Allgemeine Gedanken zur "Klassischen Musik"

  • wenn ich eins in letzter Zeit nicht höre, ist das die eigentliche klassische Musik.


    Was ich schon immer mochte, ist Barockmusik, was bleibend hinzugekommen ist, ist die Musik der Renaissance, ansonsten höre ich viel Jazz und Blues und durchaus auch Pop.


    Es gibt viel Gutes von Mozart und manch Gutes von Beethoven, aber so richtige Entdeckerlust verspüre ich nicht, und die Gesamtausgaben (Kauf von Tamino inspiriert und auch nicht bereut - man könnte, wenn man wollte) hocken auf dem Regal. Gegen Teile der tonalen Klassik habe ich eine ausgesprochene Aversion (Brahms), gegen die atonale sowieso, wenn ich auch manchmal eine Richtung im Rahmen der neuen Musik finde, die interessante Ansätze zeigt (Minimal Music).


    Vielleicht gibt es ja ein spezielles "Musikgen", das für eine bestimmte Disposition verantwortlich ist, ist es stark ausgeprägt, sind die Grenzen des Geschmacks vordefiniert, ist es schwach ausgeprägt, ist man lernfähiger und kann sich "weiterentwickeln".


    Meine Freunde habe ich neulich mal wieder mit einer Portion "alter" Musik belatschert, sie hörten eine Weile höflich zu, dann gab es bissige Kommentare. Der freundlichste war noch "für Klassik muß man in einer bestimmten Stimmung sein". Anscheinend bedarf es einer bestimmten Verdrahtung im Hirn, um bestimmte Arten von Musik zu mögen - gilt sicher auch umgekehrt, nur wenige Klassikliebhaber werden die ja nicht ganz unkomplexen Strukturen von Pink-Floyd-Scheiben goutieren (oder auch nur kennen...). So hat z.B. das Stück "Atom Heart Mother" von Pink Floyd eine lange Sequenz stark atonaler aber trotzdem großartiger Strukturen, die ich immer wieder gern höre, und daran ist genauso wenig Plastik, Wegwerfgesellschaft oder Fast Food wie an irgendeiner Klaviersonate von Beethoven.


    Daß das aber irgendwie mit Ehre, Anstand, Vaterlandsliebe, Bildung oder sonstigen doch recht musikfernen Begriffen aufgeladen wäre, kann ich nun gar nicht nachvollziehen. Da hast Du, Alfred, doch sehr viel in einen Topf geworfen, was die Gedankensuppe recht unverdaulich macht. Sicherlich gibt es die von Dir dargestellten Tendenzen in unserer Gesellschaft, aber die hat es wohl immer gegeben, die Leute sind nicht blöder geworden, sie haben jetzt nur mehr Gelegenheit, ihre Blödheit, die es schon immer gab, auszuleben. Aber daß das mit Musikpräferenzen gekoppelt ist, möchte ich mit Vehemenz bestreiten.

  • Anscheinend bedarf es einer bestimmten Verdrahtung im Hirn, um bestimmte Arten von Musik zu mögen -


    Dafür scheint nach gegenwärtigem Stand der Wissenschaft sehr wenig zu sprechen; das Gehirn ist auf diesem Gebiet im Gegenteil anscheinend außerordentlich flexibel.


    http://www.spektrumverlag.de/artikel/837682


    Man wird das vermutlich nie genau rauskriegen, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass unser Sinn für Musik (oder Protomusik) evolutionär älter ist als der für Sprache. Was auch immer unsere Vorfahren vor 30000 oder mehr Jahren für Töne produziert haben; es klang ziemlich sicher weder wie Beethoven noch wie Pink Floyd. Insofern halte ich es für so gut wie ausgeschlossen, dass genetisch bedingte "feste Verdrahtungen" für Musikgeschmäcker am Beginn des 21. Jhd irgendeine Rolle spielen.


    Zitat


    die Leute sind nicht blöder geworden, sie haben jetzt nur mehr Gelegenheit, ihre Blödheit, die es schon immer gab, auszuleben. Aber daß das mit Musikpräferenzen gekoppelt ist, möchte ich mit Vehemenz bestreiten.


    Deine vermutlich falsche These von der festen Verdrahtung würde allerdings eher für diese Verknüpfung sprechen. Denn Blödheit bzw. Intelligenz ist zu einem signifikanten Teil erblich. Musikalität selbstverständlich auch, aber fast alle Menschen sind "von Natur aus" musikalisch genug, um z.B. ein Instrument spielen zu lernen und je nach Prägung seit dem frühen Kindesalter sehr unterschiedliche Musik zu schätzen.
    Aber bei dieser Prägung spielt die grassierende Blödheit vermutlich schon eine Rolle. Ist halt ein Unterschied, ob man mit Orffschen Klanghölzern, gemeinsamem Singen und "Peter und der Wolf" aufwächst oder mit Teletubbies...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die feste Verdrahtung muß nicht notwendigerweise genetisch bedingt sein, frühkindliche Einflüsse sind sicherlich auch zu beachten.


    Ein Blick über den Tellerrand der abendländischen Kultur hinaus zeigt, daß es arabische, indische, chinesische, japanische, afrikanische Musikstrukturen gibt, die mit der europäischen Klassik wenig gemein haben. Und der größere Teil der Leute in Arabien, China, Japan etc. hört vermutlich auch nach Kontamination mit westlicher klassischer Musik weiterhin den eigenen Salat. So ähnlich wie Popmusik-Hörer.


    Werden sie allerdings umfänglich mit westlichem Pop beschallt, fallen sie um oder werden zumindest schwankend. Man höre mal in einen beliebigen indischen Radiosender hinein...


    Spricht nicht so ganz für die Pop-ist Präkariatskultur-These. Oder sind Chinesen, Inder und Japse auch schon alle ganz verblödet?

  • hallo mm,
    ich verstehe dein posting ehrlich gesagt nicht so ganz.
    in den anderen kulturen gibt es natürlich auch die jeweilige hochkultur und andere musik, ferner den internationalen pop und die europäische klassik (die mitunter beliebter ist als die jeweils heimische hochkultur-musik).
    was willst du jetzt mit der blödheit?

  • o.k., dann meinen wir unterschiedliches mit "fester Verdrahtung". Mir schien allerdings, dass der verlinkte Spektrum-Artikel die Flexibilität nicht nur für die frühe Kindheit gilt, wenn auch in besonderem Maße.
    Ansonsten bestätigt der Hinweis auf andere Kulturen, deren Musik und die Verbreitung der westlichen Popmusik die kulturalistische These und spricht klar gegen eine genetische. Ich habe zu wenig Informationen, würde aber vermuten, dass in Japan internationaler und japanischer Pop am beliebtesten ist, dann folgt Klassik (Japan ist das Wiederveröffentlichungsparadies für Klassiksammler, entweder gibt es dort viele oder sie sind bereit ziemlich viel Geld für CDs auszugeben) und dann erst traditionelle japanische Musik (von der ich allerdings, anders als bei persischer oder indischer Musik noch nie was gehört habe).


    Meines (sehr begrenzten) Wissens besteht der zentrale Unterschied zwischen der westlichen und der klassischen vorder- und mittelasiatischen Musik darin, dass letztere viel länger nicht oder kaum notiert wurde, sondern in Schulen von Meister zu Schüler weitergegeben wurde und noch immer stark auf der improvisatorischen Ausgestaltung freilich sehr komplexer und verschiedenartiger Muster beruht. Man kann nicht einfach Noten drucken und die dann einstudieren, daher wird sie wohl immer stärker an die Herkunftskulturen gebunden bleiben.


    viele Grüße


    JR

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    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

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  • ja, ich glaube, erst im 20. oder im späten 19. jahrhundert hat man (mit europäischen oder von europäern erfundenen systemen) klassische fernöstliche musik notiert - aber vielleicht habe ich das falsch verstanden.


    auch in china ist die europäische klassik beliebter als die chinesische - was ich schade finde.

  • ich hab mal ein (gemeines) Experiment mit einer Katze, die in einer senkrecht gestreiften Welt aufwuchs und sich später in einer waagerecht gestreiften nicht mehr zurechtfinden konnte, so verstanden, daß die Synapsen nicht nur während der Fötus-Phase, sondern auch während der frühen Kindheit noch vernetzen, oder aber eben nicht. Insofern findet wohl ein Teil der Verdrahtung auch nach der Geburt statt.


    In der arabischen Welt kenne ich mich nicht sonderlich gut aus, in der indischen schon, und da hat sicherlich nicht die westliche Klassik, sondern der westliche Pop gesiegt. Bollywood (mit starker Anlehnung an Pop-Rhythmen) ist omnipräsent, die klassische indische Musik ist allerdings auch ziemlich dröge, weitgehend unrhythmisch und erst auf längere Sicht (ein paar Stündchen wird man schon zuhören müssen) trancefördernd.


    Die klassische chinesische Oper dauert mindestens 4 Stunden, daß die Leute da heute keine Zeit mehr für haben, ist bedauerlich, aber nachvollziehbar. Auch hier haben sich in die chinesische Trivialmusik westliche Pop-Rhythmen eingeschlichen, ich würde mal behaupten (ohne einen guten Beleg dafür zu haben), der Anteil der originär chinesischen Klangstrukturen ist auf dem Rückzug. Kann natürlich jederzeit sein, daß dem (mal wieder) politisch entgegengesteuert wird.


    Ähnliches gilt für vietnamesische Unterhaltungsmusik (hab ich einen ganzen Schwung CDs als Beleg), das könnte man fast auch hier in den Discos spielen.


    Über Japan weiß ich auch nicht viel, vermute aber, daß, wenn auch westliche Klassik dort gut ankommt, der westliche Pop wesentlich verbreiteter ist.


    Für Schwarz-Afrika gilt das wohl noch verstärkt, die westliche Klassik wird da nur sehr spärlich angekommen sein (Lambarene), der westliche Pop wird umfassend überwiegen.


    Fazit: der Hörer westlicher Pop-Musik ist mitten im WELT-Mainstream und nicht notwendigerweise in der Ecke der verblödungsgefährdeten Fast-Food fressenden Jeans und T-Shirt-Träger, denen Ehre, Elite, Strebsamkeit und Vaterlandsliebe abgehen.

  • die klassische indische Musik ist allerdings auch ziemlich dröge, weitgehend unrhythmisch


    Hallo,


    ich kenne mich in den von Dir genannten Musikwelten nicht aus - empfinde aber indische Musik mit Sitar + Tabla ziemlich rhythmisch (im Vergleich zu unserer klassischen Musik). Verstehe ich Dein "weitgehend unrhythmisch" daher im Vergleich zu z. B. afrikanischer Musik? Kannst Du mich (u. U. auch andere Taminos/as) etwas "aufklären"?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • empfinde aber indische Musik mit Sitar + Tabla ziemlich rhythmisch


    Gebe Dir absolutrecht, lieber Zweiterbass. Ich empfinde sie nicht nur rhythmisch , sondern auch schön und interessant. Es gibt da ab und zu " Bollywood- Filme " im TV. Die schaue ich mir gern an, nur wegen der Musik. Besonders die Frauenstimmen klingen so herrlich fremdländisch, so typisch indisch. Ich mag die Musik und rhythmisch ist sie auf jeden Fall.
    Einen schönen Abend und Gruß aus dem tiefverschneiten und kalten Görlitz
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Es wurde aber auch von klassischer indischer Musik gesprochen und nicht von Bollywood. Allerdings kann ich dem "unrhythmisch" nicht zustimmen, mich würde aber interessieren ob sich das auf karnatische oder hindustanische Musik, also Nord- oder Südindische Kunstmusik bezieht. Von DER indischen Musik zu sprechen ist aufgrund der kulturellen Diversität, die auf geografische Gegebenheiten des indischen Subkontinents beruht, nicht möglich.

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  • Es wurde aber auch von klassischer indischer Musik gesprochen und nicht von Bollywood. Allerdings kann ich dem "unrhythmisch" nicht zustimmen, mich würde aber interessieren ob sich das auf karnatische oder hindustanische Musik, also Nord- oder Südindische Kunstmusik bezieht. Von DER indischen Musik zu sprechen ist aufgrund der kulturellen Diversität, die auf geografische Gegebenheiten des indischen Subkontinents beruht, nicht möglich.


    Entschuldigung, liebe Lili B., hast ja recht und ich habe es übersehen. Bei der Gelegenheit meine Frage, hast Du schon " Gesu Bambino " gehört?
    Gruß
    CHRISSY
    :hello:

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Hallo Chrissy,


    was die indische Musik betrifft, habe ich mich weniger an deiner Bollywood-Äußerung gestoßen, als an dieser verallgemeinernden "klassische indische Musik" Aussage, genauso wie an

    Für Schwarz-Afrika gilt das wohl noch verstärkt, die westliche Klassik wird da nur sehr spärlich angekommen sein (Lambarene), der westliche Pop wird umfassend überwiegen.

    Hierzu würden mich Beispiele interessieren. Ich habe mich nur oberflächlich mit Musikausübung afrikanischer Gebiete vorwiegend Angolas, Madagaskars und des Senegals beschäftigt, auch mit der dortigen Popularmusik, deshalb frage ich mich woher diese Erkenntnis stammt.


    Zu "Gesu Bambino": ja hab ich schon gehört. Wobei ich befürchte, dass ich unfähig war die richtige Version zu finden. So richtig tief berührt war ich nicht von dem was ich gehört habe, aber vielleicht ändert sich das noch mit einsetzender Weihnachtsstimmung. :hello:


    Lieben Gruß,
    Lilifee

  • Liebe Lili
    zu klassischer indischer Musik kann ich nichts sagen, ebenso wenig zu afrikanischer. Ich möchte Dir hier nochmal das G.B. nahelegen und Dir hoffentlich die richtige Version erklären:
    Gib`ein über Google Pavarotti Gesu Bambino Es erscheinen 3 Video- Bilder. Klicke auf das momentan 3. Bild links unten, beschrieben mit 4 Min., 7. Dez. 2008, dailymotion.com
    Für mich ein wunderschönes Stück, welches ich immer wieder mit Begeisterung höre und von dem ich sage, das ist Pavarotti auf den Leib geschrieben. Der Schluß dieses schrittweise in die Höhe gehend, für mich Gänsehaut pur. Das macht ihm keiner nach! Aber, ich gestehe, alles ist eine individuelle Empfindungs- und Geschmackssache.
    Liebe Grüße und einen schönen Abend
    CHRISSY
    :hello:

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Jetzt hab ich's gecheckt. Also diese Version ist ohne Fragen um Welten besser als die anderen, die ich gehört habe. Pavarotti singt ausgezeichnet, der Chor sagt mir nicht ganz so zu. Durchaus hörenswert aber keine Gänsehautgarantie bei mir.


    Viele Grüße aus dem verschneiten Wien,
    Lili

  • Durchaus hörenswert aber keine Gänsehautgarantie bei mir.


    Auch nicht der Schluß? Na, macht nichts. Ich freue mich, daß Du es gefunden hast und danke Dir für Deine Antwort.


    Herzliche Grüße an Dich, liebe Lili, und meine Lieblingsstadt WIEN aus dem ebenfalls verschneiten und eisigen Görlitz


    CHRISSY :hello: :jubel:

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Der Schluss ist wirklich toll gesungen, vielleicht komm ich in Stimmung wenn die Novemberdepression in den Adventsstress mündet :wacko:
    Dann grüß du mir Görlitz, ich bin schon recht traurig, dass ich heuer vor Weihnachten nicht in diese Richtung reisen kann. Allerdings ist meine 2. Heimat etwas westlicher, im Erzgebirge angesiedelt. Aber Wien ist im Moment wirklich schön und deshalb gehe ich jetzt einen Schneemann bauen :D
    Gruß,
    Lili

  • Zweifellos ist die klassische indische Musik nicht sonderlich rhythmisch, jedenfalls nicht nach unserem Verständnis, ich habe da eine ganze Reihe von CDs, mit und ohne Tabla, die das gut belegen. Die Inder haben ihren eigenen Rhythmus, das heißt, wenn wir einen Schlag erwarten, kommt er nicht, dafür kommen später dann gleich 2 oder 5. Daß das trotzdem anhörenswert oder sogar großartig sein kann, steht außer Frage. Nur metronom-artig rhythmisch ist es eben nicht.


    Und hier ist ein schönes Beispiel für Klassik in der modernen Welt - ein Flashmob.


    http://www.youtube.com/watch?v=SXh7JR9oKVE

  • Zweifellos ist die klassische indische Musik ausgesprochen rhythmisch, jedoch nicht in der selben Form wie europäische Kunstmusik, sondern eben wie indische Kunstmusik. Aber wie gesagt, hier muss unbedingt zumindest zwischen Nord- und Südindien unterschieden werden. Diese Musik ist sowohl melodisch als auch rhythmisch sehr viel komplexer und vielfältiger als wir dies von europäischer Kunstmusik gewöhnt sind und vor allen Dingen geschehen die akustischen Ereignisse nicht so zufällig, wie sich das für unser europäisch geprägtes Ohr anhören mag. Immerhin sprechen wir hier von einer Tradition, die sehr lange zurück reicht. Aufzeichnungen mit Notation karnatischer Musik finden sich schon im 7. oder 8. Jahrhundert. (weiß ich jetzt leider nicht mehr genau) In meinem Studium habe ich ein Semester einen Schwerpunkt südindische Musik belegt. Ich muss gestehen, dass diese Musik durchaus einen gewissen Reiz ausübt, aber ich mich in meiner Freizeit wohl nicht intensiver damit beschäftigt hätte. Nichtsdestotrotz konnte ich wieder einmal feststellen wie sich meine Wahrnehmung durch das was ich lernte, änderte.


    Ja das Youtube Video kenn ich. Das ist super!


    Grüße,
    LB

  • Zweifellos ist die klassische indische Musik ausgesprochen rhythmisch, jedoch nicht in der selben Form wie europäische Kunstmusik, sondern eben wie indische Kunstmusik. Aber wie gesagt, hier muss unbedingt zumindest zwischen Nord- und Südindien unterschieden werden. Diese Musik ist sowohl melodisch als auch rhythmisch sehr viel komplexer und vielfältiger als wir dies von europäischer Kunstmusik gewöhnt sind und vor allen Dingen geschehen die akustischen Ereignisse nicht so zufällig, wie sich das für unser europäisch geprägtes Ohr anhören mag. Immerhin sprechen wir hier von einer Tradition, die sehr lange zurück reicht. Aufzeichnungen mit Notation karnatischer Musik finden sich schon im 7. oder 8. Jahrhundert. (weiß ich jetzt leider nicht mehr genau) In meinem Studium habe ich ein Semester einen Schwerpunkt südindische Musik belegt. Ich muss gestehen, dass diese Musik durchaus einen gewissen Reiz ausübt, aber ich mich in meiner Freizeit wohl nicht intensiver damit beschäftigt hätte. Nichtsdestotrotz konnte ich wieder einmal feststellen wie sich meine Wahrnehmung durch das was ich lernte, änderte.


    Habe noch im März diesen Jahres in Bangalore (Karnataka) einem klassischen indischen Konzert gelauscht; wenn Du die dort verwendeten Tonfolgen als Rhythmus im indischen Sinne apostrophierst, der sich der Beurteilung durch unsere europäischen Ohren entziehe, gebe ich Dir zwar gern Recht, nur haben wir dann ein kleines Definitionsproblem für "Rhythmus". In der Tat hört sich der Tabla-Einsatz für uns häufig zufällig an, zumindest bis dahin, wo sich der Protagonist "warmgespielt" hat, dann können durchaus schon Passagen entstehen, die tendentiell auch ein westlicher Schlagzeuger hätte spielen können, wenn auch die Technik des Anschlags eine ganz andere ist, die sicherlich den allerhöchsten Respekt verdient.

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  • ich kenne mich in den von Dir genannten Musikwelten nicht aus - empfinde aber indische Musik mit Sitar + Tabla ziemlich rhythmisch (im Vergleich zu unserer klassischen Musik). Verstehe ich Dein "weitgehend unrhythmisch" daher im Vergleich zu z. B. afrikanischer Musik? Kannst Du mich (u. U. auch andere Taminos/as) etwas "aufklären"?


    Ich kann indische Musik nicht so gut in Nord- und Süd unterteilen wie LB, habe aber bei meinen Aufenthalten in Indien jeweils CDs mit klassischer indischer Musik erstanden. Ich greife mal eine beliebige CD von Ustad Zakir Hussain heraus und versuche mal, das erste Stück zu beschreiben.


    In den ersten Sekunden ertönt ein Sitar-Sound, der sich nach 5 Sekunden dann eine Stimme hinzugesellt, die sich im Sitar-Klangbett aufhält (zunächst gleiche Tonhöhe, dann leicht moduliert), der sich nach ca. 1:20 min die Tabla anschließt, zunächst durch einen Wirbel, dann durch klassische, eher zurückhaltende Tabla-Arbeit; mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand werden einzelne Schläge gesetzt, mit der linken Hand auf der großen Tabla kommt dann dieser typische wawa-Sound, wobei durch Druck auf das Fell die Tonhöhe kurz geändert wird, woran ich bisher bei meinen Tablaspiel-Versuchen bisher jedesmal grandios gescheitert bin.


    Nach ein paar Minuten kommt noch eine Art Flöte hinzu, die im Hintergrund so etwas wie Triolen spielt, während sich die Stimme inzwischen aus dem Klangbett der Sitar herausgelöst hat und einen durchgesungenen Ton mit sehr häufigen Tonhöhenänderungen treibt --- insgesamt dauert das Stück über 20 Minuten, im Verlauf wird es langsam schneller.


    Indische Musik ist noch schwerer zu beschreiben, als der Ablauf klassischer Musik, man muß es wohl vor allem HÖREN.


    Also Einladung: solltest Du mal in der Nähe von Iserlohn vorbeikommen, sag Bescheid, ich kann Dir gern bei einer Tasse Kaffee etliche indische Musikstücke vorstellen.

  • Habe noch im März diesen Jahres in Bangalore (Karnataka) einem klassischen indischen Konzert gelauscht; wenn Du die dort verwendeten Tonfolgen als Rhythmus im indischen Sinne apostrophierst, der sich der Beurteilung durch unsere europäischen Ohren entziehe, gebe ich Dir zwar gern Recht, nur haben wir dann ein kleines Definitionsproblem für "Rhythmus".


    Eine Tonfolge ist kein Rhythmus.
    Und ein Rhythmus muss nicht metrisch sein.

  • Also Einladung: solltest Du mal in der Nähe von Iserlohn vorbeikommen, sag Bescheid, ich kann Dir gern bei einer Tasse Kaffee etliche indische Musikstücke vorstellen


    Hallo m-mueller,


    danke für Deine Einladung - wenn es mich mal ins Sauerland "verschlägt", gebe ich Dir rechtzeitig Bescheid.


    Im Übrigen meine ich, dass durch die vorhergehenden Beiträge die unterschiedlichen Meinungen was Rhythmus ist deutlich geworden sind und damit zu einer Klärung beigetragen haben. Und dass Tonfolgen (unpassender Ausdruck?) kein Rhythmus sind, ist schon klar, aber: Wenn eine zum Tabla-Rhythmus gespielte Sitar"melodie" nicht nur synkopiert ist, sondern nach unseren Hörgewohnheiten überhaupt nicht dazu paßt - und deswegen der Gesamteindruck äußerst rhythmisch erscheint, dann ist es schwierig zu trennen, was ist nun der Rhythmus ist (oder von wem oder was kommt er?) - oder habe ich das falsch ausgedrückt?


    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Meine Freunde habe ich neulich mal wieder mit einer Portion "alter" Musik belatschert, sie hörten eine Weile höflich zu, dann gab es bissige Kommentare. Der freundlichste war noch "für Klassik muß man in einer bestimmten Stimmung sein". Anscheinend bedarf es einer bestimmten Verdrahtung im Hirn, um bestimmte Arten von Musik zu mögen - gilt sicher auch umgekehrt, nur wenige Klassikliebhaber werden die ja nicht ganz unkomplexen Strukturen von Pink-Floyd-Scheiben goutieren (oder auch nur kennen...). So hat z.B. das Stück "Atom Heart Mother" von Pink Floyd eine lange Sequenz stark atonaler aber trotzdem großartiger Strukturen, die ich immer wieder gern höre, und daran ist genauso wenig Plastik, Wegwerfgesellschaft oder Fast Food wie an irgendeiner Klaviersonate von Beethoven.

    Da hast Du sicherlich recht allerdings habe ich genauso große Schwierigkeiten, Freunden Atom Heart Mother nahezubringen, was eigentlich noch recht zahm ist, weil Pink Floyd nicht sooooo progressive waren. Es ist egal, was ich vorspiele. Die Musik, die ich bevorzuge, ob Klassik oder ProgRock, finden meine Freunde merkwürdig.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Lieber Alfred,


    ich persönlich glaube nicht an einen Niedergang der Klassischen Musik, sondern höchstens an einen Niedergang der Medien, die sie begleiten. Ich hatte ja in einem anderen Beitrag schon einmal davon berichtet, dass die klassische Musik früher, als das "öffentlich rechtliche" Fernsehen noch unter sich war, einen größeren Stellenwert im Programm hatte, namentlich die Oper. Und so konnte man damals z.B. das legendäre Freundesduo Fritz Wunderlich und Hermann Prey des öfteren in legendären Opernaufnahmen bewundern, z. B. im Barbier von Sevilla oder in Eugen Onegin (natürlich alles in deutscher Sprache). Und keiner soll glauben, dass die Arie des Figaro in Deutsch leichter wäre als in Italienisch.
    Das Schwierige für Leute in unserem Alter, lieber Alfred, besteht glaube ich auch darin, dass wir "die gute alte Zeit", die 50er und 60er Jahre mit ihren großartigen Sängern, Pianisten, Geigern und Dirigenten noch erlebt haben, und dass die heutige Generation dieser Künstler es auch objektiv sehr schwer hat, gegen diese "Vorgänger" anzukommen.
    Vielleicht müssen wir einfach Abschied von den Vergleichen nehmen, wenn wir weiterhin Live-Konzerte erleben und genießen wollen. Ich für meinen Teil versuche das und genieße es, wenn ich einen Klavierabend mit Till Fellner, Paul Lewis, Ragna Schirmer oder Leif Ove Andsnes erlebe, oder ein Violinkonzert mit Hillary Hahn oder ein Symphonie-Konzert mit Paavo Järvi oder Frank Beermann oder Gustavo Dudamel, ganz zu schweigen von den auf breiter Front nachrückenden sehr guten Liedsängern wie Christian Gerhaher, Stephan Genz, Matthias Goerne, Thomas Hampson, Bryn Terfel oder Roman Trekel, um nur einige zu nennen.
    Auch wir "Älteren" können noch mit Freude ins Konzert gehen, wo kein Sviatoslav Richter, kein Emil Gilels, kein Fritz Wunderlich, kein Dietrich Fischer-Dieskau, kein Furtwängler, Bernstein, Karajan, Böhm, Wand, Celibidache, keine Maria Callas oder Christa Ludwig mehr auf der Bühne stehen.


    In diesem Sinne


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Das Schwierige für Leute in unserem Alter, lieber Alfred, besteht glaube ich auch darin, dass wir "die gute alte Zeit", die 50er und 60er Jahre mit ihren großartigen Sängern, Pianisten, Geigern und Dirigenten noch erlebt haben, und dass die heutige Generation dieser Künstler es auch objektiv sehr schwer hat, gegen diese "Vorgänger" anzukommen.
    Vielleicht müssen wir einfach Abschied von den Vergleichen nehmen, wenn wir weiterhin Live-Konzerte erleben und genießen wollen. Ich für meinen Teil versuche das und genieße es, wenn ich einen Klavierabend mit Till Fellner, Paul Lewis, Ragna Schirmer oder Leif Ove Andsnes erlebe, oder ein Violinkonzert mit Hillary Hahn oder ein Symphonie-Konzert mit Paavo Järvi oder Frank Beermann oder Gustavo Dudamel, ganz zu schweigen von den auf breiter Front nachrückenden sehr guten Liedsängern wie Christian Gerhaher, Stephan Genz, Matthias Goerne, Thomas Hampson, Bryn Terfel oder Roman Trekel, um nur einige zu nennen.
    Auch wir "Älteren" können noch mit Freude ins Konzert gehen, wo kein Sviatoslav Richter, kein Emil Gilels, kein Fritz Wunderlich, kein Dietrich Fischer-Dieskau, kein Furtwängler, Bernstein, Karajan, Böhm, Wand, Celibidache, keine Maria Callas oder Christa Ludwig mehr auf der Bühne stehen.

    Genau so sehe ich das auch. Hast Du sehr gut gemacht Willi. Aber es ist auch für uns ältere (reifere) ein Prozess. Es fällt nicht leicht, in der Oper oder in einem Konzert nicht doch plötzlich an die "guten Alten" zu denken. Und eine Bemerkung möchte ich noch hinzufügen, vor einer Live-Aufführung nie vorher die Lieblingskonserve anhören oder ansehen, das kann zu Problemen führen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat Masetto
    Da hast Du sicherlich recht allerdings habe ich genauso große Schwierigkeiten, Freunden Atom Heart Mother nahezubringen, was eigentlich noch recht zahm ist, weil Pink Floyd nicht sooooo progressive waren. Es ist egal, was ich vorspiele. Die Musik, die ich bevorzuge, ob Klassik oder ProgRock, finden meine Freunde merkwürdig.




    Ist bei meinen Freunden nicht ganz so.


    Wenn es aber eine durchgängige Beobachtung wäre, müßte man weniger zwischen Pop und Klassik als vielmehr zwischen einfacher und komplexer Musik unterscheiden, womit wir wieder bei "anspruchsvoll" wären, was vermutlich aber auch nicht sehr weit trägt.

  • Ich glaube es ist nicht unbedingt so, daß die Künstler der Vergangenheit "besser, waren, als die heutigen -sondern sie waren an ein anderes Publikum angepasst. Heute könnte ein Künstler unserer Zeit ö- von Ausnahmen mal abgesehen - nur mehr bedingt punkten
    Man achtete (auch im praktischen Leben) auf Details, war bemüht sich ins rechte Licht zu setzen, durch Kleidung, Bildung und Umfeld positiv aufzufallen. Geanuso war das bei musikalischen Darbietungen. Sie hatten hohen Stellenwert, atmeten den Hauch des Besonderen, des Erlesenen, des Ewiggültigen. Dementsprechen war das Publikum gekleidet, die Interpreten motiviert,
    Heute ist alles ein wenig "selbstverständlicher", man könnte auch sagen "belangloser" geworden, Virtuosität ist eine Selbstveständlichkeit. Der allgemeine technische (nicht künstlerische !!!) Label ist vielleicht sogar ein wenig gestiegen -Aussergewöhnliches wird jedoch eigentlich kaum mehr geboten.
    Das alles macht sich sowohl in der Interpretation als auch in der Wertung durch den Hörer bemerkbar.


    Ich sagte in bezug auf vergasngen Künstler: bedingt punkten. Ich spielte einem jungen Klassikliebhaber eine Wunderlich -Aufnahme vor, was dieser mit "recht nett" quittierte.....


    Andrerseits gibt es aber auch junge Zuhörer, welch von den vergangenen Künstlern geradezu magisch angezogen fühlen - denn gerade, daß ihr musikalischer Vortrag anders ist als es heute üblich ist, macht diese Aufnahmen so hörenswert.


    Der musikalische Nachwuchs ist - so glaube ich - vorhanden - allerdings tritt er offt erst gegen mitte dreissig oder später auf Vorher hat er oft andere Vorlieben, die allmählich hinter dem Bereich "Klassische Musik" zurücktreten.


    Heutige Künstler kann man selbstverständlich auch heute live mit Genuss hören. Die Aura des Einzigartigen fehlt indes in der Regel, was sich wenige bei Liv-Auftritten als bei Tonaufnahmen bemerkbar macht.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist es, lieber Alfred, die "Aura des Einzigartigen". Ich habe von 2001 bis 2008 insgesamt neun Mal Alfred Brendel live erleben dürfen. Das ist anderen gegenüber nicht besonders viel, das reicht aber, um zu wissen, wovon ich rede.
    Ich kann mich heute noch schwarz ärgern, dass ich damals, als "Anfangszwanziger", in den Endsechziger Jahren, es verpasst habe, in Hannover (200 km entfernt), die Gesamtaufnahme aller 32 Beethovenschen Klaviersonaten (heute noch eine der Referenzen), durch Wilhelm Kempff im dortigen Beethovensaal mitzuerleben.
    Aber so ist das Leben. Und wer weiß, ob wir das in unserem Leben noch von einem der heute noch konzertierenden Künstler sagen können (das Konzerterlebnis mit Pollini steht mir ja noch aus).


    Liebe Grüße


    Willi :S

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Werte Leser,


    vielleicht hilft es ja einem persönlich, einfach mal das "für immer und ewig beste Aufnahme, bester Interpret" zu streichen, diese Kategorie wegzulassen. Diese Ausdrucksweise hat erschreckende Parallelen zum Sportjournalismus.


    Viele Grüße Thomas

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