Kindertotenlieder

  • Nur ist es sachlich einfach nicht relevant. Weil in diesem Fall der Komponist vom Verleger gezwungen wird, eine solche Klavierfassung zu veröffentlichen, damit die Orchesterfassung überhaupt erscheinen kann.

    Aber das ist doch gerade im Falle Mahler offensichtlich nicht passiert?

  • Jetzt wird es wirklich lächerlich. Die Titelseite ist letztlich Werbung - der Verleger setzt das so auf die Titelseite, damit sich die Partitur gut verkauft und nicht der Komponist.

    Und er fragt den Komponisten natürlich auch nicht, und der hat auf den Druck selbstverständlich keinen Einfluss. Ja, ja. Schon klar. Ich stelle es mir sehr anstrengend vor, immerzu eine Position verteidigen zu müssen, von der man weiß, dass sie schon längst ruiniert ist, und wenn man merkt, dass einem (folgerichtig) kein einziges auch nur halbwegs schlüssig aussehendes Argument einfällöt, um sie zu vertreten, so dass man sich mit solch fadenscheinigen Fetzen behelfen muss.


    Noch eine Nebenfrage: Wann genau ist Mahler von seinem Verleger gezwungen worden, die Kindertotenlieder mit Klavierbegleitung drucken und die Lieder eines fahrenden Gesellen mit Klavierbegleitung zu komponieren? Und wie und wann (und warum) hat ihn der Verleger gezwungen, den Vermerk »mit Klavier oder Orchester« auch auf den Titelblättern der Orchesterpartituren beider Zyklen anzubringen? Du hast dafür doch sicherlich ganz und gar eindeutige Belege. Lass uns, bitte, bitte! teilhaben an Deinem profunden Wissen!

    Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.

    Susan Sontag

  • Bisher habe ich das Diskussionsthema hier so verstanden, dass die Klavierfassung minderwertig sei, weil sie Mahlers Willen nicht richtig wiedergibt. Dagegen steht die Auffassung, das beide Versionen von Mahler aus rein künstlerischem Anliegen bewilligt sind. Das heißt selbstverständlich gerade nicht, dass eine Fassung die andere ersetzen soll. Keiner will mit der Klavierfassung die orchestrale Version ersetzen, aber eben auch nicht andersrum

    Da hast Du aber leider gar nichts verstanden. :D Denn das ist völlig uninteressant. Es geht um die Sache - oder hast Du z.B. Christian B. nicht gelesen, der allein beim Hören von "In diesem Wetter, in diesem Braus..." die Klavierfassung als unbefriedigend empfindet? Wer ist denn wirklich bereit als ganz naiver "Hörer", beim Hören die Klavierfassung der Orchesterfassung gleichzustellen? Dieser Eindruck des Vorrangs der Orchesterlieds ist doch evident und man kann ihn dann stützen durch Analyse und Interpretation. Wenn man das aus dem Blick verliert, was man auch tatsächlich hörend und das tatsächlich Gehörte reflektierend nachvollziehend erfassen kann, gerät man ins endlose sophistische Debattieren. Und das ist letztlich langweilig und reine Zeitverschwendung und für Niemanden ein Gewinn.

  • Weil in diesem Fall der Komponist vom Verleger gezwungen wird, eine solche Klavierfassung zu veröffentlichen, damit die Orchesterfassung überhaupt erscheinen kann.

    Oh, das erschreckt mich jetzt aber! Der arme Mahler wurde von seinem bösen Verleger gezwungen, eine minderwertige Fassung zu veröffentlichen??? Sicherlich gibt es für diese Ungeheuerlichkeit irgendwo einen Beleg. Du wirst doch so etwas nicht einfach behaupten. Du nicht.

  • Es geht um die Sache - oder hast Du z.B. Christian B. nicht gelesen, der allein beim Hören von "In diesem Wetter, in diesem Braus..." die Klavierfassung als unbefriedigend empfindet?

    Diese Sache ist doch ganz einfach. Der Kollege Christian B. empfindet das so. Ich empfinde das nicht so. Da werden wir nicht weiterkommen. Da lohnt sich kaum eine Diskussion.


    Wer ist denn wirklich bereit als ganz naiver "Hörer", beim Hören die Klavierfassung der Orchesterfassung gleichzustellen?

    Wer will denn hier etwas gleichstellen?


    Dieser Eindruck des Vorrangs der Orchesterlieds ist doch evident und man kann ihn dann stützen durch Analyse und Interpretation

    Der Eindruck sollte wieso evident sein? Eindimensionales Denken, nämlich, dass aus einer Ungleichstellung der Versionen ein Vorrang einer Version zu erfolgen hat, ist ein wenig zu einfach gedacht.


    Ich halte auch die Meinung von einer Vorrangstellung einer bestimmten Version, zumindest bei den Interpretationen, nicht für gegeben, wie ein Blick in die aktuelle Diskografie erkennen lässt.

  • Habe ich gesagt, die Klavierversion sei unbefriedigend? Glaube nicht.

    Ich würde es lieber so formulieren: Die Orchesterfassung ist origineller und ungewöhnlicher und hat auch ein größeres Ausdrucksspektrum. Sie ist im Vgl. zur traditioneller wirkenden Klavierversion eine Weiterentwicklung, darin liegt ihre Bedeutung.
    Auch chköhn hat übrigens gesagt:

    „Es ist weitgehend unbestritten, dass Mahler die endgültige Gestalt der Lieder in den Orchesterversionen sah“

  • Habe ich gesagt, die Klavierversion sei unbefriedigend? Glaube nicht.

    Ich würde es lieber so formulieren: Die Orchesterfassung ist origineller und ungewöhnlicher und hat auch ein größeres Ausdrucksspektrum. Sie ist im Vgl. zur traditioneller wirkenden Klavierversion eine Weiterentwicklung, darin liegt ihre Bedeutung.

    Ist das Wort wichtiger als die Sache?


    Sachlich sagst Du: Die Klavierfassung ist weniger originell, konventioneller und hat ein weniger breites Ausdrucksspektrum. Zusammengefasst: Das ist im Verhältnis zur Orchesterfassung eine rein privative Charakterisierung der Klavierfassung.

  • Ich halte auch die Meinung von einer Vorrangstellung einer bestimmten Version, zumindest bei den Interpretationen, nicht für gegeben, wie ein Blick in die aktuelle Diskografie erkennen lässt.

    Dem kann ich gut folgen und werbe für den schon mehrfach ins Spiel gebrachten Gedanken, von zwei ästhetisch eigenständigen Fassungen auszugehen. Der Begriff der "Vorrangstellung" erscheint mir (bislang) ohnehin als diffus, nebulös und somit unangemessen.

    Ich habe mich angesichts der Diskussion gefragt, wie wir über die "Kindertotenlieder" sprechen würden, wenn es nur die Klavierfassung gäbe. Meine Erwartung wäre, dass wir ihr dann gerechter werden würden.

  • Die ganze Diskussion krankt daran, dass stillschweigend ein sehr seltsamer Begriff von Fortschritt in sie hineingeschmuggelt wird. Ist die Orchesterversion eine Weiterentwicklung der Klavierfassung? Ich weiß es nicht. Und es interessiert mich auch überhaupt gar nicht. Dass sich die beiden Fassungen erheblich unterscheiden, ist ja klar. Das liegt hauptsächlich daran, dass sich ein Orchester erheblich von einem Klavier unterscheidet. Das hat mit irgendeiner Weiterentwicklung erst einmal gar nichts zu tun.

    Wichtiger scheint mir aber, dass man keinem Gegenstand (keinem künstlerischen und keinem anderen im Leben) gerecht wird, wenn man ihn vor allem oder ausschließlich als Übergang zu etwas anderem betrachtet. Da kommt solcher Quatsch raus wie »Mozart ist schon fast Beethoven« oder »Lully ist Wagner« oder (ein Todesurteil) »Wagner ist Filmmusik«. Witzig an all diesen Urteilen ist, dass sie den jeweils ersten im Satz aufwerten wollen, ihn aber abwerten, indem sie ihn lediglich zu einer Vorstufe machen. Wenn man so lebt, kommt man zu einem Leben, das aus nur einem Augenblick besteht, nämlich dem letzten, auf den alles zustrebt. Ich finde es besser, jede Stufe als für sich berechtigt zu nehme. Also auch z. B. jede Version einer Bruckner-Sinfonie gleich ernst zu nehmen. (Man muss deshalb ja nicht alle gleich schätzen.)


    Ich höre nicht »Fast-Schon-Beethoven«, sondern Haydn. Der ist anders als Beethoven und hat viele Dinge anders gelöst, aber er hat sie eben so gelöst, wie er sich gelöst hat. Ich habe vor 30 Jahren über bestimmte Dinge sehr anders gedacht, als ich es heute tue. Manches, was ich da für richtig gehalten und mit voller Überzeugung geäußert habe, kommt mir heute ulkig vor, manches treibt mir die Schamröte ins Gesicht und lässt mich hoffen, dass ich niemand außer mir daran erinnert. Aber das war alle gut und richtig und gehört eben dazu.

    Ich glaube im Leben des Einzelnen ebenso wenig an einen Fortschritt wie irgendwo sonst. Der Eindruck, das es so etwas gibt, entsteht lediglich daraus, dass man dazu neigt, jeweils das, was man gegenwärtig für richtig hält, als für alle Zeiten und Orte gültiges Kriterium zu wählen, so dass alles, was vor uns liegt, ein langer Stufenweg zu den lichten Höhen ist, die wir erklommen haben.


    Dabei sind viele dieser Stufen wunderbare Orte, an denen zu sein oder gewesen zu sein, sich sehr lohnt. Und zwar nicht, weil man über sie woanders hinkommt. Und so kann es sein, dass verschiedene Fassungen eines Werkes gleichberechtigt nebeneinander stehen können, ohne dass man sich für die eine oder andere entscheiden müsste. Und in dem hier besprochenen Fall ist es ganz sicher so.


    Man wird das nur nicht merken, wenn man beim Hören (oder Lesen) der Fassung mit Klavier immer beklagt, dass sie anders klingt als de mit Orchester (und umgekehrt). Es ist nicht nur sinnlos, nach dem Geschmack von Mandarinen zu suchen, wenn man Pflaumen isst, es ist auch schädlich, weil man sich auf dies Weise hindert, den Geschmack der Pflaumen als eben das zu schätzen was er ist: Geschmack von Pflaumen.

    Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.

    Susan Sontag