Vertonte Gedichte - Apotheose der Lyrik oder Verfälschung ?

  • Ein kluger Beitrag, lieber Helmut Hofmann, und von einem klugen Autor. Ich höre "Ich hab im Traum geweinet" übrigens immer vor der Folie von Schuberts "Ihr Bild" - der gleiche Minimalismus, die gleiche formelhafte Kargheit, eine ähnlich subtile harmonische Ausleuchtung an den Schlüsselstellen. Und doch steht Schuberts Vertonung den anderen Heineliedern im Schwanengesang näher als der Schumannschen Transparenz und Abfederung sämtlicher Textnuancen. Zwar entwickelt Schumann zumal in der Klimax der Schlußstrophe ("Ich wachte auf ...") ein Leidenspathos, daß dem Pathos von Schuberts Heinegesängen (Der Atlas, Die Stadt, Der Doppelgänger) an Monumentalität und Ausschließlichkeit kaum nachsteht - aber schon "Ihr Bild" legt den Akzent auf das leicht Unheimliche des sich belebenden Bildnisses (entsprechend etwa im "Atlas" die goteske Beschwingtheit von "Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich sein"). Schubert akzentuiert im Schwanengesang eindeutig das Pathologische zuungunsten des Ironischen.


    Als Seitenpfad sei die Frage aufgetan, inwieweit Schuberts Lieder der Ironie überhaupt fähig waren. Gewiß, "Der Einsame" ("Wenn meine Grillen schwirren") etwa verrät ein Gutteil Jean-Paulschen Humor - aber Schubert macht sich nicht lustig über diese Biedermeier-Haltung, er identifizeirt sich zuletzt mit ihr (eines seiner ganz großartigen Lieder). - Der freche Coupletton des "Heidenrösleins" ist der Haltung des Gedichts geschuldet, die mehr mit dem frechen Knaben als mit dem armen Röslein sympathisiert (Mozarts "Veilchen" ist daher ironischer). - Die grausige Ironie des "Leiermanns" am Ende der Winterreise ist zwar unüberbietbar, kann aber gerade in diesem Zusammenhang nicht als Gegenbeispiel dienen.


    Auch Schumann übrigens, zumal in der Dichterliebe, weicht allzu deutlichen Signalen der Ironie eher aus zugunsten einer ungreifbar lyrischen Grundstimmung voll wehmütiger und zarter Lichter. Bereits das "Im wunderschönen Monat Mai" bedient sich ja einer phrasenhaften Bildlichkeit, deren Abgedroschenheit Schumanns Vertonung hinwegzaubert. - In "Die alten bösen Lieder" wird dagegen deutlich, wie Schumann durchaus die rhetorische Ironie zum Klingen bringen kann (wie auch in "Das ist ein Flöten und Geigen" und am deutlichsten wohl in "Ein Jüngling liebt ein Mädchen"). "Im Rhein, im heiligen Strome" versöhnt mit der zeitbedingt verblaßten Blasphemie des Textes (die Komposition ist ein Wunder an musikalisch-malerischer Assoziation; doch sie nimmt die Schlußverse naiver, als sie sich lesen).



    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber Helmut Hofmann,

    Zitat

    Warum fühlt sich ein Komponist zu einem bestimmten lyrischen Text hingezogen und macht ein Lied daraus, während er einen anderen ignoriert?


    Wir wissen es nicht und werden es wohl nie erfahren...


    Es drängt mich geradezu, neben Heine und Eichendorff noch einen weiteren Dichter anzufügen, der von Robert Schumann geschätzt wurde.


    Meine ganz besondere Liebe gilt dem op. 35. Und wer ist der Textdichter?


    Richtig! - Dieser Justinus Kerner, Dr. Justinus Kerner, Oberamtsarzt und ein Wegbereiter des Spiritismus im 19. Jahrhundert, er wurde von Heine verspottet...
    Natürlich bot Kerner mit seiner mystischen Veranlagung auch jede Menge Angriffsfläche. Auch heute findet sich noch die Ansicht, dass Kerner kein überragender Dichter gewesen sei, weil es ihm an künstlerischer Strenge und Selbstkritik fehlte...
    Aber Kerner dichtete ja nicht so einfach vor sich hin - in seinem gastlichen Haus gingen Dichter ein und aus: Lenau, Mörike, Tieck, Uhland... nur einige wenige Namen von der umfangreichen Gästeliste, die übrigens noch erhalten ist.


    Bereits 1827 wählte Robert Schumann Kerner-Texte aus, weil er der Meinung war, dass in diesen Gedichten schon jedes Wort ein Sphärenton ist... - insgesamt sind es dann immerhin zweiundzwanzig Lieder geworden.
    Die Kerner-Lieder op. 35 umfassen ja nur 12 Gedichte, die kein durchgehendes Thema oder eine Handlung haben, aber stimmungsmäßig zusammen passen.


    Wir haben also hier zwei sehr unterschiedliche Dichter und die geniale Musik Schumanns. Diese Kerner-Lieder bieten erstrangige Kunst und ich war sehr glücklich, aus dem Munde von Christoph Prégardien zu hören, dass er gerade diesen Schumann-Zyklus ganz hoch schätzt.


    Da hat es ja ganz wunderbare Lieder: (eine sehr persönliche Auswahl)
    Nr. 3 Wanderlied - Das populäre Wanderlied "Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein"
    Nr. 5 Sehnsucht nach der Waldgegend
    Nr. 10 Stille Tränen - ein Glanzstück für jeden Sänger und mit unkonverntionellem Klavierspiel...
    Nr. 12 Alte Laute - dieses ausgehauchte... weckt mich ein Engel nur


    Zitat

    Eine alte und oft wiederholte These lautet: Schumann sei es nicht gelungen, die Heinesche Ironie in seinen Heine-Vertonungen kompositorisch voll zu berücksichtigen und musikalisch darzustellen.
    Diese These gilt heute als widerlegt.



    In einem Gespräch (Die Deutsche Romantik - Aufbruch ins Grenzenlose) vertrat Christoph Prégardien kürzlich die gleiche Ansicht und meinte, dass Robert Schumann schließlich sehr belesen gewesen sei und keineswegs die Ironie bei Heine übersehen habe.

  • Zitat

    Original von hart



    In einem Gespräch (Die Deutsche Romantik - Aufbruch ins Grenzenlose) vertrat Christoph Prégardien kürzlich die gleiche Ansicht und meinte, dass Robert Schumann schließlich sehr belesen gewesen sei und keineswegs die Ironie bei Heine übersehen habe.



    Lieber Hart,


    die Heinesche Ironie ist ganz so leicht nicht zu fassen; und Belesenheit allein bietet auch keine Gewähr.


    Deine "oft wiederholte These" dürfte, mit Verlaub, nur sehr schwer zu widerlegen sein, einerseits. Heines Ironie entfaltet eine Dynamik, die in ihrer Zerschlagung subversiv verwendeter Romantik-Partikel musikalisch erst etwa bei Mahler ein Pendant findet.


    Schumann hat auch nicht "Das Fräulein stand am Meere" oder "Wir saßen und tranken am Teetisch" vertont, nicht einmal das von Nietzsche bewunderte "Sie haben heut abend Gesellschaft" (immerhin: "Das ist ein Flöten und Geigen").


    Andererseits ließe sich zeigen, daß Schumann die Ironie der Heineschen Verse bisweilen quasi ausblendet (wie eine Art Maske), um die dahinter verborgene Bitterkeit oder Melancholie als gültigeres Substrat zur Geltung zu bringen. Das ist durchaus eine tiefe Lesart (und man muß ja die Zeitgenossenschaft Schumanns in Rechnung stellen, dem der Heinesche Gestus weniger amüsant als schockierend, also wahrhaftig vorkommen mußte).


    Auf dem romantischen Parkett sind Heine und Eichendorff rechte Antipoden; und daß Schumann beiden ihr Recht widerfahren ließ, zeugt sowohl von Schumanns Genie wie von seiner Ambivalenz.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich sehe es ähnlich, dass Schubert im Schwanengesang die Ironie Heines weitgehend verfehlt, allerdings sind die Lieder ernst genommen, dadurch nicht weniger beeindruckend (außer vielleicht Atlas, das wirkt in der Ernsthaftigkeit auf mich ein wenig plump), nur eben voller Bitterkeit. Kurz, obwohl Nuancen der Vorlage verfehlt werden, entstehen bewegende Meisterwerke. "Am Meer", "Ihr Bild", "Die Stadt" sind alles große Favoriten von mir, gehört zur ergreifendsten Musik, die ich kenne.


    Andererseits zeigt Schubert anderswo dann doch eine gewisse Fähigkeit, bittere Ironie auszudrücken, manchmal eher trotzig. z.B. in der Müllerin: "Eifersucht und Stolz", "Die böse Farbe". In der Winterreise gleitet die Ironie in Zynismus ab, "Krähe, lass mich endlich sehn, Treue bis zum Grabe", oder auch "Das Wirtshaus", "Der greise Kopf usw."


    Zu den Kerner-Liedern (länger nicht gehört, als Favoriten erinnere ich mich an "Sehnsucht nach der Waldgegend" und "Erstes Grün") lohnte es vielleicht, einen eigenen thread zu starten.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ein wenig enttäuschend war für mich, hier die Feststellung von hart zu lesen: "Wir wissen es nicht und werden es wohl nie erfahren", - und das auch noch fett gedruckt.
    Dabei hatte ich gerade versucht, zu zeigen, dass wir bei Schumann zum Beispiel eine ganze Menge wissen können. Dieses Wissen ist - und das gilt auch für andere Liedkomponisten - ja kein im Grunde überflüssiges gedankliches Spielzeug, das für den Liedfreund letztlich unnütz ist, sondern es leistet eine wesentliche Hilfe zum Verständnis der Lieder.


    Bei Schumann begreift man das Neuartige an seinen Liedern, das einen seiner Biographen (Martin Geck) sogar von einem "ästhetischen Paradigmenwechsel" sprechen lässt, eher, wenn man weiß, was er mit seinen Liedkompositionen letzten Endes beabsichtigt hat.
    Er wollte, wie er selbst sagte, "das Gedicht in seiner leibhaftigen Tiefe" wiedergeben, und deshalb war er auf der Suche nach Dichtern, bei denen ihm das besonders gut gelingen würde. Er suchte den "neuen Dichtergeist", so seine eigene Formulierung. Und diesen neuen Dichtergeist fand er zum Beispiel gerade bei Heine besonders ausgeprägt.


    Vielleicht ist dies eine gute Erklärung dafür, dass es ihm gelang, diesem "Geist" der Heineschen Lyrik in so großartiger Weise gerecht zu werden. Eigentlich, denkt man, kann das ja gar nicht gelingen: Musik kann nicht ironisch sein. Und wenn man sich die Heinevertonungen anderer Komponisten anhört, dann stellt man fest, dass sie sich auf jene seiner Gedichte, in denen es die "berüchtigten" ironischen Brüche gibt, gar nicht eingelassen haben.


    Farinelli hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Heinesche Ironie "ganz so leicht nicht zu fassen" ist. Sie ist ja nicht immer so dick aufgetragen, wie bei "Ein Fräulein stand am Meere", und sie verfolgt auch nicht die bei diesem Text ziemlich eindeutige vordergründige Absicht.
    Heines "Ironie" äußert sich oft in lyrisch höchst diffizilen und mit äußerstem Bedacht sprachlich gestalteten Textkonfigurationen. Hinter ihr steht auch nicht die Absicht, dem Leser gleichsam die Zunge herauszustrecken, wenn er auf ein schönes lyrisches Bild "hereingefallen" ist.
    Dahinter steht eine tiefe Wehmut, ein Leiden darunter, dass sich der spezifisch romantische Traum von der Aufhebung der Individuation im Medium der Kunst nicht mehr träumen lässt.


    Schumann hat das begriffen, und deshalb versucht er, den "Geist" der Heineschen Lyrik mit den muikalischen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, so genau wie möglich zu fassen. Deshalb zum Beispiel lässt er bei "Allnächtlich im Traume" die Gesangsmelodie zunächst ganz besonders innig klingen und unterstützt und versärkt auf diese Weise das herzergreifend liebliche Bild Heines, um sie dann, wenn bei Heine die Sprachmelodie kippt, ebenfalls kippen zu lassen.


    Nur ein Komponist, der dem "Geist" Heines innerlich verwandt ist und sich in seine Lyrik musikalisch einfühlen kann und will, ist in der Lage, solche Lieder zu schaffen.
    Man höre sich einmal die Vertonung von "Allnächtlich im Traume" durch Mendelssohn an. Dort, wo Schumann die melodische Linie kippen lässt, wiederholt Mendelssohn lang und breit: "Zu deinen süßen Füßen".
    Klingt gut, hört sich hübsch an, ist aber kein Heine!

  • findet jedenfalls musikalische "Begleitung" bei Schumanns Zeitgenossen Johann Vesque von Püttlingen genannt "Johann Hoven" (1803-1883), der Heines Heimkehr-Zyklus komplett vertont hat, wobei gerade die ironischen, am wenigsten zur Vertonung geeignet scheinenden Texte die interessantesten Lieder ergeben:


  • Mein lieber farinelli,
    dann hör Dir von Schubert mal D 747 mit dem langen Titel:
    "Herrn Josef Spaun, Assessor in Linz" an...


    Zitat

    Als Seitenpfad sei die Frage aufgetan, inwieweit Schuberts Lieder der Ironie überhaupt fähig waren.


    In diesem Stück sind sogar "Opernarien" zu hören, denn Schubert schlägt hier für ihn unübliche Töne an - für mich ist das reine Ironie.


    Gerne würde ich das weiter ausführen und entsprechend begründen, aber ich bin auf dem Sprung zur Schubertiade in Schwarzenberg und kann das auch in den nächsten zehn Tagen nicht tun. Aber vielleicht können wir das danach weiter verfolgen.


    Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

  • oder um mal etwas seltenere dinge, nämlich mehrstimmige gesänge, die verschiedener kaum sein könnten, zu bringen:


    Klage um Ali Bey (Matthias Claudius) D140
    Der Hochzeitsbraten (Franz von Schober) D930

  • Mehrfach wurde hier, mit Blick auf den "Schwanengesang", die Frage aufgeworfen, in welchem Verhältnis Schubert zu den ironischen Elementen in Heines Lyrik stand. Zuletzt gab Farinelli zu bedenken, "inwieweit Schuberts Lieder der Ironie überhaupt fähig waren".
    Nun bringt es ja wenig, darauf mit unkommentierten Hinweisen auf dieses oder jenes Musikstück aus dem Deutsch-Verzeichnis zu reagieren. Man muss wohl schon genauer hinsehen.


    Vorab eine Klarstellung.
    Ironie ist eine rein sprachliche Angelegenheit. Sie wird oft mit Komik und Humor verwechselt, ist aber davon deutlich zu unterscheiden.
    Sprachliche Ironie ist immer doppelbödig, sie spielt sich zwischen zwei semantischen Ebenen ab, zwischen denen eine Art antithetisches Verhältnis herrscht. Die vom Autor zunächst aufgebaute semantische Ebene bricht gleichsam ein, und der Leser landet unerwartet auf einer anderen Ebene, die das Gegenteil von dem beinhaltet, was er gerade gelesen und empfunden hat.
    Das ist der Effekt der "attesa contradetta", der zerbrochenen Erwartungshaltung. Literarische Ironie eben.


    Da nun Musik, wie Nelson Goodman festgestellt hat, ihrem Wesen nach nicht denotiert, sondern exemplifiziert, kann sie nicht doppelbödig, also auch nicht ironisch sein.
    Die Frage muss also immer lauten:
    Reagiert ein Liederkomponist mit seinen musikalischen Mitteln auf die vorhandenen ironischen Elemente eines sprachlichen Textes?
    Und wenn ja, in welcher Weise tut er das?


    Das heißt nun:
    Man muss im Falle Schuberts erst einmal nach Texten suchen, die eindeutig ironische Passagen enthalten.
    Ich habe mir die Mühe gemacht und das der Hyperion-Sammlung beigefügte Textbuch sorgfältig durchforstet.
    Ergebnis:
    Es gibt nur einen Text, der im Sinne der Definition eine ironische Brechung aufweist. Es ist Heines "Am Meer" aus dem "Schwanengesang".
    Bei den anderen Heine-Gedichten des "Schwanengesangs" konnte Schubert den Text wörtlich nehmen: Sie weisen keine eindeutig ironischen Elemente auf, sind zum Teil sogar bitterer Ernst. Es sei denn, man betrachtet den Griff zur mythologischen Figur des "Atlas" schon an sich als ironisch, was ich aber nicht für angebracht halte.
    Die Lieder, die "Maexl" anführt ( "Klage um Ali Bey" und "Der Hochzeitsbraten"), fallen beide unter die Kategorie "komödiantischer Humor". Sie weisen nicht diese beiden semantischen Ebenen auf, die für eine ironische Brechung erforderlich sind.


    Und was macht Schubert nun mit den Anklängen von Ironie in Heines "AM MEER"?
    Er komponiert ungerührt darüber hinweg. Er hätte nämlich, wäre er wie Schumann an dieses Gedicht herangegangen, die dritte und die vierte Strophe nicht weitgehend identisch mit der ersten und zweiten anlegen dürfen. Mindestens aber hätte er die beiden letzten Verse kompositorisch deutlich abheben müssen, wäre es ihm darum gegangen, die Heinesche Ironie in der musikalischen Struktur des Liedes aufzugreifen und zu unterstützen.


    Man muss Schubert ja nicht - was völlig verfehlt wäre! - literarische Naivität unterstellen, wenn man die Feststellung trifft, dass er Texte mit ironischen Elementen offensichtlich gemieden hat und im Falle Heines kompositorisch auf solche Elemente nicht reagierte.
    Er wollte ganz einfach nicht, aus welchen Gründen auch immer.


    Man darf wohl getrost die Auffassung vertreten, dass Ironie ganz einfach nicht in die musikalische Grundstruktur der Lieder Schuberts passt, die sich ja, wann immer möglich, am Primat der Melodie orientiert.
    Humor lässt sich da sehr gut einfügen. Ironie aber muss ein Fremdkörper sein.

  • Die von dem eben hier gestarteten Thread aufgeworfene Frage: "Das deutsche Kunstlied - große Musik auf schlechte Texte"?...


    …ist in diesem Forum in verschiedenen Threads bereits äußerst gründlich reflektiert und diskutiert worden. Es ist schwer vorstellbar, dass bei ihrem neuerlichen Aufgreifen Aspekte zutage kämen, die nicht bereits Gegenstand dieser Diskussion waren.


    Aber davon einmal abgesehen:
    Diese Fragestellung ist dem Wesen des Kunstliedes unangemessen.


    Im Thread "Sprache und Musik im Lied" wurde in detaillierter Form - das heißt anhand von vielen analytisch betrachteten Beispielen – aufgezeigt, dass mit Schubert das Lied in seiner Entwicklung in eine Phase eingetreten ist, die man mit dem Begriff „Kunstlied“ belegt.
    Dessen Wesen besteht aber gerade darin, dass nicht – wie das etwa bei Reichardt oder Zelter noch der Fall war – die Musik nur Träger des musikalischen Textes ist, so dass dieser von ihr gleichsam unberührt bleibt (weshalb Goethe das so schätzte und Schuberts Lieder ablehnte), sondern dass sich im Akt der Komposition lyrischer Text in musikalischen Text verwandelt.


    Das nun hat zur Folge, dass der lyrische Text gleichsam sein Eigensein verliert, so dass es gar nicht mehr angebracht ist, ihn mit den Maßstäben von Lyrik zu qualifizieren und in diesem Zusammenhang von einem „guten“ oder „schlechten“ Gedicht zu sprechen.


    Der Akt er Komposition erfolgt beim Kunstlied über eine Inspiration des Komponisten durch bestimmte, den Text als gleichsam als poetischen konstituierende Merkmale, die in ihrer Relevanz für den kompositorischen Akt jenseits der Kategorie dichterischer Qualität liegen: Sie reichen von der Sprachmelodie über die Thematik bis hin zu der sie gleichsam dichterisch elaborierenden Metaphorik.


    Die zahlreichen hier durchgeführten und bis ins 2o. Jahrhundert reichenden Analysen von Liedern aus der Geschichte des Kunstliedes haben eines ganz klar gezeigt:
    Die literarische Qualität kann zwar ein die kompositorische Inspiration wesentlich bestimmender Faktor sein, sie ist aber nicht die conditio sine qua non für die musikalische Qualität des Liedes.


    In diesem Thread gibt es eine Fülle von Beiträgen, die sich mit der hier aufgeworfenen Fragestellung auseinandersetzen. In gleichsam exemplarischer Weise sei hier auf Beitrag 4 („Schubert und die schlechte Lyrik“) verwiesen, der auf Schuberts Lied „Nachtstück“ Bezug nimmt. Dort heißt es unter anderem:


    Johann Mayrhofer: „Nachtstück“.
    Ein schlechtes Gedicht. Es lügt. Luna kämpft mit Gewölken, grüne Bäume rauschen nicht nur, sie flüstern ein "schlaf süß", Gräser lispeln wankend fort, Vögel rufen einem etwas zu, und zwar, dass man doch bitte in Rasengruft ruhen möge. Kitsch, dass sich die Balken biegen.
    Und was macht Schubert daraus?
    Dieser sprachliche Kitsch stört ihn überhaupt nicht. Hugo Wolf hätte einen solchen Text nicht einmal mit spitzen Fingern angefasst. Schubert macht ein wunderschönes Lied daraus.
    Es ist auf keinen Fall so, dass Schubert - wie man früher meinte - keinen geschulten literarischen Geschmack gehabt hätte. Er hat sogar, das ist belegt, Gedichte zurückgewiesen, die ihm zur Vertonung angeboten wurden.
    Ich möchte nicht so weit gehen wie Fischer-Dieskau, der meint, Schubert habe sich über die mindere Qualität seiner Texte sogar gefreut, weil sie ihm viel mehr Freiheit zur Entfaltung seiner kompositorischen Genialität gelassen hätte.


    "Nachtstück" ist ein Beleg für seine Intention als Liedkomponist. Er "vertont" die Texte nicht. Dieses schlechte Gedicht von Mayrhofer muss wohl eine Imagination in ihm ausgelöst haben, die er kompositorisch dann zum Ausdruck bringt. Dies geschieht über die Verwandlung von sprachlichen in musikalischen Text, wobei dessen dichterische Qualität ein kompositorisch unerheblicher Faktor ist.


    Heraus kommt die musikalisch großartige Evokation eines uralten Menschheitstraumes: Der Tod als Erlösung, als friedliches Eingehen in eine bergende Natur. Die Komposition Schuberts hat in diesem Fall die literarische Fragwürdigkeit der lyrischen Bilder Mayrhofers gleichsam musikalisch kompensiert. Durch ihr Eingehen in den musikalischen Text haben sie eine über ihre sprachliche hinausgehende neue künstlerische Dimension gewonnen.


    (Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang den Hinweis auf die ausführliche Besprechung dieses Schubertliedes im Thread „Schuberts Ausnahmerang“, Beitrag 139)

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  • Die von dem eben hier gestarteten Thread aufgeworfene Frage: "Das deutsche Kunstlied - große Musik auf schlechte Texte"?...


    …ist in diesem Forum in verschiedenen Threads bereits äußerst gründlich reflektiert und diskutiert worden. Es ist schwer vorstellbar, dass bei ihrem neuerlichen Aufgreifen Aspekte zutage kämen, die nicht bereits Gegenstand dieser Diskussion waren.

    Ich kann wirklich nicht verstehen, warum du dich hier so stur stellst? Nach deiner Logik müsste man 25 Prozent der Threads schließen! Mein eröffneter Thread hat mehr Berechtigung als so manch anderer und die Frage ist in anderen Threads eben nicht erschöpfend behandelt worden, auf jeden Fall nicht gebündelt. Da auch schon einige Leute mitdiskutieren, wäre dein schöner Beitrag hier eher dort am Platz gewesen. Was soll jetzt werden, diskutieren wir in verschiedenen Threads? Das ist doch albern!

  • Ich hatte eine Anmerkung, die sich ursprünglich in der Klammer meines obigen Beitrages befand, wieder gelöscht. Aus gegebenem Anlass füge ich sie nun aber wieder ein, - wohlgemerkt: In die Klammer. Sie lautete:


    "Und wenn ich denn schon eine Klammer gesetzt habe, füge ich noch eine ganz persönliche Anmerkung hinzu:
    Ich würde, bevor ich einen neuen Thread starte, mich erst einmal umsehen und informieren, was alles dazu hier in diesem Forum an reflexiven und diskursiven Beiträgen schon vorliegt. Und das ist in diesem Fall eine ganze Menge. Und da wäre erst einmal Lesearbeit angesagt, bevor es ans eigene Schreiben geht.


    Eigentlich, so denke ich, sollte sich ein neues Forumsmitglied mit seinen eigenen Beiträgen in der Kontinuität dessen sehen, was andere zu einem Thema, das es gerade - als vermeintlich völlig neues - entdeckt zu haben glaubt, im Tamino-Forum schon vor ihm zu sagen hatten und in substantiell relevanter Weise beisteuerten.


    Aber mir ist natürlich bewusst: Das ist keine zeitgemäße Haltung. "

  • Ich hatte eine Anmerkung, die sich ursprünglich in der Klammer meines obigen Beitrages befand, wieder gelöscht. Aus gegebenem Anlass füge ich sie nun aber wieder ein, - wohlgemerkt: In die Klammer. Sie lautete:


    "Und wenn ich denn schon eine Klammer gesetzt habe, füge ich noch eine ganz persönliche Anmerkung hinzu:
    Ich würde, bevor ich einen neuen Thread starte, mich erst einmal umsehen und informieren, was alles dazu hier in diesem Forum an reflexiven und diskursiven Beiträgen schon vorliegt. Und das ist in diesem Fall eine ganze Menge. Und da wäre erst einmal Lesearbeit angesagt, bevor es ans eigene Schreiben geht.
    Eigentlich, so denke ich, sollte sich ein neues Forumsmitglied mit seinen eigenen Beiträgen in der Kontinuität dessen sehen, was andere zu einem Thema, das es gerade - als vermeintlich völlig neues - entdeckt zu haben glaubt, im Tamino-Forum schon vor ihm zu sagen hatten und in substantiell relevanter Weise beisteuerten.


    Aber mir ist natürlich bewusst: Das ist keine zeitgemäße Haltung. "

    Lieber teurer Freund, nimm es mir nicht übel; aber du scheinst auch nicht zu lesen, was andere schreiben: Hier Das deutsche Kunstlied - große Musik auf schlechte Texte? habe ich bereits eindeutig Stellung genommen:


    Zitat

    In meinem Post Scriptum habe ich ja auf diese Möglichkeit hingewiesen und alle Reaktionen der Forumsleitung freigestellt. Ich bin ja keiner von denen, die bei jedem Einfall blind einen Thread aufmachen; ich habe ganz im Gegenteil das ganze Kunstliedforum durchgesehen, die Titel abgeglichen und auch in den Threads selbst gelesen. Da kam manches zur Sprache, aber einen genauen diesbezüglichen konnte ich nicht entdecken. Verfahrt also wie ihr wollt; aber macht euch bitte auch Gedanken darüber, wie man den Überblick behalten soll: Die Suchfunktion ist keine wirkliche Hilfe. Dennoch bin ich der Meinung, dass es in so manchem Unterforum (Orchestermusik von Klassik und Romantik) etliche praktisch völlig identische Threads gibt, die trotzdem nicht zuammengelegt wurden und dass der meinige hier doch ein Problem zu bündeln scheint, das anderswo in dieser Konzentration noch nicht angesprochen wurde.

    Deine wiederholte Einlassung geht also am Kern vorbei, Kontinuität hin oder her! Denn genau, was du forderst, habe ich gemacht und ich bezweifle stark, ob jeder User hier so viel Zeit und Muße wie ich derzeit krankheitsbedingt hat, um so vorzugehen und hunderte Seiten alte Threads zu lesen. Ich bin daher recht ärgerlich, weil dein Vorwurf ganz sicher den Unschuldigsten trifft. So ein ganz klein wenig beschleicht mich der Verdacht - Halten zu Gnaden - dass sich hier einer nicht die Zügel seines Lieblingspferdes aus der Hand nehmen lassen will. :)

  • Mir scheint, wenn ich auf all die vielen liedanalytischen Betrachtungen zum Thema dieses Threads, dem Verhältnis von Wort und Musik im Lied also, zurückblicke, der Angelpunkt von allem im Begriff „Polyrhyhthmie“, zu liegen, den Hans Georg Nägeli in die einschlägige Diskussion eingebracht hat.


    Er meint, dass das Wesen des Kunstliedes darin liege: In der „Polyrhythmie, - also darin, „dass Sprach-, Sang- und Spiel-Rhythmen zu Einem höhern Kunstganzen verschlungen werden.“ Und er fährt fort:


    „ Denn alle diese Kunstmittel dienen, wahrhaft angewandt, zur Erhöhung des Wortausdrucks.“


    Dieser Begriff, „Erhöhung des Wortausdrucks“ beinhaltet genau das, was ich mit meinem letzten Beitrag hier deutlich zu machen versuchte:
    Lyrische Sprache und Musik werden im Lied Schuberts und in all den Liedern der Komponisten nach ihm in einer polyvalent-höheren Einheit integriert, der musikalischen eben.


    Insofern ist es der Sache nicht angemessen, mit der Fragestellung „Schlechter Text, gute Musik“ oder „Guter Text, schlechte Musik“ an das Kunstlied heranzugehen, wenn man seine künstlerische Aussage zu erfassen versucht.

  • Auf der Suche nach einem Ort, wo ich mit meinem diesjährigen Weihnachtslied unterkommen könnte, habe ich diesen Thread gewählt. Nicht ohne Hintergedanken, - kann man doch an diesem Lied hörend erleben und erkennen, wie wenig es der Sache angemessen ist, nach einer Korrelation zwischen lyrischem Text und musikalischer Faktur im Lied zu suchen.
    Es gibt sie ganz einfach nicht, - im Sinne einer Art analytisch fassbaren Kausalität zwischen der Qualität des lyrischen Textes und der musikalischen Qualität des Liedes. Und dies ist eine empirisch fundierte Feststellung.


    Von grundlegender Bedeutung ist jeweils, wie gut es dem Komponisten gelungen ist, die Aussage der lyrischen Bilder in einer adäquaten Weise musikalisch einzufangen. Adäquat heißt: Sie weder gleichsam musikalisch zu unterlaufen noch mit musikalisch evokativen Mitteln zu überhöhen.


    Bei diesem Lied liegt weder ein anspruchsvoller lyrischer Text zugrunde, noch weist die Musik in ihrer Faktur in besonderer Weise evokative oder innovative Strukturelemente auf. Dennoch ist eine überaus ansprechende Komposition daraus hervorgegangen, weil beide Elemente des Liedes in adäquater Weise einander entsprechen.
    Der Textdichter ist Lulu von Strauss und Torney, der Komponist der aus der Jugendbewegung kommende und im Bereich der der Chor- und Klavierlied-Literatur, sowie des Volksoratoriums tätige Armin Knab (1881-1951).


    Marien Kind im Stalle
    Weint im kalten Wind;
    Der fährt durch Fluren ein und aus;
    Doch weiße Englein lockenkraus,
    Die lugen zum Gebälk heraus,
    Und singen, singen alle:
    Schlaf, Marien Kind!


    Marien Kind in der Krippen
    Schlummert hart auf Stroh.
    Marien Kleid ist linnenrein,
    Marien Haar hat gelben Schein,
    Sie wiegt ihr heilig Kindlein ein,
    Sie küßt des Knaben Lippen,
    Weint und ist doch froh.


    Moll-Akkorde tragen die melodische Linie der Singstimme, die bei den beiden ersten Versen mit leichten Aufwärtsbewegungen die Worte „Stalle“ und „kalten Wind“ hervorhebt. Lebhaft auf und ab bewegt sie sich bei den Worten „Der fährt durch Fluren ein und aus“. Wenn das Bild von den „weißen Englein“ auftaucht, steigt sie in höhere Lagen auf, und fast ein wenig schelmisch werden, wieder in munterem Auf und Ab“ die Worte „Die lugen zum Gebälk heraus“ deklamiert. Jetzt ist das Tongeschlecht von Moll nach Dur umgeschlagen.


    Wie zu einem Sich-Öffnen für die Melodik des letzten Verses bewegt sich die Vokallinie bei den Worten „und singen, singen alle“ aus hoher Lage in betonten Schritten langsam abwärts. Dieser letzte Vers wird drei Mal deklamiert. Die melodische Linie macht dabei am Anfang einen überaus ausdrucksstarken verminderten Sextfall, der mit einer harmonischen Rückung verbunden ist. Danach bewegt sie sich bei den Worten „Marien Kind“ wieder nach oben, um danach erneut, dieses Mal aber mit einem kleineren Intervall, nach unten abzufallen.


    Bei der ersten Wiederholung wird diese, deutlich Ruhe und Schlaf beschwörende melodische Linie wiederholt. Bei zweiten Mal aber verbleibt sie, als habe sie erreicht, was sie wollte, auf einer tonalen Ebene und macht dabei nur noch einmal einen Quartsprung nach oben.


    Bei der zweiten Strophe (es handelt sich nicht um ein Strophenlied!) bewegt sich die melodische Linie zunächst ähnlich. Aber bei der lyrischen Beschwörung des Bildes von nimmt sie einen lieblichen, fast schon zärtlichen Ton an und hebt die Worte „linnenrein“ und „gelben Schein“ durch kleine aufwärts gerichtete Sprünge in hohe Lage besonders hervor. Und bei den Worten „Sie wiegt ihr heilig Kindlein ein“ kommt ein wiegender Rhythmus in sie.