Am 24.10.2010 in der Kölner Philharmonie: Markus Stenz dirigiert Mahler 2 mit dem Gürzenich-Orchester, Christiane Oelze, Michaela Schuster, fünf Chören mit in der Summe bestimmt weit über 200 Sängern, Iveta Apkalna an der Orgel. Uns flogen die Ohren weg und der Verstand stand still, wir verloren den Überblick, aus welcher Off-Stage-Tür gerade welches Seitenorchester ertönte, ...
Nach dem Erleben eines solchen Konzerts bleibt eine Frage offen und unbeantwortet, die wir uns allerdings auch schon am Vorabend anlässlich der Aufführung von Mahlers Sechster Sinfonie am selben Ort mit dem WDR Sinfonieorchester unter Ivàn Fischer gestellt hatten: Warum zerreissen wir uns eigentlich das Maul über die noch so großartigste Qualität der soundsovielten tollen SACD Aufnahme welcher Sinfonie auch immer. Mag der Tonmeister noch so kunstvoll gearbeitet haben, mag er eine wie auch immer aktuellste Klangphilosophie umgesetzt haben - all dies ist doch nicht mehr als ein laues Lüftchen und eine tote Konserve gegenüber der Konzertaufführung, und bei einer Sinfonie von Mahler allemal. Entgegen der Wahrnehmung vieler findet Musik nämlich doch nicht auf der Silberscheibe statt, sondern wird im Konzertsaal mit allen Risiken und Chancen der sogenannten "Live"-Aufführung lebendig - in der Anwesenheit hunderter und tausender lebendiger Menschen.
Ein Phänomen? Eigentlich nicht. Das Phänomen ist, dass unsere Wahrnehmung und unser Konsumverhalten sich im Lauf der letzten sechzig Jahre verschoben, wir unsere Ansprüche eingedampft haben und wir nun eine digital auf Silber kodierte Informationsvermittlung aus zweiter Hand als das non plus ultra, als den einzig gültigen Maßstab feiern.
Oder hat uns unsere konzertante Augenblicksbegeisterung da einfach die Sinne vernebelt? Kommt es eigentlich auf das Erreichen absoluter Perfektion an und ist das Minus an klanglichem Raumerleben demgegenüber bedeutungslos???