»Eine meiner Lieblings-Karikaturen zeigt einen Wahrsager, der sich gründlich die Handlinien seines Kunden ansieht und dann mit ernster Miene zu dem Schluß gelangt: ›Sie sind zu leichtgläubig!‹ «
(Carl Sagan)
Angeregt durch einige jüngere Forenbeiträge hier, aber auch durch jüngere Artikel, Interviews und Veröffentlichungen an anderer Stelle, möchte ich wieder einmal einen etwas längeren Grundsatz-Artikel in dieses Forum stellen. Mir ist aufgefallen, daß Skeptiker oder Gegner von Aufführungsfassungen oft jede Sachlichkeit in der Argumentationsweise vermissen lassen. Die Art und Weise der Äußerung ist oft extrem unwissenschaftlich, selbst seitens sogenannter ›renommierter Musikwissenschaftler‹, und die Form der Auseinandersetzung erinnert mich oft stark an die von Verschwörungstheoretikern und pseudo-wissenschaftlich Interessierten.
Carl Sagan (1934–1996), Ikone der amerikanischen Weltraumforschung, Initiator von S.E.T.I. und Buchautor (›First Contact‹) hat in seinem vorletzten Buch die Pseudowissenschaften und deren besonders verbreitete Phänomene (z. B. das berühmte angebliche Mars-Gesicht, Entführungen durch Außerirdische, Löffelverbieger, Ufos, Kornkreise u. v. m.) wissenschaftlichen Überprüfungen unterzogen. Sein Anliegen war, zu zeigen, welche gefährlichen Konsequenzen ›wissenschaftlicher Analphabetismus‹ haben kann. Das Buch heißt ›The Demon-Haunted World. Science as a Candle in the Dark‹, auf Deutsch etwas reißerischer ›Der Drache in meiner Garage oder die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven‹ (Droemer Knaur TB 77474, ISBN N 3-426-77474-7).
Viele der von Sagan beschriebenen Mechanismen finde ich in der Auseinandersetzung mit Bruckners Neunter wieder, undzwar nicht erst jetzt, sondern durch die ganze Rezeptionsgeschichte der Neunten hindurch. In einer zentralen Passage des Buches teilt Sagan mit, was einerseits wissenschaftliche Herangehensweise erfordert, andererseits, auf welche Weise nicht wissenschaftlich Denkende ihre Ideologien mit gefährlichen logischen Irrtümern und rhetorischen Trugschlüssen pseudo-wissenschaftlich verbrämen, um ihren meist in sich widersprüchlichen Weltanschauungen mehr Nachdruck zu verleihen. Ich möchte im folgenden ein paar Abschnitte aus diesem Bereich zitieren, in der Hoffnung, auch den Bruckner-Fans Sagans ›Anleitung zur Skepsis‹ zur Verfügung zu stellen, die sich ohne weiteres auch auf die Musik-Wissenschaft übertragen lassen und bei der Lektüre diverser Veröffentlichungen hilfreich sein können, um die Spreu vom Weizen zu trennen. (Gar nicht zu reden davon, was für einen Spaß man haben kann, wenn man die täglichen Nachrichten und Zeitungsmeldungen anhand dieser Methode untersucht!) Ich schlage vor, die Absätze am besten herauszukopieren, auszudrucken und zu Hause zu lesen. Der Einfachheit halber folgen die Zitate im nachfolgenden, separaten Posting. Ich würde mir anschließend viele Wortmeldungen von Euch wünschen, in denen Ihr diese allgemein-wissenschaftlichen Äußerungen Sagans auf die Problematik von Bruckners Neunter bzw. die Rezeption der Neunten und unserer Aufführungsfassung des Finales anwendet.