Andrea Chénier in Hamburg, 07.02.

  • Rauchen ist in der Hamburgischen Staatsoper aus Gesundheitsgründen verboten. KRACH leider nicht.


    Ich komme gerade von der Premiere "Andrea Chénier" wieder und möchte einfach einmal ein paar Eindrücke hier fest halten. Vielleicht waren ja auch noch ein paar andere Taminos da und wir können uns austauschen.


    Die Besetzung klang sehr vielversprechend:
    Johan Botha, Norma Fantini, Franz Grundheber. Am Pult die Hausherrin Simone Young und alles als eine halbszenische Aufführung.


    Dies war mein erster "Chénier" live, ich kannte ihn vorher nur von Aufnahmen her (Stella - Corelli, Marton - Carreras) und war sehr gespannt. Botha und Fantini hatte ich vorher noch nie gehört und vor allem der Fantini wegen hat der Abend sich für mich doch gelohnt.


    Botha (lassen wir die Bühnenerscheinung einmal beiseite, das kann man wettmachen, siehe Caballe) sang unendlich gepflegt seine Partie und vor allem auch seine Arien. Er war sehr um technische Sauberkeit bemüht und das gelang ihm auch. Leider kommt es bei dem "Chénier" und ihm Verismo darauf IMO nicht so seh an, sondern auf Leidenschaft, Emphase, Ausdruck usw. Und da kann ich nur sagen: Fehlanzeige. Das ging soweit, dass "Si, fu soldato" so beiläufig endete, ohne auch nur den Hauch eines Schlussakzentes, dass das Publikum völlig überrascht war und zunächst niemand klatschte. Dann rafften sich zwei Zuschauer auf. Aber zwei Zuschauer, die jeweils zweimal klatschen, das ergibt noch keinen Beifallsorkan und den müsste es eigentlich nach jeder seiner Arien geben.


    Fantini hat eine wirklich tolle Stimme, ein klassischer Verdi - Sopran und ich war auch erfreut, einmal wieder eine Italienerin in einer italienischen Oper zu hören. Das kommt bei uns nicht so häufig vor und oftmals rächt es sich.
    Sie schien zunächst sehr nervös zu sein, die Stimme wies ein relativ starkes Vibrato auf und erst im Duett des zweiten Bildes fing sie sich. Dann gelangen ihr aber wirklich herrliche Phrasen mit einer wunderschönen, sehr warmen Höhe. Leider litt ihre Arie im dritten Bild wieder unter dieser Unsicherheit. Einige Spitzentöne wurden ausgelassen, das Vibrato war wieder da und das Schluss - C war, glaube ich auch keines. Da bin ich mir aber nicht sicher. An der Seite von Botha im Schlussduett war sie dann wieder viel sicherer, die Stimme gehorchte ihre und die Spitzentöne waren makellos und so in Hamburg lange nicht mehr gehört. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie in den folgenden Vorstellungen besser, weil sicherer ist.


    Für Grundheber (73! Jahre) war es das Debut als Gerard. Die Stimme ist wirklich unglaublich. Natürlich fehlt es ihm nun an Biegsamkeit und dynamischer Bandbreite, aber die Höhe ist immer noch hervorragend, der Klang voll und weich und schließlich weiß er auch, was er singt und kann dieses darstellen. Verdienter großer Jubel für ihn.


    So weit man von großem Jubel an diesem Abend sprechen kann. Das Haus war wohl zu dreiviertel gefüllt, das alleine schon ein Zeichen. Und Stimmung kam den ganzen Abend nicht auf. Was natürlich bei einem "Chénier" tötlich ist. Andererseits muss man das erst einmal schaffen. :D


    Das lag vielleicht ein wenig an Botha, vor allem aber an der Hausherrin, die für ihre "Leistung" v.a. nach der Pause massive Buhs einstecken musste. Es war, siehe oben, ein unerträglicher Krach. Sämtliche Solisten, die sich zum Glück nicht zum Schreien verleiten ließen, wurden gnadenlos zugedeckt und die ganze Partitur so unitalienisch wie möglich heruntergehackt. Das zerstörte natürlich jeden musikalischen Fluss, so dass der Funke einfach nicht überspringen konnte.


    Es ist schade. Nun gab es endlich einmal wieder eine gut besetzte Premiere in Hamburg und dann fehlte es an der musikalischen Seite. Also wieder eine vertane Chance in Hamburg.


    :hello: Gustav

  • Danke, Gustav, für Deinen Bericht.


    Ich hatte eher zufällig Plakate an einigen S-Bahnhöfen auf dem Weg zur Arbeit gesehen und mir kurzzeitig überlegt, Karten zur Premiere zu besorgen.
    Leider war es zeitlich zu knapp, aber wie ich lese, hält sich die Trauer in Grenzen.


    "Hamburg" hätte sich einmal trauen sollen, die Oper als (Neu-)Inszenierung herauszubringen, wenngleich sie sicherlich nicht einfach zu inseznieren sein dürfte....


    Sei's drum. Schön zu lesen, daß Franz Grundheber stimmlich noch so gut in Form ist. Ihn höre ich sehr gerne...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Norbert!


    Lass dich bitte nicht zu sehr abschrecken. Die Fantini wird sicherlich noch besser und die Frage ist, ob wir sie in Hamburg noch einmal hören werden. Und Grundheber wird ja nun leider auch nicht mehr ewg singen. Ihn sollte man doch nicht verpassen.


    Wie ich im Programmheft gelesen habe, hat Mahler die Hamburger Erstaufführung dirigiert und letzmalig gab es sie 1955 in einer Produktion, deren Premiere Peter Anders gesungen hat. Eine szenische Inszenierung wäre wirklich überfällig und es ist schade, dass man da nicht enmal so richtig "geklotzt" hat.


    :hello: Gustav

  • Lieber Gustav,


    ein paar Termine gibt's ja noch, vielleicht wird's ganz spontan noch etwas. Mal schauen.


    Ich denke auch, daß nach 55 Jahren mal wieder eine Inszenierung "fällig" wäre.


    Eine Französische Revolution inszeniert sich natürlich nicht so einfach, aber daß Gustav Mahler vor über einem Jahrhundert mutiger war als die heutige Intendanz, ist wahrlich kein Ruhmesblatt... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Gustav,


    Dein Report veranlasst mich, entgegen ursprünglicher Absicht, für André Chenier nun doch eine Eintrittskarte zu kaufen. Ein Silberstreifen am Horizont in Hamburg - kaum zu fassen!


    Wenn der Beifall nicht brausen wollte, kann es auch daran gelegen haben, dass konzertante Aufführungen von Opernkonsumenten allgemein nicht so geliebt werden.


    Nun, ich werde mich vorher vorbereiten und meine Staubi-DVD mit Tomowa-Sintow und Zancanaro vorbeirauschen lassen.


    Der Chenier gehört eigentlich nicht zu meinen vevorzugten Belcanto-Opern.


    :(


    Nebenbei bemerkt: Bernstein hat seinen Candide auch nur als Konzertfassung auf die DVD bannen lassen. Um die fehlenden Dekorationen wettzumachen, schmuste Lenny öffentlich mit June Anderson und Christa Ludwig, den Damen des Abends. Die kühle Della Jones blieb außen vor, ihren Stuhl hatte man ans äußerste Ende der Reihe gerückt.


    Lieber Gustav, konntest Du feststellen, dass Simone Young sich Herrn Botha liebevoll genähert hat? Könnte eine Love Story von SJ. mit JB. über Ihre robuste Art, das Publikum gefangen zu nehmen, nicht ein wenig hinweghelfen?


    Herzlichen Gruß
    :angel:
    Engelbert

  • Das klingt alles wie meine Erfahrungen mit der letzten Lucia di Lammermoor: Sänger durchschnitt, Dirigat schrecklich. Man kann italienische Oper eben nicht wie Brahms o. Bruckner dirigieren. Mal sehen, am Donnerstag bin ich dabei.


    oiram

  • Ich hatte einen späteren Termin für diesen Andrea Chenier wahrgenommen.
    Nun wußte ich von Plakatankündigen aus Berlin das Frau Fantini dort die Norma vor einigen Jahren gesungen hat und habe mich vorweg über Youtube mit ihrer Aida vertraut gemacht.
    Johann Bohta kannte ich von zwei CD Recitels und einer schrecklich langweiligen Land des Lächelns Produktion, die auch im Fernsehen übertragen wurde, von daher wußte ich lyrisch schöne Momente, ja, dramatik, vollendete Fehlanzeige.
    Die große Arie im ersten Akt war auch mir zu lyrisch, aber im großen und ganzen, man kann es so machen, ein gelungener Abend, auch vom Dirigat her.
    In die Lucia bin ich übrigens nur gegangen wegen Herr Pirgu, einem hervorragenden jungen Tenor, den ich vorweg schon von seiner Studio CD her kannte, der NDR hällt es ja nicht für nötig interessante Sänger vorzustellen, die nicht gratis nachgeschoben werden, der auch an diesem Abend keine Wünsche offen ließ, gesanglich zumindest.
    Frau Lange hollte es dann drei Jahre zu spät, während der Rundfunkübertragung nach, wie peinlich, das diese CD erst dann vorgestellt wurde, gepaart mit einem Interview.
    Das Dirigat von Simone Young, ich muß auch hier wohl einen anderen Abend erwischt haben, war sehr gut und schlug so manche Hochpreisaufnahme um längen. Der gestrichene Finalton beim Sextett empfand auch ich als etwas ärgerlich, aber es gibt schlimmeres.
    Wie zum Beispiel den ersten Akt ihrer Walküre ( Rundfunkübertragung, Live im Haus und auf der CD ), selten einen langatmigeren 1. Aufzug gehört.
    Der Rest der Walküre war dann, wie ich es auch nicht anders von ihr gewohnt bin, erstklassig.

  • Lieber Sven,


    das der 1. Akt Walküre so langweilig war, lag wahrscheinlich am Bühnenbild, wenn S.Y. die ganze Zeit in eine Wohnküche schauen muss, war sie vielleicht etwas eingeschlafen.
    Ich fand allerdings auch die weiteren Akte nicht so aufregend, vor allen der Sänger wegen, die leider meistens ihre Zukunft schon hinter sich hatten, wenn man über 60zig ist, sind Brünhilde und Fricka nicht mehr so ganz einfach. Und das Walküren-Balett mit den Krankenbetten ? na ja
    Die Lautstärke war allerdings erträglich - ja angemessen - vielleicht lag das an unseren Plätzen !

  • Lieber Günther


    Glaube mir, du warst ja selber dabei nicht nur das Bühnenbild im ersten Akt spottete jeder Beschreibung , das im zweiten mit Brünnhilde auf der Fensterbank und das dritte in einer, ich möchte hier schon von einer Ruine sprechen, haben nicht gerade dazu angeregt das interesse an diesem Werke zu steigern.
    Wenn die im großen und ganzen gute Besetzung, allen voran Deborah Polaski nicht gewesen wäre und wir wissen es beide, sie ist gewisserweise ja nur eingesprungen weil die andere " angeblich" erkrankt war, ich habe mich beim Kartenservice erkundigt, hätte man eingentlich nur schreiend rauslaufen können.
    Oder bin ich hier etwa zu altmodisch?


    Mit freundlichen Grüßen


    Sven

  • Hallo Sven,


    danke für die Antwort - dass ich vom Hamburger Ring bisher nur die "Walküre" gesehen habe, spricht ja wohl für sich.
    Ich bekam kürzlich einen Prospekt von der Oper zugesandt für die Aufführungen des kompletten "Rings" in Hamburg, nach der Walküren-Erfahrung habe ich von einer Bestellung abgesehen !
    Schade, denn ein paar Tage Hamburg - auch außerhalb der Oper - wären schon mal wieder ganz schön gewesen. So werden wir halt wieder im Sommer auf der Durchreise zur Nordsee in Hamburg einen Zwischenstopp einlegen, da gibts eh keine Oper ! =)