Ein kluger Beitrag, lieber Helmut Hofmann, und von einem klugen Autor. Ich höre "Ich hab im Traum geweinet" übrigens immer vor der Folie von Schuberts "Ihr Bild" - der gleiche Minimalismus, die gleiche formelhafte Kargheit, eine ähnlich subtile harmonische Ausleuchtung an den Schlüsselstellen. Und doch steht Schuberts Vertonung den anderen Heineliedern im Schwanengesang näher als der Schumannschen Transparenz und Abfederung sämtlicher Textnuancen. Zwar entwickelt Schumann zumal in der Klimax der Schlußstrophe ("Ich wachte auf ...") ein Leidenspathos, daß dem Pathos von Schuberts Heinegesängen (Der Atlas, Die Stadt, Der Doppelgänger) an Monumentalität und Ausschließlichkeit kaum nachsteht - aber schon "Ihr Bild" legt den Akzent auf das leicht Unheimliche des sich belebenden Bildnisses (entsprechend etwa im "Atlas" die goteske Beschwingtheit von "Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich sein"). Schubert akzentuiert im Schwanengesang eindeutig das Pathologische zuungunsten des Ironischen.
Als Seitenpfad sei die Frage aufgetan, inwieweit Schuberts Lieder der Ironie überhaupt fähig waren. Gewiß, "Der Einsame" ("Wenn meine Grillen schwirren") etwa verrät ein Gutteil Jean-Paulschen Humor - aber Schubert macht sich nicht lustig über diese Biedermeier-Haltung, er identifizeirt sich zuletzt mit ihr (eines seiner ganz großartigen Lieder). - Der freche Coupletton des "Heidenrösleins" ist der Haltung des Gedichts geschuldet, die mehr mit dem frechen Knaben als mit dem armen Röslein sympathisiert (Mozarts "Veilchen" ist daher ironischer). - Die grausige Ironie des "Leiermanns" am Ende der Winterreise ist zwar unüberbietbar, kann aber gerade in diesem Zusammenhang nicht als Gegenbeispiel dienen.
Auch Schumann übrigens, zumal in der Dichterliebe, weicht allzu deutlichen Signalen der Ironie eher aus zugunsten einer ungreifbar lyrischen Grundstimmung voll wehmütiger und zarter Lichter. Bereits das "Im wunderschönen Monat Mai" bedient sich ja einer phrasenhaften Bildlichkeit, deren Abgedroschenheit Schumanns Vertonung hinwegzaubert. - In "Die alten bösen Lieder" wird dagegen deutlich, wie Schumann durchaus die rhetorische Ironie zum Klingen bringen kann (wie auch in "Das ist ein Flöten und Geigen" und am deutlichsten wohl in "Ein Jüngling liebt ein Mädchen"). "Im Rhein, im heiligen Strome" versöhnt mit der zeitbedingt verblaßten Blasphemie des Textes (die Komposition ist ein Wunder an musikalisch-malerischer Assoziation; doch sie nimmt die Schlußverse naiver, als sie sich lesen).