Lieber Norbert, lieber Elisabeth, danke für Eure freundlichen Postings!!!
Das Orchester hatte in der Tat viel Streß zu bewältigen. Wir mußten z. B. ohne Wagner-Tuben proben, die erst in der Generalprobe aus Linz dazustießen. Dann die lange Busfahrt aus Ostrava nach Gmunden. Die Generalprobe konnte erst am Mittag des Konzertes stattfinden, und es war zwischen Probe und Konzert wenig Zeit zur Erholung.
Und auch noch die räumlichen Verhältnisse: Ich war bereits am Vortag angereist und konnte gottlob noch bei der Errichtung des Podestes helfen... Der Toscana-Congreß in Gmunden ist ein sehr kleiner Saal für ca. 600 Personen; das Podium ist nicht sehr groß. Erschwerend kommt hinzu, daß der Raum fast rund ist, und der runde Bühnenhintergrund ist nicht günstig für die Schallabstrahlung. Um das Orchester überhaupt platzieren zu können, mußten wir die Bestuhlung und die Podeste sehr überlegt disponieren -- dankenswerterweise gab es ÜBERHAUPT Podeste (!); üblicherweise sitzt das Orchester ebenerdig. Wir mußten sogar in letzter Minute Bretter zurechtsägen ... Die MusikerInnen saßen sehr eng; für die sechs Kontrabässe in der letzten Reihe hinten war fast kein Platz. Im übrigen saßen die Streicher wie immer bei mir Geigen links-rechts, Violen links, Celli rechts mittig, Hörner und Tuben links schräg, das Holz stark erhöht mittig, Trompeten, Posaunen und Tuba rechts. Allerdings gab es durch die runde Rückwand komische Effekte: ich hörte manchmal die Blechbläser im Tutti seitenverkehrt, und da es sich um Holzwände handelte, wurden sie zusätzlich verstärkt. Da wir nur eine Minimum-Streicherbesetzung (12-12-8-8-6) hatten, ist das Blech halt manchmal unverhältnismäßig stark.
Bezüglich der Tempi war ich selbst auch nicht ganz glücklich mit der Aufführung; die Wackeleien sind aber vor allem dem Raum und dem Moment geschuldet. Z. b. haben am Anfang des Trios die Streicher das Tempo nicht richtig abgenommen; dann kann man besonders bei Bruckner leider nicht mehr schneller werden. Bei dem "Langsamer", das im halben Tempo geplant war, reicht schon ein Musiker, der sich daran nicht erinnert ... Und insgesamt geriet die Aufführung auch für meinen Geschmack etwas zu langsam, was aber, wie ich glaube, vor allem am Raum liegt. Auf dem Podium konnte man sich schlecht hören, und dann wird man vorsichtig und schleppt etwas. Schließlich gibt es natürlich auch noch völlig unvorhergesehene Dinge -- und die waren wirklich skurril!!!
1.) Ich hatte ein vergleichsweise kleines Podest, gerade mal etwa ein halber Quadratmeter. Nach nur knapp zwei Minuten, kurz vor dem Hauptthema, fiel mir plötzlich die rechte Kontaktlinse aus dem Auge, direkt vor mir auf den roten Teppich, wo ich sie dann liegen sah, unversehrt, aber nahe am Rand. Man hört den Moment am zeitweiligen Durcheinander etwa ab T. 59. Ich habe gottlob auswendig dirigiert und hatte keine Partitur vor mir. Aber praktisch mit nur einem Auge zu dirigieren war schon merkwürdig. Erst vor dem Adagio konnte ich mich bücken und die Kontaktlinse tatsächlich wieder einsetzen... Der positive Nebeneffekt war: Ein Freund von mir, der auch Dirigent ist, lobte hinterher, daß mein Dirigieren viel besser geworden sei, weil ich so ruhig und fest im Boden stand. Kein Wunder ...
2.) Beim Übergang zum Trio war nicht uneingeschränkt das Orchester schuld: Ein Schmetterling gaukelte herein durch eine offene Dachluke, in den letzten Takten des Scherzo, und flog in aller Seelenruhe mal zu diesem, mal zu jenem Pult, nahm auch einmal auf einer Geige Platz ... Es war ein wunderschöner, großer Brauner Fuchs.
3.) Im Adagio, genau an der Stelle, wo der himmlische Streicherchoral in A-Dur einsetzt, schwebte plötzlich ein riesengroßes Kastanienblatt aus nämlicher Deckenluke ganz langsam majestätisch herab auf den Boden, genau in der Mitte, direkt vor mir ... That´s live ...
Mit dem Orchester war ich eigentlich sehr glücklich. Gerade, weil das Orchester keine Erfahrung mit dem Werk hatte, habe ich viele Dinge probieren können, die mir ein anderes Orchester nicht so ohne weiteres abgenommen hätte. Ich war im Gegenteil glücklich über viel Aufgeschlossenheit in deren Reihen. Ich hätte mir nur einen Tag mehr zum Proben für einen etwas entzerrteren Probenplan sowie noch ein oder zwei weitere Konzerte gewünscht, damit alle mehr davon gehabt hätten. Ich hätte gern wieder mit dem Orchester gearbeitet, aber das Konzert kam nur auf den ausdrücklichen Wunsch von Jörg Zulehner, dem inzwischen leider verstorbenen langjährigen Präsidenten des Gmundener Brucknerbundes zustande, der auf mir als Dirigent bestand, nachdem er mich kennengelernt und einen Konzertmitschnitt von mir gehört hat.
Leider bin ich als Musiker auf Veranstalter angewiesen, die sich so etwas erlauben können. Denn für den normalen Betrieb ist jemand wie ich "nicht bankable". Ich hätte kein Interesse daran, meine Haut für eine Agentur zu Markte zu tragen und bis zu 100 Konzerte im Jahr nur dafür zu dirigieren, daß die Agentur auf ihre Kosten kommt. Der Preis dafür, den ich persönlich zu zahlen hätte, wäre mir viel zu hoch. Ich bin eher der Typ, der schon glücklich ist, fünf Projekte im Jahr machen zu können -- dafür aber alles gründlich vorbereitet. Es wäre ein Alptraum für mich, das abgenudelte Standardrepertoire rauf und runter dirigieren zu müssen, und ich hätte keine große Lust, mich immer wieder zu wiederholen... Aber die Agenturen haben nun einmal leider das Sagen; was jemand musikalisch anzubieten hat, zählt da nicht sonderlich, solange ein Dirigent die Rolle klaglos spielt, die ihm die Mischpoke aus Agenten, Veranstaltern und Managern zugedacht hat. Auch die Janacek Philharmonie sah keinen Grund, mich von sich aus nochmals einzuladen ...