Joseph Martin KRAUS [1756-1792]

  • Zitat

    Original von Ulli
    Den Abschluß bereitet ein Rezitativ, gefolgt von einer Baßarie Wenn einst die Ungewitter vor. Das musikalische Material ist hier absolut identisch mit der Ariette J’en suis encore tremblant aus dem 3. Akt der Oper Zémire et Azor von André Modeste Ernest Grètry [1741-1813], ich war hier sehr erstaunt!


    Ha! Erwischt, Herr Kraus!


    In Kraus' Schriftsatz Etwas von und über Müsik fürs Jahr 1777 gibt Kraus selbst zu, wie sehr er Grétry und besonders dessen Werk Zémire et Azor schätze:


    Kraus untersucht Grétrys Werk auf den Seiten 83 bis 91/92 so sehr detailliert, wie auf den Seiten zuvor Alceste von den Coproduzenten Anton Schweitzer / Christoph Martin Wieland. Kraus geht auf einzelne Arien explizit ein, meidet die Arie des Ali J’en suis encore tremblant allerdings wie eine heiße Kartoffel. :D


    Nachdem Zémire et Azor im Jahre 1771 komponiert wurde, ist der Dieb ertapft! :P Denn:


    Vielleicht hat Gretri auch Fehler - gut - er soll sie haben, und wenn er hundert hätte und alle diese hundert wären in Zemire und Azor, so seh ich sie nicht. Ich war noch nie im Stande, und wenn ich die Operette alle Tage durchspiele [sic! er hatte also die Noten!] kalt seine Arien durchzusehen.


    Herrn Gluck erwähnt Kraus übrigens im Thema "Oper" nur sehr kurz, Mozart garnicht [o.k. - letzterer war 1777 vielleicht noch nicht der Opernkomponist]. Interessant ist aber, daß Kraus Mozarts Musik sehr gekannt haben muß, so entlehnte er ja aus dessen Idomeneo den Marsch für "seinen" Riksdagsmarsch, sowie einige andere Passagen, welche er in seinem opus magnum Dido och Aeneas bzw. auch in der zuletzt entstandenen Trauerode für Gustav III. einwebte.


    Bedeutsam scheint mir der Meinungsvergleich Kraus/Mozart über ihre Konkurrenz:


    Während Mozart zu Schweitzers Alkeste meint, das beste ist noch die Ouvertüre daran, schreibt Kraus [S. 63]: Die Ouvertüre besteht aus einem Grave und darauffolgender Fuge. Schweizer hat ohne Zweifel gedacht, der alte Gout würde hier mehr Wirkung als der heutige Sinfoniestil tun: Das Grave hat viel Majestätisches und Feierliches - aber die Fuge ist alltäglich abgedroschen [...].


    Dabei gefällt mir die Fuge bei Schweitzer gerade so gut... ;(


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • nun hab ich die beiden Einspielungen mit Ballettmusiken von Kraus mehrfach gehört:



    [jpc]3480234 [/jpc]




    Allerdings muss ich sagen, dass ich irgendwie etwas enttäuscht bin.
    Von Kraus hätte ich mir mehr erwartet.
    Die Ballett- und Schauspielmusiken des ausgehenden 18. Jahrhunderst gehören ja nicht zu einem Gengre das häufig gespielt wird.


    Fast könnte man nach dem Hören der Platten auch vermuten warum.
    Die Musik allein ohne Bühne und Choreographie hat es manchmal schwer.
    Ist das Ballett des Ancien Regime also genauso langweilig, wie es immer behauptet wird ?
    Nein bestimmt nicht.
    Wenn man andere Werke kennt, wie eben die Ballette Glucks, oder die Ballettmusiken von Sacchini, Piccinni oder Gretry, dann sieht das doch wieder anders aus.
    Da kann auch häufig die Musik ohne Bühnenaction auskommen.



    Die Naxos Einspielung hat mir nicht sonderlich zugesagt. Liegt auch an dem modernen Orchester und irgendwie hat das Swedish Chamber Orchestra nie wieder so genial gespielt wie bei Vol.3 der Symphonien - schade.


    Die Schauspielmusik zu "Amphitryon" überzeugt da schon wesentlich mehr.
    Es gibt auch Arien und Chöre, in französischer Sprache, da die Schauspielmusiken für das berühmte Molière Stück geschrieben wurde.
    Dadurch wurde das Werk für mich noch einmal mehr interessant und verschiedenen Szenen mag ich wirklich sehr.
    Zumal Kraus hier auch in der Ballettmusik den französischen Stil imitiert.



    Aber irgendwie schleicht sich bei mir immer das gleiche Bild ein :


    Man sitzt in einer Loge eines Theaters, das 18. Jahrhundert neigt sich seinem Ende. Die Perücke juckt und die Kerzen geben eine unangenehme Wärme von sich.
    Kaum jemand achtet auf die Musik, man plaudert, spielt Karten oder hält sich mit kleinen Gemeinheiten bei Laune, die Musik ist zwar da aber irgendwie nur Hintergrundgeräusch, damit die Langeweile nicht ganz so unerträglich wird beginnt man um Geld zu spielen....
    Hin und wieder gibt es Musiknummern die aufhorchen lassen - aber nach der Vorstellung wird man das meiste wieder vergessen haben, außer das man einige Dukaten verloren hat und das man sich für die Beglückwünschung des Dekoltees der Madame de XY ein Duel mit ihrem Liebhaber eingefangen hat.



    Kraus Schauspielmusik ist keinesfalls schlecht, aber ich könnte mir vorstellen, dass nur eingefleischte Fans der frz. Musik des ausgehenden 18. Jahrhunderts an dieser Einspielung wirkliche Freude haben.
    Wer hier die Düsternis und Dramatik der Sinfonien erwartet, der wird enttäuscht werden.
    Inszeniert dürfte das Werk aber durchaus reizvoll sein.




    :hello:

  • Hallo,


    was die Einspielung der Ballettmusiken auf Naxos betrifft, so muß ich Matthias Recht geben - die Interpretation ist zumeist langweilig, zudem ohne Cembalo-Continuo [was nicht zulässig ist], lässt aber die Qualität der Musik [insbesondere der Ballettmusik zu Glucks "Armide"] durchaus erahnen.


    Zitat

    Die Naxos Einspielung hat mir nicht sonderlich zugesagt. Liegt auch an dem modernen Orchester und irgendwie hat das Swedish Chamber Orchestra nie wieder so genial gespielt wie bei Vol.3 der Symphonien - schade.


    Da hat auch immerhin Mark Tatlow den Cembalopart improvisiert.


    Amphitryon finde ich hingegen sehr gelungen. Leider ist das Stück in dieser Darbietung etwas Zusammenhanglos, wie etwa auch Mozarts Zwischenaktmusik zu "Thamos" oder Beethovens "Coriolan", aber damit muß man bei einer solchen Einspielung ohne das eigentliche Schauspiel eben leben: prima la musica... wie war das noch?


    ;)


    Es wird ja immer behauptet, Kraus sei so gluckophil gewesen. Bisher habe ich das stets mit ruhigem Gewissen abstreiten können: Von thematischen Parallelen - Ouvertüre Proserpin [Kraus] / Ouvertüre Ifigenie [Gluck] - mal abgesehen. Solche Parallelen bestehen zur Musik Mozarts sehr viel häufiger [Idomeneo insbesondere].


    Seit Amphitryon muß ich zumindest den dargebotenen Chören eine gewisse Nähe zu Gluck attestieren, was m. E. aber am frz. Stil selbst liegt, nicht unbedingt an Gluck. Die Arien sind hier eher ein Flickenteppich aus altbekannten Floskeln, die aber sehr gut ausgewählt und fantastisch instrumentiert sind. Besonders gefallen mir das Calme la nuit, Les heures du matin chassent les ètoiles, die Chöre sowie die das Werk beschließende Chaconne. Schön sind auch die Stücke mit Schlagwerk [wider Erwarten nicht beim Danse des esclaves asiatiques oder Danse Persanne zu finden...], sowie die angewandten Spieltechniken der Violinen: Staccato hinter der Brücke und Bariolage[n]...


    Ich bin schon sehr gespannt, was L'Arte del Mondo als nächste Krausprojekt anstrebt. Interessant ist, daß L'Arte del Mondo nicht dasselbe Feuer aufbringen können oder wollen, wie einst Concerto Köln.


    :hello:

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    wie Salis seinerzeit ankündigte, hat auch Ronald Bräutigam als Fortepianospezialist seine Finger für Joseph Martin Kraus gepudert:



    Joseph Martin Kraus [1756-1792]
    The Solo Piano Music


    Sonate E-Dur VB 196
    Sonate Es-Dur VB 195
    Rondo F-Dur VB 191
    Scherzo con Variazioni C-Dur VB 193
    Swedish Dance C-Dur VB 192
    Zwey neue kuriose Menuetten VB 190
    Larghetto G-Dur VB 194


    Ronald Bräutigam, Fortepiano Paul McNulty 2001 nach Walther & Sohn c1802


    Inhaltlich entspricht die Einspielung in weiten Teilen den anderen beiden in meinem Besitz befindlichen mit Alexandra Oehler und Mario Martinoli. Über die Vollständigkeit des Krausschen Klavierwerks auf dieser [einer] CD kann man streiten - Die Darbietung von Mario Martinoli beispielsweise wartet zu den o.g. Klaviersolowerken zusätzlich noch mit fünf Choralvorspielen VB 197 auf, die natürlich originär nicht für das Clavier gedacht waren.


    VB 191, 192, 193 und 194 hat auch Stig Ribbing auf einem Hammarflygel von c1790 aus dem Hause Andreas Stein, Augsburg, auf ganz bedeutsame Weise eingepsielt.


    Bräutigams Spiel ist bekanntermaßen leicht, dennoch stabil und dabei spritzig und brillant. Das Spielen von Kraus' Klaviermusik scheint mindestens ebenso schwer zu sein, wie jene von Mozart - alle Aufnahmen, die ich besitze, klingen völlig unterschiedlich im Charakter [zudem wurden vom modernen Flügel über Nachbauten schließlich Originalintrumente verwendet, was einen interessanten Klangvergleich ermöglicht]. Dennoch ist Kraus' Klaviermusik, wie auch seine gesamte übrige, mit jener von Mozart in keiner Weise vergleichbar - die Schnittmenge allerdings liegt im Filigranen.


    Für den Einstieg in Kraus' Klaviermusik aber scheint mir Bräutigam besonders geeignet zu sein. Der McNulty-Nachbau klingt vollmundig und warm und lässt eine sehr ordentliche Klangschärfe zu.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    wie Salis seinerzeit ankündigte, hat auch Ronald Bräutigam als Fortepianospezialist seine Finger für Joseph Martin Kraus gepudert...


    Bräutigams Spiel ist bekanntermaßen leicht, dennoch stabil und dabei spritzig und brillant.


    Dennoch nimmt er jetzt Beethovens KK auf ein modernes Instrument auf. Orchester dagegen ist HIP. Ich las, daß seine Fortepianotechnik ein spezielles "toucher" gab, wodurch diese KK etwas besonders zu sein scheinen.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil


    Dennoch nimmt er jetzt Beethovens KK auf ein modernes Instrument auf. Orchester dagegen ist HIP. Ich las, daß seine Fortepianotechnik ein spezielles "toucher" gab, wodurch diese KK etwas besonders zu sein scheinen.


    Lieber Paul,


    auch das Orchester ist modern- allerdings merkt man am Spiel desselben das mit Andrew Parrot ein HIP-Dirigent am Pult steht. Und auch an Brautigams Spiel merkt man ebenso, das er vom Fach ist. Die Tempi sind übrigens fast eben so rasch wie Schoonderwonds. Grundsätzlich eine gelungene Interpretation der beiden Konzerte, die ja erst der erste Teil einer Gesamteinspielung ist- inclusive der Bearbeitung des Violinkonzerts für Klavier.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Ulli,
    Meine Lieben,



    Auftragsgemäß gebe ich meine ersten Höreindrücke von Kraus wieder:


    Begonnen habe ich damit, da Ulli diese CD besonders lobte:



    Der erste Satz der Cis-Moll-Symphonie wollte mir auch bei mehrmaligem Hören nicht recht gefallen; alles was folgte, sagte mir jedoch in steigendem Maß zu.


    Also setzte ich fort mit der Symphonie in Es-Dur:



    Also die hat das Zeug, unter meine Favoriten gereiht zu werden!


    Die Symphonie in C-Dur muß ich jetzt leider unterbrechen; sie ist auch gut, aber nicht so gut wie die vorige.


    Insgesamt wirkt diese Musik auf mich nicht so leichtfüßig wie etwa Mozart und klassischer, will sagen: etwas strenger als Haydn, aber da weht ein großer Atem!


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Ulli


    Ich glaube, das wird die einzige Kraus-CD sein, die ich nicht kaufe... bei dem Ensemble...


    Hallo Ulli,


    Das wäre vermutlich ein Fehler, denn mir gefällt diese CD sehr gut. Ich will nicht behaupten, daß die Neuseeländer ein absolutes Spitzenorchester sind, aber ein sehr ordentliches - kein trockener Klang, gute Einfühlungsgabe, irgendwie angenehm unprätentiös. Orchester und Dirigent spielen sich nicht in den Vordergrund. Für Deinen Geschmack hört man aus dem Klangbild vielleicht zuwenig 18.Jahrhundert heraus. Ich wiederum höre ein für die Entstehungszeit sehr modernes Stück, das alle barocke Konvention überwindet. Auch das Geigensolo von Takako Nishizaki kann sich hören lassen (und die spielt immerhin auf einer Guarneri).


    Das wunderbare Violinkonzert und die charmante "Azire"-Musik (nichts Schwergewichtiges, aber es ist schließlich eine große Kunst, leicht und doch so schreiben, daß einem das klassische Herz hüpft) sagen mir an sich noch mehr zu als die Symphonien. Insbesondere das Violinkonzert hat es mir angetan, das ist schon recht romantisierend.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Das wunderbare Violinkonzert und die charmante "Azire"-Musik (nichts Schwergewichtiges, aber es ist schließlich eine große Kunst, leicht und doch so schreiben, daß einem das klassische Herz hüpft) sagen mir an sich noch mehr zu als die Symphonien. Insbesondere das Violinkonzert hat es mir angetan, das ist schon recht romantisierend.


    Lieber Waldi,


    vom Violinkonzert gibt es m. W. leider noch keine wirklich "vernünftige" Einspielung: Edith Peinemann mit dem Stuttgarter Plastikorchester, Kang-Hoon Kim versaut die an sich ordentliche Einspielung, begleitet vom Churpfälzischen Kammerorchester mit einer alptraumhaften Kadenz :kotz:


    Und noch eine synthetische Einspielung benötige ich nicht. Die Alzire wird bestimmt auch demnächst von L'arte del mondo eingespielt werden. Solange kann ich warten.


    Dennoch werde ich mir die CD der Vollständigkeit halber zulegen, wenn sie mal für 1,-- € zu haben ist.


    Es freut mich aber, daß Du allmählich Gefallen an Kraus' Musique findest. :)


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Naja, lieber Ulli,


    Beim nächsten Wienbesuch solltest Du einmal probeweise hineinhören, vielleicht erweichen sich dann Dein Ohr und Herz. ;)
    Die Kadenz in dieser Aufnahme stammt von Bertil de Boer, der die Stücke nach den Quellen in der Universitätsbibliothek von Uppsala ediert hat.


    LG


    Waldi

  • Hallo, Ulli!


    Beim Versuch, meine CD-Sammlung zu katalogisieren, hatte ich die Te-Deum-Kompositionen in meiner Sammlung gezählt, und bin dann bei Kraus etwas unschlüssig geblieben: Auf dieser CD



    sind ja noch zwei Sätze zu einem Te Deum dabei. Ist das Fragment geblieben oder gibt es dazu noch andere Sätze von Kraus?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Pius
    sind ja noch zwei Sätze zu einem Te Deum dabei. Ist das Fragment geblieben oder gibt es dazu noch andere Sätze von Kraus?


    Salve Pie,


    Leider sind diese beiden Teile solo geblieben - das Te Deum wurde niemals vollendet [oder die übrigen Teile sind verschollen?]. Komponiert wurden sie im Rückblick auf die Händelfestspiele in London 1785 zum 100. Geburtstag des "großen Briten" - und so klingt es ja auch...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Auch das Thema Kraus war der Zeit in ihrer dieswöchigen Musikbeilage einen Artikel wert:


    Offen für das Unvorhersehbare
    Joseph Martin Kraus stand immer im Schatten von Mozart. Aber sein 250. Geburtstag vor zwei Jahren hat einen wahren Kraus-Boom ausgelöst VON JAN BRACHMANN


    Musikalische Gedenkjahre sind Wunderkerzen des Betriebs. Meist herrscht große Aufregung, veranstaltet wird viel, aber mit dem Fortschreiten des Kalenders ist alles abgefackelt und vorbei: Folgenlos die Anstrengungen, die Einsichten, die Leistungen. Doch ausgerechnet das Jahr 2006 scheint andere Kräfte freigesetzt zu haben – nicht als Mozart-Jahr, sondern als Jahr des 250. Geburtstages von Joseph Martin Kraus. Die Zahl der CDs mit Werken des 1792 in Stockholm verstorbenen Hofkapellmeisters des Schwedenkönigs Gustav III. wächst mit jedem Jahr. Das Schwedische Kammerorchester unter Petter Sundkvist hat seine Gesamtaufnahme aller bislang bekannten Sinfonien von Kraus abgeschlossen und im vergangenen Jahr mit Schauspielund Ballettmusiken fortgesetzt. Das Klavierwerk liegt mittlerweile in drei Versionen vor, sogar die klavierbegleitete Kammermusik gibt es in zwei Ausgaben. Besonders aufwendig und geglückt sind die in diesem Jahr erschienenen Produktionen von Kraus’ Schauspielmusik zu Molières Amphytrion und die Kantaten für Solosopran.
    Der CD-Markt lebt von allerlei belanglosen Ausgrabungen und Wiederentdeckungen. Im Fall von Kraus ist dabei aber ein OEuvre zutage getreten, das die musikalische Landschaft des späten 18. Jahrhunderts um einen markanten Höhenzug bereichert. Kraus hatte das Glück, auf dem liberalen Jesuitengymnasium in Mannheim eine Bildung in Kunst, Philosophie und Sprachen zu erhalten, von der Haydn und Mozart nur hätten träumen können. Sie befähigte ihn später, an den geistigen Debatten seiner Zeit auch publizistisch teilzunehmen, was man sonst von keinem Komponisten vergleichbaren Ranges in dieser Epoche sagen kann. In dieser Doppelbegabung weist er auf E.T.A. Hoffmann und Robert Schumann voraus.
    Ab 1773 studierte Kraus Jura in Erfurt und wurde dort vom Organisten Johann Christian Kittel, einem der letzten Schüler Johann Sebastian Bachs, in Komposition unterrichtet. Die Spannung zwischen katholischer Herkunft und evangelischem Umfeld hielt bei Kraus ein Leben lang, zum Schluss am lutherischen Hof in Schweden, und hat zu der Originalität seines Oratoriums Der Tod Jesu beigetragen. Denn dieses Stück vereinigt katholische und protestantische Gattungstraditionen der Passion zu einer quasi ökumenischen Karfreitagsmusik. Zudem feite Kraus die Schulung in der Bach-Tradition vor der Verachtung kontrapunktischer Kunst, in der sich die aufgeklärte Ästhetik mit ihrem Diktat von Einfachheit und Natürlichkeit so gefiel.
    Kraus, der später den Kontakt zu den Dichtern des Göttinger Hainbunds suchte und Texte von Matthias Claudius vertonte, empfand die Simplizität des Rationalismus als geistig verzwergt. Kompositorisch wie essayistisch entwickelte er sich zu einem Kritiker der Aufklärung und ihrer simplen Entgegensetzung von Religion und Vernunft oder der kurzsichtigen Identifikation von Vernunft und Natur. Kraus, von Haydn als »eines der größten Genies, die ich je gekannt habe« bezeichnet, teilt mit diesem die Begabung für den Witz und mit Mozart das Gespür für seelische Abgründe, wenngleich er – als Bewunderer Glucks – weniger ins Intime als ins Große und Erhabene zielt.
    In der Kammer- und Klaviermusik jedoch haben seine Formen häufig den Charakter zufälliger Fragmentfolgen, die an ihren Bruchstellen – schon fast romantisch – aufs Unendliche weisen. Auch darin zeigt sich der Kritiker am geschlossenen System des Rationalismus. Kraus’ Formenwelt ist offen fürs Unvorhersehbare. Wenn man so will, zeigt sich darin eine Welt, die dem Eingriff Gottes jederzeit offen steht, eine Welt als Schöpfung, nicht als gesetzmäßiger Kosmos. Und dieser Eingriff kann von tragischer Unbegreiflichkeit gezeichnet sein.
    Die Ouvertüre zu Voltaires Tragödie Olympie ist so ein düster-zerklüftetes Stück. Stilgeschichtlich steht es zwischen Mozarts Don Giovanni und Beethovens Coriolan-Ouvertüre. Deutlich erkennbar ist die Absicht, die Sonatenform in einen dramatischen Prozess zu überführen, der von der Dynamik der klassischen Tragödie inspiriert ist. Die Aufnahme mit dem ensemble l’arte del mondo lässt an Schärfe nichts zu wünschen übrig.
    Dass es uns heute an stilistischer Differenzierung des Hörens fehlt, merkt man bei dieser CD besonders an der Kantate La Primavera. Gerhart Darmstadt, Präsident der Internationalen Kraus-Gesellschaft und als Cellist Mitwirkender bei dieser Aufnahme, schreibt im Beiheft der CD, dass es sich hier um eine Verballhornung des italienischen Gesangsstils handle, was er mit vielen analytischen Details begründet. Hört man aber der Sopranistin Simone Kermes zu, geht man vor dem Charme dieser Musik in die Knie. Allein schon der anfängliche Ausruf »Oh Dio, Fileno, oh Dio!« jagt einem Wonneschauer über Brust und Rücken. Mit fast schon veristischen Mitteln des Hauchens und Bebens belebt Kermes Text und Musik und lässt gar keine ironische Distanz erkennen.
    Auf das Schmeichlerische verlassen sich Engelhardt und l’arte del mondo auch bei Amphytrion. Die Nacht- und Morgenstimmungen atmen die pastellzarte Atmosphäre von Haydns Tageszeiten- Sinfonien, nur dass Kraus – der Schwedenkönig war nicht geizig – reichlich Bläser verwenden durfte, die auf dieser Aufnahme in einem fast romantischen Mischklang in die Streicher getaucht werden. Die mozartische Grazie der Melodik verbindet sich mit der streng bemessenen Prosodie Molières zu einer wiegenden Schlichtheit, die mehr mit dem bürgerlichen Singspiel als mit dem hochadligen Divertissement zu tun hat. Eine szenische Realisierung dieser Musik wäre reizvoll. Im Berliner Konzerthaus macht Lothar Zagrosek, der 2006 in Stuttgart Kraus’ Oper Aeneas in Carthago aufgeführt hatte, kein Geheimnis daraus, dass ihn Kraus als Sinfoniker und Musikdramatiker weiter beschäftigt. Da kommt, glücklicherweise, wohl noch einiges auf uns zu.


    Joseph Martin Kraus: La Primavera
    Simone Kermes, Sopran; l’arte del mondo,
    Ltg.: Werner Ehrhardt (Edition Phoenix 101)


    Joseph Martin Kraus: Amphytrion
    Chantal Santon, Sopran; Georg Poplutz, Tenor;
    Bonner Kammerchor, l’arte del mondo
    Ltg.: Werner Ehrhardt (Edition Phoenix 111)


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Hallo!! Mich würde interssieren ob Kraus und Mozart sich vielleicht mal begegnet sind?? Hätt ja in Mannheim der Fall sein können 177?? Möglicherweise habe ich es überlesen, also sorry falls ich unaufmeksam war :rolleyes:

    "Ich werde allerorten an Deiner Seite seyn"

  • Zitat

    Original von Pamina1791
    Hallo!! Mich würde interssieren ob Kraus und Mozart sich vielleicht mal begegnet sind?? Hätt ja in Mannheim der Fall sein können 177?? Möglicherweise habe ich es überlesen, also sorry falls ich unaufmeksam war :rolleyes:


    Hallo,


    Das wäre eigentlich das Spezialgebiet von Ulli der sich hier vielleicht auch noch zu Wort melden wird, aber soviel ich weiß ist nichts dergleichen überliefert, kann dazu Mannheim nicht sein da sie zu unterschiedlichen Zeiten dort waren
    (Kraus um 1770 herum, Mozart besuchte als Kind 1763 und dann erst wieder 1777/78 ) Wenn dann wäre eher Wien möglich, das Kraus 1783 besucht hatte um unter Anderem Joseph Haydn zu treffen. Soweit meine Infos...falls nicht richtig möge mich Ulli bitte korrigieren.
    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Zitat

    Original von âme
    Das wäre eigentlich das Spezialgebiet von Ulli der sich hier vielleicht auch noch zu Wort melden wird,


    Schon zur Stelle :D


    Wie âme richtig schreibt, ist leider nichts bekannt. Eine Möglichkeit hätte es im Winter 1783 gegeben, als Kraus Wien besuchte und hier u.a. Salieri, Gluck, Haydn und Joseph II. persönlich kennen lernte. Dort wurde zu Haydns Ehren die c-moll-Sinfonie [welche auch Haydn gewidmet war und eine Umarbeitung der besseren cis-moll-Sinfonie ist] uraufgeführt. Ich finde jetzt nicht die genaue Quelle, weiß aber, daß Kraus zu dieser Zeit nur wenige Gehminuten von Mozarts damaliger Bleibe entfernt residierte. Kraus muß auch spätestens dort Mozarts Idomeneo kennengelernt haben [die konzertante Liebhaberaufführung zu Wien fand allerdings erst im März 1786 statt] - denn Kraus machte sich den Marsch daraus zueigen und erarbeitete daraus seinen Riksgagsmarsch, welcher der Sinfonia da chiesa angehängt wird. Außerdem enthalten auch andere Werke Kraus' wie z.B. die Trauerkantate auf den Tod Gustavs III. und seine Oper Dido och Aeneas weitere Idomeneo-Zitate [in der Trauerkantate z.B. ist es das Quartett aus dem 3. Akt Andrò ramingo e solo...].


    In Paris weilte Kraus daran anschließend für etwa zwei Jahre [c1784-1786] - Mozart war etwa 13 Jahre früher in Pars gewesen... also auch hier nix.


    :(


    Grüße, Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Liebe Krausisten,


    ich lese gerade den wunderherrlichen Roman "Das Geschmeide der Königin" ("Drottningens juvelsmycke") von Carl Jonas Love Almqvist (1793-1866), der rund um die Maskenball-Ermordung Gustavs III. spielt. Die unbedingte Leseempfehlung (übrigens wird die feine und fabelhaft übersetzte gebundene Ausgabe bei 2**1 gerade für 2,99 Euro (!) verramscht) werde ich demnächst im dafür vorgesehenen thread näher begründen - hier jetzt eine krausspezifische Frage dazu:


    In dem Roman wird eine Pantomime eingeübt (zu deren Aufführung es dann wegen der Ermordung des Königs nicht mehr kommt). Sie trägt den Titel "La Sauvage sauvée", spielt in einem fantasierten vorkolonialistischen Amerika, und die Musik ist natürlich von Kraus. Ich zitiere (S. 117):


    "Die Musik ging von Kriegsgedröhn über in einen höchst eigenen Ton (peruvianisch, dachte Adolfine); es war eine Allegro vivace, das sich zum Andante verlangsamte, ja zum Adagio und schließlich in ein Tristamoroso aus der dunkelsten und gleichwohl lächelnden Heimat des Naturgefühls auflöste (dieser Kraus!, dachte Adolfine)."


    Gibt es diese Pantomimenmusik tatsächlich? Oder eine thematisch ähnliche, die Almqvist als Muster gedient haben könnte?


    Grüße,
    Micha




  • Hallo,


    es gibt von Kraus 2 Pantomimemusiken auf CD eingespielt:



    Darunter eine dreisätzige Pantomine in D VB 37 sowie eine viersätzige in G VB 38. Ein Allegro vivace im Besonderen ist da allerdings nicht zu verzeichnen. Am ehesten jedoch würde VB 37 passen: Allegro - Adagio (das aber nicht "übergeht") - Presto.


    Möglicherweise handelt es sich aber auch um Auzüge aus der Fiskarena oder Amphytrion, was aber beides keine Pantomimemusiken sind...


    Leider keine so schlaue Nachricht von mir.


    Aber von Kraus ist noch längst nicht alles eingespielt...


    :(


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Der Hammel fragte andernorts:



    Die Frage lässt sich ebenso wenig beantworten, als bezöge sie sich auf Mozart, Haydn, Schubert, Beethoven oder andere Komponisten. Allerdings gibt es durchaus einige von mir präferierte Werke, zu denen die Begräbniskantate für Gustav III. auf alle Fälle zählt. Daneben ganz bestimmt die cis-moll-Sinfonie als sein mutigstes und herausragendstes Orchesterwerk, das Oratorium Der Tod Iesu, seine Oper Proserpin (solange es keine vollständige und schwedischsprachige Ausgabe von Dido und Æneas gibt), sowie die Quartette B-Dur (Bratschenquartett), D-Dur (Abschiedsquartett) und E-Dur (Rezitativquartett). Natürlich die Konzertarien bzw. -szenen nicht zu vergessen...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Danke ulli!!!


    Werde mir diese Tipps zu Herzen nehmen!!
    PS: die Begräbniskantate ist wirklich großartig, mein ersten Werk, dass ich von Kraus gehört habe.... :jubel: :jubel: :jubel:


    Danke
    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Hallihallo!!!


    Wollte nur erwähnen, dass ich gerade eben zum ersten Mal in meinem Lebn die cis-moll Sinfonie von Kraus hören durfte...
    Sie ist eine der mutigsten Werke, die ich je gehört habe.. :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Wirklich großartig...
    Hoffe auf Fortsetzung...


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Ich hörte bisher leider nur Sinfonien von ihm und 'eine' Oper (und leider auch nur in HIP :D), aber es reichte um zu wissen, dass ich seiner Musik SEHR angetan bin.
    Diese einmalige Mischung aus Barock und Klassik macht süchtig, nicht zuletzt wegen dem interessanten Einsetzen der Harmonien.
    Mein absolutes Lieblingswerk von Kraus ist eindeutig seine Sinfonie in D-Dur. Sie ist sehr festlich, ja. Aber trotzdem finde ich, dass etwas sehr verzweifeltes herausperlt.


    Sehr interessieren würden mich einige Klavierwerke (schade, dass er kein Klavierkonzert schrieb), sowie sein Requiem. Aber nichtmal bei youtube finde ich was, sodass ich wohl weiterhin geduldig sein muss... :angel:
    Freuen kann ich mich aber jetzt schon.




    C.

  • Zitat

    Original von Sakow
    (und leider auch nur in HIP :D)


    Gottseidank wirds da auch in naher Zukunft nichts anderes geben...


    Wenn mir einer meinen Kraus verunhipt, gibts riesigen Ärger! Jedwede Zuwiderhandlung wird mit etlichen Kotzieparaden geahndet.


    :beatnik:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Mach dich mal locker für was NEUES. :baeh01:
    Ich würde nämlich Kraus' Musik gerne Lieben lernen, und nicht nur sehr Schätzen. ;)


    Wie heißt eigentlich das Gegenteil von HIP? ?(



    C.

  • Zitat

    Original von Sakow
    Mach dich mal locker für was NEUES. :baeh01:
    Ich würde nämlich Kraus' Musik gerne Lieben lernen, und nicht nur sehr Schätzen. ;)


    Wie heißt eigentlich das Gegenteil von HIP? ?(


    Ich bin stets offen für Neues. Da es aber unHIP bereits gab, bevor Du überhaupt in Planung warst, verstehe ich den Sinn Deiner Anmerkung nicht ganz... benötigt man für unHIP wirklich noch einen Extrabegriff wie sitt für undurstig?


    :P


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Demnächst neu im Plattenladen eurer Wahl:



    Josef Martin Kraus [1756-1792]


    Requiem für Soli, Chor & Orchester
    Miserere für Soli, Chor & Orchester
    Stella coeli für Soli, Chor & Orchester


    Annemei Blessing-Leyhausen, Paul Gerhard Adam,
    Carmen Schüller, Julian Pregardien, Ekkehard Abele,


    Deutscher Kammerchor
    La Stagione Frankfurt
    Michael Schneider


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Also ich kann Sakow durchaus verstehen, ich meine: mir sagt ein apollinischer,"unHIP" Friscay-, Böhm- oder Karajan-Mozart ja auch eher zu. :untertauch:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.
    Also ich kann Sakow durchaus verstehen, ich meine: mir sagt ein apollinischer,"unHIP" Friscay-, Böhm- oder Karajan-Mozart ja auch eher zu.


    Warum wundert mich das nicht... :P

  • Damit, lieber Paul, wollte ich allerdings auch der HIP-Bewegung nicht die Existenzberechtigung absprechen. :D


    Das Dumme bei Kraus dürfte sein, daß er zur "unHIP"-Zeit, vor einigen Jahrzehnten also, noch nicht so oft eingespielt wurde. Oder gibt es überhaupt eine "konventionelle" Aufnahme eines Kraus-Werks?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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