Daniel Barenboim - Licht und Schatten eines internationalen Stars

  • Im Hinblick auf seine künstlerischen Verdienste also alles weiter laufen lassen, ist definitiv keine Lösung. Und der Vorschlag, die verbleibende gemeinsame Zeit einfach nur noch zu "genießen", wie hier von einem User vorgeschlagen, ist einfach nur eine Verhöhnung der Leidtragenden vor Ort.

    Wir sind da gar nicht weit auseinander. Für jeden "normalen" Menschen gilt ein Rentenalter ab 65. Das sollte auch für Positionen wie einen GMD gelten, der in dieser Funktion ja nicht nur Musker ist. Insofern Zustimmung zu einer baldestmöglichen Nachfolge. Günter Wand hatte auf diese Weise noch eine prächtige Alterskarriere. In Köln beamteter Staatsdiener bis zu seinem 65. Lebensjahr, danach gefragter freischaffender Dirigent. Und auch bei dem zeigten sich schon Anspannungen zwischen ihm und dem in einer Gewerkschaft -horribile dictu- organsierten Gürzenich. Mittlerweile sind die Abstände zwischen den Genrationen noch gewachsen. Keine Zeit mehr für überaltete Chefs.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Tragisch ist halt, wenn man - falls das alles so stimmt, der Artikel enthält ja nur Darstellungen, keine Belege - als Diktator auftritt und dann trotzdem nur mediokre musikalische Ergebnisse erzielt. Szell beispielsweise war auch Diktator, aber er erzielte auf diesem Wege eben Spitzenleistungen mit dem Ideal, ein Orchester mit einem homogenen Klang wie ein Streichquartett zu formen. Heute stehen Dirigenten hoch im Kurs, die ihr Orchester „mitnehmen“. Und zwar auf andere Weise, als dies ein Furtwängler tat, der das musikalische Geschehen mit seiner Autorität steuerte. Solche Ergebnisqualität hat halt Barenboim nicht vorzuweisen.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Günter Wand hatte auf diese Weise noch eine prächtige Alterskarriere.

    Ja, den habe ich in den 1990er Jahren in Berlin noch recht häufig erlebt. Er wurde nämlich zum ersten Gastdirigenten des BSO/DSO ernannt, dessen Chef Ashkenazy war. Erfahrene Konzertgänger rieten mir "Grünling" damals, nicht zu Ashkenazy, sondern nur zu Wand zu gehen. Dann ging ich 1993 doch in Mahlers Zweite unter Ashkenazy - und danach ging ich dann nur noch zu Wand. :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da mein Beitrag zu Ashkenazy gelöscht wurde, dazu der Nachtrag.


    Man kann die künstlerische Qualität und Lebensleistung eines Dirigenten nicht nach einem einzigen, vielleicht nicht gelungenen Konzert beurteilen. Jeder - selbst die größten - Musiker hatten ihre schwächeren Momente. Das gilt selbst für Karajan oder Bernstein.


    Ashkenazy kam zum Dirigieren, weil man ihn in Island bat, ein Chorkonzert zu dirigieren. Er lehnte zunächst ab, weil er schlicht kein Dirigent war. Dann hat man ihm zugeredet und er nahm bei seinem Schwiegervater Unterricht. Das Konzert wurde ein voller Erfolg. Später wiederholte sich das mit dem berühmten Philharmonia Orchestra in London. Auch da hatte er großen Erfolg und die Musiker waren sehr von ihm überzeugt. Wenn die Musiker eines Orchesters einen Dirigenten, der eigentlich nicht dirigieren will, dazu drängen, doch zu dirigieren, dann muss er etwas können. Ashkenazy hat offenbar eine große Begabung als Dirigent, nur nicht die Ausbildung gehabt. Mit den Jahren hat er als Autodidakt viel gelernt und alle große bedeutenden Orchester der Welt dirigiert. Er war nach Berlin kurzzeitig Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie, später in Japan und zuletzt in Sidney. Solche Engagements und Verträge bekommt man nur, wenn die künstlerische Leistung überzeugt. Ashkenazy hat ein sehr großes Repertoire - bis hin zu Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts - und etliche Einspielungen, die hoch gelobt werden wie etwa seine Rachmaninow-Aufnahmen mit dem Concertgebouw Orkest, sein Sibelius und sein Prokofieff. Er hat u.a. eine hervorragende Platte mit Debussy gemacht mit dem Cleveland Orchestra. Die braucht sich auch vor Pierre Boulez nicht zu verstecken. Dazu hat er so ziemlich alle bedeutenden Solisten begleitet und Aufnahmen gemacht. Ich habe von ihm u.a. die Prokofieff-Konzerte mit Yewgeny Kissin. Eine solche Dirigentenpersönlichkeit als unerfahrenen Grünschnabel und Nichtkönner hinzustellen, der angeblich nur von seinem Bonus als Pianist profitiert hat, ist völlig absurd und abwegig. Dann müssen wohl die Musiker der großen Orchester der Welt, die ihn für Konzerte und Plattenaufnahmen engagieren, alle inkompetent sein was die Bewertung der Qualität eines Dirgenten angeht, mit dem sie zusammenarbeiten. Ich weiß auch von Jemanden, der wirklich ein Experte ist und Interna kennt, u.a. mit Kurt Sanderling persönlich vertraut war, der berichtet, dass Ashkenazy wirklich mitreißende Konzerte dirigieren konnte die außergewöhnlich waren. Trotz seiner dirigiertechnischen Schwächen, die er zu beginn seiner Karriere zeigte. Da war aber sehr uneitel und ungemein lernfähig. Dazu hat er etwa eine eigene Orchesterfassung von Mussorgskys Bildern komponiert und auch dirigiert, die sehr hörenswert ist.


    Wer Ashkenazy als Pianisten kennt (und ich kenne ihn wirklich sehr gut!), der wird wissen, dass sich sein Spiel durch eine "orchestrale" Qualität auszeichnet. Die Stimmenbalance ist immer perfekt.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hier geht es ja nicht um Ashkenazy, den ich als Musiker (Dirigent und Pianist) sehr hoch schätze und folglich eine Menge CDs mit ihm habe ...

    Holger ... :thumbup: Zustimmung zu Beitrag 124



    Barenboim in der Kölner PH mit dem Chicago SO (April 2000)


    In meiner BestBuy-DVD-Box ist auch eine DVD mit Barenboim / CSO, die ein Konzert mit Werken von Boulez / Debussy und de Falla spielen.


    Auf CD habe ich wenig mit Barenboim vorliegen, weil er mich nicht so immens interessiert; nur ein paar Aufnahmen mit dem CSO (Saint-Saens 3, und Lutoslawski 3.) und die berühmte Cellokonzert - CD mit du Pre, die sich hören lassen können.


    :!:Die o.g. und abgebildete CD kann sich hören (und sehen) lassen.

    Grandios wie er Notations i-IV von Boulez interpretiert (auch wenn mir das Werk in seiner avantgardistischen Tonsprache nicht so dolle gefällt), Debussy-La Mer dirigierter ausgezeichnet mit Detailbewustsein (aber nicht so feurig wie Ormandy - auch in der 11 DVD-Box enthalten !). :) Das Highlight ist aber das Ballett Der Dreispitz von de Falla. Hier entlockt er dem Orchester wunderbare Orchesterfarben gepaart mit einer spannenden Darbietung und zeigt sich als fabelhafter Sachwalter ... auf dem hohen Niveau, wie die Ansermet-Aufnahme !

    Wenn man Barenboim vor so ein Orchester wie das CSO stellt, dann ist das Ergebnis Klasse !

    Anschiessend kann man auf der DVD auch einem interessanten Interview von Barenboim mit Boulez lauschen.


    Hier die Abb der Einzel-DVD:

    515Dbbl7uFL._SY300_.jpg

    EuroArts, 2000, DTS 5.1

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    ich habe diesen Thread sehr ausführlich verfolgt, da ich Daniel Barenboim seit meiner Jugendzeit sehr bewundere und verehre. Nun bin ich ja eher piano-affin, aber ich habe mich 'nebenher' immer wieder mit Kammermusik und Orchestermusik beschäftigt. Barenboim erlebte ich vor wenigen jahren mit der Staatskapelle Berlin im Münchner Gasteig (R. Strauss, Beethoven), dann vor Corona mehrfach in Salzburg kammermusikalisch und die Wiener Philharmoniker dirigierend. Es waren IMO sensationelle Musikbeherrschungen und Sternstunden. Die Mitmusiker waren begeistert wie auch das Publikum.


    Ich stimme Holger K. in den meisten Ausführungen zu. Auch bin ich verwundert, dass seine Beiträge hier gelöscht wurden !

    Zu der angeblichen 'handgreiflichkeit' Barenboims gegenüber einer Orchestermusikerin werde ich noch ein Beispiel aus meiner Klinikserfahrung geben.


    LG Siamak

  • Das ist genau so ein Fall, wo ein Musiker, der seinen Ruhm als Pianist erworben hat, von diesem Ruhm als Dirigent zehrte, obwohl er sich als solcher diesen Ruhm nie erworben hätte. Ich habe Ashkenazy als Chefdirigent des BSO/DSO in Berlin u.a. mit Mahlers Zweiter erlebt - zum Davonlaufen!

    Ich habe weiter oben schon angedeutet, daß Barenboim zu Beginn seiner "Dirigentenkarriere" - sagen wir es freundlich - nicht unumstritten war. Inzwischen bin ich an den Anfang dieses Threads gegangen und habe amüsiert festgestellt, daß Taminos aus der Steinzeit unseres Forums, das durchaus deutlich zum Ausdruck gebracht haben und sogar seine Leistung als Pianist der Beethoven Klavierkonzerte unter Klemperer in Frage stellten, oder allgemeiner formuliert, das "Gesamtergebnis"

    Ferner wurden seine Mozart-Klavierkonzerte als "verzuckert" bezeichnet. Hier möchte ich ihn verteidigen: Immerhin wurden diese Aufnahmen mit der "Wiener Flötenuhr" (Preis der Mozartgemeinde Wien) ausgezeichnet - trafen also den Nerv der Zeit der Vinyl-Ära

    Allerdings hat die EMI diese Serie recht bald in die Midprice-Serie "Das Meisterwerk" verschoben. weshalb ich einige Cd davon gekauft habe (auch die Covergestaltng mit Werken von französischen Rokokomalern mag ein zusätzlicher Anreiz gewesen sein) - denn eine gröere Anzahl von LPs mit den von mir bevorzugten Aufahmen mit Geza Anda - war für mich damals zu teuer.- Eine kostete ca 1/4 der monatlichen Lehrlingsentschädigung - Zu Beginn der Lehrzeit sogar 1/3.....111


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Noch ein Konzert als Ergänzung zu Wolfgang:


    Das Open-Air-Konzert hatte ich im Fernsehen gesehen - Barenboim und die phantastische Lisa Batiashvili mit dem Tschaikowsky-Violinkonzert. Fand ich überragend. Auf der CD ist noch das Sibelius-Konzert dabei. Da ist Batiashvili ohnehin unschlagbar - und Barenboim sekundiert offenbar kongenial. Die CD muss wohl noch unbedingt in meine Sammlung ...:



    Am 25.3. erscheint von ihm diese CD - um die ich natürlich auch nicht herumkommen werde... :)



    Schöne Grüße

    Holger

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich habe weiter oben schon angedeutet, daß Barenboim zu Beginn seiner "Dirigentenkarriere"

    Warum musst Du "Dirigentenkarriere" in Anführungszeichen setzen, lieber Alfred? Er hat doch nun wirklich Karriere als Dirigent gemacht - und das so erfolgreich, wie nur wenige Andere!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Bei jpc gibt es als Japan-Import dieselbe oben schon verlinkte CD als "Ultiimate High Quality CD" - für fast den doppelten Preis (37.99 Euro). Das ist happig - aber: sie klingt schon durch die Hörschnipsel nachvollziehbar erheblich (!) besser. Mann.... ;(


    Hier:


  • Ich wage mal ein Statement, für das mich einige Ultra-Wagnerianer sicher steinigen werden: seine Parsifal-Studioaufnahme finde ich ganz hervorragend! Mein liebster Parsifal bleibt die Bayreuther Aufnahme von 1962 unter Knappertsbusch, aber ich greife fast ebenso häufig zu Barenboims Version. Nicht zuletzt wegen der sehr ausgewogenen Besetzung.

  • Ich bin eigentlich kein Fan solcher Encores-Alben, aber dieses hier ist einfach wunderbar! Vor allem der Schumann (Auswahl aus den Fantasiestücken op. 12). Aber auch die Chopin-Etüden sind voller Nuancen und Schattierungen. Ein herrliches Album!

  • Ich bin eigentlich kein Fan solcher Encores-Alben, aber dieses hier ist einfach wunderbar! Vor allem der Schumann (Auswahl aus den !Fantasiestücken op. 12). Aber auch die Chopin-Etüden sind voller Nuancen und Schattierungen. Ein herrliches Album!

    Lieber Christian,


    eigentlich wollte ich es ja haben, konnte mich aber bisher nicht entscheiden. Jetzt hast Du den Ausschlag gegeben, wohin das Pendel tendiert! :) (Wirklich sehr schön ist auch das Encores-Album von Nelson Freire!)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Schon das Neujahrskonzert war eine deprimierende Angelegenheit, und der Eindruck dieser Kritik wurde von verschiedenen Seiten bestätigt.

  • Bei allem Respekt vor seiner Lebensleistung, er selbst sollte es wissen, was er sich und seinem Publikum noch zumuten kann. Der Ring im Herbst wird ihm sehr viel abfordern, für die Vorproben und Einstudierungen hat er seine Leute, allen voran der famose Thomas Guggeis, aber irgendwann wird es dann sehr ernst. Ich bin mir sicher, die Staatsoper hat schon längst einen Plan B zur Hand. Alles andere wäre unverantwortlich. Die Frage ist, wer als Nachfolger in Frage kommt. Es wäre sinnvoll, ihn schon in der Schublade zu haben. Thielemann hat ein grandioses Einspringerkonzert mit der Staatskapelle Ende Juni vollbracht, er stünde ganz noch nicht zur Verfügung, aber könnte ja erstmal vorübergehend auch auf zwei Hochzeiten tanzen. Allerdings denke ich, dass er politisch in Berlin nicht gewollt ist. Es wird spannend.

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Ich würde mich ja sehr über eine Rückkehr Thielemann nach Berlin freuen, aber ich bin ebenso skeptisch, inwieweit er hier gewollt wäre. Obwohl die ja schon nahezu über-euphorische Reaktion der Staatsoper selbst auf ihren Einspringer, die ich in den Sozialen Medien verfolgen konnte, vermuten ließe, dass man ihn dort schon wollen würde.

    Thielemann gilt ja als schwierig, aber das sollte bei dieser Nachfolge-Frage nicht im Wege stehen, denn Barenboim ist ja nun auch kein Schätzchen. Ich habe ihn mal bei einer Generalprobe für - ich glaube Walküre oder Siegfried - erlebt und fand sein Auftreten gegenüber den Musikern und sonstigen Mitwirkenden schon teilweise grenzwertig - so nach dem Motto "Das Genie darf alles und muss keinerlei Rücksichten auf andere nehmen".

    Aber Handlungsdruck in Sachen Nachfolge für Barenboim ist so oder so da. Auch wenn ich kein großer Barenboim-Fan bin, wäre es ohne Frage schade, wenn er die Zeit eines guten Abschieds verpassen würde.

    "Jein".

    Fettes Brot

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  • Barenboims Klavieraufnahmen waren in letzter Zeit - bis auf die beiden Brahms-Konzerte mit Dudamel - wirklich vorzüglich! Er hat in der Pandemie ja noch einmal den kompletten Beethoven eingespielt. Ich habe da bisher nur reingehört, finde aber, dass es viel zu entdecken gibt. Und vor allem besitzt er die Fähigkeit, die Musik zum Atmen zu bringen und sie mit Leben zu erfüllen. Ich wünsche mir auch, dass er den richtigen Zeitpunkt nicht verpasst, deswegen bin ich über die Meldung oben doch ein wenig erschrocken.



  • Zauberhaft! Allerhöchste Kultur des Klavierspiels - schon das Schubert-Impromptu gleich zu Beginn haut einen vom Hocker, wie man so schön sagt! Aufgenommen ist das während des Lockdowns 2020 im Pierre Boulez-Saal in Berlin (bis auf den Debussy) - wenn Barenboim, der Vielbeschäftigte, die Zeit hat, die er braucht, zeigt er, was er auf dem Klavier kann, wirklich einer der großen Pianisten ist.


    Einen gehörigen Teil dazu bei trägt auch Barenboims Maene-Flügel - der wie der Hammerflügel eine parallele und nicht überkreuzende Besaitung hat und die Qualitäten der alten Instrumente mit denen des Steinway von heute (Duplex-Skala!) verbindet. Ein phantastisches Instrument ist das einfach! Das erfährt man natürlich nicht, wenn man nur das Download hat, sondern nur vom Klappentext der CD! :)


    Hier hatte ich Barenboims erste Platte auf dem Maene-Flügel besprochen:


    Das Hammerklavier als moderner Konzertflügel. Daniel Barenboims Maene-Flügel


    Schöne Grüße

    Holger

  • In den letzten Jahren habe ich von Barenboim sehr wenige überzeugende Dirigate mitbekommen, ihn seit längerem aber, ehrlich gesagt, auch kaum mehr auf dem Schirm (über den Pianisten will ich mir kein Urteil erlauben, dafür gibt es Berufenere). Es ist nicht so, dass Barenboim nicht mal so etwas wie eine große Zeit als Dirigent gehabt hätte. Die Perlen in seiner Diskographie liegen nach meinem Eindruck aber meist (sehr) weit zurück. Ich komme nicht umhin, einige Momente in seinem Bayreuther "Ring" Anfang der 90er Jahre für wirklich grandios dirigiert zu empfinden. Welch opulenten und vollen Klang er dem Festspielorchester etwa in Wotans Abschied (mit dem kongenialen John Tomlinson) entlockt, das ist famos und erreicht das Format von Knappertsbusch. Ziemlich belanglos fand ich hingegen bereits seine Wagner-Dirigate der letzten etwa 10-15 Jahre. Der Scala-"Ring" war kein Vergleich dazu, was nicht nur an den suboptimaleren Sängern lag. Und im symphonischen Bereich müsste ich auch lange überlegen, um etwas wirklich Herausragendes zu benennen. Sehr gut war manches von seinem frühen Bruckner als Chicago (etwa die "Nullte"). Und superb fand ich die fünf Klavierkonzerte von Beethoven mit Rubinstein. Aber da sind wir bereits wieder in den 70er Jahren. Eine Zumutung hingegen die letzte Beethoven Siebente (auf der Platte mit dem Trippelkonzert). Dass so etwas ernsthaft zur Veröffentlichung gelangt, beweist die mangelhaften Qualitätsstandards heutzutage. Das West-Eastern Divan Orchestra mag politisch eine feine Sache sein, aber qualitativ hat mich das noch nie überzeugen können.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Bei dem frühen Barenboim gab's auch immer den Wettstreit der beiden Label EMI und DGG. Barenboim und Klemperer nehmen die 5 KKs von Beethoven auf? DGG antwortet mit Kempff und Leitner. Ein paar Jahre später: Beethovens Klaviertrios mit Barenboim, duPre und Zukerman? Die GA mit Kempff, Szeryng und Fournier folgt auf dem Fuße. Schließlich die KKs von Mozart. Barenboim dirigiert vom Flügel aus, die DGG bringt eine GA mit Geza Anda auf den Markt, der ebenfalls vom Flügel aus dirigiert. Das Ergebnis ist nun in gewisser Weise Geschmacksache. Bei den Klavierkonzerten tendiere ich zu Barenboim/Klemperer (zumal mir bei Kempff die alten mono-Aufnahmen mit Paul van Kempen besser gefallen), bei den Klaviertrios favosrisiere ich ohnehin die bei ConcertHall erschienen GA mit dem unglaublichen Trio Santoliquido, würde bei dem Labelwettstreit allerdings zur DGG neigen, ähnlich wie bei den Mozart-Konzerten. Das ist mir bei Barenboim doch eine Spur zu süffig und der Klang der EMI-Platten (ich rede hier immer von den LPs) ist dem der DGG-Platte in diesem Fale unterlegen. Live habe ich ihn in Köln zweimal erlebt, einmal mit Beethovens 9 und seiner frisch übernommenen Berliner Staatskapelle, in meiner Erinnerung das kalte Grausen mit einem ganz fürchterlich-larmoyant gespielten, ans Kitschige kratzenden 3. Satz, weit entfernt von der Qualität, die Otmar Suitner mit dem selben Orchester und dem nämlichen Werk eingespielt hat, später mit einem Richard Strauß Programm und den Chicagoern, das fulminant war.


    Barenboim bleibt für mich ein Rätsel und leidet wohl wie viele dieser Hochglanzkünstler darunter, daß ein derart in den Himmel geschriebener Künstler naturgemäß kritischer betrachte wird als andere, und dass er -ähnlich wie etwa Karajan- viel zu viel in Rillen pressen ließ, sich selbst mithin als Marke promotet. Unstreitig gibt es Perlen im Opus Barenboimii wie auch im Opus Karajanii aber eben auch einiges, was man besser gelassen hätte.


    Dass er überschätzt wäre kann ich nicht unterstreichen, denn jenseits des Markgeschreis der Plattenfirmen setzt man sich durchaus angemessen mit Barenboim auseinander. Ich unterstreiche etwa Joseph II. Anmerkung zu der Aufnahme Rubinstein/Barenboim, die ich für sensationell halte, gesteh aber auch, dass er in meiner Plattensammlung kaum stattfindet. Immerhin reizt es mich, Dr. Holger Kaletha`s Empehlung seiner aktuellen Rezital-CD zu folgen


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich war erschrocken, als ich ihn gestern Abend mit seinem Orchester sah. Er scheint sehr krank zu sein, sodass es aussah, als ob sein Orchester eh allein spielte.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich glaube, ich habe es hier schon einmal irgendwo geschrieben: Zu den Perlen seiner Diskographie würde ich neben den erwähnten Beethoven KK mit Rubinstein auch seine Aufnahmen der Beethoven-Symphonien mit der Staatskapelle Berlin von 1999 rechnen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Thomas Pape

    Hat den Titel des Themas von „Daniel Barenboim - weit überschätzt!?“ zu „Daniel Barenboim - Licht und Schatten eines internationalen Stars“ geändert.
  • Hans Heukenkamp beanstandet zu recht, dass der reißerische Titel "Daniel Barenboim-weit überschätzt" nicht ganz angemessen sei. Dem stimme ich zu und habe ihn geändert. TP

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  • lieber Holger, vielen Dank für die Info über den Flügel, das wusste ich als Downloader nicht, habe es mir aber gedacht! Ja, wenn er sich die Zeit nimmt, dann ist das ein großer Pianist. Habe mir am WE seine neue Einspielung von Beethoven op. 109 angehört. Die hat er ja auch in der Pandemie aufgenommen. Aber da fand ich dann doch, dass er in den entscheidenden Stellen das Tempo zurücknimmt, und nicht aus musikalischen Gründen. So hat mich der Variationssatz da doch enttäuscht - kein Vergleich zu Serkin, der hier anzieht und expressiv verdichtet und die Dissonanzen maximal ausspielt!
    Viele Grüße, Christian

  • Wie schon zu erwarten war hat Barenboim den Ring an der Staatsoper abgesagt. Stattdessen übernehmen Thielemann und den zweiten Zyklus Guggeis.

  • So hat mich der Variationssatz da doch enttäuscht - kein Vergleich zu Serkin, der hier anzieht und expressiv verdichtet und die Dissonanzen maximal ausspielt!

    Lieber Christian,


    Du meinst Serkins DGG-Aufnahme? Die habe ich! Jetzt bin ich aber wirklich neugierig, ob Barenboim die Beethoven-Sonaten nicht doch auf dem Maene-Flügel aufgenommen hat. Das müsste man eigentlich rauskriegen können.... ;)


    Die Schumann-Fantasiestücke werde ich noch hören. Gestern hatte ich nicht die Zeit - heute vielleicht! :) :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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