Schweigsame Frau – Staatsoper München – GP 17.7.2010

  • Gekonnte Drollerie ohne Tiefgang – „Schenkelklopfen – lustig sein“


    Ein Mordversuch ist eine von der menschlichen Gemeinschaft besonders verurteilte vorsätzliche geplante Tötung ohne Erfolg. Diesen Eindruck hinterließ das Bühnenbild. Die nackte Arbeitsbühne mit Seil-, Beleuchtungszügen etc. …. Ahhhh – es soll ja Regietheater sein, … aber warum dieses immerwährende Plagiat des mittlerweile Gestrigen ?…. Tausend mal probiert –tausend mal ist nichts passiert! Das kann doch kein Publikum mehr erreichen! Noch ein 2 Drittel der Bühnenbreite ausfüllendes Podest von ca. 80 cm Höhe, darauf ein karges Matratzenlager – und schon war die Desillusion perfekt. Sollte es die traditionelle Shakespeare-Bühne adaptieren, mglw. auch den genialen Peter Brook und seinen „Leeren Raum“? Hier bleibt es ein müder Abklatsch, ein uninspiriertes Vehikel, das einfach unentschlossen wirkt. Und die Verantwortliche hat einen Hochschul – Lehrauftrag für diese Kunst.


    Inszenierung: Ein heiterer Abend in durchaus gekonnter Personenregie – es agieren glaubhafte Menschen in wahrhaftigen Bezügen miteinander – dem Publikum werden fortwährend Lacher serviert. Leider bleibt es sehr oberflächlich. N. m. E. hatte der Regisseur B. Kosky schon unabhängig vom Libretto sein Gag-Repertoire aufgebaut und es „komme was da wolle“ eingearbeitet. Diese komische Oper hat Ähnlichkeiten zu Donizettis „Don Pasquale“, aber es ist keine Buffa ohne Tiefgang. Dieses Werk von Richard – nicht von Johann – Strauß mit hochintelligentem Libretto von Stefan Zweig bietet mehr. Weite sinfonische Momente eingebettet in tiefe Menschlichkeit des Dramas sollten dem Humor die Chance geben zu verweilen, dem Publikum die Referenz erweisen, die tiefen lyrischen Momente zu empfinden.
    Beispiel: Da ist ein Griesgram (Morosus) voller Bitterkeit und eine junge Frau (Aminta) voller Berechnung durch äußere Umstände. Beide erfahren tiefe Läuterung (kongenial durch Musik und Text verflochten). Der Griesgram wird zum aufgeklärten selbstgenügsamen, vom selbstgerechten zum gerechten Menschen, spürt Liebe in ganz zarter Berührung. Aminta muss aus wirtschaftlichen Zwängen ein böses Spiel treiben – es brechen aber groß und mit Sentiment starke Skrupel in ihr auf. Sie gewinnt Sympathie für ihr Opfer. Das alles führt letztlich dazu, dass alle ihr Ziel erreichen, aber unbeschadet bleiben, ein Happy End für alle. Das wär z. B. die Fiktion für die Konflikt-Lösungen dieser Welt – man muss sich füreinander öffnen, schätzen.
    Den offenkundig hohen moralischen Aspekten des Werkes wird diese Inszenierung nicht gerecht. Diese werden glattgebügelt. Es bleibt bei wirklich nett arrangierten „Operettenklischees“. Sämtliches tiefe Erleben, das dem Humor tiefe Würze jenseits aller Drollerie geben könnte, bleibt außen vor. Grundsätzlich hangelt sich die Inszenierung ohne interpretatorische Ideen am Libretto entlang. Am Ende des 2. Aktes erfindet der Regisseur vorgebliche ehemalige Militärkameraden als Rollstuhlbrigade mit Kopfverband und Krankenschwestern – was soll uns das bloß sagen? Völlig blöd, aber publikumswirksam wird vor dem tatsächlichen Beginn des 3. Aktes das Spielpodest hochgezogen und es regnet Golddukaten – eine aufgesetzte Publikumsanbiederung – damit wird Szenenapplaus prostituiert und lässt sich eigentlich in jede beliebige Inszenierung einbauen.
    Die tiefste Deutung der n. m. M. völlig unterbewerteten Vorlage im heutigen Welttheater erfährt der 3. Akt. Wir sehen einen Tuntenball. Es ist keine Frage der sexuellen Orientierung, es ist falsch. Ein Papagei lt. Vorlage wird zur tanzenden Drag – Queen! Ein großer Tänzer auf Stöckelschuhen mit Feder-Trallala wackelt mit nacktem Arsch als sei er gerade dem Christopher – Street – Day entsprungen. Selbst Morosus wird in schwules Outfit gestopft – auch ein heiteres Bild – aber dramaturgisch verhaftet in der „Schweigsamen Frau“? Immer wieder wird auch gegen den Text inszeniert, ich bin nicht puristisch, aber wenn Morosus z. B. vom Dreispitz und Degen seiner Paradeuniform redet und es werden lediglich Schuhbänder angespielt, frage ich mich, ob ich einer Demenz unterliege, den Wortsinn nicht mehr kapiere.
    Fazit: nette Unterhaltung, verspielte Chance tatsächliche Weltliteratur in literarisch-kompositorischer Kongenialität zu erleben.


    Musikalische Einrichtung: Der 1. Akt ist im Orchester zu 2 Dritteln einfach zu laut – erschlägt die Gesangsleistungen (s.o.), man hört die Sänger kaum. Schade – ein fieberndes Vibrieren in Richard Straussens Komposition, ein Atmen und Zögern, Fortschreiten in Klarheit, Durchsichtigkeit, ein forderndes Verzehren, schmerzvolle Schönheit, elegische sinfonische Bögen – wie es halt bei R. Strauss sein könnte, kommt nur in Ansätzen. Ordentlich und nett, akkurat war es – aber es geht mehr, Sawallisch in Ehren.


    Sänger:
    Morosus/F. Hawlata: in der Tiefe drückt er, in der Höhe kämpft er oft ohne Sieg, in der Mittelllage fehlt der Kern. Der Schlussmonolog gelingt ganz gut.


    Haushälterin/ C. Wyn-Rogers: singt miserabel und utriert als komische Alte.

    Barbier/N. Borchev: n. m. E. hat er sich seit seinem Rossini – Barbier stimmlich gefangen, versucht aber eine „geläufige Gurgel“ durch Stemmen vorzutäuschen, er ist nicht frei.


    Henry Morosus/T. Spence: ich bin begeistert – ein Weltklasse-Tenor, den möchte ich als Sigmund hören. Singt toll, sieht gut aus, ist jung und topbühnenpräsent. Es gibt sie also noch, die tollen Tenöre.


    Aminta/D. Damrau: was soll man da noch sagen – einfach atemberaubend – auch im7. Monat Schwangerschaft!


    Die weiteren hauseigenen Partien sind alle ausgezeichnet, ein wunderbares Haus mit solchen Ensemble-Mitgliedern. Zu erwähnen ist insbesondere der Vanuzzi/Ch. Stephinger, der sicher ein besserer Morosus wäre.


    Besetzungen
    Musikalische Leitung Kent Nagano
    Inszenierung Barrie Kosky
    Bühne und Kostüme Esther Bialas
    Licht Benedikt Zehm
    Produktionsdramaturgie Olaf A. Schmitt
    Chöre Andrés Máspero
    Sir Morosus Franz Hawlata
    Haushälterin Catherine Wyn-Rogers
    Der Barbier Nikolay Borchev
    Henry Morosus Toby Spence
    Aminta Diana Damrau
    Isotta Elena Tsallagova
    Carlotta Anaïk Morel
    Morbio Christian Rieger
    Vanuzzi Christoph Stephinger
    Farfallo Steven Humes
    Bayerisches Staatsorchester
    Chor der Bayerischen Staatsope