Lieber Helmut, dieses Gespräch hier ist doch ein Wert für sich, da brauchst Du Dir gar keine Gedanken zu machen. Hier bin ich völlig einer Meinung mit 'Zweiterbass'. Wird denn jemand Schulnoten vergeben oder einen Beitrag wie eine missglückte wissenschaftliche Arbeit zerreißen? Es kann nur geschehen, dass jemand alles lächerlich macht, wie es leider bisweilen geschieht, doch davon ist dieser Thread bisher erfrischend frei. Auf der anderen Seite finde ich Deinen eigenen hohen Anspruch an Dich selbst völlig angemessen. Ich verstehe ein Forum wie dies als einen freien Gedankenaustausch, der dann um so erfolgreicher und gewinnbringender ist, wenn er dazu führt, eigene Ansichten infrage zu stellen, zu überdenken und wenn nötig zu ändern. Da ist es erforderlich und erfordert ein gewisses Risiko, auch ungeschützt zu formulieren auf die Gefahr hin, dass einiges schief geht. Aber erwarten wir nicht genau das auch von allen guten Komponisten und Interpreten?
Leider kann ich mich nur wenig beteiligen. Aber eine Anmerkung zur glatten Fügung. Du hast sehr überzeugend gezeigt, wie Schubert sich in die typisch sprach-eigene Melodie hineinhört und ihre innere, verborgene Musikalität erkennt und in Musik umzusetzen weiß. Er entdeckt damit in der Sprache eine Seite, die beim normalen Sprechen gar nicht bewußt wird, aber dennoch sehr wohl wahrgenommen wird. Georgiades hat bewundert, wie es ihm schließlich sogar gelungen ist, diese aus der Sprache gewonnene Musikalität ganz von der Sprache loszulösen und in seinen Instrumentalwerken eine Musik zu komponieren, deren Eigenart aus der Gedichtvertonung hervorgegangen ist. Aber nur bei Schubert ist auch in der Instrumentalmusik immer der Bezug zur Sprache gegenwärtig, während er später - bereits ab Schumann - zunehmend verloren geht. Schubert schrieb eine Musik, die alle Qualitäten der Sprache behält, wie z.B. Zuspruch oder auch umgekehrt eine traurige Sprache, die mit ihrem Klang um Tröstung bittet.
(Nachträgliche Ergänzung: Jetzt sehe ich das "Bekenntnis" zur h-Moll Sinfonie. Genau das meine ich.)
Statt mit Rhetorik die Sprache zu überziehen und sie in eine bestimmte, vorgefaßte Richtung zu drängen und einzusetzen, trifft Schubert umgekehrt die eigene innere Rhetorik der Sprache, die sich nur äußern kann, wenn ihr freier Lauf gelassen wird.
Das geht nur dank der Klavierbegleiterung. Mit ihr hat Schubert gewissermaßen eine eigene Dimension gefunden, die einerseits komplementär zur Sprache ist, also das zeigt, was er anders als mit seinen Melodien nicht aus dem Sprachfluss gewonnen hat. Sie ist aber dennoch genau auf die Sprache bezogen und gibt ihr die Entfaltungsmöglichkeit, das zu zeigen, was sich ohne die Klavierbegleitung nicht aussprechen ließe.
Nicht weniger faszinierend ist Hölderlin, der genau den umgekehrten Weg gegangen ist. Mit seinen harten Fügungen haut er einzelne Worte nebeneinander, schreibt sie in seinen Folioheften über- und durcheinander, so dass dort verschiedene hart gefügte Gedichte auf ihre Art einander begleiten, wie es Schubert in seinen Liedern auf ganz andere Weise gelungen ist.
Viele Grüße,
Walter