Der Tod im Lied

  • Zit. hart: "Da gibt es aber auch noch ein ganz kleines, nur vierzeiliges Gedicht, das mindestens zwei Mal von zwei fast gleichaltrigen Komponisten als Lied dargestellt wurde. "

    Schön zu erfahren. Wie aber klingen diese Lieder?


    So etwas wüsste man als Leser eigentlich ja gerne, wenn man hier schon auf ihre Existenz aufmerksam gemacht wird. Oder ist das zuviel verlangt?


    Im übrigen: Zilcher und Webern gehören kompositorisch sehr verschiedenen Welten an. Schon das allein berechtigt eine solche Frage!


    Und da gibt es noch eine Frage: Wie gehen die beiden kompositorisch (und damit auch als Mensch!) mit einem Text um, dessen Thema der Tod ist?

  • Schön, wenn nachgefragt wird.
    Dass die beiden Komponisten musikalisch unterschiedliche Ansätze hatten, ist mir nur theoretisch bekannt, nämlich dass Weberns Interesse für alte Musik in seinen Kompositionsstil eingeflossen sein sollte.
    Aber ich kann eine kurze Bemerkung zu den 1:28 des Zilcher-Liedes machen, das mir in der Interpretation von Konrad Jarnot vorliegt.
    Es beginnt mit dumpfen Klaviertakten, bevor der Sänger mit sanfter Stimme anhebt, um dann die letzten fünf Wörter mit opernhafter Stimmgewalt herauszuschleudern.
    Man bedenke – es ist ein kurzes Lied, Anfang und Ende sind nicht weit voneinander entfernt.


    Vielleicht kennt jemand im Forum das Lied Weberns, ich wollte lediglich der Vollständigkeit halber einen Hinweis geben.


    Zu Zilcher kann ich nur sagen, dass sein zentrales Thema eher die Liebe war, nicht der Tod, der in der Silvesternacht wie ein Hammer zuschlug.
    Aus einem Brief Zilchers vom Juli 1946: „Ich habe ein ganzes Leben von der Liebe gesungen“

  • Hier haben wir einen weit längeren Text und natürlich auch mehr Musik zum Thema Tod (vorliegende Aufnahme 4:43).


    Leider kann ich dieses Lied nicht als „schön“ empfinden, aber das ist eine ganz persönliche Einschätzung und ich möchte das aus meiner Sicht kurz begründen: Mich stört hier das sehr selbständig wirkende Klavierspiel bei der Aufnahme des Textes; Jacobis Gedicht sagt mir mehr, wenn ich es nur lese …


    An ein sterbendes Kind
    So wandle denn, von Tränen und von Küssen
    Begleitet, deine Bahn!
    Ein kleiner Engel wird voran
    Dir gehn, und leuchten dir in deinen Finsternissen.

    Des Engels Haupt ist sanftes Abendroth;
    Aus seinen Händen nimmt der Tod
    Den Becher, den er dir zum letzten Schlummer beut;
    Und tief im Becher ist des Himmels Süßigkeit.
    Schon warten dein mit rosenfarbnen Flügeln,
    Auf ewig grünen Hügeln,
    Die Kinder-Seelen dort, im bessern Sonnenglanz,

    Und zeigen sich einander deinen Kranz.
    O wie so brüderlich, mit seligem Vertrauen,
    Du neuer Engel! wirst du nun
    An ihrer Brust, als ihr Gespiele, ruhn;
    Mit ihnen Palmen-Hütten bauen,
    Und zwischen Lilien den Gott der Wonne schauen,
    Den du, vom Winde leicht gekühlt,
    Hienieden schon gefühlt,
    Als wir in deinen Schoß die ersten Blumen warfen.
    So wandle denn zum Klang der Silberharfen;
    Und wenn dein Blick herab von hohen Sternen fällt,
    O dann gedenk' an diese Schatten-Welt,
    An diesen Erden-Tag,
    An diesen Labetrunk, in liebevollen Armen,
    Das einzige, was irdisches Erbarmen
    Dem Sterbenden zu reichen noch vermag.
    Gedenk' an uns, in deinem Siege!
    Mir aber segnen oft die kleinen, holden Züge,
    In denen uns das Paradies
    Ein Bild von seiner Unschuld wies.

    Johann Georg Jacobi

  • In zwei Beiträgen hat hart darauf hingewiesen, dass die Komponisten Hermann Zilcher und Anton Webern beide das Gedicht „Der Tod“ von Matthias Claudius in Form eines Klavierliedes vertont haben. In Anbindung daran möchte ich diese beiden Lieder ein wenig näher beschreiben und miteinander vergleichen.


    Ach, es ist so dunkel in des Todes Kammer,
    Tönt so traurig, wenn er sich bewegt
    Und nun aufhebt seinen schweren Hammer
    Und die Stunde schlägt.


    Hermann Zilcher
    Die Harmonik des Liedes verbleibt im tonalen Bereich, pendelt zwischen Moll und Dur hin und her und weist chromatische Einfärbungen auf. Der klangliche Eindruck ist der einer Dominanz von Moll-Klängen. Die Klavierbegleitung besteht aus ruhig im Viervierteltakt sich dahinbewegenden Akkorden. Ohne die Noten zu kennen, würde man die Tempovorschrift „Andante“ vermuten.


    Die melodische Linie der Singstimme bewegt sich beim ersten Vers in gemessener, silbengetreuer Deklamation langsam aufwärts, erreicht bei „Todes“ ihren Höhepunkt und beschreibt dort einen Bogen mit einer ausgeprägten Dehnung. Danach bewegt sie sich beim zweiten Vers fast spiegelgetreu wieder abwärts, und dieses Mal liegt der melodische Bogen auf dem Wort „traurig“. Dieses Wort war dem Komponisten so wichtig, dass er die lyrischen Worte „so traurig“ noch einmal wiederholt.


    Danach folgt eine kurze Pause, die den zweiten Teil des Verses vom ersten melodisch abtrennt. Bei „wenn er sich bewegt“ setzt eine neue Melodiezeile ein, die in der nächsten Vers übergreift und diesen voll einschließt. Nun steigt die melodische Linie der Singstimme entschieden und mit einem Crescendo versehen an. Bei „schweren Hammer“ erreicht sie ihren vorläufigen Höhepunkt. Das Wort wird silbengetreu auf einem doppelten Terzfall mit starkem Akzent im Fortebereich deklamiert. Auf diese Weise wird es auf prägnante Weise musikalisch hervorgehoben.


    Danach folgt sogar noch eine weitere Steigerung in der Expressivität der melodischen Linie: Sie steigt noch um eine Sekunde höher, und auf dem Wort „Stunde“ liegt eine ausgeprägte melodischen Dehnung in hoher Lage. Zum Wort „schlägt“ hin folgt dann wieder ein Terzfall.


    Anton Webern
    Chromatische Atonalität prägt dieses Lied klanglich. Schwere Akkorde und Einzeltöne im Bassbereich fahren wie Hammerschläge in die Vokallinie. Diese weist eine wenig ausgeprägte melodiöse Struktur auf, wirkt wie gebrochen, weil ganz und gar vom Wort her dominiert.


    Mit einem dunkel-dumpfen „Ach“ setzt die Singstimme ein. Danach folgt eine kurze Pause, so dass dieser Klageton musikalisch hervorgehoben wirkt. Die Worte „es ist so dunkel“ werden rasch auf einer Tonebene deklamiert, von einem einzigen schweren Akkord getragen. Bei den Worten „Todes Kammer“ beschreibt die Vokallinie in hoher Lage einen Sekundfall. Wie ein Absturz in die Tiefe wirkt danach der melodische Schritt über ein großes Intervall in einen Moll-Akkord im Klavier bei den Worten „Tönt so traurig“.


    Bei dem Wort „Und“ am Anfang der dritten Strophe schlägt das Klavier im Bass einen harten tiefen Ton an. Und danach kommen von dort akkordische Schläge, die wie schweres Glockengeläut klingen: Ein Einzelton und danach ein Akkord in Folge. Die Singstimme steigt derweilen in große Höhen. Die Worte „schweren Hammer“ werden auf nur einem einzigen Ton deklamiert, Silbe für Silbe. In tiefer Lage, nur um eine kleine Sekunde von der Tonebene abweichend, artikuliert die Singstimme dann den letzten Vers.


    Beurteilung
    Die beiden Komponisten haben das Gedicht von M. Claudius offensichtlich ganz unterschiedlich rezipiert. Die Begegnung mit dem Tod in lyrischer Form artikuliert sich infolgedessen auf musikalisch sehr verschiedene Weise. Wenn man die Unterschiede auf einen Nenner bringen möchte, könnte man sagen:
    Bei Zilcher dominiert klanglich die ruhige, verhaltene Klage, die sich erst gegen Ende des Liedes zur größerer Expressivität steigert.
    Bei Webern hingegen hat sich das Erschrecken über die Begegnung mit dem Tod auf eine musikalisch regelrecht schroffe, klanglich und rhythmisch höchst expressive Form Ausdruck verschafft. In seiner musikalischen Faktur ist das – obwohl zeitlich vor dem von Zilcher liegend – das modernere Lied.


    Eigentlich ist das ein erstaunlicher Befund, wenn man bedenkt, dass die Lieder nahezu vierzig Jahre auseinanderliegen. Webern hat sein Lied vermutlich um 1905/6 komponiert, Zilcher schrieb seines 1940. Dazwischen liegen ein ganzer und ein gerade beginnender Weltkrieg mit all den Erfahrungen von Tod, die damit einhergehen. Vielleicht, so möchte man meinen, hat Zilcher die Begegnung mit dem Tod in ihrer individuell-menschlichen Dimension zum Thema seines Liedes gemacht, während Webern eher die existenzielle Grenzerfahrung Tod in seine Liedkomposition einbrachte.

  • Eine Ergänzung habe ich noch zu machen, meinen letzten Beitrag hier betreffend. Ich meinte, das Lied von Webern sei das „modernere“. Eine solche Feststellung sollte begründet werden, - und das kann man auch.


    Hermann Zilcher ist – musikgeschichtlich betrachtet – im Grunde ein Spätromantiker. Seine Liedkomposition, und das kann man in diesem Fall deutlich erkennen – orientiert sich an Hugo Wolf und Johannes Brahms. Sie tonal ausgerichtet, im Satz akkordisch angelegt, und die melodische Linie ist vom lyrischen Text in seiner genuinen Struktur inspiriert, setzt diesen in seiner sprachlichen Gestalt in melodische Struktur um.


    Webern verfährt kompositorisch ganz anders. Bei ihm wird das lyrische Wort in die musikalische Struktur hineingenommen, wird zum Bestandteil derselben. Es wird aus den einzelnen Versen des Gedichts keine zusammenhängende melodische Linie mehr entwickelt, sondern einzelne Textelemente bilden zusammen mit bestimmten melodischen Phrasen eine musikalische Einheit.


    Gleichwohl möchte man einen, dass Zilcher mit dem Grundton der stillen Klage dem Gedicht von M. Claudius eher gerecht wird. Das lyrische Bild, das dem Gedicht von Claudius zugrundeliegt, hat ja etwas zutiefst der menschlichen Lebenswelt Zugehöriges und weist sogar eine personale Dimension auf. Der Tod ist ein personales Wesen, haust in einer Kammer und schlägt mit einem Hammer dem Menschen die Todesstunde. Die von tonaler Harmonik getragene melodische Linie Zilchers wird diesem Bild eher gerecht als die atonal schroffe Klanglichkeit Weberns, die den Tod aus der Sphäre der Personalität herausnimmt und in die Anonymität einer schreckenerregenden existenziellen Grenzerfahrung rückt.

  • Nachruf (Joseph von Eichendorff)
    Du liebe, treue Laute,
    Wie manche Sommernacht,
    Bis dass der Morgen graute,
    Hab' ich mit dir durchwacht!


    Die Täler, wieder nachten,
    Kaum spielt noch Abendrot,
    Doch die sonst mit uns wachten,
    Die liegen lange tot.


    Was wollen wir nun singen
    Hier in der Einsamkeit,
    Wenn alle von uns gingen,
    Die unser Lied erfreut'?


    Wir wollen dennoch singen!
    So still ist's auf der Welt;
    Wer weiß, die Lieder dringen
    Vielleicht zum Sternezelt.


    Wer weiß, die da gestorben,
    Sie hören droben mich
    Und öffnen leis' die Pforten

    Und nehmen uns zu sich.


    Dieser Text von Eichendorff hat durch die Vertonungen von Hugo Wolf und Othmar Schoeck eine weite Verbreitung gefunden und es stehen viele Aufnahmen auf CD zur Verfügung.
    Unmittelbar nach dem Tod von Dietrich Fischer-Dieskau hatte jemand dieses Lied als Nachruf auf den großen Sänger bei YouTube eingestellt; es war die sehr eingängige Melodie von Othmar Schoeck – ein wirklich passendes Gedenken, wie ich finde.
    Natürlich war es die frühe Aufnahme von Fischer-Dieskau mit der Pianistin Margrit Weber (1924-2001). Die Lieder zu dieser LP (später auf CD erschienen) wurden noch von Schoeck selbst ausgesucht und die Platte war als Geschenk anlässlich des 70. Geburtstages von Othmar Schoeck gedacht, ist dann jedoch erst ein Jahr nach seinem Tode erschienen.


    Die Vertonung von Hugo Wolf ist natürlich ganz anders. Sie beginnt mit einem relativ langen Klaviervorspiel von einer dreiviertel Minute und entlässt den Hörer nach Textende mit einem etwa eine halbe Minute währenden Nachspiel.

  • "Der Tod" ist nicht das zentrale Thema des Gedichts, - und damit auch der Liedkompositionen von Hugo Wolf und Othmar Schoeck. Das Thema ist Einsamkeit, - verursacht allergings durch den Tod derjenigen, für die der Künstler zu seiner Laute gesungen hat. Im Zentrum des Gedichts steht die Frage: "Was wollen wir nun singen / Hier in der Einsamkeit?" Und das lyrische Ich gibt auch eine Antwort darauf, eingeleitet mit dem ersten Vers der vierten Strophe "Wir wollen dennoch singen!"


    Die Frage, womit sich das lyrische Ich in seinem Selbstgespräch beschäftigt, ist also nicht der Tod selbst, sondern die Folgen, die der Tod für sein Schaffen als Musiker und Künstler hat. Das "Dennoch" ist ein Wort, das sich aus der Reflexion dieser Frage ergibt, und es versteht sich als eine Art Sinnbestimmung von musikalischer Kunst angesichts der Tatsache, dass ihre Rezipienten verlorengegangen sind. Das lyrische Ich entschließt sich, "dennoch" zu singen, in der Hoffnung, dass seine Lieder "zum Sternenzelt dringen" mögen.


    Hört man sich die beiden Lieder an, so erkennt man dass sowohl Hugo Wolf also auch Othmar Schoeck Eichendorffs Gedicht genau so gelesen haben. Bei Hugo Wolf steigt zwar die melodische Linie bei dem Vers "Die liegen lange tot" in ein hohe Moll-Lage auf, gefolgt von chromatisch fallenden Klangfiguren im Klavier. Aber Bei dem Vers "Wir wollen dennoch singen" kommt ein deutlich frischer Ton in das Lied: Es erfolgt eine Rückung in eine andere Tonart, und das Tongeschlecht ist bei dieser Strophe durchgehend Dur.


    Bei Othmar Schoeck ist das ähnlich. In der zweiten und in der dritte Strophe dominieren Moll-Klänge. Bei der vierten Strophe aber ("Wir wollen dennoch singen") lautet die Anweisung "Kräftiger", und es wandeln sich wohl die Tonart als auch das Tongeschlecht (zum Dur nämlich).


    Nebenbei: Eichendorff hat sich als Dichter auch mit dem Tod auseinandergesetzt. Anlässlich des Todes seiner zweijährigen Tochter Anna, der ihn schwer erschütterte, schrieb er einen ganzen Zyklus von zehn Gedichten zu diesem Thema. Eines davon hat Othmar Schoeck auch vertont ("Auf meines Kindes Tod")

  • Tod und Tödin

    Wer ist so spät noch fleissig wach?
    und schlägt und plätschert laut im Bach?
    Sterbhemden wäscht die Tödin dort,
    und pocht und dreht und bleichet fort.


    Die Nacht ist schön, voll Mondenschein,
    heut mags nicht schwer zu sterben sein.
    Die Tödin rührt sich ohne Ruh'n,
    als gäb's noch viel für sie zu tun.


    Sie ist ein schönes blasses Weib,
    nur fast zu zart der schlanke Leib;
    das Aug' ist ernst und traurig schön!
    hat viele brechend wohl geseh'n.


    Doch nie hat's, wie's noch nie gelacht,
    je eine Träne feucht gemacht.
    Die ist so spät noch fleissig wach,
    und schlägt und plätschert laut im Bach.


    Sterbhemden wäscht die Tödin dort,
    und pocht und dreht und bleichet fort.
    Da schaut der Tod aus seinem Haus
    im Freithofgrün, und ruft heraus:


    "Du frommes Weib, bist du bereit?
    Nun hab' ich Ruh', 's ist Schlafenszeit."
    Leis winkt sie, deckt die Linnen aus,
    und schleicht dann still hinein ins Haus.


    Der Tod greint sänftiglich sie an,
    man sieht's, er ist ein guter Mann,
    Der Haushalt fördert Jahr für Jahr,
    'sist gar ein emsig wackres Paar.


    Er streckt die Toten in den Schrein,
    sie hüllt sie blank in Linnen ein.
    Er scharrt sie finster tief hinab,
    doch sie pflanzt Blumen auf das Grab.


    Adolf Ritter von Tschabuschnigg


    Carl Loewe hat diesen eigenartigen Text von Adolf Ritter von Tschabuschnigg (1809-1877) im Jahre 1844 komponiert.


    Der Dichter (in Klagenfurt geboren) greift hier eine alte Sage aus Kärnten auf. Auch spielt hinein, dass die Großmütter noch bis etwa um 1950 herum ganz bestimmte Verhaltensweisen verinnerlicht hatten, die zum Beispiel sagten, dass an einem Sonntag unter keinen Umständen gewaschen werden darf, und es wurde am Bach gewaschen, was schlimme Folgen haben konnte.
    In der deutschen Sprache ist der Tod eine männliche Gestalt, nun erscheint hier seine Frau, die Tödin, der Tod in Frauengestalt. Selbst die Tochter Loewes war eigenartig berührt, als der Vater dies komponierte. Eine Darstellung von „Tod und Tödin“ ist übrigens in einer neugotischen Friedhofskapelle in der Nähe von Sterzing zu sehen.


    Das Lied:
    Die Singstimme setzt erst nach einem recht hektischen, fast nervösen Vorspiel von etwa 40 Sekunden ein und assoziiert keine Todesgedanken, sondern klingt eher heiter, erinnert an ein munter dahin fließendes Wasser.
    Dieses Lied wird ja nicht besonders oft gesungen, aber anhand zweier fast extremer Beispiele kann einmal mehr dargestellt werden, wie wichtig Interpretationen sind. Ich beziehe mich hier auf eine historische Aufnahme mit Josef Greindl und Michael Raucheisen (1944) und eine Interpretation mit der Mezzosopranistin Iris Vermillion und Cord Garben (2009). Bei Josef Greindl glaubt man aus dem Vortrag eine gewisse Ironie herauszuhören. Bei Frau Vermillion fasziniert die Abdunklung der Stimme in der letzten Strophe bei „Er steckt die Toten in den Schrein“ und „Er scharrt sie finster tief hinab“ – man hat den Eindruck, urplötzlich sänge eine Männerstimme dazwischen.

  • Der Begriff "Tödin", bzw. "tödtin", findet sich sich im österreichisch- ungarischen Raum und geht auf eine im Volksglauben verwurzelte Vorstellung vom Tod als einem weiblichen Wesen zu zurück. Bei Abraham a Santa Clara findet sich die Textpassage:


    "... so man bei nächtlicher weil ein weinen und wehklagen hört, welches an vielen orthen der glaubige pöbel die klag, in dem Saltzburger-land aber die tödtin nennen". Vielfach wird "die tödtin" auch als ein gespenstisches Wesen verstanden, das das Auftreten der Pest oder anderer großer Seuchen ankündigt.


    Übrigens: Josef Greindl interpretiert diese Ballade völlig zu Recht mit einem ironischen Unterton. Das tänzerisch heitere Rhythmus, der schon im Vorspiel aufklingt und im Klaviersatz bis zum Ende durchgehalten wird, lässt erkennen, wie Loewe diese Ballade verstanden hat: Er hat sie mit seiner Musik ganz unüberhörbar ironisiert. Das deutlichste Inidiz dafür ist die refrainartige Wiederholung einzelner Verspaare, was sich - weil die melodische Linie dabei wie überdreht wirkt - bei dem Doppelvers "Der Tod greint sänftiglich sie an, man sieht's, er ist ein guter Mann, " ausgesprochen komisch ausnimmt.


    So ist die Ballade selbst ja auch gemeint: Den Tod sich als einen in einer Paarbeziehung seinem grausigen Werk nachgehendes Wesen vorzustellen, ist schon ein recht origineller Gedanke. Und dass die "Tödin" als ordentliche Hausfraus nicht nur fleißig "Sterbhemden wäscht", sondern ihrem Gemahl auch noch ins Handwerk pfuscht, indem sie wacker und unverdrossen Blumen auf die Gräber pflanzt, wo es ihm doch gar nicht um die Ästhetik sondern, in zünftiger Handwerksmanier, um den schieren Gebrauch der Sense geht, - das ist ja nun wirklich zum Schreien komisch und, - makaber!


    Also: Greindl hat genau den Ton dieses lyrisch und musikallisch rundum komischen Werkes getroffen.

  • Das Lied entstand 1945 als viertes im Rahmen von Reutters Opus 58 auf Gedichte von Theodor Storm. Er setzt sich hier in einer tiefernsten und von hörbar großer innerer Anteilnahme begleiteten Weise mit dem Thema Tod auseinander, wie es Storm in diesem Gedicht lyrisch artikuliert und akzentuiert hat.


    O bleibe treu den Toten,
    Die lebend du betrübt;
    O bleibe treu den Toten,
    Die lebend dich geliebt!


    Sie starben, doch sie blieben
    Auf Erden wesenlos,
    Bis allen ihren Lieben
    Der Tod die Augen schloss.


    Indessen du dich herzlich
    In Lebenslust versenkst,
    Wie sehnen sie sich schmerzlich,
    Daß ihrer du gedenkst!


    Sie nahen dir in Liebe,
    Allein du fühlst es nicht,
    Sie schaun dich an so trübe,
    Du aber siehst es nicht.


    Die Brücke ist zerfallen;
    Nun mühen sie sich bang,
    Ein Liebeswort zu lallen,
    Das nie hinüberdrang.


    In ihrem Schattenleben
    Quält eins sie gar zu sehr:
    Ihr Herz will dir vergeben,
    Ihr Mund vermag´s nicht mehr.


    O bleibe treu den Toten,
    Die lebend du betrübt;
    O bleibe treu den Toten,
    Die lebend dich geliebt!



    Das Lied setzt mit einem Vorspiel aus atonal sich bewegenden Akkorden ein, die durchgängig chromatisch geprägte Moll-Harmonik aufweisen und in der Art ihres gesetzten Aufeinanderfolgens Anklänge an einen Choral ausweisen.


    Das Klangbild des Vorspiels, diese atonale Tristesse, bleibt das ganze Lied über erhalten. Die melodische Linie der Singstimme ist ganz und gar in es eingebettet. Und darein fügt sich, dass sie überwiegend Fallbewegungen macht. Schon die Melodiezeile auf dem ersten Vers weist diese Linienführung auf. Die Worte „O bleibe treu“ werden rasch deklamiert, das Wort „Toten“ wird jedoch mit einer melodischen Dehnung in Gestalt einer Fallbewegung nach unten musikalisch akzentuiert. Das wiederholt sich beim dritten Vers. Der zweite und der dritte Vers weisen jedoch eine Aufwärtstendenz auf: Sie greifen damit den mahnenden Charakter auf, den Storm ihnen verliehen hat.


    Die erste Strophe kehrt am Ende in der gleichen musikalischen Faktur wieder. Sie bildet demnach in dem, was sie lyrisch-musikalisch zu sagen hat, den Rahmen für all das, was in den anderen zum Ausdruck gebracht wird.


    Jede Strophe weist ansonsten ihre ganz eigene Faktur und ein ganz eigenes Klangbild auf. Das kann sich zu starker Expressivität steigern, wie zum Beispiel bei der zweiten Strophe, wo die melodische Linie in hohe Lage auf steigt und sich dort sehr langsam bewegt, als solle das, was der lyrische Text zu sagen hat, mahnend ins Bewusstsein gerufen werden. Das Wort „schmerzlich“ wird dabei mit einem regelrechten Sich-Aufbäumen der Vokallinie bei gleichzeitiger atonaler Bewegung mit einem starken Akzent versehen.


    Dieses klangliche Hervorheben einzelner lyrischer Wörter oder Wortgruppen zur Verstärkung des Klagetons oder der Mahnung vernimmt man immer wieder. So zum Beispiel bei den Worten „Allein du fühlst es nicht“ (vierte Strophe): Hier verbleibt die melodische Linie in tiefer Lage auf einer Tonebene und bewegt sich dort nur um eine Sekunde nach oben und nach unten. Das wirkt klanglich höchst eindringlich, weil sich beim vorangehenden Vers die Vokallinie lebhaft nach oben stieg. Es wiederholt sich bei dem Vers „Du aber siehst es nicht“.


    Bei dem Bild von der „zerfallenen Brücke“ ist auch der Klaviersatz gleichsam zerfallen. Das Klavier umspielt die müde sich bewegende Singstimme mit matt hingetupften Einzeltönen. In der sechsten Strophe kommt freilich wieder starke Expressivität in die Vokallinie. Bei dem Vers „Ihr Herz will dir vergeben“ bewegt sie sich hinauf in hohe Lage und fällt von dort bei den Worten „Ihr Mund vermag´s nicht mehr“ auf einer chromatisch geprägten Linie in äußerst müde wirkenden, weil kleinen Schritten in tiefe Lage ab.


    In seinem höchst expressiven Klageton beeindruckt dieses Lied sehr stark.

  • Banner Strizzi
  • Der Komponist Stefan Heucke (*1959) vertonte sieben Gedichte von Hertha Kräftner (1928-1951), die 23-jährig, ihrem Leben ein Ende setzte. Etwa um die hundert Gedichte sollen in diesem kurzen Leben entstanden sein.
    Der Komponist begegnete zuerst dem Gedicht »Dorfabend«, das nun den Zyklus beschließt; und fand danach noch sechs weitere Gedichte, die er in einem Zyklus zusammenfasste. Das erste Gedicht »“ANNA“, sagte der Mann«, schildert den Tod des Vaters und der Komponist meint, dass man „ANNA“ nur durch „Hertha“ ersetzen brauche, um geheimer Zeuge des Abschiedsgesprächs von Vater und Tochter zu sein.
    Der reale Hintergrund: 1945 drangen Soldaten der Roten Armee in das Elternhaus ein und der Vater zog sich dabei eine Verletzung zu, an deren Folgen er später starb – Hertha Kräftner war damals 16 Jahre alt. Das Gedicht ist in voller Länge im Internet zu finden, aber es wird hier nur als kurzes Zitat angedeutet, um nicht mit der 70-Jahre-Frist in Konflikt zu kommen.


    "ANNA", sagte der Mann,
    "ich fahre jetzt heim. Im Schlafwagen ...
    Ich wollte immer schon einmal
    im Schlafwagen reisen,
    aber es war mir zu teuer.
    Anna? Freust du dich nicht?
    Es ist ein langer Zug.“


    Die weiteren Gedichtsüberschriften lauten:
    2. Das Gesicht meines toten Vaters / 3. Wer glaubt noch / 4. Kleine Chronik / 5. Auf den Tod eines Dichters / 6. Die Eltern im Herbst / 7. Dorfabend


    Im letzten Lied begräbt eine Mutter heimlich mit einer Helferin ihr Kind, das sie erwürgt hat – der Zyklus endet mit »Gott hab mit uns Erbarmen.«
    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zyklus Tod und misslingende Liebe zum Inhalt hat, dass man hier keine „schöne Musik“ erwarten kann, liegt fast auf der Hand. Ein gewisses Interesse an zeitgenössischen Tönen sollte der Hörer schon mitbringen.

  • Seri mir gegrüßt, o schöne Nacht
    In deiner hehren Sternenpracht;
    Mit weichen Händen bietest du
    Des Staubes Kindern deine Ruh.
    O Brüder, schlummert sanft den süßen Schlummer,
    Ein neuer Tag weckt euch zu neuem Kummer.


    Auch in den stummen Gräbern ihr
    Ruht sanft von eurer Arbeit hier;
    Vergessenheit ist euer Los,
    Und euer Obdach dieses Moos.
    O Brüder, schlummert sanft des Todes Schlummer,
    Kein neuer Tag weckt euch zu neuem Kummer.



    Wenn man dieses Lied auf einen lyrischen Text von Heinrich Zschokke (1771-1848) hört und liest, dass es von Hugo Wolf stammen soll, so mag man es nicht glauben. Von dem faszinierenden liedkompositorischen Zauber, den er zum Beispiel in seinen Mörike-Liedern entfaltet, ist hier nicht das Mindeste zu vernehmen. Aber das wundert auch nicht: Wolf war fünfzehn Jahre alt, als er es komponierte.


    Der Klaviersatz ist ganz und gar von weit ausgreifenden und eine melancholische Melodik zum Ausdruck bringenden Arpeggien geprägt. Ein langes Vorspiel erklingt erst einmal, bevor dann die Singstimme einsetzt. Sie bewegt sich, in Moll harmonisiert, in ruhigen Schritten. Die einzelnen Melodiezeilen umgreifen jeweils nur einen Vers, und die Singstimme deklamiert durchweg syllabisch exakt. Irgendwelche Kühnheiten in der Harmonik, also große Modulationen oder Rückungen gibt es nicht. Durchweg ist das Lied diatonisch angelegt. Nach jeweils zwei Verspaaren erklingt ein ausführliches Klavierzwischenspiel, das stark expressiv angelegt ist. Und auch zwischen den beiden Strophen entfaltet das Klavier eine Fülle von melancholisch geprägten Klängen.


    Bei all seiner kompositorischen Einfachheit weist dieses Lied doch einen eigenen klanglichen Reiz auf, weil es Wolf sehr wohl gelungen ist, dem Geist des lyrischen Textes musikalischen Ausdruck zu verschaffen. Man kann dies zum Beispiel sehr schön an dem letzten Doppelvers der ersten Strophe vernehmen. Die melodische Linie der Singstimme bewegt sich zunächst nach oben, um den Worten „süßen Schlummer“ klanglichen Nachdruck zu verleihen, dann aber, bei den Worten „neuem Kummer“ gerät sie in absteigender Bewegung fast ins Stocken, da eine winzige Pause vorgelagert ist. Das sind erste Ansätze zu einer sich am lyrischen Wort ausrichtenden Komposition.


    Man macht hier – wenn man sich ein wenig für den Liedkomponisten Wolf interessiert und sich mit ihm beschäftigt – eine interessante Erfahrung: Die hohe Sensibilität für lyrische Sprache ist bei ihm in diesem Alter schon durchaus vorhanden. Es mangelt freilich noch entschieden am kompositorischen Rüstzeug und am genialischen Impuls seines Einsatzes, wie sich das dann im Jahre 1888 ereignete.

  • Bernd Schulz hat hier im Forum am 10. Mai 2006 einen Thread mit dem Titel:
    Yrjö Kilpinen und sein Liedschaffen gestartet, mehr als sieben Jahre später kann man dazu vier Beiträge lesen. Im Beitrag des Threadstarters wird das Leben und Wirken des Komponisten dargestellt, ich möchte nur noch hinzufügen, dass Kilpinen mehr als 500 (eine Quelle spricht von über 800 Liedern - wie will man das als Amateur nachprüfen?) Lieder geschaffen hat. Die meisten seiner Lieder sind in Zyklen zusammengefasst. Neben der skandinavischen Literatur vertonte Kilpinen, der zeitweise auch in Deutschland studiert hatte, deutsche Dichter wie Sergel, Rilke, Hesse und etwa 70 Lieder nach Texten von Christian Morgenstern.
    »Lieder um den Tod« Opus 62 besteht aus sechs Liedern mit den Titeln:
    VÖGLEIN SCHWERMUT / AUF EINEM VERFALLENEN KIRCHHOF / DER TOD UND DER EINSAME TRINKER / WINTERNACHT / DER SÄEMANN / UNVERLIERBARE GEWÄHR


    Diese Lieder sind einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt, fanden aber zu Lebzeiten des Komponisten doch einige Beachtung, weil der damals sehr populäre Bariton Gerhard Hüsch, der mit Kilpinen befreundet war, diese Lieder in seinen Programmen darbot.


    Eines dieser sechs Lieder, das 3. des Zyklus, mit dem Titel »Der Tod und der einsame Trinker« ist ein recht kurzes Lied, das man eigentlich kaum als solches bezeichnen mag, denn es fällt völlig aus dem umgebenden Rahmen.
    Das Stück beginnt recht ungestüm und man könnte im Folgenden eher Lustiges vermuten, aber der rasch eintretende unheimliche Gast beginnt sogleich mit der Begrüßung »Guten Abend Freund«... dann beginnt ein recht einseitiger Dialog, bei dem der Gast alle Register seiner sängerischen Rhetorik in immer neuer Stimmfärbung zieht, jedoch nur stereotypes Zuprosten erfährt.
    Das im Zyklus darauf folgende Stück »Winternacht« besingt dann die Heimkehr von der Schenke (Flockendichte Winternacht... Heimkehr von der Schenke...) Hier haben wir dann wieder ein »echtes« Lied, ein schönes Lied.


    In meiner Liedsammlung finde ich »Der Tod und der einsame Trinker« nur zwei Mal:
    Auf einer historischen Lieder-CD singt Gerhard Hüsch 25 Kilpinen-Lieder, wobei die 19 Klavierlieder von Margareta Kilpinen begleitet werden.
    Auf einer CD des finnischen Baritons Jorma Hynninen, wo eine bunte Mischung von Bach, Schubert, Schumann, Mozart, Verdi...und anderem drauf ist - und dieses eine Lied von Kilpinen.



    Der Tod und der einsame Trinker
    Eine Mitternachtscene.


    "Guten Abend, Freund!"
    ""Dein Wohl!""
    "Wie geht's?"
    ""Dein Wohl!""
    "Schmeckt's?"
    ""Dein Wohl!""
    "Du zürnst mir nicht mehr?"
    ""Dein Wohl!""
    "Im Ernst?"
    ""Dein Wohl!""
    "Hab Dank!"
    ""Dein Wohl!""
    "Aber -"
    ""Dein Wohl!""
    "Zuviel!"
    ""Dein Wohl!""
    "Nun -"
    ""Dein Wohl!""
    "Wie du willst!"
    ""Dein Wohl!""
    "Narr!"
    ""Dein Wohl""
    "Genug!"
    ""Dein -""
    Christian Morgenstern

  • Ein interessanter Beitrag von


    Alois Mühlbacher - (Counter)tenor
    Franz Farnberger - Klavier



    8-)

    „Wir sind nie einer Meinung!“ - „Das seh' ich anders ...“