantastisch sang, und man das, was danach kam, eher vergessen könne".


    Das ist aber ein ganz großes Missverständnis, lieber Glockenton. Ich habe diese Aufnahme nur gewählt, weil sie sich in der Art der Interpretation und im gewählten Tempo sehr deutlich von der Gerhahers unterscheidet.
    Sie eignete sich für mein Gedankenspiel besser als eine der späteren Aufnahmen.


    Der Meinung, dass nur der ganz junge Fischer-Dieskau der gute Fischer-Dieskau sei, bin ich absolut nicht.
    Ich besitze, ich gestehe es ein wenig verschämt, sämtliche Winterreisen-Aufnahmen von Fischer-Dieskau, und schätze, genau wie du, die Aufnahme mit Brendel in ihrem interpretatorischen Wert deutlich höher ein als die sehr frühe mit Hertha Klust.
    Ihr Klavierspiel wirkt neben der überaus subtilen Anschlagskultur und der hohen Klangsensibilität Brendels ein wenig grob.


    (Fischer-Dieskau wird mir dieses Urteil verzeihen, denn er hat sie sehr geschätzt und erzählt heitere Geschichten von der Zusammenarbeit mit ihr).


    Was die Unterschiede zwischen den frühen, den mittleren und den späten Winterreise-Interpretationen Fischer-Dieskaus anbelangt, - das wäre ein eigenes, interessantes, aber ganz sicher auch diffiziles Kapitel.

  • Zitat:
    "Auch die Winterreise mit Gitarrenbegleitung sollte man kennen (z.B. die Aufnahme mit dem Tenor Scot Weir/Folkwang Gitarren Duo)."


    Ich höre sie gerade als 53.ste Einspielung. Gefällt mir recht gut.


    Danke hart für den tip.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Peter Pasdzierny,
    ich habe einige Lied-CDs von Hans Jörg Mammel, jedoch nicht die Winterreise. Die Hörproben bei jpc erlauben mir natürlich kein fundiertes Urteil bezüglich Mammels Winterreise-Interpretation.
    Aber beim Vergleich anderer Liedaufnahmen ziehe ich die aktuellen Tenöre Christoph Prégardien oder Christian Elsner vor.
    Soll ich mir nun die 53. Winterreise von Mammel kaufen ? (eine rhetorische Frage)
    Auf diese Weise entstehen Sammlungen...

  • Lieber hart,


    die Überschrift zu diesem Thread lautet:


    15 Jahre Winterreise. Ich sammele seit 26 Jahren. Da kämen pro Jahr 2 Winterreisen zusammen. Das ist doch eher wenig in Relation zu den knapp 6000 CD, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe. Meine Sammelleidenschaft war ja mit ein Grund, tamino beizutreten, damit es etwas weniger wird und jetzt sammele ich nicht mehr in die Breite sondern in die Tiefe. Es ist aber richtig, dass es keine 50 oder mehr Winterreisen brauchts, aber ist es bei sinfonischer Musik, Oper oder Operette, Klavier- und Violinkonzerte, um nur einige Bereiche zu nennen, anders. Ganz zu schweigen von den unüberschaubaren Sänger-Recitals. Nichts für ungut.


    Liebe Grüße aus Burgdorf, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Obgleich mir bewusst ist, dass Beiträge mit einem gewissen Theorieanteil hier nicht sonderlich beliebt sind, - man wird rasch als Besserwisser und Erbsenzähler abqualifiziert -, möchte ich dennoch auf ein Problem aufmerksam machen, das sich mir gerade in diesem Thread regelrecht aufgedrängt hat.


    FRAGE:
    Könnte es sein, dass wir als Liedfreunde durch die Fülle an Aufnahmen, die uns der Markt zur Verfügung stellt und die sich inzwischen bei uns angesammelt haben, in die Gefahr geraten, uns nur noch mit der Oberfläche dessen zu beschäftigen, was doch eigentlich der Hauptgegenstand unseres Interesses ist: Das Kunstlied selbst nämlich, in seiner musikalischen Struktur und seinem Gehalt?


    Wir geraten in Entzücken über das Timbre eines Interpreten, spielen uns wechselweise Geheimtipps mit (häufig zu Recht) wenig bekannten Sängern zu, fragen uns allen Ernstes, ob wir die vielleicht auch noch in unsere Sammlung aufnehmen sollten, wir lauschen dem Obertonreichtum eines Hammerklaviers und schwärmen von einem Tenor, der uns bei der Winterreise in himmlische Sphären entrückt.
    So geht das hin. Und es macht ja auch Spaß, zugegeben!


    Was mich ganz besonders genervt hat und mich zu diesem Beitrag richtiggehend nötigt, das ist, dass doch tatsächlich eine Aufnahme der Winterreise mit Gitarrenbegleitung als hörenswert empfohlen wurde.


    Bei der Schönen Müllerin konnte man das noch als eine amüsante Kuriosität hinnehmen, bei der Winterreise aber ist es ein Ding der Unmöglichkeit.
    Dieses Werk zeichnet sich ja doch unter anderem gerade dadurch aus, dass Singstimme und Klavier - ungleich mehr als bei der Schönen Müllerin - eng miteinander verschmolzen sind.
    Man braucht sich gar nicht in der musikwissenschaftlichen Literatur auszukennen, man braucht nur in die Noten zu schauen, und man sieht: Der Klavierpart ist in der Winterreise fundamentaler Bestandteil des musikalischen Gehalts der Lieder.


    Die Winterreise mit Gitarre statt Klavier, - das ist ein schlechter Witz!
    Und da sind wir bei meinem Problem.
    Wir beschäftigen uns hier in erster Linie mit vordergründigen Effekten, mit Oberflächenreizen von Liedaufnahmen.
    Wir begründen gar nicht, von der musikalischen Struktur des Liedes her, warum eine Interpretation nach unserer Meinung besonders gelungen und deshalb(!) empfehlenswert ist.
    Wir teilen nur unser Entzücken darüber mit. Und schon hat einer angebissen und fragt, ob er das Zauberding vielleicht kaufen soll.


    Ich vertrete nicht die puristische Auffassung, dass man eigentlich mit einer einzigen guten Aufnahme der Winterreise (oder der Müllerin oder welchen Liedes auch immer) auskommt.
    Manchmal ist es wirklich sinnvoll und sogar nötig, über den Vergleich verschiedener Aufnahmen zu hören, welche sängerischen Möglichkeiten es gibt, das Notenbild in Musik umzusetzen.
    Und nicht nur das! Man erkennt meistens nur auf diese Weise, welch ungeheurer Reichtum in einem Lied steckt. Das geht nicht - jedenfalls für unsereinen nicht! - über das reine Notenlesen.


    Aber wozu Aufnahmen sammeln? Wozu immer neue Aufnahmen dem alten Bestand zu einem Liederzyklus oder zu einzelnen Liedern hinzufügen?


    Ich behaupte:
    Da kann gar nichts signifikant Neues an Interpretation mehr hinzukommen.
    Der große qualitative Sprung im Liedgesang ereignete sich in der Nachkriegszeit. Die junge Sängergeneration hat doch, auch wenn einige das nicht so gern zugeben mögen, ihren Fischer-Dieskau sehr genau studiert (wenn nicht sogar einige dessen Schüler sind).
    Es tut mir leid! Aber ich sehe die Gefahr, dass wir in schiere Effekthascherei abgleiten!


    HINWEIS (bevor einer auf mich schießt):
    Meine Computerdatei zeigt mir zum Stichwort "Winterreise" 59 Einträge. Richtig gelesen: Neunundfünfzig!
    Darunter sind allerdings einige Rundfunkmitschnitte von Fischer-Dieskau-Konzerten und Konzerten anderer Interpreten.

  • Hallo Helmut,


    wenn ich so weitermache, kann ich Dich ja vielleicht noch einholen. Aber Spaß beiseite.


    An der Hollweg-Aufnahme stört mich das Hammerklavier. Damit kann ich wirklich nichts anfangen. Das gibt es aber in einigen anderen Aufnahmen auch. Aber die Aufnahmen mit Zender, Bostridge u.a. sind auch mit anderen Instrumenten dabei. Bei jpc sind 91 CD registriert, ua. mit Prey und Orchesterfassung (die kenne ich nicht).
    Dann einmal mit Streichquartett, mit Saxophon + Klavier,
    Pregardien mit Akkordeon und Bläserquintett.
    Ich erinnere mich an eine Aufnahme mit Schreier und Ragossing.


    Und ich besitze Scot Meir mit dem Folkwang Gitarren-Duo. Klasse lyrischer Tenor.


    Es ist ja unbestritten, dass Schubert die Winterreise für Gesang und Klavier (hohe Stimme) geschrieben hat. Nur, bei über 50 Aufnahmen darf es auch mal anders klingen. In einem Punkt möchte ich Dir aber nicht zustimmen. Wenn kein Klavier, dann nicht wegen irgendwelcher Effekte sondern ich konzentriere mich dann ganz auf die Stimme, die Noten und den Text. Die neue Ausgabe /Urtext Edition Peters Nr. 8300a herausgegeben von DFD und Elmar Budde ist immer dabei, sonst müsste ich ja beim Mitsingen den gesamten Text aller 24 Lieder auswendig können.


    Liebe Grüße, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Helmut Hofmann


    Ich möcht Dir hier in eineigen Punkten widersprechen, bzw einiges relativieren


    Zitat

    Obgleich mir bewusst ist, dass Beiträge mit einem gewissen Theorieanteil hier nicht sonderlich beliebt sind, - man wird rasch als Besserwisser und Erbsenzähler abqualifiziert....


    Jede Eigenschaft die Du hast, bzw die offenbar wird, wird von einigen bejubelt, von einigen belächelt oder kritisiert werden. Das ist die menschliche Natur. Perfektionisten habens nicht leicht - aber man braucht sie...


    Ich glaube aber nicht, daß Beiträge mit einem hohen Theorieanteil nicht beliebt sind, aber sie bekommen wenige Antworten, weil sich vile bewusst sind, daß sie hier staunend vor einem Berg des Wissens stehen, und diesen nicht beschädigen wollen - einfach weil sie in die spezielle Materie nicht so eingedrungen sind, wie Du, Das ist hier kein Kompliment, keine Schmeichele, das ist Faktum.


    Klassische Musik ist Minderheitsmusik (ca 7% aller Musikhörer, jene die überhaupt keine Musik hören sind hier nicht mitgerechnet)


    Das Kunstlied ist inerhalb der klassischen musik erneut eine Minderheit.


    Von jenen, die Liedgesang lieben, gibt es nur wenige, die darüber diskutieren möchten oder können, Und von dem verbleibenden Rest bleibt in der Tat ein Gutteil dort hängen, was Du als "an der Oberfläche" bezeichnest.


    Zitat

    Könnte es sein, dass wir als Liedfreunde durch die Fülle an Aufnahmen, die uns der Markt zur Verfügung stellt und die sich inzwischen bei uns angesammelt haben, in die Gefahr geraten, uns nur noch mit der Oberfläche dessen zu beschäftigen, was doch eigentlich der Hauptgegenstand unseres Interesses ist: Das Kunstlied selbst nämlich, in seiner musikalischen Struktur und seinem Gehalt?


    Ich zweifle an, ob das für die Mehrheit jener Leute die einen Kammermusiksaal füllen und dort die Winterreise hören wirklich Hauptgegenstand des Interesses ist. Allenfalls lesen sie hier mit, nicken hie und da und legen eine Chor-CD mit Schuberts "Lindenbaum" auf :D


    Na so schlimm ist es wohl nicht - ich habe übertrieben - aber vermutlich den Kern getroffen.


    "Die Winterreise" mit Gitarrenbegleitung sehe ich als eine mutmassliche Antwort auf die Unsatzzahlen einer "Schönen Müllerin" mit Gitarrenbegleitung.
    Diese wiederum ist ein(kitschiger ?) Versuch den Zuklus noch "romantischer" zu interpretieren als das üblicherweise der Fall war.... Man stelle sich den Müllerburschen auf der Wiese vor der klappernden Mühle sitzend vor, der auf der Gitarre seine Lieder vorträgt........ ;)


    Den Wunsch nach immer wiedr neuen Aufnahen verstehe ich gur, villeicht gibt es eine NOCH beeindruckendere Aufnahme als die bereits vorhandenen - dieser Wunsch sollte einem Perfektionisten eigentlich nicht unverständlich sein...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Vorbemerkung:
    Lieber Helmut Hofmann,
    mein Gott - nimm das bitte doch alles ein wenig lockerer... die Ernsthaftigkeit braucht deswegen nicht den Bach runter zu gehen.


    Jeder nähert sich den Dingen auf andere Weise...
    Bei einem Berg ist es ähnlich. Einer ist von der Schönheit der Silhouette fasziniert und bewuntert das Ganze von unten, andere gehen auf dem Normalweg nach oben, und wieder andere suchen mindestens Schwierigkeitsgrad 7 oder höher.


    Ähnlich nähert man sich der Musik. Jeder kommt zu anderen Ansichten, Einsichten und Bewertungen.
    Ja, ich gestehe, das Timbre eines Interpreten interessiert und fasziniert mich. Die CD kommt bei mir immer erst an zweiter Stelle. An erster Stelle steht der Konzertbesuch, die Originalinterpretation. So habe ich auch alle maßgeblichen Liedinterpreten über viele Jahre begleitet und mir dabei so manche Nacht um die Ohren geschlagen. Ganz bescheiden möchte ich deshalb eine gewisse Ernsthaftigkeit meines Musikhörens reklamieren.


    Wenn ich zum Beispiel an die Winterreise mit Matthias Goerne / Eric Schneider denke, da kann man eigentlich als Zuhörer nicht in die Gefahr geraten, sich nur mit der Oberfläche zu beschäftigen...


    Und nun zur Gitarrenbegleitung:
    Wie Bernward Gerlach auch, lehne ich die Gitarre nicht rundweg ab, weil ich mehr von der Stimme habe.
    Natürlich kann man das als schlechten Witz bezeichnen.
    Aber Scot Weir ist seit 1995 Professor für Gesang in Berlin (Hochschule für Musik Hanns Eisler) und man darf wohl annehmen, dass er das auch irgendwie theoretisch begründen könnte, was er da gemacht hat.


    59 Einträge - das kann ja nur die Spitze des Eisberges sein, es gibt weit, weit mehr Einspielungen!


    Ich behaupte (und ich bin ein großer Verehrer von Dietrich Fischer-Dieskau):
    Es kommt signifikant Neues hinzu, und ich schreibe das nicht nur so dahin, um etwas Opposition und Radau zu machen.
    Und geschossen wird hier nicht, auch wenn es vielleicht so aussieht: SALVE

  • Hallo Helmut,


    ich stimme Deinem Beitrag gerne zu.


    Zitat

    Wir begründen gar nicht, von der musikalischen Struktur des Liedes her, warum eine Interpretation nach unserer Meinung besonders gelungen und deshalb(!) empfehlenswert ist. Wir teilen nur unser Entzücken darüber mit


    Die Sache mit der oberflächlichen Rezeption bzw. der daraus resultierenden Art der Diskussion würde ich aber vorsichtshalber eher nicht ansprechen/aussprechen.
    Wenn ich meine, dass ich an einer Stelle (meistens weil ich hoffe, damit besser verstanden zu werden, obwohl vielleicht gerade dadurch das Gegenteil der Fall sein mag...) zum Thema passende Details teilen möchte, dann mache ich das einfach, weil ich davon ausgehe, dass es sowohl bei den Taminos, als auch bei den Mitlesern doch auch einige Leute gibt, die das interessant finden.
    Es kann schon sein, dass sich allein schon dadurch irgendeiner auf die Füsse getreten fühlt und sich lauthals gegen einen (nicht vorhandenen) "Begründungszwang" artikuliert.
    Nun, man kann es nicht jedem recht machen.


    Zur Gitarre:

    Zitat

    Dieses Werk zeichnet sich ja doch unter anderem gerade dadurch aus, dass Singstimme und Klavier - ungleich mehr als bei der Schönen Müllerin - eng miteinander verschmolzen sind. Man braucht sich gar nicht in der musikwissenschaftlichen Literatur auszukennen, man braucht nur in die Noten zu schauen, und man sieht: Der Klavierpart ist in der Winterreise fundamentaler Bestandteil des musikalischen Gehalts der Lieder.


    Natürlich ja, volle Zustimmung, es ist so.


    Man braucht für diese Erkenntnis noch nicht einmal in die Noten zu schauen, sondern einfach nur zu hören.
    Die Begleitung legt den Text plastisch aus, Gesang und Klavierpart sind - wie Du schon schriebst, miteinander verschmolzen.
    Und die Klavierstimme ist eben genau eine solche: Sie ist sehr vom Klavier her geschrieben und wirklich pianistisch gedacht.
    Der Klavierpart ist aus meiner Sicht genauso wichtig, wie die Stimme.
    Beides gehört untrennbar zusammen.


    Eine Kombination Stimme/Gitarre verschiebt das von Schubert beabsichtigte Erlebnis eines Gesamtkunstwerkes zu Lasten des Instrumentalparts und zu Gunsten der Stimme.
    Das mag für Einige dann leichter zu hören sein, aber insgesamt klingt es eben auch sehr viel ärmer, nicht nur klanglich, sondern vor allem auch was den musikalisch-emotionalen Textausdruck anbelangt, der eben nicht nur vom Sänger übernommen wird.


    Es ist nämlich beileibe nicht so, dass der Sänger die Hauptrolle hat, während die Begleitung nur einen stützenden, harmonischen Untergrund dazu liefert.
    Jeden Versuch, diese von Schubert so gewollte und künstlerisch gesehen eigentlich gleichberechtigte Rollenverteilung zu Gunsten des Sängers zu verschieben, stösst bei mir auf Ablehnung, weil es das Werk in seinen Dimensionen reduziert.


    Bei Monteverdis Opern kann es stellenweise so sein, dass ein paar Akkorde auf der Theorbe reichen, um dem Sängern den Teppich zu geben, auf dem er die eigentliche Musik ausbreitet.
    Das ist eine andere Musik, ein ganz anderer Stil und vor allem eine andere Rollenverteilung.
    Die Winterreise ist aber musikalisch nicht so angelegt wie eine Monodie oder ein Generalbasslied.


    Wenn nun Leute daher kämen, und dieses Werk auch noch zeitgeistig für z.B. Saxophone oder Akkordion bearbeiten, dann betrachte ich das zwar als juristisch noch in Ordnung ;) , im Sinne der Kunst aber als einen brutalen Vorgang, um es vorsichtig zu sagen.
    Bei solchen Sachen wende ich mich dann mit Grausen ab....alles andere hat auch keinen Sinn, vor allem nicht, dagegen anzugehen...



    Falls Dich auch andere Themen als das Kunstlied interessieren, möchte ich Dich ermutigen, auch dazu Deine (für mich bisher immer lesenswerten) Beiträge zu posten.



    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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