Was ist so schlimm am Rampensingen?

  • Das Rampensingen wird einem ja stets - neben vermeintlichen Wackelkulissen - als Totschlagargument gegen traditionelle, werktreue Inszenierungen entgegengescheudert. Abgesehen davon, dass ich dieses sogenannte Rampensingen (ein Sänger geht nach vorne, singt und geht wieder nach hinten) so gut wie nie erlebt habe, hat es mich auch nie gestört - wohl aber der blinde Aktionismus, der teilweise beim "Regie"theater betrieben wird, sei es unmotiviertes Herumlaufen beim Linkerton, Schreibmaschinentippen von Rodolfo oder nervöses Gequalme von Alfredo. Ganz zu Schweigen vom Herumhampeln des Chores à la Massenvergewaltigung bei dem Kölner Samson-PR-Skandal.


    Also, ich möchte jetzt wirklich mal wissen, wen das stört, wen es nicht stört, und vor allen Dingen warum, weshalb und was er, sie genau darunter versteht und wie oft er schon in den Genuss desselben kam.


    Ich finde z.B., dass es Arien gibt, die eine gewisse Statik verlangen und gerade durch ihre innere Anmutung überzeugen müssen, sei es "Wie nahte mir der Schlummer" oder "Hier an dem Herzen treu geborgen". Leider unvergessen Micaelas Nümmerchen mit dem Hirten, deren Zeuge ich mal bei ihrer Arie "Ich sprach, dass ich furchtlos mich fühlte" sein musste. Dagegen habe ich mal einen Siegfried erlebt, der in der Schmiedeszene stocksteif dastand. Klar, es gab auch keinen Amboss. Irgendwie habe ich das Gefühl, das "Regie"theater macht immer genau das Gegenteil von dem, was im Libretto steht.

  • Ich finde das Rampensingen auch nicht so schlimm, wie es immer dargestellt wird. In manchen Arien passt es doch sehr gut.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Rampensingen kann ja verschiedentlich betrachtet werden. Meist wird es in dem Zusammenhang gesehen, daß der Sänger statisch ins Publikum singt, wo die Handlung anderes erwartet.


    Es wäre aber auch möglich solch ein Vorgehen - an geeigneten Stellen i- einzusetzen um just die Daramtik zu unterstreichen, quasi eine alt Willenserklärung die in Pose vorgebracht wird.


    Aber kommen wir zum heute als negativ empfundenen Rampensingen.
    Es ist eine Frage als was man Oper sieht: Als gesungenes Theater mit interessanter Handlung - oder als Rahmenhandlung um recht viele effektvolle Musikstücke miteinander zu verknüpfen.


    Letzteres was meiner Meinung mnach bis zum Verismo die Hauptaufgabe, auch wenn das viele bezweifeln werden.
    Rampensingen hat ja den Sinn, askustisch besser hinüberukommen und gleichzeitig im Wahrsten Sinne des Wortes "im Rampenlicht" zu stehen.


    Opernliebhaber der Vergangenheit befassten sich lieber mit der brennenden Frage ob der Tenor denn das hohe C an diesem Abend wohl ohne Kiekser schaffen würde - als mit der oft dümmlichen Handlung des Werkes....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Es ist eine Frage als was man Oper sieht: Als gesungenes Theater mit interessanter Handlung - oder als Rahmenhandlung um recht viele effektvolle Musikstücke miteinander zu verknüpfen.


    Letzteres was meiner Meinung nach bis zum Verismo die Hauptaufgabe, auch wenn das viele bezweifeln werden.


    Insbesondere die Musikgeschichtsschreibung bezweifelt das.
    :baeh01:


    Zitat

    Opernliebhaber der Vergangenheit befassten sich lieber mit der brennenden Frage ob der Tenor denn das hohe C an diesem Abend wohl ohne Kiekser schaffen würde - als mit der oft dümmlichen Handlung des Werkes....


    Das kenne ich jetzt eher von Opernliebhabern der Gegenwart. Vom Publikum Monteverdis kann ich mir so eine Zirkusattraktionsmentalität nicht vorstellen, da ging es ein wenig intellektueller zu.


    Aber das hat mit "Rampensingen" eigentlich nichts zu tun - wer sagt denn, dass im Theater nicht an der Rampe gestanden wird? Kann ich mir auch bei gesprochenen Monologen gut vorstellen - vielleicht weiß ja jemand mehr (ich meine jetzt natürlich nicht "Burgtheater heute" sondern "Gryphius live").

  • Ich finde, am Rampensingen kann man mal wieder sehen, dass sich Regie- und Traditionstheater im Grunde gar nicht so fern sind: Häufig wird dem Traditionstheater Rampensingerei vorgeworfen. Häufig zu Recht. Oft genug ertönt aber auch der Vorwurf ans Regietheater, dass die Figuren zu weit voneinader entfernt seien und nicht in Beziehung treten könnten (Beispiel "Tristan"). Und wenn sie's dann tun, ist es Aktionismus. Jeder, wie er meint :pfeif:.


    :hello:

  • Ja, aber warum wird es vorgeworfen? Was ist das Schlimme daran???? Wieso "häufig zu recht"? Wie oft hast du persönlich das erlebt? Grundsätzlich: Ist es nicht besser, ein Tenor trifft jeden Ton an der Rampe als wenn er wie wild herumhechten muss von einer Seite der Bühne zur nächsten, wie z.B. beim Kupfer-Ring, und man kaum mehr was versteht???

  • Lieber verständliches Rampensingen als Herumgehoppse, welches die Gesangesleistungen beeinträchtigt. Höre ich auch nicht zum ersten Mal, daß letzteres wirklich der Fall ist. Beklagt man etwa auch an der Semperoper.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.
    Lieber verständliches Rampensingen als Herumgehoppse, welches die Gesangesleistungen beeinträchtigt.


    Es beeinträchtigt nicht nur oft die Gesangsleistung sondern auch - mich.
    Ich erinnere mich an eine Chowantschina von Kupfer in Hamburg. Ich saß im Parkett 2. oder 3. Reihe Mitte und kam mir bei dem Herumgerenne vor wie beim Tennis: links - rechts - links - rechts - usw.


    Es ist ja nichts gegen Aktion auf der Bühne zu sagen (Wobei ich gegen inszenierte Ouvertüren ziemlich allergisch bin. Mein Gott, darf ich mir nicht einmal da noch meine eigenen Gedanken machen? :angry:), aber ich liebe einfach auch die Ruhemomente in all der Hektik, das Zu-sich-selber-kommen. Es heißt ja nicht, dass der Sänger mit immer den selben stereotypen Bewegungen wie einst Pavarotti 'rumsteht und das Publikum bedient. Meditative Momente kann man auch anders ausdrücken, wo sie dann stattfinden, ist letzlich egal.


    :hello: Gustav

  • Rampensingen ist für mich einfach der Begriff, wenn man alle Momente (auch in einer Arie) verschenkt, wo die Inszenierung Möglichkeiten hätte Bezüge auf der Bühne darzustellen. Es gibt aber auch Arien, da halte ich das Rampensingen für die richtige Inszenierung, zum Beispiel Wolframs "Abendstern" oder Alvaros "O tu che inseno agli angeli". Aber zum beispiel bei der Registerarie Leporellos gibt es soviele Momente für Bewegung. Ich finde man muss auch sänger auch das Gefühl dafür haben, wann man sich nicht nur statisch an einem Fleck nahe dem Dirigentem aufhält um schöne Töne zu singen. Die angemessene Präsentation gehört auch dazu.
    Und als Regisseur sollte man soviel Verständnis haben für Musik und Gesang, dass man weiß wann man mal Ruhe einkehren lässt auf der Bühne, aber auch wann man mit wenigen Handgriffen, die lange Arie lebendig und nicht statisch erscheinen lässt.

  • Wenn der Sänger so absolut umwerfend singt, daß er mich alles andere vergessen macht ist es mir völlig egal, ob er nur an der Rampe steht und das Publikum ansingt.

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  • Also, so langsam bestätigt sich, was ich vermutet habe: "Rampensingen" wird überwiegend nicht als störend - in einigen Fällen sogar als gut - empfunden. Dann können wir ja als nächstes fragen, wen "Wackel"-kulissen stören? Wenn man sie denn überhaupt erlebt hat....

  • Besser Rampensingen
    als, daß Schlampen singen.


    :beatnik:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • ...das reimt sich aber nicht :baeh01:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Also, so langsam bestätigt sich, was ich vermutet habe: "Rampensingen" wird überwiegend nicht als störend - in einigen Fällen sogar als gut - empfunden.


    Oh doch, es stört mich dann, wenn ich sehe, dass der Regisseur bzw der Sänger, nichts anderes drauf hat als sich an der Rampe zu parken. Situationen müssen inder Oper ausgekostet werden, auf die eine oder andere Art. Wo es gilt Beziehungen herzustellen, muss man das auch sehen. In Ensembles ist dieser völlige Stillstand ganz besonders schlimm.

  • In Ensembles hat der Stillstand doch einen Sinn und muß daher fast schon sein! Klassisches Beispiel ist das Sextett in Lucia di Lammermoor - jeder singt über seine inneren Befindlichkeiten - und ich sehe nicht, was man da noch groß inszenieren soll; mglw. macht man durch Aktionismus dieses großartige Stück Musik dann in der Wirkung kaputt...


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Gegenbeispiel: DAs Finale des ersten Aktes im Don Giovanni, genauer die Stretta. Da singt zwar Don Giovanni auch über innere Befindlichkeiten, aber trotzdem muss da Bewegung drin sein. Das drückt schon die Musik aus.

  • Zitat

    Original von WotanCB
    Gegenbeispiel: DAs Finale des ersten Aktes im Don Giovanni, genauer die Stretta. Da singt zwar Don Giovanni auch über innere Befindlichkeiten, aber trotzdem muss da Bewegung drin sein. Das drückt schon die Musik aus.


    Das ist richtig. Aber ich denke, diese Szene und natürlich auch die Registerarie hat man auch in klassischen Inszenierungen nie als Rampensingen gebracht. Arien, in denen sich die Singenden an andere Personen auf der Bühne wenden, müssen natürlich gespielt werden.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Original von Gustav
    Das ist richtig. Aber ich denke, diese Szene und natürlich auch die Registerarie hat man auch in klassischen Inszenierungen nie als Rampensingen gebracht. Arien, in denen sich die Singenden an andere Personen auf der Bühne wenden, müssen natürlich gespielt werden.


    Ja, so sehe ich das auch. Ich glaube, ich habe nur ein einziges Mal richtiges Rampensingen erlebt: In Düsseldorf war es, beim Freischütz. Da wurde die Agathe von einer Debütantin gesungen und die Arme war arg nervös. Da ist sie bei "Wie nahte mir der Schlummer" nach ganz vorne gegangen und hat da gestanden bis zum Ende der Arie. Irgendiwe hatte das was Rührendes und gestört hat es mich nicht, dem Applaus nach, die anderen auch nicht.

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