Schuberts lange Lieder

  • Zur Frage: "Wenn das hier der falsche Thread zu diesen Liedern ist, welches wäre denn der richtige? Wohin soll das verschoben werden?"
    Mit meiner Anmerkung in Klammer, auf die sich diese Frage bezieht, wollte ich nur mein schlechtes Gewissen los werden. Schlechtes Gewissen stellt sich bei mir immer ein, wenn ich mich nicht an die thematischen Vorgaben eines Threads halte.


    Ist aber ein ganz und gar subjektives Problem. Für "Verschiebungen" sind die Moderatoren dieses Forums zuständig. Wenn die der Meinung sind, dass dergleichen in diesem Fall nicht nötig ist: Sei´s drum!

  • Ich stelle dieses Lied also hier ein, um den etwas aus dem Tritt geratenen Thread wieder auf die rechte Bahn zu bringen. Natürlich könnte man diese schauerliche Ballade auch im Balladen-Thread unterbringen. (Von Alexander Zemlinsky gibt es übrigens eine Oper, die den gleichen Titel trägt.)


    Eine Kurzinformation zu dieser Ballade:


    Der Textdichter stammt aus dem Freundeskreis Schuberts. Insgesamt vertonte Schubert fünf Gedichte Collins (auch „Wehmut“ D 772 – eines der schönsten Schubert-Lieder) und hat damit diesen Namen der Nachwelt erhalten. Collin war zu Schuberts Zeit eine recht umtriebige und angesehene Persönlichkeit, aber nur sein künstlerisches Tun hat überlebt.


    Ein kurzes Klaviervor- und Nachspiel, dazwischen wird eine dramatische Geschichte erzählt, die sich zum grausigen Höhepunkt des Mordes steigert. Die Liedinterpreten haben es hier praktisch mit drei Stimmen zu tun: Der erzählende Part, die Königin und der Zwerg. In der Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau dunkelt die Stimme bei „Da tritt der Zwerg zur Königin …“ deutlich ab.



    Der Zwerg (D771) Matthäus von Collin 1779-1824


    Im trüben Licht verschwinden schon die Berge,
    Es schwebt das Schiff auf glatten Meereswogen,
    Worauf die Königin mit ihrem Zwerge.


    Sie schaut empor zum hochgewölbten Bogen,
    Hinauf zur lichtdurchwirkten blauen Ferne;
    Die mit der Milch des Himmels blau durchzogen.


    "Nie, nie habt ihr mir gelogen noch, ihr Sterne,"
    So ruft sie aus, "bald werd' ich nun entschwinden,
    Ihr sagt es mir, doch sterb' ich wahrlich gerne."


    Da tritt der Zwerg zur Königin, mag binden
    Um ihren Hals die Schnur von roter Seide,
    Und weint, als wollt' er schnell vor Gram erblinden.


    Er spricht: "Du selbst bist schuld an diesem Leide,
    Weil um den König du mich hast verlassen,
    Jetzt weckt dein Sterben einzig mir noch Freude.


    "Zwar werd' ich ewiglich mich selber hassen,
    Der dir mit dieser Hand den Tod gegeben,
    Doch musst zum frühen Grab du nun erblassen.


    Sie legt die Hand aufs Herz voll jungem Leben,
    Und aus dem Aug' die schweren Tränen rinnen,
    Das sie zum Himmel betend will erheben.


    "Mögst du nicht Schmerz durch meinen Tod gewinnen!"
    Sie sagt's; da küsst der Zwerg die bleichen Wangen,
    D'rauf alsobald vergehen ihr die Sinnen.


    Der Zwerg schaut an die Frau, von Tod befangen,
    Er senkt sie tief ins Meer mit eig'nen Händen,
    Ihm brennt nach ihr das Herz so voll Verlangen,
    An keiner Küste wird er je mehr landen.

    Es ist mir nicht möglich den Namen Dietrich Fischer-Dieskau zu schreiben ohne an die letzte Begegnung mit ihm zu denken:

    Meisterkurs in Schwarzenberg im September 2009. Eine Sopranistin wollte „Der Zwerg“ zum Vortrag bringen. Fischer-Dieskau wandte sich ans Publikum und sagte, dass er diesen Versuch als Wagnis einstufe. Der große Meister brach dann schließlich den Versuch mit der Begründung ab, dass an bestimmten Stellen die Tiefe fehle.
    Freundlich aus dem Fond des Autos seinen Schülern zuwinkend entschwand er unseren Blicken und ward nicht mehr gesehen …


  • Über den Dichter Friedrich Anton Franz Bertrand (1787-1830) ist die Zeit hinweg gegangen, aber Franz Schuberts Vertonungen bewirken, dass er noch in aktuellen Publikationen zugegen ist. Diese Ballade scheint bei Kritikern nicht hoch im Kurs zu stehen, was jedoch Graham Johnson mit Elly Ameling (Sopran) und Ulrich Eisenlohr mit Ferdinand von Bothmer (Tenor) nicht vor einer Veröffentlichung abhalten konnte. Oft wird behauptet Dietrich Fischer-Dieskau habe alle Schubert-Lieder für Männerstimme eingespielt; die hier genannten Stücke konnte ich bisher nicht finden.


    Minona hat eine Spieldauer von gut zehn Minuten. Vom gleichen Dichter stammt auch das Werk Adelwold und Emma (ebenso von Schubert vertont) mit der rekordverdächtigen Aufführungsdauer von fast 26 Minuten.
    Aus persönlicher Sicht bevorzuge ich von den beiden Langwerken das kürzere, also Minona, weil ich hier die Gesangslinie äußerst attraktiv finde, aber auch der Klavierpart keine Langeweile aufkommen lässt.


    Das Entstehungsdatum wird mit 1815 angegeben, publiziert wurde es jedoch erst 1894


    Erst nach neunzehn Anschlägen beginnt die Singstimme, die im Folgenden dann sporadisch vom Piano unterbrochen wird. Nach der fünften Strophe gönnt man der Singstimme eine auffällige Atempause von einer halben Minute, bevor es mit „So klagt sie …“ mit dem Gesang weiter geht. In den Strophen zehn und elf ist „großer Operngesang“ angesagt; mit dezentem Nachspiel klingt die Ballade aus.


    Minona
    Die Kunde der Dogge


    Wie treiben die Wolken so finster und schwer
    Über die liebliche Leuchte daher!
    Wie rasseln dir Tropfen auf Fenster und Dach!
    Wie treibet's da draußen so wütig und jach,
    Als trieben sich Geister in Schlachten!


    Und wunder! Wie plötzlich die Kämpfenden ruhn,
    Als bannten jetzt Gräber ihr Treiben und Tun!
    Und über die Heide, und über den Wald -
    Wie weht es so öde, wie weht es so kalt!
    So schaurig vom schimmernden Felsen!


    O Edgar! wo schwirret dein Bogengeschoß?
    Wo flattert dein Haarbusch? wo tummelt dein Roß?
    Wo schnauben die schwärzlichen Doggen um dich?
    Wo spähst du am Felsen Beute für mich?
    Dein harret das liebende Mädchen!


    Dein harret, O Jüngling! im jeglichen Laut,
    Dein harret so schmachtend die zagende Braut;
    Es dünkt ihr zerrissen das lieblich Band,
    Es dünkt ihr so blutig das Jägergewand -
    Wohl minnen die Toten uns nimmer!

    Noch hallet den moosigen Hügel entlang
    Wie Harfengelispel ihr Minnegesang.
    Was frommt es? Schon blicken die Sterne der Nacht
    Hinunter zum Bette von Erde gemacht,
    Wo eisern die Minnenden schlafen!

    So klagt sie; und leise tappt's draußen umher,
    Es winselt so innig, so schaudernd und schwer;
    Es faßt sie Entsetzen, sie wanket zur Tür,
    Bald schmiegt sich die schönste der Doggen vor ihr,
    Der Liebling des harrenden Mädchens;


    Nicht, wie sie noch gestern mit kosendem Drang,
    Ein Bote des Lieben, zum Busen ihr sprang -
    Kaum hebt sie vom Boden den trauernden Blick,
    Schleicht nieder zum Pförtchen, und kehret zurück,
    Die schreckliche Kunde zu deuten.


    Minona folgt schweigend mit bleichem Gesicht,
    Als ruft es die Arme vor's hohe Gericht -
    Es leuchtet so düster der nächtliche Strahl -
    Sie folgt ihr durch Moore, durch Heiden und Tal
    Zum Fuße des schimmernden Felsen.

    »Wo weilet, o schimmernder Felsen, der Tod?
    Wo schlummert der Schläfer, vom Blute noch rot?«
    Wohl war es zerrissen das liebliche Band,
    Wohl hatt' ihm, geschleudert von tückischer Hand,
    Ein Mordpfeil den Busen durchschnitten.

    Und als sie nun nahet mit ängstlichem Schrei,
    Gewahrt sie den Bogen des Vaters dabei.
    »O Vater, o Vater, verzeih es dir Gott!
    Wohl hast du mir heute mit frevelndem Spott
    So schrecklich den Dräuschwur erfüllet!

    Doch soll ich zermalmet von hinnen nun gehn?
    Er schläft ja so lockend, so wonnig, so schön!
    Geknüpft ist auf ewig das eherne Band;
    Und Geister der Väter im Nebelgewand
    Ergreifen die silbernen Harfen.«

    Und plötzlich entreißt sie mit sehnender Eil
    Der Wunde des Lieben den tötenden Pfeil;
    Und stößt ihn, ergriffen von innigem Weh,
    Mit Hast in den Busen so blendend als Schnee,
    Und sinkt am schimmernden Felsen.

  • In diesem Thread hat sich ja schon lange nichts mehr getan, aber es ergab sich ein Anlass, hier mal wieder etwas zu tun - und das entwickelte sich so:


    Dieser Tage kam die brandneue CD mit dem Titel »ECHO« heraus, auf der Lieder von Schubert, Loewe, Schumann und Wolf zu hören sind. Diese Lieder werden von dem Bariton Georg Nigl vorgetragen, der von der Pianistin Olga Pashchenko begleitet wird.


    echo21dihc.jpg

    Gleich das erste der zwei auf der Platte befindlichen Schubert-Lieder ist nämlich eines der langen Lieder. Bereits im Beitrag # 2 dieses Threads wurde auf das Stück hingewiesen, aber es blieb bei dieser kurzen Erwähnung.
    Es ist die Vertonung eines Gedichts des Schubert-Freundes Franz von Schober, »Viola«.


    Dietrich Fischer-Dieskau äußert sich in seinem Buch »Auf den Spuren der Schubert-Lieder« dazu wie folgt:


    »Der Blumen-Balladen seines Freundes Schober kann sich Schubert eigentlich nur deshalb so ausgiebig angenommen haben, weil er die Blumen so liebte. ›Vergissmeinnicht‹ versteckt, ebenso wie sein Pendant ›Viola‹, unter bloß manieristischen ellenlangen Strecken á la Schubert, einige kostbare Details, die jedoch kaum diese etwas zu groß geratenen Nippesstücke der Musik lebendig erhalten werden. Die 19 Strophen von ›Viola‹ tendieren als veritable Biologiestunde unfreiwillig zur Komik, und man kann Schuberts Höflichkeit dem Freunde gegenüber nur bewundern, sich eine solche Last aufzubürden.«


    Im Booklet äußert sich auch Georg Nigl - der einen gänzlich anderen Vortragsstil pflegt als Dietrich Fischer-Dieskau - zu dem Lied und meint:


    »Als ich in meiner Studienzeit die Schubertliederbände durchsah, wurde ich auf ein Lied aufmerksam, dessen Länge mich überaus überraschte. In diversen Liedführern wurde es eher lapidar beschrieben und doch gefiel es mir außerordentlich: ›Viola‹ nach einem Text von Franz von Schober. Leider sind viele der gängigen Notenausgaben dieses Liedes, wenn man sie mit der Handschrift Schuberts vergleicht, in vielerlei Hinsicht schlampig und falsch.«


    Viola

    Franz von Schober


    Schneeglöcklein, o Schneeglöcklein!

    in den Auen läutest du,

    läutest in dem stillen Hain,

    läute immer zu!


    Denn du kündest frohe Zeit,

    Frühling naht, der Bräutigam,

    kommt mit Sieg vom Winterstreit,

    dem er seine Eiswehr nahm.


    Darum schwingt der gold´ne Stift,

    dass dein Silberhelm erschallt,

    und dein liebliches Gedüft

    leis’ wie Schmeichelruf entwallt:


    dass die Blumen in der Erd´,

    steigen aus dem düstern Nest,

    und des Bräutigams sich wert

    schmücken zu dem Hochzeitsfest.


    Schneeglöcklein, o Schneeglöcklein,

    in den Auen läutest du,

    läutest in dem stillen Hain,

    läut’ die Blumen aus der Ruh’!


    Du Viola, zartes Kind,

    hörst zuerst den Wonnelaut,

    und sie stehet auf geschwind,

    schmücket sorglich sich als Braut,


    Hüllet sich in’s grüne Kleid,

    nimmt den Mantel sammetblau,

    nimmt das güldene Geschmeid´,

    und den Brilliantentau.


    Eilt dann fort mit mächt’gem Schritt,

    nur den Freund im treuen Sinn,

    ganz von Liebesglück durchglüht,

    sieht nicht her und sieht nicht hin.


    Doch ein ängstliches Gefühl

    ihre kleine Brust durchwallt,

    denn es ist noch rings so still,

    und die Lüfte weh’n so kalt.


    Und sie hemmt den schnellen Lauf,

    schon bestrahlt von Sonnenschein,

    doch mit Schrecken blickt sie auf,

    denn sie stehet ganz allein.


    Schwestern nicht, nicht Bräutigam,

    zugedrungen und verschmäht!

    Da durchschauert sie die Scham,

    fliehet wie vom Sturm geweht,


    fliehet an den fernsten Ort,

    wo sie Gras und Schatten deckt,

    späht und lauschet immerfort,

    ob was rauschet und sich regt.


    und gekränket und getäuscht

    sitzet sie und schluchzt und weint,

    von der tiefsten Angst zerfleischt,

    ob kein Nahender sich zeigt.


    Schneeglöcklein, o Schneeglöcklein,

    in den Auen läutest du,

    läutest in dem stillen Hain,

    läut´ die Schwestern ihr herzu!


    Rose nahet, Lilie schwankt,

    Tulp’ und Hyazinthe schwellt,

    Windling kommt daher gerankt,

    und Narciss’ hat sich gesellt.


    Als der Frühling nun erscheint,

    und das frohe Fest beginnt,

    sieht er alle die vereint,

    und vermisst sein liebstes Kind.


    Alle schickt er suchend fort,

    um die eine, die ihm wert.

    Und sie kommen an den Ort,

    wo sie einsam sich verzehrt.


    Doch es sitzt das liebe Kind

    stumm und bleich, das Haupt gebückt,

    ach, der Lieb’ und Sehnsucht Schmerz

    hat die Zärtliche erdrückt.


    Schneeglöcklein, o Schneeglöcklein,

    in den Auen läutest du,

    läutest in dem stillen Hain,

    Läut´ Viola sanfte Ruh’!


    Spieldauer 15:11 in der Interpretation von Georg Nigl und Olga Pashchenko

  • Lieber hart, sei bedankt, dass Du auf diese CD aufmerksam gemacht hast. Für mich ist sie nicht nur wegen des langen Liedes "Viola" von Schubert bemerkenswert. Bei der Erwähnung von Carl Loewe horche ich reflexartig auf. Doch das ist ein anderes Theme. Ich finde es interessant, dass Du das Lied zwischen zwei Meinungen gestellt hast. Einerseits die kritischen Äußerung von Fischer-Dieskau, der es auch sang, anderseits die tiefe Zuneigung des Sängers Georg Nigel, der die neue CD bestreitet. Bei aller Wertschätzung für den analytischen Verstand von Fischer-Dieskau, scheint es mir notwendig, einige seiner Ansichten zu hintefragen. Er wirkt auf mich gelegentlich etwas verbietrisch. Was er über "Viola" vor fast fünfzig Jahren von sich gab, ist nun als letztes Wort infrage gestellt. Mich überzeugt sehr, was Nigl zu sagen hat. Auf Spotify konnte ich das Lied sofort hören und fand seine Wertschätzung auch in seiner Interpretation bestätigt. Die fünfzehn Miniuten vergingen mir wie im Fluge. Hier und da hätte er noch deutlicher singen können, denn der größte Feind der langen Lieder, ist mangelnde Verständlichkeit.


    Fischer-Dieslau kommt in seiner Gesamtaufnahme der Schubert-Lieder mit gut zwölf Minuten aus. Es wäre zu überprüfen, ob er leichte Kürzungen vorgenommen hat.


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Bei aller Wertschätzung für den analytischen Verstand von Fischer-Dieskau, scheint es mir notwendig, einige seiner Ansichten zu hintefragen. Er wirkt auf mich gelegentlich etwas verbietrisch. Was er über "Viola" vor fast fünfzig Jahren von sich gab, ist nun als letztes Wort infrage gestellt. Mich überzeugt sehr, was Nigl zu sagen hat.

    Dem "sei bedankt", das Rheingold an hart richtet, schließe ich mich gerne an. Seiner Äußerung über Fischer-Dieskau, er wirke gelegentlich etwas "verbieterisch", aber nicht. Sie ist, mal abgesehen davon, dass sie in ihrem sprachlichen Gehalt unscharf ist, in diesem Fall unangebracht. Er äußert sich kritisch zu dieser Schubert-Komposition, und begründet das sogar noch. Ganz ohne Frage weist dieses Lied in seiner musikalischen Sprache eine Fülle von manieristischen Elementen auf, und in der Vielgestaltigkeit der von Schubert eingesetzten Formen von Liedsprache und im Umfang, in dem das geschieht, kann man sehr wohl kompositorischen Manierismus sehen. Kann man, muss aber nicht!

    Die sprachliche Flapsigkeit, in der Fischer-Dieskau das zum Ausdruck bringt, dieses argumentative Operieren mit "zu groß geratene Nippesstücke" oder "veritable Biologiestunde" hätte er allerdings unterlassen sollen. Schmeckt ein bisschen nach schriftstellerischer Selbstverliebtheit.

    Aber er hat etwas sachlich Kritisches zu diesem Lied zu sagen. Was hingegen Nigl in dem, was hart zitiert, zu diesem Lied zu sagen hat, vermag ich nicht zu erkennen. "Es gefiel mir außerordentlich" ist schließlich nur ein simples subjektives Bekenntnis, mehr nicht.


    Nun aber kommt mein Aber, - Fischer-Dieskau gegenüber. Man kann das, was er kritisiert, nämlich auch ganz anders bewerten.

    Ich glaube nicht, dass Schubert mit der Vertonung dieses lyrischen Textes dem Verfasser, also Franz von Schober, nur einen Gefallen tun wollte. Und schon gar nicht, dass er sich damit "eine Last aufbürden" musste. So verfuhr Schubert nicht, das war nicht seine Art als Liedkomponist. Er wies bekanntlich sogar lyrische Texte von ihm bekannten Verfassern zurück, wenn sie ihm nicht zusagten (was Fischer-Dieskau ja wusste!).


    Nein. Ihn reizte an diesem langen Text das lyrisch sprachliche Umkreisen einer Refrain-Strophe, wie sie anfangs auftritt, mit immer neuen, gleichsam als durch diese geweckten Kommentaren in Gestalt von Gedanken, Emotionen und metaphorischen Evokationen. Und der Reiz bestand für ihn nun darin, diese Fülle an Kommentaren mit einer ebenso großen Fülle an adäquaten Liedsprachen aufzugreifen. Da tritt ein ganzer Reichtum an Formen auf, wie man sich als Komponist liedsprachlich ausdrücken kann. Insgesamt acht Haupt-Tonarten kommen zum Einsatz, von den harmonischen Modulationen und Rückungen einmal abgesehen, eine unglaubliche Fülle an Rhythmisierungen vernimmt man, der Klaviersatz weist einen großen Reichtum an Figuren auf. Aber ganz besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass Schubert zu der Aussage und der Metaphorik der einzelnen Strophen immer die ihr voll gerecht werdende Liedsprache gefunden hat. Von zauberhafter volksliedhafter, die Lieblichkeit des lyrischen Bildes voll erfassender Schlichtheit ist die Melodik der Refrainstrophe, der große Schubert aber begnügt sich damit nicht, er kontrastiert sie mit Strophen einer überaus schmerzlichen, ja schroffen Liedsprache, in der sogar rezitativische Elemente zum Einsatz kommen.


    Der/die Rezipient/in erlebt großen liedkompositorischen Reichtum. Der macht den Reiz und die Größe dieses Liedes aus. Gibt man sich ihm ihn und lässt sich, genau hinhörend, von ihm bereichern, merkt man gar nichts von der ungewöhnlichen Länge der Komposition.

  • mehr nicht.

    mehr nicht? Es war auch dieses noch zu lesen ...


    »Leider sind viele der gängigen Notenausgaben dieses Liedes, wenn man sie mit der Handschrift Schuberts vergleicht, in vielerlei Hinsicht schlampig und falsch.«

  • mehr nicht? Es war auch dieses noch zu lesen ...


    »Leider sind viele der gängigen Notenausgaben dieses Liedes, wenn man sie mit der Handschrift Schuberts vergleicht, in vielerlei Hinsicht schlampig und falsch.«

    Also mit Verlaub, lieber hart, Deinen Einwand verstehe ich nicht.


    Mein "mehr nicht" bezog sich auf Aussagen zur musikalischen Qualität des Liedes. Denn darum ging es doch in dem Zitat Fischer-Dieskaus und in der Bemerkung von Rheingold: "Mich überzeugt sehr, was Nigl zu sagen hat".

    Die Anmerkung Nigls zu den "Notenausgaben" hat damit nichts zu tun. Und bei ihm finde dazu nun wirklich nur das Bekenntnis, dass ihm das Lied "außerordentlich gefällt". Im Unterschied zu Fischer-Dieskau hat er zur Qualität dieses Liedes nichts zu sagen.


    Wenn er beklagt, dass dieses Lied "in diversen Liedführern eher lapidar beschrieben" wurde, hätte er doch wenigstens ein paar Gründe nennen können, warum das aus seiner Sicht unangebracht ist. Also etwas zur Frage, warum es ihm so außerordentlich gefällt.