Leo Blech (1871-1958):
VERSIEGELT
Komische Oper in einem Akt von Richard Batka
Uraufführung am 4. November 1908 in Hamburg
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Braun, Bürgermeister (Bariton)
Else, seine Tochter (Sopran)
Frau Gertrud, eine junge Witwe (Mezzosopran)
Frau Willmers (Alt)
Bertel, ihr Sohn, Ratsschreiber (Tenor)
Lampe, Ratsdiener (Baß)
Nachbar Knote (Baß)
Der Schützenkönig (Sprechrolle)
Die Stimme des Nachtwächters
Der Chor stellt Bürger und Bürgerinnen dar.
Das Geschehen ereignet sich in einer deutschen Kleinstadt um 1830.
DIE HANDLUNG
Zimmer bei Frau Gertrud.
Frau Willmers, eine ältere Nachbarin der jungen Witwe Gertrud, kommt mit der Bitte, einen kostbaren Schrank, ein Familienerbstück, dem die Pfändung droht, in der Wohnung der Nachbarin unterstellen zu dürfen. Gertrud willigt ein und Frau Willmers ist erleichtert über diese Zusage. Sie erzählt Frau Gertrud, daß der Bürgermeister Braun, der schon ihrem verstorbenen Mann gegenüber feindlich eingestellt war, diese Haltung nun auch dem Sohn Bertel einnehme. Dabei seien sich doch ihr Sohn und des Bürgermeisters Tochter Else einig, aus Liebe heiraten zu wollen. Witwe Gertrud hat, ohne das jedoch laut zu sagen, eine andere Meinung vom Bürgermeister, da er ihr den Hof macht. Sie verspricht ihrer Nachbarin aber, alles Mögliche zum Glück der beiden jungen Leute beitragen zu wollen.
Nachbar Knote bringt kurz darauf den bewußten Schrank. Nach seinem Weggang treten Else und Bertel in gedrückter Stimmung in das Zimmer, werden von Frau Gertrud aber so aufgeheitert, daß sich die gute Laune auf alle überträgt. Nachdem das junge Paar gegangen ist, beschäftigt sich Frau Gertrud mit dem Gedanken, bald Frau Bürgermeister zu sein und sie sagt sich, daß diese Vorstellung doch sehr erhebend sei.
Unterdessen ist der Wichtigtuer Ratsdiener Lampe erschienen und überbringt Frau Gertrud die besten Grüße des Bürgermeisters. Als er den Schrank sieht, ahnt er, daß hier eine Pfändungsvereitelung vorliegen muß; er verabschiedet sich schnell und begibt sich sofort zur Witwe Willmers, denn es kann ja nicht sein, daß ein Schrank Füße bekommen hat.
Bürgermeister Braun klopft nach Lampes Weggang an die Tür und ist erfreut, die Dame seines Herzens alleine anzutreffen. Frau Getrud versucht nun, das Gespräch auch auf Else und Bertel zu bringen, aber dem Herrn Bürgermeister liegen die eigenen Interessen doch näher. Gerade in dem Augenblick, da er die Widerstrebende küssen will, hört man Lampes Schritte und der Bürgermeister muß sich, auch wegen den guten Rufs der Witwe Gertrud, verstecken. Was liegt näher, als in dem Schrank zu verschwinden?
Ratsdiener Lampe tritt mit der Witwe Willmers ins Zimmer und stellt sehr weitreichende Fragen. Frau Willmers bleibt nichts anderes übrig, als zuzugeben, daß der Schrank ihr gehört. Triumphierend klebt Lampe das Pfändungssiegel auf die Schranktüre. Da er bei dieser Handlung Geräusche aus dem Innern zu hören glaubt, vermutet er einen Galan darin versteckt. Sofort beeilt er sich, auf das Bürgermeisteramt zu gehen, um den Herrn Bürgermeister zu holen.
Jetzt ist Bürgermeister Braun in Schwulitäten, denn er ist versiegelt! Was ist zu tun? Die soeben eintretende Else erkennt sofort ihre Chance, das eigene Liebesleben ins richtige Lot zu bringen und verlangt von ihrem eingeschlossenen Vater seine Zustimmung zur Ehe mit Bertel, ansonsten müsser er eben zur Schadenfreude aller darin ausharren. Nun, denkt sich der Bürgermeister, möchte ich auch meinen Spaß haben und verlant von den jungen Leuten, ebenfalls in den Schrank zu kommen, was sich die beiden nicht zweimal sagen lassen!
Frau Gertrud ist inzwischen hinausgegangen, um eine in der Nähe tagende Schützengesellschaft um Hilfe zu bitten. Zurückgekehrt läßt sie durchblicken, daß man den Herrn Bürgermeister an einem etwas wunderlichen Ort finden würde. Zur allgemeinen Verwunderung kommen aber beim Öffnen des Schranks nur Else und Bertel heraus, während Bürgermeister Braun lächelnd aus dem Alkovenauf die Szene tritt.
In die allgemeine Freude, daß man sich gegenseitig zum Besten gehalten hat, stürzt nun Ratsdiener Lampe herein und teilt völlig außer sich mit, daß er den Herrn Bürgermeister nicht gefunden habe. Er geht noch weiter und mutmaßt, daß der abgewiesene Freier der Bürgermeisterstochter das Stadtoberhaupt ermordert habe. Ein lautes Hohngelächter der Anwesenden bringt Lampe völlig außer Façon. Schließlich expediert man den zornesroten Amtsdiener in den Kasten, der von Nachbar Knote augenblicklich samt Inhalt wieder in die Wohnung von Frau Willmers transportiert wird.
Belustigt entfernt sich die Gesellschaft, kosend verschwinden Else und Bertel in dem Alkoven und Herr Bürgermeister findet endlich die Zeit, Frau Gertrud den Verlobungskuß auf die Lippen zu drücken: „O du Schelmin! Jetzt wirst auch du versiegelt!“
INFORMATIONEN ZUM KOMPONISTEN
Leo Blech? Wer kennt diesen Namen (noch)? Älteren wird er als Dirigent bekannt sein - aber als Komponist? Man muß schon in Musiklexika nachschlagen oder googlen, um fündig zu werden:
Leo Blech wurde am 21. April 1871 in Aachen geboren und starb am 25. August 1958 in Berlin. Trotz seiner schon im Kindesalter deutlich gewordenen Musikalität (er trat bereits mit 8 Jahren als Pianist in Aachen auf), machte Leo Blech zunächst von 1887 bis 1891 eine kaufmännische Ausbildung. Dann allerdings sattelte er auf Musikstudium in Berlin bei Woldemar Bargiel (für Komposition) und Ernst Rudorff (für Klavier) um. Später, bereits Kapellmeister des Sinfonieorchesters seiner Vaterstadt, studierte er noch bei Engelbert Humperdinck.
1893 komponierte er seine erste Oper „Aglaja“, bot sie erfolgreich dem Aachener Stadttheater an und wurde sofort als zweiter Kapellmeister engagiert. Weitere Stationen waren von 1899 bis 1906 das Deutsche Theater in Prag, wo er z.B. 1903 die Uraufführung von „Tiefland“ leitete; 1906 dann die Berufung an die Berliner Hofoper, der er ab 1913 als GMD vorstand; von 1923 bis 1926 Tätigkeit am Deutschen Opernhaus Charlottenburg, danach an der Berliner- und schließlich an der Wiener Volksoper tätig. Von Wien nach Berlin zurückgekehrt nahm er seine Stellung als GMD an der Staatsoper Unter den Linden wieder auf und dirigierte dort bis 1937 insgesamt 2846 Vorstellungen. Seine Vorliebe für Wagner, Verdi, Bizet und Richard Strauss brachte ihm internationalen Ruhm ein und Strauss übertrug ihm die erste Berliner „Elektra“-Aufführung.“
Daß Leo Blech trotz seiner jüdischen Abstammung bis 1937 in führender Position in Berlin arbeiten konnte, ist sowohl Göring als auch dem Berliner Generalintendanten Tietjen zu verdanken, die eine Gegenmacht zu Goebbels' Kulturimperium aufbauen wollten. Letztlich mußte Blech 1937 doch emigrieren, da seine Ablösung immer energischer von Gegnern betrieben wurde.
Zunächst ging Leo Blech als Leiter der Nationaloper in Riga nach Lettland. Als das Land von der Sowjetarmee besetzt und eine abermalige Emigration notwendig wurde, brachten Einladungen der Kulturbürokratie der UdSSR zu Gastspielen in Moskau und Leningrad vorerst einmal Beruhigung in sein Leben. Die war allerdings nicht von langer Dauer: Weil Blech wegen des großen Erfolgs in Rußland die daraufhin ausgesprochene Bitte, Direktor des Moskauer Konservatoriums zu werden, ablehnte und nach Riga zurückkehrte, mußte er hier den Einmarsch der deutschen Truppen erleben. und stand vor der Deportierung ins Ghetto. Und wieder konnte Heinz Tietjen helfend eingreifen: Auf seine Vermittlung hin konnten Blech und seine Frau über Berlin und Saßnitz nach Schweden emigrieren.
An der Königlichen Oper Stockholm, an der Blech bereits 1935 zum Hofkapellmeister ernannt worden war, erlebte er eine höchst erfolgreiche Alterskarriere. In Stockholm war er Gründungs- und Ausschußmitglied des Freien Deutschen Kulturbundes. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde zum Generalmusikdirektor an die Städtische Oper in Berlin-Charlottenburg berufen. 1953 verlieh man Blech das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland; damals zwang ihn aber auch ein Gehörleiden, sich endgültig zurückzuziehen. Er starb 1958 in Berlin und wurde auf dem Friedhof an der Heerstraße beigesetzt.
Blech war seit 1899 mit der Sopranistin Martha Frank (1871–1962) verheiratet, die gemeinsame Tochter Lisl wurde ebenfalls Sängerin und heiratete den Dirigenten Herbert Sandberg.
Blechs kompositorisches Schaffen umfaßt hauptsächlich Opern, Operetten, Vokalwerke und Lieder. Hervorzuheben ist hierbei die Zusammenarbeit mit dem Librettisten Richard Batka. Ab 1916 nahm Blech zahlreiche Schallplatten auf, zunächst für die Deutsche Grammophon Gesellschaft und ab 1926 auch für die Electrola.
In einem Zeitungsartikel von 1971, der aus Anlaß von Blechs 100. Geburtstag erschien, heißt es u.a.:
„Als er 1906 aus Prag nach Berlin kam, (…) konnte die Lindenoper ein einmaliges Dirigenten-Triumvirat präsentieren: Karl Muck, Richard Strauss und - Leo Blech. In dieser Konstellation war Blech die „Nummer Sicher“ des Programms, Inbgeriff des Hauskapellmeisters alter Schule. Egal, ob er seine Paradepferde „Carmen“ oder „Aida“ oder auch „Aridane“ leitete, (…) immer probte er mit der Geduld eines Tuttigeigers, war er bis zur letzten Reprise für das Ensemble da. (…) Seine Autoriät, sprichwörtlich wie seine Zuverlässigkeit, durchdrang jede Aufführung.“
© Manfred Rückert für TAMINO-Opernführer 2010
unter Hinzuziehung von
Reclams Opernführer 1951
Wikipedia
Propyläen Musikgeschichte