Anselm Hüttenbrenner - ein vergessener Liederfürst

  • "Liederfürst" - noch in meine Jugend verlieh man Franz Schubert diesen Ehrentitel.


    Zu Lebzeiten war Hüttenbrenner (1794- 1868] keineswegs unbekannt, über Salieri, dessen Schüler er war, lernte er Franz Schubert kennen, der ihn als ihm ebenbürtig betrachtete, ja einige Vertonungen - beispielsweise den Erlkönig - schätzte Schubert qualitativ höher eine als seine eigenen Arbeiten.
    Auch quantitativ kann sich die Ausbeute sehen lassen: Etwa 250 Lieder hat Hüttenbrenner hinterlassen, im Vergleich dazu Schubert: 600 Lieder...


    Eine einzige Aufnahme ist derzeit im Handel, dort sind 24 Lieder zu hören.



    Vielleícht besitzt jemand diese Aufnahme und möchte etwas dazu sagen.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Danke - schon wieder etwas gelernt. Der Name war mir völlig unbekannt.
    Herzlicht
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • So ganz unbekannt war mir den Name Hüttenbrenner nicht: In verschiedenen Lexika wird mitgeteilt, daß er an Beethovens Sterbebett zugegen gewesen und diesem die Augen zugedrückt haben soll. Ob's war oder nur Kolportage ist, kann ich natürlich nicht sagen.


    Als Freund von Schubert könnte er jedoch tatsächlich, wie ebenfalls verschiedentlich nachzulesen ist, die Originalpartitur der "Unvollendete" in seinem Besitz gehabt und bis 1865 unter Verschluß gehalten haben. Ich halte es jedenfalls für denkbar, daß die Zweisätzigkeit der Sinfonie für ihn gegen traditionelle Muster sprach und daher als unvollendet gelten mußte. In diesem Zusammenhang heißt es in WIKIPEDIA:


    Zitat

    Eine Version besagt, dass Schubert ihm diese Partitur als Dank für die von Hüttenbrenner vermittelte Ehrenmitgliedschaft Schuberts bei dem Steiermärkischen Musikverein übereignet haben soll. Die angebliche Widmungsurkunde Schuberts wurde aber schon vor Jahrzehnten als ungeschickte Fälschung entlarvt.


    Soweit meine Kenntnis des Namens Anselm Hüttenbrenner.


    Im "Propyläen - Welt der Musik" wird Hüttenbrenner, nach seiner Ausbildung bei Salieri, von 1824 bis 1829 und von 1831 bis 1839 als Direktor des Steiermärkischen Musikvereins in Graz genannt. Außerdem ist dort an Informationen nachzulesen, daß er neben einer beträchtlichen Anzahl von Männerchorliedern, Männerquartetten, Liedern, Klaviersonaten, Fugen für Klavier und andere Klavierstücke noch
    3 Opern,
    5 Sinfonien,
    10 Ouvertüren
    1 Streichquintett
    2 Streichquartette
    3 Requiem
    hinterlassen hat. Gedruckt davon wurde nur sehr wenig, obwohl seine Musik zu seinen Lebzeiten sehr geschätzt wurde.

    .


    MUSIKWANDERER

  • Diese Lithographie hatte ich dieser Tage (als Postkarte) in den Händen und meine Frau wollte wissen, wer der Herr in der Mitte ist ...
    Dank Tamino kann ich das nun beim Frühstück erklären ...


    Aber ich habe mir auch zu dieser späten Stunde schon ein kleines Stückchen des Hüttenbrennerschen "Erlkönig" angehört ... das Internet machts möglich.

  • Zitat

    Aber ich habe mir auch zu dieser späten Stunde schon ein kleines Stückchen des Hüttenbrennerschen "Erlkönig" angehört ... das Internet machts möglich


    Ich habe diesen Sampler auch gehört, allerdings bin ich mir nicht sicher ober der dem Komponisten nicht mehr schadet als nützt.
    Auf mich macht die Aufnahme einen unprofessionellen Eindruck - euphemistisch ausgedrückt.
    Das ist je bas besondere Problem an dem fast alle heute vergessenen Komponisten leiden. Sie werden "ausgegraben" und dann mit mehr Begeisterung als betörendem Klang interpretiert - und schwuppps - sind sie wieder in der Versenkung verschwunden


    Lieder von Komponisten die man bisher nicht gekannt hat klingen in unseren Ohren meist "schlechter als Schubert".
    Dies hat nichts mit der absoluten Qualität zu tun, lediglich damit, daß wir auf Schuberts Liedersprache quasi fixiert sind...


    Über dieses Thema morgen oder übermorgen in einem eigenen Thread......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Alfred meint, dass "wir auf Schuberts Liedersprache quasi fixiert" seien und uns deshalb etwa die Lieder von Hüttenbrenner meist "schlechter als Schubert" vorkämen.


    Daran mag etwas sein. Es muss allerdings gefragt werden, warum(!) das so ist. Warum sind wir auf Schuberts Liedersprache so fixiert?
    Alfreds Feststellung, das habe"nichts mit der absoluten Qualität zu tun", möchte ich einmal zur Diskussion stellen. Ich habe diesbezüglich Zweifel.


    Ich habe mir zum Beispiel die Vertonung von "Der Wanderer" (Schmidt von Lübeck) in der Vertonung von Hüttenbrenner ganz genau angehört und dabei versucht, mich innerlich von diesem großen musikalischen Wurf, den Schubert diesbezüglich vorgelegt hat, zu lösen.
    Das fiel schwer, und insofern bestätigt sich das, was Alfred meint.


    Was sich aber überhaupt nicht bestätigt hat, das ist die qualitative Gleichwertigkeit als Liedkomposition.
    Hüttenbrenners "Ich komme vom Gebirge her" ist ein musikalisches Gebilde, dem die für das Lied als Gattung typische innere Geschlossenheit fehlt. Das Ganze wirkt arienhaft, wie für die Opernbühne geschrieben.
    Es ist Hüttenbrenner nicht gelungen, die Innenspannung des lyrischen Textes, dieses Ineinandergreifen von lyrischer Innen- und Außenwelt und die Multiperspektivität des seelischen Erlebens, musikalisch so in den Griff zu kriegen, dass ein Lied im Sinne eines geschlossenen kompositorischen Gebildes entsteht.
    Schubert gelang das in vollendeter Weise!


    Hüttenbrenners Lied zerfällt in einzelne Stropen, die musikalisch-strukturell sehr unterschiedlich sind. Er setzt die Aussagen dieser Strophen in jeweils andere Musik um.
    Bezeichnend ist, dass man, selbst wenn man dieses Lied zehn Mal hintereinander gehört hat, es immer noch nicht nachsingen könnte. Es hat sich kein geschlossener musikalischer Eindruck hergestellt.

  • Sollte ich mit meinem Beitrag den Eindruck erweckt haben, dass ich Hüttenbrenner für einen uninteressanten oder gar unbedeutenden Liedkomponisten halte, so wäre das völlig unzutreffend und es täte mir leid.
    Ich könnte mir ein solches Urteil schon allein deshalb nicht erlauben, weil ich viel zu wenig Lieder von ihm kenne.


    Das ist ja gerade das Problem. Dieser Mann, der für den Komponisten Schubert eine so wichtige Rolle spielte, hat über 200 Lieder hinterlassen, die noch weitgehend unerschlossen sind (wenn ich das richtig sehe).


    Deshalb ist Alfred ausdrücklich zu danken, dass er auf ihn aufmerksam gemacht hat.
    Das Problem freilich, das er mit seinem Thread aufgeworfen hat, reicht über das Thema Hüttenbrenner als Liedkomponist weit hinaus, und ich fände es wirklich interessant, wenn es in einer Diskussion hier im Forum vertieft werden könnte.
    Warum zum Beipiel haben Schumann und Wolf es tunlichst vermieden, Gedichte zu vertonen, von denen bereits überragende Vertonungen vorlagen?
    Liszt, Loewe oder Robert Franz, um nur drei zu nennen, hatten diesbezüglich viel weniger Hemmungen.

    Die Frage, um die es hier geht, ist ein ganz spezifisches Problem des Liedes. Es ist die einzige musikalische Gattung, der der Vergleich mit Vertretern ihresgleichen sozusagen inhärent ist.
    Es gibt beim Lied, wenn denn mehrere Vertonungen ein und desselben lyrischen Textes vorliegen, von vornherein die unausgesprochene Aufforderung, einen Vergleich über die jeweilige musikalische Qualität anzustellen.
    Und es gibt den Aspekt der maßstabgebenden Vertonung, der sich jeder andere Komponist zu stellen hat.
    (Vielleicht sehe ich da aber wieder einiges zu einseitig oder perspektivisch verkürzt.)

  • Helmut Hofmann (und Rest der Welt)


    Es wird schwer sein eine Diskussion anzukurbeln, wenn insgesamt nur wenige Lieder - noch dazu von EINEM Sänger vorliegen.


    Dan ist die Qualität - auch nach Deiner Aussage - zumindest fraglich.
    Wer wird sich dann eine Hüttenbrenner -Aufnahme kaufen ?
    Hätte Dietrich Fischer Dieskau einige davon auf CD gebann - dann wäre vieles leichter....


    Aber in paar theoretische Gedanken möchte ich noch beitragen.
    Wir stellen fest, daß DU ziemlich EINDEUTIG" einen Qualitätsunterschied zwischen Schuberts und Hüttenbrennners Vertonungen hörst - Schubert jedoch nicht. Wenn wir davon ausgehen, daß Schubert nicht lediglich freundliche Floskeln von sich gab, sondern er WIRKLICH von der Ebenbürtigkeit der Hüttenbrennerschen Vertonungen überzeugt war - was könnte das bedeuten ?


    Meine These dazu lautet, daß der Unterschied für Zeitgenossen eher verschwommen ist, und erst von Menschen späterer Generationen - in Zeiten wo sich das Wertsystem geändert hat - wahrgenommen werden können (???)


    Wäre es übrigens möglich, daß viele "Alternativvertoner" von Texten die "Erstvertonung " überhaupt nie gehört haben ???


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,
    warum Fischer-Dieskau kein Lied von Hüttenbrenner je gesungen hat, wo er sich doch ansonsten an so viele Liedkomponisten heranwagte, die bis dahin kaum einer gehört hatte, das habe ich mich auch schon gefragt.
    An Deiner These, dass die "Nachgeborenen" die Qualität eines musikalischen Werkes leichter einschätzen können als die Zeitgenossen und der Schöpfer selbst, ist sicher etwas dran. Distanz ist ein für die Urteilsbildung wichtiger Faktor, mal abgesehen davon, dass Qualitätsmaßstäbe einem zeitlichen Wandel unterliegen und im Zuge ihrer Entwicklung häufig differenzierter und tragfähiger werden.


    Dass Schubert Anselm Hüttenbrenners Musik schätzte, hängt ganz sicher auch mit der freundschaftlichen Bindung zwischen beiden zusammen (wie so oft bei Schubert). Aber nicht nur!
    Schubert hat ja ganz selten Variationen über ein fremdes Thema geschrieben. Hüttenbrenner ist eine Ausnahme, und das zeigt, dass er sich in dessen Musik offensichtlich wiederfand.
    Das ist auch gar nicht so erstaunlich. Man braucht sich nur einmal Hüttenbrenners Streichquartett in E-dur op.3 oder das Quintett in c-moll anzuhören, und man kann diese Nähe spüren.


    Interessant übrigens ein Brief Schuberts an Hüttenbrenner vom 19. Mai 1819, als dieser nach Graz abgereist war:
    "Ein Jahrzehend verfließt schon, eh Du Wien wieder siehst (...) Freylich kannst Du auch sagen, wie Caesar, lieber in Grätz der Erste, als in Wien der zweyte. (...) Ich werde zuletzt auch nach Grätz kommen, u. mit Dir rivalisiren."
    Meint er mit dem "Ersten" Beethoven oder gar sich selbst? Letzteres wäre ein hochinteressanter Sachverhalt. Es ist aber unwahrscheinlich. Beethoven war wohl gemeint.

  • ________________________________________
    Leider muss ich hier noch einmal einen Eintrag machen. Zwar habe ich Bedenken, mit meiner Schreiberei zu nerven, größer ist aber noch meine Befürchtung, ich hätte durch sie ein falsches Bild von Anselm Hüttenbrenner erzeugt.


    Inzwischen habe ich mich gründlich in die von Alfred hier vorgestellte CD eingehört (Anselm Hüttenbrenner, Die innere Welt / Ulf Bästlein, Charles Spencer / Gramola) und mich auch ein wenig mit der Person und dem Komponisten Hüttenbrenner beschäftigt.
    Ergebnis:
    Diese CD ist unbedingt hörenswert, zumal die beiden Interpreten hervorragende Arbeit leisten. Hüttenbrenner ist eine wahre Entdeckung für jeden Liedfreund.


    Anselm Hüttenbrenner ist ein großer Melodiker. Und nicht nur das: Er ist ein ein genauso großer Komponist von die Melodie begleitender und interpretierender Klaviermusik.
    Es ist verblüffend, zu hören und zu erleben, wie eigenständig sie ist, hochkomplex und sehr differenziert zuweilen, dann aber wieder von schlichter Einfachheit, je nach Charakter des Liedes.
    Viele Melodien sind eingängig und dem Gehalt und dem sprachlichen Duktus des Textes harmonisch angepasst. Manchmal meint man, Mendelssohn zu hören.
    Ein besonders eindrucksvolles Beispiel?
    "Klage um den Freund" (Lied 10) oder "Abendruhe" (Lied 17).
    Die Texte stammen von Ferdinand Freiherr von Rast, der die meisten lyrischen Vorlagen für die Kompositionen geliefert hat, die in dieser CD zusammengestellt sind.


    Dieser Freiherr hatte sich den Künstlernamen "Hilarius" zugelegt. Hüttenbrenner fand bei ihm Zuflucht, nachdem seine Frau gestorben war, ein Verlust, der ihn sehr erschüttert haben muss.
    Die meisten Lieder der CD sind in dieser Zeit ( nach 1850 ) entstanden.
    Wenn man sie sich aufmerksam anhört, dann kann man nur staunen, wozu der Liedkomponist Hüttenbrenner in der Lage war.
    Es ist in der Tat höchst verwunderlich, dass er so in Vergessenheit geraten ist.


    Bei meiner Einschätzung des Liedes "Der Wanderer" (Schmidt von Lübeck) bleibe ich allerdings. Schuberts Komposition erfasst den Gehalt dieses Gedichts ungleich besser, und sie ist als Lied ein in sich stimmiges und geschlossenes musikalisches Kunstwerk.
    Den "Erlkönig" von Hüttenbrenner hat Schubert übrigens höher geschätzt als seinen eigenen.
    Warum?
    Darüber rätsele ich, seitdem ich dieses Lied gehört habe ( das letzte auf der CD). Es wirkt auf mich wie ein sehr dramatisches Rezitativ, auf das dann gleich die zugehörige Arie folgt.
    Ich kann mir nicht helfen, aber ich höre dabei im Hintergrund immer die unglaublich intensive, unter die Haut gehende Dramatik in der Klavierbegleitung des Schubert-Erlkönigs.


    Wie meinte Alfred doch? Wir sind auf Schuberts Liedersprache gleichsam fixiert.
    Das habe ich sowohl beim "Wanderer" als auch beim "Erlkönig" eindrucksvoll erlebt. Aber es wundert mich nicht.
    Icch hatte schon einmal die These aufgestellt, dass es in der Liedkomposition so etwas wie Maßstäblichkeit gibt. Manchmal trifft ein Komponist bei der Vertonung eines lyrischen Textes sozusagen den Nagel auf den Kopf.
    Das sind dann die Lieder, die jeder Liedfreund permanent mit sich herumträgt und an deren musikalischer Qualität er nicht den mindesten Zweifel hat.

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  • Diesem Thread bin ich noch einen Beitrag schuldig, - wo er denn nun von Alfred mühsam wiederhergestellt wurde. Ich hatte Hüttenbrenners Vertonung des Gedichts DER WANDERER (Schmidt von Lübeck) dem Schubertschen Lied gegenüber leicht abgewertet. Im letzten Beitrag schrieb ich, Schubert habe den Gehalt des Gedichts "ungleich besser" erfasst.


    Das kann ich so nicht stehenlassen. Der Grund: Hüttenbrenner ging mit einer gänzlich anderen Intention an das Gedicht heran. Wenn man sie auf einen (schlichten!) Nenner bringen sollte, dann müsste man sagen: Das musikalische Modell seiner Vertonung ist: "Rezitativ und Arie". Und es ist tatsächlich so. Hüttenbrenner hat hier eine deutlich arios geprägte Vertonung vorgelegt. Und diese ist überaus kunstvoll gebaut!


    Das Kaviervorspiel besteht aus akkordischen Klängen, die sich ruhig durch mehrere Tonarten bewegen, unerwartet von einem dramatisch wirkenden Stakkato unterbrochen werden, um dann ihre Bewegung wieder fortzusetzen. Schon das wirkt wie das Vorspiel zu einer Arie, zumal der Einsatz der Singstimme im Klavier wie mit einer Art Anlauf akkordisch vorbereitet wird.


    Die Singstimme beginnt rezitativisch ohne Klavierbegleitung. Erst bei "Es dampft das Tal ..." (das zwei Mal gesungen wird) setzt das Klavier ein und steigert sich dramatisch hin zum "Brausen des Meeres". Diese Stelle wird noch einnmal wiederholt, bei weiterer Steigerung der Dramatik.


    Vor der zweiten Strophe hört man als Zwischenspiel die Einleitung noch einmal. "Ich wandle still..." ist eine ruhig sich bewegende melodische Linie, "Die Sonne dünkt mich ..." wird fast deklamiert, und erst bei "Und was sie reden..." beginnt die melodische Linie wieder zu fließen.


    Überall ist zu hören, dass die Musik den sprachlich lyrischen Text in seinem Gehalt ausmalt und unterstützt. Das "O Land, wo bist du?" wird in seinem flehentlichen Frage-Charakter mit einer stark aufgipflenden melodischen Linie akzentuiert. Mit einem Triller in der hohen Lage des Klaviers werden die Schlussverse vorbereitet. Die Stimme setzt, ebenfalls in hoher Lage, mit "Im Geisterhauch ein ...", weiterhin von Klaviertrillern umspielt. Das "Dort, wo du nicht bist..." wird behutsam piano silbengetreu artikuliert, und erst auf dem "dort" liegt dann ein deutlicher Akzent. Die Schlusszeile wird wiederholt, wie überhaupt die Wiederholung von Versteilen ein wesentliches, an die Arie erinnerndes Bausprinzip ist.


    Kunstvoll nannte ich dieses Lied in seiner musikalischen Faktur. Und es war offensichtlich auch die Absicht Hüttenbrenners, all seine kompositorischen Künste aufzubieten, um die einzelnen Strophen in ihrer jeweils ganz unterschiedlichen Aussage in die ihnen gemäße Musik einzubetten.

  • Am 13. Juli schrieb Alfred in einem Beitrag u.a. dieses:


    Zitat

    "Lieder von Komponisten die man bisher nicht gekannt hat klingen in unseren Ohren meist "schlechter als Schubert".
    Dies hat nichts mit der absoluten Qualität zu tun, lediglich damit, daß wir auf Schuberts Liedersprache quasi fixiert sind..."




    Heute, nach meiner Beschäftigung mit dem Thema "Sprache und Musik im Lied", lese ich dieses Zitat mit etwas anderen Augen. Abgesehen davon, dass der Begriff "absolute Qualität" ein durchaus heikler ist, meine ich, dass es nichts mit einem "Fixiert-Sein" auf Schubert zu tun hat, dass Komponisten wie Hüttenbrenner heute ziemlich unbekannt sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Phänomen, von dem Alfred spricht, letzten Endes damit zu tun hat, dass Schubert - im Unterschied zu Hüttenbrenner - uns in vielen seiner Lieder heute noch etwas zu sagen hat.


    Am Beispiel der Vertonung von Schmidts Gedicht "Der Wanderer" kann man dieses, wie ich meine, sehr schön erkennen. Das Lied Hüttenbrenners auf diesen Text weist durchaus eine hohe kompositorische Qualität auf. Man kann sie hören. Und doch kennt alle Welt nur Schuberts Lied "DER WANDERER".


    Mir scheint, es kommt nicht nur auf die hohe kompositorische Kunst in einem Lied an, sondern auch auf die Botschaft, die es enthält. Und die ist in diesem Fall bei Schubert von der Art, dass man sich auch heute noch davon angesprochen fühlt.

  • Bevor die „Hüttenbrenner-Begeisterung“ wieder einschläft, möchte ich versuchen, die bisherigen Beiträge zu ergänzen oder zu reflektieren.


    Zunächst zu den rein sachlichen Dingen:
    Im Booklet zur „Bästlein/Spencer CD“ steht, dass diese Lieder zum Teil aus schwer lesbaren Manuskripten stammen; hier lag offenbar nichts in gedruckter Form vor, also ein wichtiger Grund, warum bisher kaum etwas eingespielt wurde. Weiter ist im Booklet zu lesen, dass bisher auf CD nur 7 Lieder erschienen sind.
    Vermutlich ist mit diesen sieben Liedern eine Einspielung des Liederabends von Gundula Janowitz gemeint, der am 10. August 1972 im Mozarteum zu Salzburg stattfand – ganz delikat gesungen! Da muss man Hüttenbrenner mögen …
    Eingerahmt von Schubert-Liedern wurden damals folgende Hüttenbrenner-Lieder gesungen:


    Lerchenlied / Spinnerlied / Der Hügel / Frühlingsliedchen / Die Seefahrt / Seegras / Die Sterne – interessant ist dabei, dass nur das erstgenannte Lied vom Freiherrn von Rast stammt.


    Auch die Sopranistin Sibylla Rubens hat im Jahre 2003 vier Lieder (die von Frau Janowitz schon in Salzburg gesungen wurden) auf einer CD mit Liedern von Mozart, Schubert und Hüttenbrenner vorgestellt.


    Helmut Hofman hat es mal wieder klar erkannt

    Zitat

    Hüttenbrenner ging mit einer gänzlich anderen Intention an das Gedicht heran. Wenn man sie auf einen (schlichten!) Nenner bringen sollte, dann müsste man sagen: Das musikalische Modell seiner Vertonung ist: "Rezitativ und Arie". Und es ist tatsächlich so. Hüttenbrenner hat hier eine deutlich arios geprägte Vertonung vorgelegt. Und diese ist überaus kunstvoll gebaut!

    Das ist ein ganz wichtiger grundsätzlicher Punkt (also nicht nur auf Hüttenbrenner bezogen) - nämlich ob ein Komponist nicht so konnte oder nicht so wollte ...


    Aber ich schließe mich meinem Vorredner vollinhaltlich an:

    Zitat

    Diese CD ist unbedingt hörenswert, zumal die beiden Interpreten hervorragende Arbeit leisten. Hüttenbrenner ist eine wahre Entdeckung für jeden Liedfreund.

  • Zit. hart: "Das ist ein ganz wichtiger grundsätzlicher Punkt (also nicht nur auf Hüttenbrenner bezogen) - nämlich ob ein Komponist nicht so konnte oder nicht so wollte ... "


    Das ist wohl keine Alternative der Liedbetrachtung: Die Frage, ob ein Komponist nicht konnte oder nicht wollte. Wir können das aus unserer Perspektive ja gar nicht feststellen.


    Was wir feststellen können, das ist: Wie ist er kompositorisch mit dem lyrischen Text umgegangen. Das kann man hören und - wenn man will - auch aus den Noten ablesen. Und hier ist nun - bei Hüttenbrenners Lied "Der Wanderer" - festzustellen:


    Durchgängig ist zu hören, dass die Musik den sprachlich lyrischen Text in seinem Gehalt ausmalt und unterstützt. Das "O Land, wo bist du?" wird in seinem flehentlichen Frage-Charakter mit einer stark aufgipflenden melodischen Linie akzentuiert. Mit einem Triller in der hohen Lage des Klaviers werden die Schlussverse vorbereitet.


    Ich habe daraus den Schluss gezogen, dass Hüttenbrenner anders an den lyrischen Text herangegenagen ist als Schubert, und ich sprach in diesem Fall von einer "arios geprägten Vertonung". Sie ist klanglich überaus eindrucksvoll, - aber eben ein ganz anderes Lied als das von Schubert.


    Dieser hatte ein kompositorisch gänzlich anderes Konzept: Nämlich nicht lyrischen Text musikalisch zu unterstützen und auszumalen, sondern ihn in musikalischen Text zu verwandeln.

  • Mein voriger Beitrag wollte ja auch keine Liedbetrachtung zum Inhalt haben, sondern sollte vor allem ergänzende Fakten nennen, weil ich annehme, dass es manchen Leser vielleicht interessiert, welche Lieder Hüttenbrenners zurzeit überhaupt auf CD hörbar sind.


    Aber nun habe ich mir „Der Wanderer“ in den Kompositionen von Schubert und Hüttenbrenner mehrmals angehört. Ähnlich wie beim „Erlkönig“ ist man natürlich auch bei diesem Musikstück ganz erheblich „vorbelastet“ und wartet auch beim Hören der Hüttenbrenner-Version auf das schon so oft gehörte dunkle „Glück“ am Ende, das dann völlig anders und ungewohnt interpretiert wird. Nicht verwunderlich, dass beide Komponisten gänzlich unterschiedliche kompositorische Konzepte hatten; seien wir froh darüber, sonst klänge alles gleich …


    Übrigens:
    Um den „ariosen“ Hüttenbrenner in einem ganz anderem Licht erscheinen zu lassen, sollte man sich vor dem Zubettgehen mal für 5:35 Minuten das „Schlummerlied“ gönnen …

  • Ein berechtigter Fingerzeig von hart, - so lese ich seinen Beitrag jedenfalls. Bei aller analytischen Liedbetrachtung sollte die die Präsentation des Schönen, Musikalischen und Hörenswerten am Lied hier im Forum nicht zu kurz kommen.


    Gleichwohl meine ich, dass der Blick auf die musikstrukturelle Eigenart der Lieder eines Komponisten auch hierher ins Forum gehört. Denn die Leser der Beiträge hier sollen sich ja nicht nur erfreuen können an dem, was sie hören. Sie sollten, so meine ich jedenfalls, auch die Möglichkeit haben, zu wissen und verstehen, was sie da hören. Und wenn sie´s nicht wissen wollen, können sie Beiträge, die auf ein solches Verstehen abzielen, ja immer noch ignorieren.


    Was Hüttenbrenners Lied "Schlummerlied" (auf ein Gedicht von Theodor Körner) anbelangt, so fällt auf, dass er kompositorisch darauf abzielt, die Ruhe, die der lyrische Text mit seinen Bildern evoziert, nicht nur mit einer ruhig und strikt diatonisch sich entfaltenden melodischen Linie aufzugreifen, sondern auch die Aussage dieser Bilder selbst mit musikalischen Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Er setzt dazu nicht nur eine differenzierte Harmonik ein, sondern auch eine kunstvoll gestaltete Melodik.


    Man kann das zum Beispiel an der Versen hören und erkennen:
    "Stiller wird es auf den Straßen,
    und den Wächter hört man blasen..."


    Am jeweiligen Versende lässt Hüttenbrenner die melodische Linie der Singstimme eine äußerst suggestive Bogenbewegung vollziehen, die mit eben dieser Bewegtheit in die ansonsten herrschende Ruhe des Liedes das abklingende Leben der "Straßen" und die Töne des Wächters einbringt.


    Man hört bei diesem Lied: Für Hüttenbrenner ist die Melodie die Seele des Liedes. Darin ist er tiefinnerlich Schubert verwandt. Nur bringt letzterer eine kompositorische Komponente ins Lied, die für Hüttenbrenner musikalisch nicht relevant war: Die eigenständige Stimme des Klaviers, - die auch eine Seele hat!