Aufnahmen klassischer Musik: Ein Weltkulturerbe?

  • Liebe Forianerinnen und Forianer,


    der finanzielle Niedergang der EMI hat - zumindest theoretisch - die Möglichkeit eröffnet, dass wertvolle Aufnahmen, deren Urheberrechte, Leistungsschutzrechte usw. usw. noch nicht abgelaufen sind, in irgendwelchen Archiven verschwinden und der Öffentlichkeit auf lange Zeit nicht zugänglich gemacht werden.


    Vor diesem Hintergrund frage ich:


    1) Was haltet Ihr von der Möglichkeit, Aufnahmen von einzigartiger historischer und interpretationsgeschichtlicher Relevanz mit dem Status "Weltkulturerbe" (oder einem vergleichbaren Status) zu versehen und jedermann/frau zugänglich zu machen? Haltet Ihr das für sinnvoll?


    2) Falls Ihr die erste Frage mit "ja" beantwortet: Wieviele Aufnahmen sollten diesen Status erhalten?


    3) Falls Ihr die erste Frage mit "ja" beantwortet: Wie sollte das Auswahlkomitee besetzt sein?


    (Hintergrundinfos findet man mühelos mithilfe der einschlägigen Suchmaschinen. Wenig bekannt ist z. B. dass die UNESCO im Jahre 2003 ein "Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes" verabschiedet hat. 116 Länder haben bisher dieses Übereinkommen ratifiziert, darunter die Schweiz. Österreich ist seit 2009 Mitgliedsstaat des Übereinkommens. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen nicht ratifiziert.)

  • Das sieht der Bundesrepublik ähnlich. Ich hatte immer den Eindruck, dass man hier, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, mit der Kultur nicht allzuviel "am Hut" hat.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    Original von Mme. Cortese
    Das sieht der Bundesrepublik ähnlich. Ich hatte immer den Eindruck, dass man hier, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, mit der Kultur nicht allzuviel "am Hut" hat.


    Mit Kultur hat die BRD seit Jahren nichts am Hut. Eine kulturfeindlichere Politik kann man sich eh kaum erdenken. Das fängt ja schon bei der verfehlten Schul- und Hochschul-Politik an.


    Zu den Ausgangsfragen:


    Zu 1.) Eine interessante Idee wäre es allemal, ja.


    Zu 2.) Da fangen die Schwierigkeiten bereits an ...


    Zu 3.) Vertreter, die auch wirklich etwas verstehen von dem, was sie da selektieren! Sprich: Am besten Musiker, auch Kulturschaffende im weiteren Sinne. Bloß keine Politiker!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Wolfram
    1) Was haltet Ihr von der Möglichkeit, Aufnahmen von einzigartiger historischer und interpretationsgeschichtlicher Relevanz mit dem Status "Weltkulturerbe" (oder einem vergleichbaren Status) zu versehen und jedermann/frau zugänglich zu machen? Haltet Ihr das für sinnvoll?


    Schon mal vom Deutschen Musikarchiv gehört? Reicht das nicht? Muss es unbedingt immer Weltkulturerbe sein?


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Grundsätzlich ja, wobei ich aber dazu neige der klassischen, bzw. E-Musik als solcher den Status eines Weltkulturerbes zuzuerkennen.
    Und weil nun das ziemlich allumfassend ist, wäre es meines Erachtens angebracht, das von enkidu2 erwähnte Deutsche Musikarchiv in seiner Bedeutung besser zu heben und es vielleicht in ein europäisches Archiv mit Filialen in allen Mitgliedsländern umzuwandeln.
    In wie weit das dann der Öffentlichkeit zugänglich ist und welcher Preis dafür zu entrichten ist: Am besten nach Ablauf einer gewissen Zeit kostenlos, bzw. höchstens zum Selbstkostenpreis, denn Kultur ist eigentlich Allgemeingut und der Zugang zu ihr sollte dem Interessierten nicht durch übermäßige Kosten verhindert werden.


    Viele Grüße
    John Doe

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  • Das Problem wird dereinst sein festzustellen was denn nun Ewigkeitsanspruch hat - und was nicht.
    Wir haben nun ca gute 130 Jahre Tonaufnahmen, wobei eine akzeptable Tonqualität (aus meiner Sicht) erst seit etwa 50 Jahren möglich ist, davor waren die Aufnahmen eher problematisch - und etliches davon geniesst alenfalls "historisches interesse"


    Wenn dereinst 100, 120, 150 und mehr Jahre lang Augfnahmen von weltberühmten Interpreten in den Archiven liegen, dann wird irgendwer entscheiden müssen was erhaltenswert ist und was nicht.


    Es ist aber auch möglich, daß ein weltweites Tonarchiv angelegt wird, welches dann in etwa das Schicksal viler Bibliotheken der vergangenen Jahrhunderte teilt. Deren Bücher werden zwas konserviert, katalogiesiert und restauriert - gelesen jedoch wahrscheinlich seit Jahrhunderten nicht.........


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Wolfram
    1) Was haltet Ihr von der Möglichkeit, Aufnahmen von einzigartiger historischer und interpretationsgeschichtlicher Relevanz mit dem Status "Weltkulturerbe" (oder einem vergleichbaren Status) zu versehen und jedermann/frau zugänglich zu machen? Haltet Ihr das für sinnvoll?


    Ich bin unbedingt dafür. Es kann nicht sein, dass Bauwerke, Kunstwerke, oder Landschaften als gemeinsames Erbe der Menschheit geschützt werden, Werk der Musik aber nicht.


    BTW: Das muss aber auch für literarische Werke gelten.



    Zitat

    Original von Wolfram
    2) Falls Ihr die erste Frage mit "ja" beantwortet: Wieviele Aufnahmen sollten diesen Status erhalten?


    Das kann man nicht nach Zahlen konkret im Voraus festlegen. Anders: die Beantwortung hängt von der Antwort auf die dritte Frage ab, weil sie sehr subjektiv ist.


    Was die Auswahl der Werke angeht: natürlich wird es schwierig sein, einen entsprechenden Kanon zu erstellen. Die Auswahl wird immer auch subjektiv geprägt sein. Das spricht aber nicht prinzipiell gegen die Idee.


    Zitat

    Original von Wolfram
    3) Falls Ihr die erste Frage mit "ja" beantwortet: Wie sollte das Auswahlkomitee besetzt sein?


    Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wie ein entsprechendes Kommitee aussehen müßte, wie die konkrete Verfahremsweise aussehen müßte.


    Ich halte das aber für ein eher organisatorisches Problem. Eventuell liesse es sich in Analogie zum Verfahren bei der Auswahl der UNESCO-Weltkulturbe regeln. Ich kenne aber diese Verfahren nicht.


    Das Deutschland das entsprechende Abkommen nicht ratifiziert haben soll - ich habe es nicht nachgeprüft - ist ein Skandal für ein Land, dass sich ansonsten soviel auf seine Kultur zu Gute hält. Es läßt sich nur erklären, weil die Lobby der entsprechenden Medienkonzerne wieder einmal gute Arbeit - im Sinne ihrere Auftraggeber - geleistet haben.


    Insgesamt halte ich deinen Vorschlag für eine sehr gute Idee.


    Viele Grüße,


    Bernd



    P.S.: enkidu2: Der Link funktioniert bei mir nicht.

  • Lieber Bernd :



    In der Grande Nation gab es schon vor Jahrzehnten eine Sammlung von damals als überragend angesehenen weltweiten Aufnahmen, die sozusagen in einem safeartigen Gebilde untergebracht worden sind .


    In Frankreich geb es wenigstens hin und wieder einen intellektuellen feingeist wie Président mitterand . Derzeit sieht es wieder sehr schlecht aus .
    Das Projekt soll aber derzeit in " Überarbeitung " sein und eben auch die Aufnahmen etwa ab 1950 erfassen . ( Ein Schelm , der dabei sofort an Carla Bruni - Sarkozy denkt . )


    Objektive kriterien sind kaum aufzustellen , welche Aufnahme als " Weltkulurerbe " gilt / gelten soll . Geht es um die Komposition als solche oder eine bestimmte Iterpretation ?


    Völlig übereinstimme ich mit Dir , dass auch literarische Werke zum Weltkulturerbe gehören . Doch : Wer hat schon die grossen griechischen Tragödien gelesen ? Wer Dante ? Wer Corneille oder Racine ? Wer kennnt Hölderlins Lyrik ? Wer den " Tasso " von Goethe oder dessen " Iphigenie " ?


    Und wie sieht es mit Fachliteratur aus ? Für mich gibt es mehrere mir genau bekannte Werke, die ich auch nach vielen Jahren für unverzichtbar halte , weil sie u. U. Generationen ( bis heute ) in ihrem Denken und Handeln geprägt haben .
    Und Frage : Was ist , wenn bei einem Neuherausgeber der Inhalt entscheidend zum Negativen kippt ?


    Einen ruhigen Pfingssonntag !



    Beste Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Zitat

    Original von zatopek


    P.S.: enkidu2: Der Link funktioniert bei mir nicht.


    Nicht nur bei Dir. Offensichtlich wurde die Web-Seite umgestaltet. Anbei der aktualisierte Link: Deutsches Musikarchiv


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Zitat

    Original von Wolfram
    (Hintergrundinfos findet man mühelos mithilfe der einschlägigen Suchmaschinen. Wenig bekannt ist z. B. dass die UNESCO im Jahre 2003 ein "Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes" verabschiedet hat. 116 Länder haben bisher dieses Übereinkommen ratifiziert, darunter die Schweiz. Österreich ist seit 2009 Mitgliedsstaat des Übereinkommens. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen nicht ratifiziert.)


    Die zutreffendere Kategorie wäre wohl das Weltdokumentenerbe. So ist z.B. der Film Metropolis in seiner rekonstruierten und restaurierten Fassung 2001 ins Weltdokumentenerbe aufgenommen worden. Angesichts der Ansprüche, die hier aber an Dokumente gestellt werden, werden wir wohl vergeblich darauf warten dürfen, dass z.B. Soltis Einspielung von Wagners Ring der Nibelungen oder Aufnahmen wie z.B. Richard Strauss dirigiert Richard Strauss ins Weltdokumentenerbe aufgenommen werden.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Das Problem wird dereinst sein festzustellen was denn nun Ewigkeitsanspruch hat - und was nicht.
    Wir haben nun ca gute 130 Jahre Tonaufnahmen, wobei eine akzeptable Tonqualität (aus meiner Sicht) erst seit etwa 50 Jahren möglich ist, davor waren die Aufnahmen eher problematisch - und etliches davon geniesst alenfalls "historisches interesse"


    Wenn dereinst 100, 120, 150 und mehr Jahre lang Augfnahmen von weltberühmten Interpreten in den Archiven liegen, dann wird irgendwer entscheiden müssen was erhaltenswert ist und was nicht.


    Eigentlich schreit das einer eigenen Thred-Reihe: "Tamino nominiert für das Weltdokumentenerbe ..." -- Kompetenz dürfte in diesem Forum ja ausreichend vorhanden sein.


    Andererseits finde ich es ziemlich schwierig, überhaupt festzulegen, welche Einspielung z.B. von Beethovens 9. Sinfonie (der Autograph ist ja schon Weltdokumentenerbe) denn nun als so bedeutsam angesehen werden könnte, dass man ihr den Status Weltdokumentenerbe erteilen wollte.


    Aber ein tolles Streitthema wäre es schon ...


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Zitat

    Original von zatopek
    BTW: Das muss aber auch für literarische Werke gelten.


    Die Literatur ist da weitaus besser dran, als die Dokumentation von bedeutsamen Interpretationen klassischer Musik. Goethes literarischer Nachlass ist bereits vertreten, ebenso die Märchen der Brüder Grimm. Aber auch das Nibelungenlied hat's geschafft. Und bei der klassischen Musik nur der Autograph von Beethovens Neunter? Das ist doch recht mager.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Der Hinweis auf das UNESCO-Programm zum Weltdokumentenerbe ist sehr interessant. Hier ein Link:


    http://www.unesco.de/mow-deutschland.html?&L=0


    Der Ansatz, wertvolle Dokumente einschließlich Tonaufnahmen, digitalisiert der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, geht in die richtige Richtung.


    Zitat


    Das Programm der UNESCO zum Schutz des Weltdokumentenerbes "Memory of the World" (MOW) verfolgt zwei Ziele:


    Zum einen geht es um den weltweiten Zugang ("access") zu kulturell bedeutsamen und historisch wichtigen Dokumenten.


    Zum anderen geht es um die Sicherung ("preservation") des dokumentarischen Erbes vor Gedächtnisverlust und Zerstörung.



    Leider scheint das Aufnahmeverfahren mehr als träge zu sein:


    Zitat


    Alle zwei Jahre können pro Land zwei Vorschläge zur Aufnahme in das UNESCO-Register des Weltdokumentenerbes eingereicht werden.


    Bis man da zu einer angemessenen Sammlung kommt, das dauert ja Jahrhunderte ....


    Praktisch taugt das also nichts.


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Zitat

    Original von Wolfram
    ....
    (Hintergrundinfos findet man mühelos mithilfe der einschlägigen Suchmaschinen. Wenig bekannt ist z. B. dass die UNESCO im Jahre 2003 ein "Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes" verabschiedet hat. 116 Länder haben bisher dieses Übereinkommen ratifiziert, darunter die Schweiz. Österreich ist seit 2009 Mitgliedsstaat des Übereinkommens. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen nicht ratifiziert.)


    Das "Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes" scheint nicht die Bewahrung von Musikträgern zum Ziel zu haben.


    Das Abkommen findet man hier:


    http://www.unesco.de/ike-konvention.html?&L=4


    Viele Grüße,


    Bernd

  • Es würde nur eine gigantische Baustelle entstehen. Es formatieren sich ständig neue - bessere oder schlechtere - Musikdokumente, die dann ausgewechselt werden müssten. Alles zu sichten und zu bewerten, wäre einem Verwaltungsaufwand unterworfen, der ebenso riesig wie unsinnig wäre. Wer sollte der Nutznießer dieser Sache sein? ?(


    Mit einem Architeturdenkmal kann man ein Musikwerk nicht in einem Atemzug nennen. Das erstere wird von Spendengeldern renoviert, steht auf einem Grundstück und kann von jedermann besichtigt werden. Eintrittskarten, wenn Touristen einen Blick auf die Sehenswürdigkeit werfen wollen, bringen zusätzlich Geld und nicht nur Glücksgefühle.


    :)


    Warum soll man es den Archäologen, die im Jahre 3010 nachschauen, so leicht machen und alle Tondokumente auf einen Haufen packen. Der eifrige Tamino-Sammler hat die Möglichkeit, in der Fischbeker Heide ein Hünengrab zu mieten und sich nach seinm Tode mit seinen Schätzen dort einbuddeln zu lassen. Bekanntlich suchen Archälogen gern in Gräbern nach Grabbeigaben. Den lieben Roy Black werden sie in einem Tamino-Grabt nicht finden, aber bestimmt die Diabelli-Variationen. :P


    Also: Ein entschiedenes 'Nein', Musikdokumente als Weltkulturerbe einzustufen. Der damit verbundenen Zirkus kostet Geld, welches man besser für die Verteidigung des Vaterlandes ausgeben sollte. Auch die Banken, welche Pleite machen, wollen gestützt sein. Dem Nachbarstaat, der über seine Verhältnisse gelebt hat muss zur Stütze der Währung, die im Grunde keiner wollte, in einem Anfall von christlicher Nächstenliebe geholfen werden. Musik besteht nur aus Schall und Noten - auf die wahren Werte kommt es an!
    :hahahaha::hahahaha::hahahaha:


    :angel:
    Engelbert

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